9punkt - Die Debattenrundschau

Wo das Jammern aufhört

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
06.11.2014. In der Welt hofft Laura Poitras auf eine Alternative zu Google. Auch der Springer Verlag hofft auf eine Alternative zu Google, kooperiert aber vorerst wieder mit der Suchmaschine, um die schönen Klicks nicht zu verlieren, berichtet heise.de. Achille Mbembe benutzt das Wort "Neger" in seiner "Kritik der schwarzen Vernunft" zwar mit polemischer Absicht, aber dem Freitag ist trotzdem unbehaglich. Das Netz ist wie stets an vielem Schuld, heute etwa am Niedergang des Völkerrechts und der Verrohung der Sprache.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 06.11.2014 finden Sie hier

Überwachung

Anna Biselli liest in Netzpolitik die Antwort der Bundesregierung auf eine Abgeordneteneingabe zur Frage, warum Edward Snowden nicht nach Berliner eingeladen wird, und findet sie nicht nur ignorant, sondern auch zynisch: "Es wird überdeutlich, dass die Bundesregierung die Bedeutung von Snowdens Handlungen massiv herunterspielt. Das einzige Verdienst, das man ihm zugesteht, ist, dass die Medienberichterstattung eine "intensivere öffentliche Debatte" geschaffen habe und das Bewusstsein für Informationssicherheit geschärft worden sei."

Heute startet "Citizenfour", Laura Poitras" Film über Edward Snowden. Im Gespräch mit der Welt spricht sie über die Massenüberwachung und setzt auf verändertes Bewusssein und neue Technologie: "Ja, die Leute benutzen Google immer noch, weil sie dessen Bequemlichkeit schätzen. Aber was wird geschehen, wenn eine Suchmaschine kommt, die glaubwürdig unsere Privatsphäre respektiert - und ähnlich gute Resultate liefert? Genau das wird geschehen. Es ist nur eine Frage der Zeit."

Die Grünen haben im Bundestag einen Vorstoß unternommen, den Schutz von Whistleblowern gesetzlich festzuschreiben, meldet "Chr" in der taz. Dafür soll das "rechtmäßige Offenbaren von Staatsgeheimnissen" im Strafgesetzbuch verankert werden: "Danach handelt ein Whistleblower "nicht rechtswidrig", wenn er "Staatsgeheimnisse zum Zweck der Aufklärung, Verhinderung oder Beendigung einer Grundrechtsverletzung oder schweren sonstigen Rechtsverletzung oder der Begehung einer schweren Straftat offenbart, wenn Abhilfe nicht rechtzeitig zu erwarten ist und das öffentliche Interesse an der Weitergabe der Information das Geheimhaltungsinteresse erheblich überwiegt.""

Weiteres: Aus der Tatsache, dass nun auch die von der CSU durchgesetzte Maut zu einem potenziellen Überwachungssystem wird, schließt Sascha Lobo in seiner Spiegel online-Kolumne: "Was technisch machbar ist, wird gemacht, wenn die Gesellschaft nicht offensiv und konsequent dagegen arbeitet."
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Gesellschaft

In der FAZ plädiert die Medizinerin und Philosophin Bettina Schöne-Seifert für ein Recht auf aktive Sterbehilfe: "Der angemessenste Vorschlag ist nach meinem Dafürhalten... ein Begrenzen möglicher ärztlicher Suizidhilfe auf Patienten mit schweren, aber nicht im engeren Sinne psychiatrischen Erkrankungen. Demenzpatienten könnten diese Begrenzungskriterien grundsätzlich erfüllen, dürften aber Suizidhilfe nur erhalten, bevor sie in das Stadium anhaltender Unfähigkeit zu frei verantwortlichem Handeln gelangen."

In der Zeit befürchtet Hanno Rauterberg hingegen, dass das Recht auf Sterbehilfe den Menschen nur vor noch mehr Optionen stellt: "Vielleicht lohnt es sich, bei den großen Debatten um erste und letzte Dinge ganz ungekränkt daran zu erinnern, dass jede Befreiung ihre eigenen Zwänge gebiert. Und dass es dem Seelenfrieden einer Epoche mitunter ganz guttun kann, nicht alles bis zuletzt regeln und beherrschen zu müssen."
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Stichwörter: Sterbehilfe

Ideen

Der Freitag bringt einen Literaturschwerpunkt zu Afrika. Matthias Dell bekennt seine Irritation über das Buch "Kritik der schwarzen Vernunft" des kamerunischen Politikwissenschaftlers Achille Mbembe: "Meine Ratlosigkeit betrifft einen zentralen Begriff des Buchs und des Diskurses, in den es gehört, einen Begriff, auf den die Kritik der schwarzen Vernunft eben in Wellenbewegungen immer wieder zurückkommt, wo sie nicht sowieso durchgehend um ihn organisiert ist: den des "Negers" (und, damit assoziiert, den der "Rasse")." Mbembe benutze das Wort bewusst, so Dell, der aber befürchtet, dass sich Wort Neger im Namen einer Political Incorrectness mit Bezug auf Mbembe neu verbreiten könnte. Außerdem befasst sich Christoph Leusch mit Christian Hiller von Gaertringens wirtschaftspolitischen Hoffnung, Afrika sei das neue Asien.

Weiteres: In der Welt sieht Marko Martin den Mauerfall als Sieg des von jüdischen Autoren geprägten antitotalitären Denkens.
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Medien

Mathias Döpfner hat die heroische Eskapade des Springer Verlags gegen Google, die er vor zwei Wochen verkündete (unser Resümee), und die in dem Verzicht auf Snippets bei den B-Titeln des Verlags bestand, flugs beendet, meldet heise.de: "Der Medienkonzern Axel Springer macht im Streit über das Leistungsschutzrecht weitere Zugeständnisse an Google. Nun dürfe der Suchmaschinenanbieter auch die Inhalte der Springer-Angebote welt.de, computerbild.de, sportbild.de sowie autobild.de gratis wieder mit Textauszügen und Vorschaubildern anzeigen. Als Grund dafür nannte der Verlag signifikant schlechtere Zugriffszahlen auf die Portale, seitdem Google Vorschau-Inhalte dafür nur noch mit Überschriften darstellte." Netzpolitik zitiert aus einer Pressemitteilung des Springer Verlags: "Die verschlechterte Darstellung führte bei der Suche zu einem Traffic-Minus von fast 40 Prozent." Dafür muss Google unbedingt bezahlen! Und Stefan Niggemeier hat herausgefunden, dass Springer nur Google, aber kleineswegs kleineren Suchmaschinen wie etwa Rivva Dispens erteilt.

Nach dem Kahlschlag bei Gruner+Jahr mit über 400 Entlassungen bei Geo, Stern und Brigitte fragt Felix Dachsel in der taz nach den Gründen und Verantwortlichen für die massiven Einsparungen: "Der Frage, ob die Kürzungen bei Gruner+Jahr auch ihr eigenes Gehalt betreffen, wich [die Vorstandsvorsitzende Julia] Jäkel bei einer Versammlung wortreich aus. Auch ihr Vorstandskollege Oliver Radtke wollte, bei anderer Gelegenheit, auf die Frage nach Kürzungen an der Verlagsspitze nicht antworten. Diese Frage stelle sich nicht, sagte Radtke. Die 75 Millionen, die eingespart werden sollen, werden nach unten weitergegeben."
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Internet

Der "linguistische Forensiker" Raimund H. Drommel tendiert im Gespräch mit Stefan Gmünder im Standard wegen angeblicher sprachlicher Verrohung zu einem Verbot von Anonymität im Netz, verkennt aber nicht den "trefflich kontrovers zu diskutierenden Umgang mit dieser Frage. Das sogenannte Vermummungsverbot bei öffentlichen Veranstaltungen gilt nicht für die (ebenfalls öffentliche) Onlinekommunikation, etwa für Forenbeiträge. Bei der Diskussion von Für und Wider einer Verbotsregelung spielt als Gegenthese das Recht auf freie Meinungsäußerung eine zentrale Rolle."

Der amerikanische Literaturagent Andrew Wylie rief beim Internationalen Autorenfestival in Toronto zum Widerstand gegen Amazon auf und verglich das Vormachtstreben des Konzerns mit dem Vormarsch des IS, berichtet Susanne Mayer in der Zeit: "Wylie forderte die Branche auf, sich den Kreuzzügen von Amazon ohne Blinzeln entgegenzuwerfen. Wegducken war gestern. Statt 30 Prozent für Autoren im digitalen Publishing zu verteidigen, wie es die Hachette-Gruppe geschafft hat, müssten bis zu 50 Prozent herausspringen. Dann könnten Autoren von ihrer Arbeit leben. O-Ton: "Wir kommen an den Punkt, wo das Jammern aufhört und das Handeln beginnen muss!""
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Politik

Nach den "Wahlen" in der Ostukraine fordert Stephan-Andreas Casdorff im Tagesspiegel eine Verschärfung der Sanktionen gegen Russland: "Je klarer die EU bereit ist, die Bevölkerung der Ukraine auf dem europäischen, demokratischen, rechtsstaatlichen Weg zu unterstützen, desto größer ist die Chance, dass der Unwille der Bevölkerung in Russland steigt, darunter leiden zu sollen. Nicht nur die Oligarchen, sondern eine wachsende Zahl an Menschen könnte diese Situation, könnte Putin satt haben. Seine Strategie der Zersetzung des Staates Ukraine, die an die geheimdienstlichen Methoden des KGB bei der Zersetzung von Persönlichkeiten erinnert, darf keinen Erfolg haben."

Heinrich Wefing unterhält sich in der Zeit mit dem Völkerrechtler Stefan Talmon über die Konflikte in Syrien, der Ukraine und anderswo. Schwere Zeiten fürs Völkerrecht, zumal wenn die Omnipräsenz dramatischer Bilder in sozialen Netzwerken die Staaten ständig zu Verstößen verleitet, wie Talmon erklärt: "Regierungen glauben, rasch reagieren zu müssen, und entscheiden sich zum Beispiel für Luftangriffe, um nicht handlungsunfähig zu erscheinen. Das ist übrigens ein Problem, das Israel schon seit Jahren hat. Das Land sieht sich ständigen Angriffen ausgesetzt, und darauf muss die Politik kurzfristig reagieren, will sie nicht als schwach und hilflos dastehen. Was Völkerrechtler dazu sagen, ist dann fast gleichgültig.

Zweieinhalb Jahre nach der Eroberung durch Islamisten beruhigt sich die Lage in Timbuktu allmählich wieder, berichtet Philipp Breu in der NZZ. Die Stadt hat nicht nur viele seiner Einwohner, sondern auch seinen größten Schatz eingebüßt: die wertvollen Manuskripte der berühmten Bibliothek von Timbuktu, die größtenteils aus der Stadt geschmuggelt und so vor der Zerstörung gerettet werden konnten: "Die Manuskripte sind einstweilen in Bamako eingelagert, wo sie für die Nachwelt aufbereitet und konserviert werden. Ob sie jemals wieder in die leeren Bibliotheken Timbuktus zurückkehren werden, ist aufgrund der instabilen politischen Lage aber ungewiss. Viele Einwohner der Stadt haben sich in anderen Gegenden nach Arbeit umgesehen. Man befürchtet, dass nach dem Abzug der internationalen Truppen die Sicherheitslage wieder prekärer werden und ein neuer Massenexodus einsetzen könnte."
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