9punkt - Die Debattenrundschau
Aus dem Netz verschwinden
Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
Europa
Das "Ja" hat fast eine Zweidrittelmehrheit bekommen, laut politico.eu 66,4 Prozent. "Das Ergebnis "spiegelt nach Jahren der Missbrauchsskandale und der Geschichten über Frauen, die in Heimen eingekerkert wurden, auch eine tiefe Enttäuschung über die Kirche und den kirchlichen Einfluss auf die Regierung wider", schreiben Naomi O'Leary und Sarah Wheaton.
Nun wächst der Druck, besonders auf Theresa May, dass Abtreibung auch in Nordirland liberalisiert wird, berichten Andrew Sparrow and Henry McDonald im Guardian - Nordirland ist der einzige Landstrich im Vereinigten Königreich, in dem ein restriktives Abtreibungsrecht gilt. Aber May scheint vorerst nicht handeln zu wollen und habe signalisiert, dass ihren nordirischen Koalitionspartner DUP nicht brüskieren wolle, indem sie eine Abstimmung im Unterhaus zulasse.
Im Guardian bedankt sich die Schriftstellerin Anne Enright bei den Briten, die jahrzehntelang irischen Frauen geholfen haben, das Abtreibungsverbot zu umgehen: "Thank you for looking after Irish women when the Irish state would not, when Irish doctors could say nothing, offer no help, no advice, not even a phone number. Thank you to the hospital in Liverpool that looked after so many Irish women whose babies suffered fatal foetal abnormalities. Thank you for making them not feel like pariahs because their babies were going to die, but for affording them the proper and compassionate medical treatment that your doctors' code requires. Thank you for taking all that sorrow and pain and folding it into your hearts without complaint, or racism, and with a complete absence of nationalistic or governmental ire. Thanks for not getting insulted when 'England' became an Irish code word for 'abortion'. Thanks for not shutting us out."
Medien

Politik
Ja, Globalisierung produziert auch Verlierer, aber Abschottung und Strafzölle sind nicht die Antwort, antwortet der Grünen-Politiker Anton Hofreiter in der FR auf Donald Trump und schlägt gleich einen ganzen Katalog von Maßnahmen vor, "den enthemmten Raubtierkapitalismus einiger Konzerne einzuhegen: durch eine Finanztransaktionsteuer, durch die systematische Bekämpfung von Steuerbetrug, das Schließen von Briefkastenfirmen und durch das Ende der Steuerschummelei von global agierenden Konzernen wie Starbucks, Apple oder Google. Und wir brauchen faire Handelsabkommen, die an klaren sozio-ökologischen Kriterien ausgerichtet sind. Dazu zählt auch das Klimaabkommen von Paris. Das reicht aber nicht. Wir brauchen sozialpolitische Maßnahmen, die den von Arbeitslosigkeit bedrohten Beschäftigten und den von Fabrikschließungen betroffenen Regionen helfen."
Im Tagesspiegel sieht CSU-Entwicklungshilfeminister Gerd Müller das ähnlich. Er möchte außerdem "privates Kapital dorthin lenken, wo es wirklich gebraucht wird: Raus aus kurzfristigen spekulativen Anlagen, hinein in die wirtschaftliche Entwicklung insbesondere Afrikas. Es ist doch verrückt: Mit weniger als 0,05 Prozent der weltweiten Finanzanlagen könnte die jährliche Finanzierungslücke für Infrastrukturinvestitionen in Afrika geschlossen werden. Und hierzulande suchen institutionelle Anleger angesichts der niedrigen Zinsen händeringend nach lohnenden Anlagemöglichkeiten."
Internet
Mark Scott befragt für politico.eu einige Betroffene, Aktivisten und Politiker über die Frage, was kommt, nachdem die Datenschutzgrundverordnung nun in Kraft getreten ist. Unter anderem äußert sich der österreichische Datenschutzaktivist Max Schrems, der "besorgt ist, dass viele Firmen, die gar nicht darauf beruhen, die Online-Daten von Bürgern einzusammeln, nun die Last der Regulierung mit ertragen müssen. Hierfür macht er die Lobbyarbeit der Tech-Industrie verantwortlich, die die Gesetzgeber dazu trieb, die Standards so kompliziert wie möglich zu formulieren."
Der Tech-Blogger Enno Park hat auf Twitter eine Umfrage gestartet und festgestellt, dass die Verunsicherung über das DSGVO riesig ist - viele haben ihre Websites zumindest vorläufig geschlossen: "Die allermeisten sind kleine Blogs, manchmal auch Foren oder andere Projekte, darunter auch die Webseite einer kleinen freiwilligen Feuerwehr. Auch 'Große' sind dabei, wie die Los Angeles Times, die ihre Seiten einfach mal für Besucher aus der EU geschlossen haben, oder die WHOIS-Abfrage der DENIC. Viele gaben an, dass ihr Blog sowieso eingeschlafen sei. Da ist das Offline-Nehmen trotzdem ein Verlust, schließlich ist es nicht nur bei Näh-Blogs oder Kochrezepten schade, wenn sie aus dem Netz verschwinden."

Aber Heribert Prantl, das Gewissen der Nation und der SZ, ruft die Leser auf: "Lassen Sie sich nicht verunsichern. Die Europäische Datenschutzverordnung, seit Freitag nach zwei Jahren Übergangszeit in Kraft, ist etwas Wunderbares."
Auf der Gegenwartsseite der FAZ durchleuchtet Jürgen Kühling, Professor für öffentliches Recht, die rechtlichen Aspekte der Debatten um Meinungsfreiheit einerseits und Persönlichkeitsrechten im Internet andererseits und kommt zu dem Ergebnis: "Grundsätzlich können wir Systeme in Deutschland und Europa installieren, um deutsche beziehungsweise europäische Standards im Widerstreit von Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsschutz gegen amerikanische Internetgiganten genauso durchzusetzen wie gegen deutsche oder europäische Unternehmen."