9punkt - Die Debattenrundschau

Baseball-Schläger neben ihrem Bett

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
28.10.2017. Katalonien hat seine Unabhängigkeit erklärt, Madrid will Neuwahlen. Die taz schildert den dramatischen Moment. Politico.eu notiert, dass die EU zu Spanien steht. Im New Yorker legt Ronan Farrow nach und präsentiert neue Opfer, die Harvey Weinstein schwere Vorwürfe machen.  In der FAZ zieht Dieter Grimm der Religionsfreiheit Grenzen.  Die NZZ kommt auf Alain Finkielkrauts Buch "Die Niederlage des Denkens" von 1987 zurück - eine noch heute aktuelle Kritik am Multikulturalismus.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 28.10.2017 finden Sie hier

Europa

Gestern wurde die Unabhängigkeit Kataloniens erklärt, und zugleich rief die spanische Regierung Neuwahlen aus -  der Konflikt liegt offen zutage. Rainer Wandler berichtet für die taz: "Es war wie die Übertragung zweier Fußballspiele - DUI, wie die Abkürzung für 'Einseitige Unabhängigkeitserklärung' lautet, gegen den Artikel 155. Radio und Fernsehen sowohl in Katalonien als auch im restlichen Spanien schalteten permanent hin und her. Überall in Kneipen und Cafés liefen die Fernseher, an so manchem Arbeitsplatz das Radio. Puigdemont war von einer Minute zur anderen wieder der allseits geliebte Held der Unabhängigkeitsbefürworter."

"EU-Politiker machten schnell klar, dass die die katalanische Unabhängigkeitserklärung nicht anerkennen", notiert Diego Torres in politico.eu. "Die EU hält daran fest. dass der Status Kataloniens für die spanische Regierung eine innere Angelegenheit  ist, trotz Differenzen zwischen Politikern über die harte Linie Madrids. 'Spanien bleibt unser Gesprächspartner', twitterte Donald Tusk, der Spanien auch zur Zurückhaltung aufrief."

Und Zeit online meldet heute früh: "Der spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy hat offiziell die Amtsgeschäfte des abgesetzten katalanischen Regierungschefs Carles Puigdemont übernommen."

Hier zeigte die BBC live den entscheidenden Moment im katalanischen Regionalparlament:



Außerdem: Christian Jakob bringt in einer großen Reportage für die taz neue Hintergründe über die Ermordung der maltesischen Journalistin Daphne Caruana Galizia.
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Geschichte

In zwei Artikeln kommt die NZZ auf die Oktoberrevolution zurück. Karl Schlögel denkt über den Kult um Lenin nach. Sylvia Sasse erzählt, wie ein berühmtes Foto der Revolution manipuliert wurde - damals schon! Ulrich M. Schmid lässt Säuberungen der KP in den eigenen Reihen Revue passieren.
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Gesellschaft

Ronan Farrow, Autor der New-Yorker-Story über Harvey Weinstein, die alles ins Rollen brachte, legt nach. Als weiteres Opfer präsentiert er die Schauspielerin Annabella Sciorra (bekannt etwa aus den "Sopranos"), die sich zunächst nicht hatte äußern wollen: "In Wahrheit, sagte sie nun, kämpft sie seit zwanzig Jahren mit dem Wunsch, über Weinstein zu sprechen. Noch immer lebe sie in Angst vor ihm und schlafe mit einem Baseball-Schläger neben ihrem Bett. Weinstein, sagte sie mir, hatte sie in den frühen Neunzigern brutal vergewaltigt und sie in den folgenden Jahren wiederholt sexuell belästigt."

Auch gegen Tariq Ramadan (unser Resümee) werden laut Le Parisien neue Vorwürfe erhoben.
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Religion

Religionsfreiheit hat Grenzen, die ihr vom Staat gesetzt werden, schreibt der ehemalige Bundesverfassungsrichter Dieter Grimm in der FAZ (Artikel bei Qantara.de online gestellt): "Der Absolutheitsanspruch der Religionsgemeinschaften kann ..  nicht gegenüber der Allgemeinheit, sondern nur gegenüber den eigenen Gläubigen, also im Innenbereich der Religionsgemeinschaften, Geltung beanspruchen; aber auch dort nur, soweit er freiwillig befolgt wird. Der säkulare Staat darf seine Zwangsgewalt nicht für die Durchsetzung religiöser Normen zur Verfügung stellen. Aber selbst die freiwillige Unterwerfung unter religiöse Normen kann nur in Grenzen hingenommen werden. Diese Grenzen werden durch die unaufgebbaren Grundprinzipien des Grundgesetzes gezogen, allen voran die Menschenwürde."

Ebenfalls in der FAZ unterhalten sich Christian Geyer und Hannes Hintermeier eine ganze Seite lang mit Kardinal Walter Brandmüller über den liberalen Papst Franziskus und den Streit, den dessen Schreiben "Amoris laetitia"  in der Katholischen Kirche auslöste.
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Ideen

Welt-Autor Thomas Schmid sieht Ralf Dahrendorf, über den gerade eine Biografie erschienen ist, bei aller Sympathie auch als Gescheiterten: "Der liberale, auch der sozialliberale Aufbruch blieb ein nicht eingelöstes Versprechen. Liberalen Denkern wie Dahrendorf ist es nicht gelungen, die liberale Idee vom dem Makel zu befreien, dass sie in ihrer zeitlosen Gültigkeit oft abweisend gegenüber den Fragen und Geboten der Gegenwart ist. Und dem politischen Liberalismus ist es mit und erst recht ohne Dahrendorf nicht gelungen, nicht nur prozentual ein Faktor in Deutschland zu werden. Ein Versagen, dem die - erneut in Autosuggestion starke - Lindner-FDP noch nicht entkommen ist."

Bei den Salonkolumnisten kritisiert Richard Volkmann den multilateralen Ansatz von Außenpolitik, der noch in jedem Diktator einen Partner fürs Hinterzimmergespräch sieht: "In Wahrheit kann ein gedeihliches Miteinander eben nur zwischen Demokratien entstehen, und wer nicht jedem Menschen, gleich welcher Herkunft und religiöser oder kultureller Prägung, einen freiheitlichen Lebensentwurf zubilligt, der braucht sich nicht mehr für vorgeblich werteorientierte 'Realpolitik' in Pose zu werfen. Egal ob in Syrien, in Nordkorea oder im Iran, in China, Saudi-Arabien, Russland, Kuba oder Venezuela: Die Lösung der politischen Krisen kann nicht in einem kurzfristigem, 'multilateral' unterfütterten Appeasement von Regimen bestehen, deren unfreie Verfasstheit zu akzeptieren gleichbedeutend wäre mit der Geringschätzung unserer eigenen Freiheit."

In der NZZ kommt René Scheu auf Alain Finkielkrauts Buch "Die Niederlage des Denkens" von 1987 zurück - eine noch heute aktuelle Kritik am Multikulturalismus, festgemacht in diesem Fall am großen Claude Lévi-Strauss. Finkielkrauts Kritik paraphrasiert Scheu so: "Die von Lévi-Strauss postulierte Gleichwertigkeit der Kulturen gerät .. notwendigerweise in Konflikt mit der Gleichheit aller Menschen. Zugespitzt: Auch die Menschenrechte sind in dieser Optik bloß eine Erfindung des Westens und haben Gültigkeit nur für gewisse Gesellschaften (oder umgekehrt: Auch Praktiken wie Patriarchat oder Polygamie haben je nach kulturellem Kontext ihre Berechtigung). "

Außerdem: In der SZ fragt Alex Rühle den Rechtsextremismus-Experten David Begrich und den Soziologen Thomas Wagner, ob man "mit Rechten reden" soll.
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Politik

Eine UN-Untersuchung des Giftgasangriffs von Chan Scheichun hat die Verantwortung der syrischen Regierung eindeutig festgestellt, berichtet Dominic Johnson in der taz. Durchgeführt wurde die Untersuchung von der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW): "Alle Untersuchungen wiesen den Einsatz von Sarin oder einer ähnlichen Substanz nach, wie bereits Ende Juni die OPCW berichtete. Dass der Kampfstoff mit einer aus der Luft abgeworfenen Bombe freigesetzt wurde, ist laut dem neuen Bericht die einzige Erklärung für die Art seiner Wirkung."  Der Bericht soll am 7. November im UN-Sicherheitsrat debattiert werden.

In der FAZ erklärt Richard Ford, was er versteht, wenn Politiker wie Donald Trump erzählen, sie wollen "ein Land wie ein Unternehmen" führen: "Man macht das Gewinnen zum einzigen Ziel, ganz gleich wer da gewinnt oder verliert (außer einem selbst); und schließlich erklärt man sich für unfehlbar, weil man reich ist."
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