9punkt - Die Debattenrundschau

Das unverhüllte Angesicht

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
30.08.2016. Im Perlentaucher warnt Martin Vogel, dass sich das Deutsche Patentamt der Beihilfe schuldig macht, falls es Rechtswidrigkeiten durch die VG Wort durchwinkt. Im Guardian untersucht Nick Cohen die Auswirkungen der sozialen Medien auf die Öffentlichkeit. Zeit online rätselt, was Thomas de Maizière von der Verschlüsselung will und was nicht. Netzpolitik warnt: Heute wird in Europa über die Netzneutralität entschieden. Die NZZ zeigt Gesicht..
Efeu - Die Kulturrundschau vom 30.08.2016 finden Sie hier

Urheberrecht

Für den 10. September hat die VG Wort eine außerordentliche Mitgliederversammlung einberufen, um einen Korrekturbeschluss und Korrektur-Verteilungsplan zu verabschieden, die nach dem Urteil des BGH gegen die bisherige Verteilungspraxis der Verwertungsgesellschaft notwendig wurden.  Die Prozesse, die der Jurist und Autor Martin Vogel durch alle Instanzen gewonnen hat, hatten ergeben, dass die VG Wort den Verlegern unrechtmäßig Anteile aus Geräteabgaben ausgeschüttet hat - die VG Wort ist nämlich laut den Urteilen aller Instanzen ausschließlich den Autoren verpflichtet. Vogel fürchtet neue Rechtsverstöße bei der Mitgliederversammlung und warnt die Aufsichtsbehörde der VG Wort, das Deutsche Patentamt, in zwei eindringlichen Offenen Briefen im Perlentaucher. Die Aufsichtsbehörde steht mehr als nur in der Pflicht, insistiert Vogel: "Ohne ein Einschreiten macht sich die Aufsicht nicht nur einer Amtspflichtverletzung schuldig, sondern wegen der Offensichtlichkeit der beabsichtigten Verstöße gegen die Treuhandpflichten auch der Beihilfe."
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Ideen

"Die Vorstellung, dass Liebe alle politischen Grenzen überwinden kann, ist für Parteienanhänger des 21. Jahrhundert abstoßend. 1960 erklärten gerade mal fünf Prozent der Amerikaner, sie wären empört, wenn ihr Kind den Anhänger einer rivalisierenden politischen Partei heiraten würde. 2010 waren es 40 Prozent", lernt Guardian-Kolumnist Nick Cohen aus einer Studie im American Journal of Political Science. Das Internet hat die Polarisierung in der Gesellschaft sicher unterstützt. Aber die eigentliche Schuld tragen die, die im Netz nur noch mit ihresgleichen kommunizieren wollen, meint er: "Eine größere Nutzung des Internets stellt sicher, dass ein Bewunderer von Jon Stewart überzeugt ist, Konservative lägen nicht einfach nur falsch, sondern seien dumm. Oder ein Zuschauer von Fox News würde die Überzeugung verbreiten, dass Liberale böse sind. Beide Seiten verbinden Politik so stark mit ihrer Identität, dass Gegenargumente sich fast wie physische Anschläge anfühlen. Wie die Autoren in einem weiteren Papier schreiben: 'Parteianhänger diskriminieren Anhänger anderer Parteien in einem Grad, der größer ist als Rassendiskriminierung.'"
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Überwachung

Auf Zeit online resümiert Eike Kühl einen Besuch von Thomas de Maizière im Berliner Büro von Facebook. Der Innenminister hätte gern, dass die sozialen Netzwerke dem Staat gegenüber etwas großzügiger mit ihren Nutzerdaten umgehen. Aber er möchte auch das Gegenteil, erklärt Kühl: "'Wir wollen Sicherheit durch Verschlüsselung und Sicherheit trotz Verschlüsselung', fasste es Thomas de Maizière zusammen, was ein 'gewisses Spannungsverhältnis' bedeute. Deshalb benötige er die 'Zusammenarbeit mit dem Plattformbetreibern'. Wie genau sich der Innenminister eine solche Kooperation vorstellt und wie er das Paradox einer Verschlüsselung lösen möchte, die gleichzeitig sichere Kommunikation ermöglicht und doch überwacht werden kann, sagte er nicht. Experten sind sich jedenfalls einig, dass es Hintertüren nur 'für die Guten' nicht geben kann."
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Kulturmarkt

In der FAZ denkt Kolja Reichert über die Kunstwelt nach, die nicht mehr das Werk, sondern das Ereignis zelebriert. Die Membran zwischen Kunst und Welt, schreibt er, verläuft heute "zwischen den Angehörigen der Kunstwelt und den anderen. Und da wollen immer mehr rein: junge Menschen, die auf lukrative Chancen und Sicherheiten in der Wirtschaft verzichten, um Künstler oder Kuratoren zu werden, genauso wie Luxusmarken oder Modehersteller, die den gestiegenen Kurswert von 'Kunst' als Massenlieferant von Einzigartigkeit verstanden haben. Und Städte."
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Internet

Heute stellen die europäischen Telekom-Regulierer ihre Leitlinien zur Netzneutralität vor, schreibt Tomas Rudl in Netzpolitik. Entscheidende Fragen sollen geklärt werden - "Etwa: Dürfen Netzbetreiber bezahlte Überholspuren einrichten, mit denen sich große Inhalteanbieter Vorteile verschaffen und damit kleinere aufs Abstellgleis abdrängen können? (...) Dürfen sich finanzstarke Video- oder Musik-Plattformen das Recht erkaufen, ihre Inhalte so auszuliefern, dass sich der verbrauchte Datentransfer nicht auf das monatliche Transfervolumen der Nutzer niederschlägt? Und schließlich die entscheidende Frage: Dürfen sich Netzbetreiber zu 'Gatekeepern' aufschwingen und darüber bestimmen, direkt oder indirekt, auf welche Inhalte wir zugreifen können und in welcher Qualität?"
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Politik

Das Kopftuch ist zumindest in seinen prononcierteren Formen nicht einfach ein religiöses, sondern ein klares politisches Symbol. Seine möglichst große Ausbreitung in den Öffentlichkeiten verfolgt einen Zweck, schreibt der Politologe Michael Koller in einem Artikel über den immer einflussreicheren Salafismus in der NZZ: "Die Botschaft ist einfach: Der Islam ist hier, und seine Macht wächst. Es geht um die Konstituierung und Sichtbarmachung einer identitären Gegenöffentlichkeit."

In einem zweiten Artikel in der NZZ stellt René Scheu mit Blick auf die Burka-Debatte die Frage nach der "Bedeutung des menschlichen Gesichts für ein Zusammenleben in aufgeklärtem Geiste": "Zum Prinzip der aufgeklärten Öffentlichkeit gehört es, dass sich Menschen offen begegnen. Es ist das unverhüllte Angesicht, das einerseits für die eigene Aussage bürgt. Anderseits appelliert es in seiner Nacktheit zugleich an den Anderen, dieser möge sich der eigenen Freiheit innewerden und sie verantwortungsvoll nutzen."
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Gesellschaft

Annette Jensen macht in der taz darauf aufmerksam, dass Google einerseits und die deutsche Autoindustrie andererseits völlig unterschiedliche Ideen selbstfahrender Autos haben. Harmlos und langsam herumzockelnde Taxis einerseits, versus freie Fahrt für freie Privatautos andererseits. "Kurzum: Weder Google, Daimler noch der Staat sind geeignet, die Weichen für die neue Infrastruktur nach menschenfreundlichen Kriterien zu stellen. Die einzige Möglichkeit bestünde darin, sie als Gemeingut zu konstruieren. Die Programmierung wäre dann für alle einsehbar, Gemeinden könnten demokratisch entscheiden, wie sie den Verkehr regeln. Endlich hätten alle Einwohner wieder die Chance, den öffentlichen Raum mitzugestalten."
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