9punkt - Die Debattenrundschau

Porträt einer entfesselten Weltwirtschaft

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
28.01.2015. Der Regisseur Milo Rau erzählt in der taz von einem Menschenrechtstribunal, das er im Kongo mitorganisiert. Der Trojaner Regin zeigt, laut Spiegel online und Zeit online, dass die Five Eyes mehr wollen als Daten sammeln. Im Perlentaucher antwortet Thierry Chervel auf Andreas Zielcke Frage "Was soll Satire? Was darf sie?" In der FR staunt Arno Widmann über das von Götz Aly zutage geförderte Ausmaß an Datenschutz im Max-Planck-Institut.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 28.01.2015 finden Sie hier

Politik

Der Regisseur Milo Rau berichtet in der taz über eine Art Menschenrechtstribunal, das im Osten Kongos stattfinden soll und das er mit organisiert: "Die öffentlichen Hearings werden sich über mehrere Tage hinziehen, kongolesische Regierungs- und Oppositionspolitiker, Militärs und Milizionäre, UNO- und Weltbankfunktionäre, große Minenbaufirmen und einfache kongolesische Bürger werden vor dem Tribunal aussagen. Das Urteil der Jury wird keinerlei Rechtskraft haben. Was dabei aber - so hoffe ich - entstehen wird, ist ein Porträt einer entfesselten Weltwirtschaft, in der der an Coltan, Zinn und Kupfer reiche Ostkongo mit ins Zentrum der globalen Verteilungskämpfe gerückt ist."

Der Politologe Jan-Werner Müller ergründet in der SZ das Wesen des Populismus: "Populisten spielen immer ein wahres, moralisch reines Volk "da draußen" gegen die korrupten Eliten aus. Die von ihnen vermeintlich vertretene Mehrheit ist immer die "schweigende Mehrheit" (ein zuerst von Richard Nixon verwandter Ausdruck). Denn wenn die Mehrheit nicht schwiege und ihre Meinung sagte und entsprechend abstimmte, würden die Populisten ja bereits die Regierung stellen."
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Europa

Gestern setzte sich Thierry Chervel mit ästhetischen Einwänden gegen die Karikaturen Charlie Hebdo auseinander. Heute kommen die moralischen Zweifel dran. Chervel antwortet auf einen Artikel Andreas Zielckes in der SZ, der gefragt hatte "Was soll Satire? Was darf sie?" "Die eigentliche Spitze von Zielckes Artikel liegt darin, dass er ausgerechnet Anshuman A. Mondal zum akademischen Sittenrichter für die Grenzen von Satire erklärt, dessen gerade publiziertes Buch "Islam and Controversy" vielen in diesem Moment wie gerufen kommt. Mondal, Anglist an der Londoner Brunel-Universität, versucht explizit den von Autoren wie Salman Rushdie und Kenan Malik verfochtenen universalistischen Begriff der Meinungsfreiheit, dem bisher auch westliche Medien anhingen, einzukassieren und durch eine Praxis religiösen Respekts zu ersetzen."

Der von Andrej Sacharow 1988 gegründeten russischen Menschenrechtsgesellschaft "Memorial" droht die Schließung, meldet Stefan Scholl in der FR. Die Begründung klingt mehr als fadenscheinig: "Das Ministerium wirft den Menschenrechtlern vor, ihre Organisation verstoße mehrfach gegen das russische Vereinsrecht, unter anderem stellten die 37 gesellschaftlichen Organisationen, die zu Memorial Russland gehören, selbständige juristische Personen und keine Unterabteilungen einer Dachorganisation dar. Eine formale Beanstandung, die nach Amtsschimmel riecht."

Auf Zeit online porträtiert Wierd Duk den Rotterdamer Bürgermeister Ahmed Aboutaleb, der nicht erst seit den Attentaten von Paris eine deutliche Sprache gegenüber Islamisten spricht: ""Wenn es euch hier nicht gefällt, haut einfach ab." Ahmed Aboutaleb (53), Bürgermeister von Rotterdam, war deutlich in seiner Reaktion auf die Anschläge von Islamisten in Paris. "Hier steht ein wütender Muslim!", sagte der Sozialdemokrat marokkanischer Abstammung im Fernsehen an die Adresse niederländischer Dschihadisten. "Wenn ihr die Freiheit nicht wollt, packt eure Koffer und geht.""
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Überwachung

Der Trojaner "Regin", eine Schadsoftware, die ohne Wissen des Nutzers "alle Tastatureingaben mitschneiden kann - beispielsweise Passwörter, E-Mails, Textdokumente - und sie dann unbemerkt an seinen Urheber schickt", ist mit großer Wahrscheinlichkeit ein Produkt der "Five Eyes", meldet Spon und bezieht sich dabei auf einen Blogpost der russischen IT-Sicherheitsfirma Kaspersky. (Die FAZ meldet daran leichte Zweifel an.)

Opfer von Regin waren unter anderen der belgische Telekommunikationskonzern Belgacom, Energielieferanten und Telekommunikationsanbieter in 19 Ländern (darunter auch die Bundesrepublik) und die EU-Kommission, berichtet Eike Kühl auf Zeit online: "Ende Dezember wurde der Trojaner zudem auf dem privaten USB-Stick einer Mitarbeiterin des Kanzleramts entdeckt. Sollte Regin tatsächlich aus den Laboren der US-Geheimdienste stammen, würde es einmal mehr bestätigen: Der NSA und ihren Partnern geht es längst nicht mehr nur um Überwachung und das Sammeln von Daten. Die Komplexität von Regin und seine Ziele lassen auf eine tiefergehende Spionage von Industrie und Politik schließen. Selbst Verbündete der USA sind davor nicht gefeit."

Die amerikanische Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation (EFF) hat einen Plan präsentiert, mit dem sie vor allem nicht-amerikanische Internetnutzer vor Ausspionierung durch amerikanische Dienste schützen will, berichtet Stefan Krempl bei heise.de: "Die Unternehmen müssten sich vor allem mit Händen und Füßen gegen den Einbau von Hintertüren in ihre Hard- oder Software wehren. Generell sei es nötig, eine Kultur der Verantwortung bei allen Firmen zu schaffen, denen die Öffentlichkeit ihre sensibelsten Daten anvertraut. Vergleiche bereits implementierter Schutzfunktionen etwa zum einfachen Verschlüsseln könnten Druck ausüben, dass die Branche auch ihre Lobbymacht in Washington ausspiele und sich ein Wettbewerb rund um IT-Sicherheit entwickle."

Ein neuer Antiterrorplan der EU-Kommission, der heute veröffentlicht werden soll, sieht vor, dass die Mitgliedsländer fünf Jahre lang alle Fluggastdaten der Passagiere speichern, die nach und aus Europa fliegen, meldet derweil Alan Travis im Guardian. 42 Einzelinformationen sollen gespeichert werde, so Travis weiter, "including their bank card details, home address and meal preferences such as halal, to be stored on a central database for up to five years for access by the police and security services".
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Geschichte

Arno Widmann standen die Haare zu Berge, als er für die FR einen Vortrag des Historikers Götz Aly hörte, der im Berliner Max Planck Institut erzählte, wie er jahrelang zusammen mit der Datenschutzbehörde darum kämpfen musste, im MPI Einblick über Akten zu NS-Euthanasiemorden zu bekommen, die das Vorgänger-Institut zu verantworten hatte: "Stattdessen wurden die Täter gefragt und ihre Antworten für bare Münze genommen. Soviel zum Thema wissenschaftliche Exzellenz." Auch bei der Veranstaltung am Montag abend stand niemand auf und entschuldigte sich, so Widmann: "Die Wahrheit ist: Keine der fünf, sechs Wortmeldungen war die eines Max Planck Instituts. Man hatte den Raum zur Verfügung gestellt, aber wieder mal nicht sich der Diskussion."

"Seltsam, dass man den 70. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz feierte", meint der Publizist Alexandre Adler in der huffpo.fr. "70 Jahre sind kein "rundes" Datum, und der einzige menschlich wichtige Faktor in diesem Geburtstag hat natürlich damit zu tun, dass die letzten Überlebenden, die letzten Augenzeugen, nicht mehr lange zu leben haben. Da man um den Umfang negationistischer Diskurse weiß, stürzt uns das Verschwinden dieser kostbaren Zeugen auch in die Angst einer Renaissance des Negationismus, der, wie man weiß, auch zur Lehre des aktuellen Islamismus gehört."

Weitere Artikel: In der FR erklärt der Münsteraner Geschichts- und Islamwissenschaftler Nadeem Khan, warum der Anspruch des IS, in der Tradition mittelalterlicher muslimischer Herrscher zu stehen, historisch betrachtet Unsinn ist. 
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Internet

Nur so zwei kleine Meldungen am Rande: "Heute verlor Microsoft Milliarden von Dollar an Wert. Die Aktie schloss mit 9,25 Prozent im Minus", berichtet Alex Wilhelm in Techcrunch. Und unweit davon die Meldung: "Apple hatte das profitabelste Quartal, das je ein Unternehmen auf der Welt hatte." Der Konzern hat 18 Millarden Dollar erlöst. "Das heißt, dass der Konzern jede Stunde 8,3 Millionen Dollar Gewinn macht", stöhnt Greg Kumparak.
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Stichwörter: Microsoft, Apple

Weiteres

Nachträglich online gestellt: Ingo Schulzes Text über die Pegida aus der SZ, Claude Lanzmanns Text über die Shoah sowie Roberto Savianos Text über Pressefreiheit und Constanze Kurz" Kritik an Thomas de Maizieres Versuch der Kryptoregulierung aus der FAZ.
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