9punkt - Die Debattenrundschau

Österreich ist nicht Amerika

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
03.12.2016. The Intercept hat acht Firmen gefragt, ob sie bereit seien, an der Erstellung eines amerikanischen  Registers der Muslime mitzuwirken - nur Twitter hat abgelehnt.  Chimamanda Ngozi Adichie warnt Medien im New Yorker vor falscher Ausgewogenheit. "Es gibt keine digitalen Grundrechte", heißt es in einer Stellungnahme von AlgorithmWatch zur EU-Digitalcharta. Der NDR hat zwar einen Fehlbetrag von 103 Millionen Euro, so dwdl.de, aber Geld genug ist ja da.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 03.12.2016 finden Sie hier

Politik

Jede Firma sollte sich überlegen, ob sie jetzt Geschäfte mit der neuen amerikanischen Regierung macht, meint Sam Biddle in The Intercept. Aber nicht jede Firma scheint darüber nachzudenken: "The Intercept kontaktierte neun der prominentesten Firmen von Facebook bis Booz Allen Hamilton um zu fragen, ob sie ihre Dienste zur Verfügung stellen würden, um ein nationales Register der Muslime zu schaffen, eine kürzlich von Trumps Übergangsteam aufgebrachte Idee. Nur Twitter sagte nein."
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Stichwörter: Twitter, Facebook, The Intercept

Europa

Nur wenig wird darüber geschrieben, wie sich die türkischen Auseinandersetzungen nach Deutschland verlängern. Max Thomas Mehr wundert sich in Dradio Kultur, dass so viele Türken, die seit Ewigkeiten in Kreuzberg leben, sich so intensiv mit Erdogan und seiner Säuberungspolitik identifizieren: "Natürlich gibt es auch die Kaffeehausbekannte, die sich 'fremdschämt' für das, was Erdogan gerade aus der Heimat ihrer Eltern macht. Ein anderer Deutschtürke, erfolgreicher Restaurantbetreiber, versteht nicht, wie man nach vierzig Jahren Deutschland Fan dieses Despoten werden kann. Doch sie bleiben lieber anonym, denn nicht nur in Istanbul sondern auch in Kreuzberg geht die Angst um vor Denunzianten, die sie anschwärzen könnten beim Regime in Ankara."

Zur Präsidentenwahl in Österreich schreibt der in Wien lehrende Philosoph Konrad Paul Liessmann in der FAZ den schwerwiegenden Satz: "Österreich ist nicht Amerika, und man kann prinzipiell nicht 'falsch' wählen, da eine Wahl kein Verfahren zur Ermittlung der Wahrheit ist."
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Ideen

"Die Skeptiker der Identitätspolitik sind weiße Männer", schreibt Hadley Freeman im Guardian, unter anderm in Bezug auf Mark Lillas viel diskutierten Artikel, in dem linke Identitätenpolitik als einer der Gründe für Hillary Clintons Niederlage benannt wurde (unsere Resümees). "Als wäre jeder andere - Frauen, farbige Menschen, LGBT-Menschen - nur eine Nischenangelegenheit, eine freakige Abweichung, ein Spiel ('als wäre ein jahrhundertelanger Kampf um Emanzipation, Bürgerrechte, gleiche Bezahlung und reproduktive Autonomie und gegen häusliche, sexuelle und Polizeigewalt nur ein Spiel gewesen', wie Rebecca Traister neulich schrieb). Sie gelten nicht, wie es heutzutage in der Politik heißt, als 'die wirklichen Menschen'." (Wenn man sieht, dass Frauen in einer Reihe mit "Frauen, farbige Menschen, LGBT-Menschen" gestellt werden, könnte man sich allerdings auch fragen, ob es nicht ein bisschen seltsam ist, die Hälfte der Menschheit in einer Serie von Differenzen aufzulösen.)

In der NZZ überlegt Eduard Kaeser, wie man im digitalen Zeitalter dem Körper zu mehr Recht verhelfen kann: "wenn Technologien unsere Denkstrukturen von Grund auf verändern können, dann sollte man nicht vergessen, dass diese Denkstrukturen in 'Körpertechniken' wurzeln: Reden, Argumentieren, Schreiben, Lesen, Zeichnen, Rechnen, Simsen, Smartphone-Bedienen. Immer steht, wenn auch oft implizit, das Urmedium Körper im Zentrum, in das sich die Technologie 'einschreibt'. Aus diesem Grunde sollte auch der Fokus einer Philosophie der Technik nicht auf der Technik liegen, sondern darauf, was Technik mit uns und unserem Körper macht."

Außerdem in der NZZ: Uwe Justus Wenzel verteidigt die Utopie. Und Werner von Koppenfels schreibt zum 500sten von Thomas Morus' "Utopia".
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Medien

Zahlen wie aus einer anderen Welt präsentiert Alexander Krei bei dwdl.de: "Der NDR wird im kommenden Jahr einen Fehlbetrag von 103 Millionen Euro ausweisen. Der NDR-Rundfunkrat hat am Freitag dem Wirtschaftsplan zugestimmt. Dieser sieht Aufwendungen in Höhe von 1,2 Milliarden Euro vor, denen erwartete Erträge im Umfang von rund 1,1 Milliarden Euro gegenüberstehen... Unterdessen stellt der NDR für 2017 den sozialverträglichen Abbau von 6,5 Planstellen in Aussicht, was rund 0,2 Prozent aller Stellen entspricht. All das deutet nicht darauf hin, dass man in Hamburg in eine besonders unsichere Zukunft blickt." Der Fehlbetrag wird übrigens aus der "Beitragsrücklage" gedeckt, womit offenbar die zu viel bezahlten Gebühren gemeint sind.

Die nigerianische Autorin Chimamanda Ngozi Adichie warnt Medien im New Yorker vor falscher Ausgewogenheit: "Am Tag nach der Wahl hörte ich einen Radiojournalisten von dem 'giftigen' Gespräch zwischen Obama und Trump sprechen. Nein, das Gift war auf Trumps Seite. Es ist Zeit, mit solchen falschen Äquivalenzen für immer aufzuhören. Vorzugeben, dass beide Seiten gleich seien, wenn sie es nicht sind, ist nicht 'ausgewogener' Journalismus. Es ist ein Märchen - ein böses Märchen."
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Urheberrecht

"Es gibt keine digitalen Grundrechte", heißt es in einer Stellungnahme der NGO AlgorithmWatch zur EU-Digitalcharta: "Da wir es im privaten Bereich zudem stets mit kollidierenden allgemeinen Grundrechten zu tun haben, besteht die Gefahr, durch das einseitige 'Adeln' bestimmter Aspekte zu neuen Grundrechten die bestehenden Grundrechten zu erodieren. Dies gilt zum Beispiel für die Meinungsfreiheit, die Berufsfreiheit und insbesondere die Freiheit der Wissenschaft, die für die technische Entwicklung zentral ist."

Bernhard Kern (Nutella bloggt) findet die verschiedenen Zielvorstellungen der Charta schlicht zu widersprüchlich: "Zum einen darf nach Absatz 1 keine Zensur stattfinden, auch nicht durch Private (anders als bisher, das Löschen von Kommentaren wäre 'Zensur'), zum anderen müssen auch Private nach Absatz 3 proaktiv einen offenen Diskussionraum sicherstellen und 'Hate Speech' nach Absatz 2 verhindern. Wie das funktionieren kann, ohne bestimmte Personen oder Arten von Äußerungen von vornherein auszuschließen (aka Zensur zu üben und die Ausübung von Meinungsfreiheit zu beschränken), kann ich mir im Moment nicht vorstellen."

Michael Stallknecht fürchtet in der SZ, dass die Musikverlage zusammenbrechen - Grund: ein Urteil des Berliner Kammergerichts, das Ausschüttungen der Gema an Verlage für unrecht erklärt. "Nun wird die Gema kaum die üblichen Zahlungen an die Verlage ausschütten können", so Stallknecht: "Vor diesem Hintergrund ist es unverständlich, dass das Berliner Kammergericht nicht einmal die Revision vor dem Bundesgerichtshof (BGH) zuließ. Es berief sich auf das BGH- Urteil zur VG Wort, das derzeit unter Buchverlagen und -autoren ähnliche Wellen schlägt."
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Überwachung

Patrick Beuth stellt auf Zeit online eine für den FBI sehr praktische Änderung im US-Recht vor, die "Rule 41", die es der Behörde erlaubt, schlicht sämtliche Computer auf der ganzen Welt zu durchsuchen: "Es ist ein extremes Beispiel für ein extraterritoriales Gesetz und kann laut Bürgerrechtlern zur Folge haben, dass
- die US-Regierung gezielt zu ihr freundlich gesinnten Richtern irgendwo in den USA geht, um sich Durchsuchungsbeschlüsse für Computer an beliebigen Orten zu besorgen,
- dadurch die Überwachung der eigenen Bevölkerung verstärkt wird,
- das FBI endgültig zur weltweit tätigen Hackertruppe wird,
- nicht nur die Rechner von Kriminellen infiltriert werden, sondern auch die von deren Opfern."

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Stichwörter: FBI, Bürgerrechtler