9punkt - Die Debattenrundschau

Er wäre gern Rennfahrer geworden

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
13.07.2015. Die Welt erklärt, warum gerade die Sozialdemokraten so sauer sind auf Syriza, während Phillip Ther im Tagesspiegel die Konsequenzen des Neoliberalismus für die baltischen Länder schildert. Flüchtlingen aus Syrien verdanken wir, dass wir Getreide haben, bringt Raoul Schrott in einem taz-Dossier über das Mittelmeer in Erinnerung. Der Standard weiß, warum in Charlie Hebdo keine Mohammed-Karikaturen mehr erscheinen. In der NZZ erinnert sich Bettina Blumenberg an die Mechanik-Baukästen ihres Vaters. Und manipuliert Google?
Efeu - Die Kulturrundschau vom 13.07.2015 finden Sie hier

Überwachung

Angesichts der müden Reaktion der Politik auf immer neue Enthüllungen über ihre Abgehörtheit, konstatiert Constanze Kurz in ihrer FAZ-Kolumne: "Wie ein langsames Gift sickert in die Gesellschaft, dass man sich sowohl mit Massenüberwachung als auch mit andauernder Spionage gegen die Bevölkerung und die Spitzen von Politik und Wirtschaft einrichtet."

Wenn es um die Überwachungspraktiken der NSA geht, kommentiert Heribert Prantl ebenfalls recht bissig in der SZ, sei von deutschen Staatsgewalten nicht zu sehen und nicht zu hören: "Die Regierung Merkel kuscht, der Bundestag ist stumm, die Bundesanwaltschaft dreht Däumchen."
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Europa

Im Tagesspiegel schildert der Osteuropa-Historiker Philip Ther, wie das Sparprogramm in den baltischen Ländern aussah, an dem sich die Griechen ein Beispiel nehmen sollen: "Die Balten haben ihre jeweiligen nationalen Währungen intern massiv abgewertet. Das ging nur, indem sie sämtliche Sozialleistungen und die Beamtengehälter massiv reduzierten - im Schnitt um 25 Prozent. Das hatte eine negative Folge, die häufig übersehen wird. Aus all den Ländern der Region, die das neoliberale Programm fortsetzten, wanderten Teile der Bevölkerung aus. Lettland und Rumänien beispielsweise haben innerhalb weniger Jahre zehn Prozent ihrer Bevölkerung verloren. In gewisser Hinsicht haben sie ihre sozialen Probleme exportiert." Allerdings fragt Ther auch, ob all die Milliarden nicht in der Ukraine besser investiert wären als in Griechenland.

Thomas Schmid ergründet in der Welt, warum ausgerechnet die deutsche Sozialdemokratie harsche Töne gegenüber Syriza anschlägt: ""Links" von ihr fällt es Radikalen leicht, die Sozialdemokraten als unsoziale Verräter zu brandmarken. Der Zorn darüber sitzt bei den Sozialdemokraten tief - ganz besonders bei den deutschen Sozialdemokraten, die 1946 im Osten ohnmächtig zusehen mussten, wie sie mit der KPD zwangsvereinigt und damit verboten wurden. Der Aufstieg von Syriza alarmiert viele Sozialdemokraten, sie nehmen sie als Wiedergänger der alten, unverantwortlichen, asozialen und - siehe Sowjetunion - am Ende mörderischen Politik der kommunistischen Avantgarde."

Sechs Monate nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo und einen jüdischen Supermarkt berichtet Stefan Brändle für den Standard aus Paris. Die verbleibende Redaktion fürchte eine Instrumentalisierung durch den Front national, schreibt er: "Unausgesprochen ist das wohl mit ein Grund, dass Charlie Hebdo in letzter Zeit keine Mohammed-Karikaturen mehr veröffentlich hat: nicht aus Feigheit, wie seine Gegner sagen, sondern aus politischer Weisheit. Niemand hat beschlossen, auf diese Zeichnungen zu verzichten. Langsam setzte sich aber die Einsicht durch, dass diese Karikaturen letztlich auch eine Falle sind: Sie geben den Islamisten einen billigen Anlass, die über die "Blasphemie" empörten Muslime auf ihre Seite zu ziehen."

Die taz bringt ein Dossier zum Mittelmeer. Im Interview mit Joachim Scholl erinnert Raoul Schrott daran, dass Odysseus nicht der erste war, der sich über das Meer nach Europa retten wollte: "Wir selbst sind aber nichts anderes als ein Produkt permanenter Migrationen. Genetisch gesehen gehören wir dem Homo sapiens an, der vor 60.000 Jahren aus Äthiopien hier einwanderte. Dort traf er auf die Neandertaler, die ehedem vor 1,3 Millionen Jahren aus Georgien eingewandert waren. Ihnen verdanken wir, dass wir unsere Kraushaare verloren haben und ein Gen für weiße Haut besitzen - sonst wären wir schwarz. Vor 9.000 Jahren kamen dann Farmer aus Nordsyrien und aus Anatolien zu uns in den Norden, brachten Säcke voll Weizen und Gerste mit und lehrten uns den Ackerbau."

Außerdem erzählt Ines Kappert die Geschichte des syrischen Flüchtlings Fahdi al Mahamed, der sich über Jordanien, das Mittelmeer und halb Europa nach Amsterdam durchschlug. Reiner Wandler und Christian Jakob beschreiben, wie die EU mit den nordafrikanischen Autokraten paktierte, um sich die Flüchtlinge vom Leib zu halten. Jakob interviewt auch Hagen Kopp von der Gruppe "Watch the Med" über die Grenzschutzagentur Frontex und die Rettung von Schiffbrüchigen.
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