9punkt - Die Debattenrundschau
Die Milch des Kulturrelativismus
Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
04.04.2016. Die SZ und andere Medien veröffentlichen die "Panama Papers", die einigen Mächten ziemlich peinlich werden könnten. Die engsten Freunde Putins erweisen sich da als Milliardäre. Und in Island ist schon Regierungskrise. In Le Monde ruft die Feministin Elisabeth Badinter zum Boykott westlicher Kleidungsmarken wie Marks & Spencer auf, die neuerdings Burqinis und Hidschabs anbieten. Die neue polnische Regierung will Abtreibung komplett verbieten: Der Guardian berichtet über wütende Demonstrationen in Warschau und anderen Städten.
Efeu - Die Kulturrundschau
vom
04.04.2016
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Politik
Mit ganz großem Aplomb und musikalischer Untermalung des Editorials veröffentlicht die SZ erste Informationen über die "Panama Papers", die der Zeitung zugespielt wurden und die sie zusammen mit dem "International Consortium for Investigative Journalists" (ICIJ) ausgewertet hat, ein riesiges Datenleck aus einer Anwaltskanzlei in Panama, das peinliche Informationen über Offshore-Vermögen von Politikern und Prominenten weltweit bringt - etwa bei isländischen Politikern. Ein Artikel im Dossier widmet sich Putins engsten Freunden, darunter dem Cellisten Sergej Roldugin , über den offenbar einige Vermögenstranfers in die Karibik liefen - Roldugin hatte offiziell immer bestritten viel Geld zu haben. Die Papier ergeben ein anderes Bild: "Als Sergej Roldugin demnach im Mai 2014 im Namen einer seiner Offshore-Firmen ein Konto bei der Schweizer Gazprombank in Zürich eröffnet, fragt die Bank in einem Formular auch ab, wie viel Geld der neue Kunde besitze. Die Antwort: mehr als zehn Millionen Schweizer Franken. Dazu ein jährliches Einkommen von mehr als einer Million Schweizer Franken, das vornehmlich aus Dividenden, Zinsen und Krediten resultiere."
Wolfgang Krach kündigt im Leitartikel der SZ weitere Enthüllungen an: "Wie die Geschichten zeigen, welche die SZ veröffentlichen wird, nutzen offenbar Terrorgruppen dieses System dazu, sich zu finanzieren. Einem verbrecherischen Regime wie dem syrischen gelingt es mutmaßlich, auf diese Weise die Sanktionen der internationalen Staatengemeinschaft zu umgehen und den Fassbombenkrieg gegen das eigene Volk fortzuführen."
Auch der Guardian berichtet groß über die "Panama Papers" und beleuchtet unter anderem den britischen Aspekt daran: "Diese Inseln sind als Fliegendreck bekannt", schreibt Juliette Garside, "die Kronländer und Überseeterritorien, Inselstaaten wie die Caymans und die britischen Virgin Islands. Auf Karten sind sie nicht größer als ein Punkt am Satzende, aber jedes Jahr fließen durch die warmen Strömungen der Karibik Millarden von Dollar in die Wirtschaft zurück. Ökonomen konstatieren einen nicht nachlassenden, steigenden Wohlstandstransfer, oft von den ärmsten in die reichsten Staaten, der durch dieses Offshore möglich gemacht wird." Der Guardian bindet auch ein Video eines Interviews mit dem isländischen Premierminister David Gunnlaugsson ein, der das Set wegen Fragen zu seinem Offshore-Vermögen verlässt. Auch die französischen Medien kennen kein anderes Thema. Le Monde berichtet über "la mystérieuse société offshore de Michel Platini".
Wolfgang Krach kündigt im Leitartikel der SZ weitere Enthüllungen an: "Wie die Geschichten zeigen, welche die SZ veröffentlichen wird, nutzen offenbar Terrorgruppen dieses System dazu, sich zu finanzieren. Einem verbrecherischen Regime wie dem syrischen gelingt es mutmaßlich, auf diese Weise die Sanktionen der internationalen Staatengemeinschaft zu umgehen und den Fassbombenkrieg gegen das eigene Volk fortzuführen."
Auch der Guardian berichtet groß über die "Panama Papers" und beleuchtet unter anderem den britischen Aspekt daran: "Diese Inseln sind als Fliegendreck bekannt", schreibt Juliette Garside, "die Kronländer und Überseeterritorien, Inselstaaten wie die Caymans und die britischen Virgin Islands. Auf Karten sind sie nicht größer als ein Punkt am Satzende, aber jedes Jahr fließen durch die warmen Strömungen der Karibik Millarden von Dollar in die Wirtschaft zurück. Ökonomen konstatieren einen nicht nachlassenden, steigenden Wohlstandstransfer, oft von den ärmsten in die reichsten Staaten, der durch dieses Offshore möglich gemacht wird." Der Guardian bindet auch ein Video eines Interviews mit dem isländischen Premierminister David Gunnlaugsson ein, der das Set wegen Fragen zu seinem Offshore-Vermögen verlässt. Auch die französischen Medien kennen kein anderes Thema. Le Monde berichtet über "la mystérieuse société offshore de Michel Platini".
Europa
Gestern demonstrierten in Polen Tausende Frauen gegen ein geplantes Gesetz, das ein totales Verbot von Abtreibung vorsieht, berichten der Guardian (hier) und viele andere Medien: "Die Demonstrantinnen riefen 'Hände weg von meinem Uterus' und 'Mein Körper, meine Sache', und sie hielten Kleiderbügel in die Luft, ein drastisches Symbol für illegale Abtreibungen. 'Selbst die Abtreibungsgesetze im Iran sind liberaler als dieser Gesetzesvorschlag', sagt Marta Nowak, eine der Demonstrantinnen, die von linken Parteien über soziale Medien organisiert worden war." Das Wort "Abtreibung" kommt in dem heutigen Artikel des polnischen Außenministers Witold Waszczykowski nicht vor, der auf der Gegenwartsseite der FAZ betont: "Polen zählen zu den Nationen mit der höchsten Wertschätzung für die europäische Integration."
Außerdem: Im Interview mit der taz schildert die Tatarin Tamila Tasheva von der Initiative KrimSOS, wie die Russen auf der Krim hausen: "Die Krim ist jetzt ein Territorium der Angst. Offiziell gelten russische Gesetze, doch sie werden willkürlich angewandt. Die Krim-Staatsanwaltschaft klagt alle möglichen Oppositionellen wegen 'Extremismus' an. Wir bauen gerade auf unserer Homepage eine interaktive, mehrsprachige Karte der zahlreichen Menschenrechtsverletzungen dort auf. Die treffen nicht nur Krimtataren, aber diese besonders." Und der Politologe Frank Decker vermutet in der SZ, dass die AfD den Weg aller bisherigen rechtsextremistischen oder -populistischen Parteien in Deutschland gehen wird: ab in die Bedeutungslosgkeit nach kurzer Popularität.
Außerdem: Im Interview mit der taz schildert die Tatarin Tamila Tasheva von der Initiative KrimSOS, wie die Russen auf der Krim hausen: "Die Krim ist jetzt ein Territorium der Angst. Offiziell gelten russische Gesetze, doch sie werden willkürlich angewandt. Die Krim-Staatsanwaltschaft klagt alle möglichen Oppositionellen wegen 'Extremismus' an. Wir bauen gerade auf unserer Homepage eine interaktive, mehrsprachige Karte der zahlreichen Menschenrechtsverletzungen dort auf. Die treffen nicht nur Krimtataren, aber diese besonders." Und der Politologe Frank Decker vermutet in der SZ, dass die AfD den Weg aller bisherigen rechtsextremistischen oder -populistischen Parteien in Deutschland gehen wird: ab in die Bedeutungslosgkeit nach kurzer Popularität.
Internet
Im Aufmacher des SZ-Feuilletons warnt der Internetskeptiker Evgeny Morozov vor Facebook und Google.
Gesellschaft

Ideen
Die französische Feministin Elisabeth Badinter ruft in einem Interview mit Nicolas Truong in Le Monde zum Boykott von Modemarken auf, die "muslimische Mode" verkaufen. Und sie leitet die ideengeschichtliche Herkunft des heutigen "Differentialismus" gerade auch aus dem französischen Denken her: "Meine Generation wurde mit der Milch des Kulturrelativismus von Claude Lévi-Strauss großgezogen, der uns beibrachte, uns vor der Sünde des Ethnozentrismus in Acht zu nehmen und lehrte, dass keine Kultur einer anderen überlegen sei. In den achtziger Jahren hat der philosophische Differentialismus, der stark von amerikanischen Feministinnen geprägt war, diese Sicht der Dinge noch verstärkt. Universalistinnen wie Simone de Beauvoir glaubten, dass die Ähnlichkeiten zwischen Männern und Frauen die Unterschiede überwogen. Die Differentialistinnen bestanden auf dem Unterschied. Die Kombination von Kulturrelativismus und Differentialismus war dramatisch und trug dazu bei, die Universalität der Menschenrechte in Frage zu stellen."
Der Jurist und Blogger Milosz Matuschek, geboren 1980, rechnet in der NZZ mit der Generation Y ab. Wer das ist, kann er zwar nur grob umreißen - offenbar alles von den Babyboomern des 1964er Jahrgangs aufwärts - aber was sie auszeichnet, weiß er genau: Höchste Anpassungsfähigkeit an Eltern und Autoritäten, Unfähigkeit zur Originalität und Kreativität, kurz: die Generation Y besteht aus "hervorragenden Schafen" und ist so aufregend wie der meistverkaufte Plastikstuhl der Welt: "Sie verschreibt sich zu oft einer Pseudokreativität, die sich in bunten Socken und kecken Hüten äußert, nicht aber in einer Kühnheit des Denkens. Die zur Schau getragene Scheinkreativität wird, wie der Plasticstuhl, zu einer Art von Design, das durch permanente Anwesenheit zum Verschwinden gebracht wird. Übrig bleibt wieder nur die Pose, doch das genügt oft schon, denn nur diese wird tatsächlich belohnt. Querdenker sind in der Regel Störenfriede."
Der Jurist und Blogger Milosz Matuschek, geboren 1980, rechnet in der NZZ mit der Generation Y ab. Wer das ist, kann er zwar nur grob umreißen - offenbar alles von den Babyboomern des 1964er Jahrgangs aufwärts - aber was sie auszeichnet, weiß er genau: Höchste Anpassungsfähigkeit an Eltern und Autoritäten, Unfähigkeit zur Originalität und Kreativität, kurz: die Generation Y besteht aus "hervorragenden Schafen" und ist so aufregend wie der meistverkaufte Plastikstuhl der Welt: "Sie verschreibt sich zu oft einer Pseudokreativität, die sich in bunten Socken und kecken Hüten äußert, nicht aber in einer Kühnheit des Denkens. Die zur Schau getragene Scheinkreativität wird, wie der Plasticstuhl, zu einer Art von Design, das durch permanente Anwesenheit zum Verschwinden gebracht wird. Übrig bleibt wieder nur die Pose, doch das genügt oft schon, denn nur diese wird tatsächlich belohnt. Querdenker sind in der Regel Störenfriede."
Kulturpolitik
In der FAZ wägt die Osteuropahistorikerin Anna Veronika Wendland verschiedene Positionen im ukrainischen Streit um die vom Verschwinden bedrohte Kunst aus der Sowjetepoche ab. Während Gegner der teilweise künstlerisch wertvollen Mosaiken und Monumente die Zeichen als "Tätowierungen der kriminellen sowjetischen Lagerkultur auf der Haut unserer Stadt" betrachten, gibt es auch begründete Zweifel an der Entfernung, so Wendland: "Kann man die Leidensgeschichte der Ukrainer unter sowjetischer Herrschaft auf diese Weise ungeschehen machen? Ist die Geschichte der Sowjetukraine auf eine Leidensgeschichte reduzierbar? Folgt man mit organisiertem Vergessen und Überschreiben nicht wieder der totalitären Tradition einer exklusiven Herrschaft über die Vergangenheit, die man eigentlich durchbrechen will?"
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