9punkt - Die Debattenrundschau

Halbwegs reibungslos

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
05.06.2019. Tausende gedachten gestern Abend in Hongkong der Opfer des Massakers am Tienanmen-Platz. Wie lange das noch möglich sein wird, ist fraglich, berichtet der Guardian. Daniel Barenboim wird auf unabsehbare Zeit Chef der Berliner Staatsoper bleiben. Na, Hauptsache, es läuft, kommentiert Dlf Kultur. Vice News und FAZ recherchieren zum Tod des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, der ein Hassobjekt der rechtsextremen Szene war. Wird der Rubrikenanzeigenkonzern Springer den Angriff von Google Jobs verkraften, fragt Meedia.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 05.06.2019 finden Sie hier

Politik

Tausende gedachten gestern Abend in Hongkong der Opfer des Massakers am Tienanmen-Platz, berichtet Helen Davidson im Guardian. Sie beschreibt die Stimmung als kämpferisch, aber es gibt auch große Sorgen: "Ein Gesetzentwurf, der es erlauben würde, Flüchtlinge nach Festland-China zurückzuschicken, könnte das Ende Hongkongs als sicherer Hafen sein und war ein großes Thema bei der Mahnwache. Es gibt große Ängste, dass das neue Gesetz auf politische Dissidenten zielt. Eine solche Mahnwache zu besuchen, wäre dann zu gefährlich."
Archiv: Politik

Kulturpolitik

Der 76-jährige Daniel Barenboim bleibt der Staatsoper noch mindestens bis 2027 als Generalmusikdirektor erhalten, sein Vertrag wurde von Berlins Kultursenator Klaus Lederer gerade um weitere fünf Jahr verlängert, meldet Julia Spinola in der SZ. Außer Barenboim scheint dies auch das Orchester gewollt zu haben. Vorwürfe des Machtmissbrauchs, die eine Reihe ehemaliger Orchestermitglieder gegen Barenboim erhoben hatten (mehr hier), lässt Spinola nicht gelten: "Es hatte von vornherein einen schalen Beigeschmack, dass die Vorwürfe eines angeblich seit Jahren betriebenen Machtmissbrauchs Barenboims genau während der anstehenden Vertragsverhandlungen lanciert worden waren. Der Kultursenat tut jedenfalls gut daran, denen Einhalt zu gebieten, die Barenboim vom Sockel stürzen und womöglich sein Lebenswerk vernichten wollten." Auch Tagesspiegel (hier) und Berliner Zeitung (hier) reagieren mit verhaltener Zustimmung.

Nur Uwe Friedrich ärgert sich im Kommentar auf Dlf Kultur: "Von Erneuerung, künstlerischem Aufbruch keine Spur. Wieder einmal bewahrheitet sich, dass es in der Berliner Kulturpolitik überhaupt nicht um Kunst, um Wagemut, gar um Innovation geht. Kultursenator Klaus Lederer von der Linken reicht es völlig, wenn der Betrieb halbwegs reibungslos läuft. ... Barenboim wird einen unserer exponiertesten Kulturtempel weiter wie sein Privateigentum behandeln, weil er zu eitel und der Kultursenator zu schwach ist für eine vernünftige Lösung."
Archiv: Kulturpolitik

Gesellschaft

Vor einigen Tagen wurde der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke tot aufgefunden, erschossen aus großer Nähe. Über die Ursache seines Todes lässt die Polizei bisher nichts verlauten. Lübcke war ein besonderes Hassobjekt der rechtsextremen Szene, der Hass gegen ihn wurde besonders vom Blog PI-News betrieben, berichtet Matern Boeselager in Vice News, der Videos auf Youtube und Hasskommentare gegen Lübcke gesichtet hat. Auslöser war für die Szene ein Satz des CDU-Politikers bei einem Vortrag im Jahr der Flüchtlingskrise 2015: "Da muss man für Werte eintreten. Und wer diese Werte nicht vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen, wenn er will." Diese Satz löste übelste Hassreaktionen aus, die Boeselager zusammenträgt. "Lübcke wird zum Paradebeispiel der vermeintlich gewissenlosen deutschen Politiker, die die angeblichen geheimen Pläne der 'Globalisten' und der 'New World Order' umsetzen, die gemäß der verbreiteten Verschwörungstheorie vorsehen, die weiße Bevölkerung aus dem Land zu vertreiben und durch fanatische Muslime zu ersetzen. Irgendwann findet jemand ein Foto von 2010, das Lübcke bei einem Besuch der Jüdischen Gemeinde Kassel zeigt. Lübcke steht direkt unter einem Davidstern - und für viele aus der rechtsextremen Verschwörungsszene ist damit eigentlich alles klar."

FAZ-Regionalkorrespondent Helmut Schwan berichtete vorgestern in einem Hintergrundartikel, dass die Staatsanwaltschaft mit Hinweis auf die Ermittlungen "eine Art Nachrichtensperre" über den Fall verhängt hat.

Die Berliner befürworten mit 51 Prozent ein Verbot des Kopftuchs bei Grundschülerinnen, meldet epd (hier in der taz)  mit Bezug auf eine von der Berliner Zeitung in Auftrag gegebene Umfrage: "Während die über 45-Jährigen ein solches Kopftuchverbot an Grundschulen mehrheitlich gutheißen, lehnen die jüngeren Berliner dies ab, hieß es weiter. Bei den unter 30-Jährigen seien sogar 74 Prozent gegen ein solches Verbot, während 63 Prozent der 45- bis 59-Jährigen und sogar 69 Prozent derjenigen, die 60 Jahre und älter sind, das Verbot fordern. Zudem gibt es einen Ost-West-Unterschied. Ostberliner sind mit 55 Prozent eher gegen das Tuch an Grundschulen als Menschen aus den westlichen Bezirken mit 49 Prozent."
Archiv: Gesellschaft

Medien

Ob Springer nach einer eventuellen Übernahme großer Anteile durch den Finanzinvestor KKR noch in erster Linie ein Medienunternehmen ist, kann man eher bezweifeln. Es geht vor allem ums Rubrikenanzeigengeschäft, schreibt Gregory Lipinski bei Meedia, der mit Aktienanalysten gesprochen hat. Es könnte etwa sein, dass Springer das ebay-Kleinanzeigen-Segment übernehmen will. Und dann ist da noch etwas: "Grund hierfür ist auch die US-Suchmaschine Google, die mit Google Jobs in Deutschland gestartet ist. Berenberg-Wertpapieranalystin Sarah Simon rechnet deshalb damit, dass sich durch Google als neuen Anbieter der Wettbewerb für die Job-Plattformen hierzulande massiv verschärft. Steuert Springer-Chef Döpfner hier nicht rechtzeitig gegen, könnte sich dies mittelfristig negativ auf die Ertragsentwicklung der Berliner auswirken."

Es gibt Wichtigeres als die Gebührenerhöhung, meint taz-Medienkolumnist Steffen Grimberg mit Blick auf die Öffentlich-Rechtlichen, auch wenn er die Gebührenerhöhung zu bejahen scheint. Schon wegen mangelnder Akzeptanz: "Den öffentlich-rechtlichen Sendern geht es wie den Verlegern. Beide immer noch großen Institutionen der Medienwelt müssen ihren NutzerInnen wieder nahebringen, was für einen Wert sie in der Gesellschaft darstellen und zwar über rein finanzielle Aspekte hinaus. Beide Systeme haben die neue Welt lange nicht ernst genug genommen, diese digitale Ignoranz und Anfängerfehler machen ihnen nun zu schaffen. "
Archiv: Medien

Religion

Die Christen im Nahen Osten und arabischen Ländern sind wohl die am stärksten verfolgte religiöse Minderheit der Welt. Wolfgang Krischke berichtet in der FAZ über ein Greifswalder Symposion über die bedrängte Lage der Orientchristen: "In der breiteren Öffentlichkeit werden die Orientchristen kaum zur Kenntnis genommen. Außerhalb der kirchlich-wissenschaftlichen Fachwelt meint man, Nordafrika und der Nahe Osten seien mit Ausnahme Israels originär islamische Regionen. Dass diese Gebiete vor der Ausbreitung des Islams fast vollständig christianisiert waren, ist weitgehend unbekannt." Auch die hiesigen Kirchen haben die Orientchristen jahrelang eher stiefmütterlich behandelt, so Krischke. In der Mediathek des Alfried Krupp Wissenschaftskolleg kann man einen Symposionsvortrag Udo Steinbachs hören.
Archiv: Religion

Europa

Im Streit zwischen Mafiakritiker Roberto Saviano und Italiens Vizeminister Matteo Salvini, der inzwischen angekündigt hat, die Kosten für den Personenschutz Savianos überprüfen zu lassen, mag der Philosoph Damiano Cantone nicht recht Position beziehen. Für seinen Geschmack gefällt sich Saviano etwas zu sehr in der Rolle des moralischen Gewissens der Nation und wird damit, schreibt Cantone in der NZZ, Salvini irgendwie ähnlich: "Es ist der Einzelne, der Einzige, der Starke, der Unerschrockene, der die Probleme der Mafia zu lösen vermag. Doch so wie es den Anti-Mafia-Helden braucht, der die Machenschaften der Kriminellsten aller Kriminellen offenlegt, so braucht es auch den Politiker-Helden, der Italien aus der Misere führt. Weil wir Italiener so denken, können wir von den beiden Figuren nicht lassen. Wir identifizieren uns mit ihnen und fühlen uns dadurch selbst als Helden. Als Helden des guten Gewissens. Und als Helden der Tat. Saviano und Salvini führen ein Spektakel auf, das uns unterhält - und beruhigt. Derweil führen wir unser bescheidenes Leben weiter, als wäre nichts geschehen."
Archiv: Europa