9punkt - Die Debattenrundschau

Ohne einen Schatten von Zweifel

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
05.05.2018. Nun ist es also so weit: Karl Marx ist zweihundert. Die Zeitungen gratulieren. Aber skeptisch sind der Germanist Russell A. Berman bei politico.eu und der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Tagesspiegel. Der Tages-Anzeiger fragt: ist der gewaltlose Islamismus gefährlicher als der Terrorismus? Die FAZ kritisiert die re:publica, die sich von der Regierung sponsorn lasse, aber der Bundeswehr einen Stand verweigert. In der taz ruft die Grünen-Politikerin Kirsten Kappert-Gonther zur Öffnung der Bibliotheken am Sonntag auf.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 05.05.2018 finden Sie hier

Geschichte

Nun wird Karl Marx endlich 200 - kleiner Schwerpunkt

Und die Zeitungen bemühen sich, mit Sonderseiten Interesse zu erzeugen. In Trier wird heute das von Chinesen gespendete Denkmal eingeweiht. Und die Stadt bereitet sich vor, berichtet  Waltraud Schwab in der taz: "Alle wollen am Samstag, dem 5. Mai, dem Enthüllungstag, Marx' Geburtstag, demonstrieren. Die AfD gegen ihn; DKP und andere sozialistische Gruppen werden ihn verteidigen. Die NPD, fürchten manche, werde sich an die AfD hängen oder sonst wie ihre Verachtung zeigen; GegendemonstrantInnen stehen bereit. Und auch die Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft protestieren gegen den bronzenen Marx, der derweil rund um die Uhr bewacht wird."

Ein nicht ganz so idyllisches Bild von Marx zeichnet in politico.eu der Germanist Russell A. Berman, der Marx' gnadenlose Selbstgewissheit und Häme als Wegweiser in den Gulag sieht. Marx behauptete , er habe "direkten Zugang zur Wahrheit mit großem W und beendete sein Kommunistisches Manifest mit einer Serie vernichtender Urteile über konkurrierende radikale Bewegungen, die er ohne einen Schatten von Zweifel denunzierte und verdammte. Marx' bolschewistische Erben nutzten diese Sicherheit im Verurteilen später als Begründung, um ihre Opponenten in den Tod zu schicken. In der langen Liste der Opfer des Marxismus stehen die linken Konkurrenten an vorderster Stelle."

Außerdem unterhält sich Thomas Winkler mit der Autorin Louise Meier, die Marx mit Feminismus und Queerness verschneiden will (taz). Und taz-Wirtschaftsredakteurin Ulrike Herrmann erklärt, "wie Marx sein Denken veränderte, als die Revolution scheiterte". Auf Seite 1 der NZZ empfiehlt René Scheu Marx' "Kommunistisches Manifest" zu einer zweiten Lektüre. In der Berliner Zeitung interviewt ein namenloser Autor den Marx-Biografen Uwe Wittstock. Im Leitartikel auf Seite 1 der FAZ behauptet Dietmar Dath, dass uns der "berühmteste politische Denker Deutschlands uns noch einiges zu sagen" habe.

Und im Tagesspiegel schreibt gar Frank-Walter Steinmeier höchstpersönlich, der Marx überraschend deutlich und mit ähnlichen Argumenten wie Berman kritisiert: "Wie weit ist er, der Weg von der Wortgewalt zur tätlichen Gewalt, vom glühenden Gedanken zum fanatischen Handeln? Wir wären schlecht beraten, denen das Feld der Deutung zu überlassen, die ihn ideologisch vereinnahmen oder absichtsvoll missverstehen."

==============

Dass es auch vor dem 20. Jahrhundert schon brillante Wissenschaftlerinnen gegeben hat, erzählt Jean-Pierre Jenny in der NZZ am Beispiel dreier Wissenschaftlerinnen aus dem 18. Jahrhundert - der Mathematikerin Gaetana Agnesi, der Medizinerin Anna Morandi und der Physikerin Laura Bassi - die alle drei von Papst Benedikt XIV. gefördert wurden: "Mit Frauenförderung hatte dies nichts zu tun, es ging um Publicity: Die altehrwürdige Universität hatte sich nämlich erst seit kurzem dank einer radikalen Reform in Lehre und Forschung von einem gravierenden Rückgang der Studentenzahlen erholt. Jetzt sollten hochbegabte Frauen auf Lehrstühlen sich als Publikumsmagneten erweisen und so eine neue Blütezeit der Universität einleiten."

Archiv: Geschichte

Internet

re:publica-Organisator Markus Beckedahl hat der Bundeswehr einen Stand auf der Messe verweigert, mit dem Argument, sie wolle "für einen politisch fragwürdigen Angriffskrieg im Internet" rekrutieren. Es sei zwar Beckedahls Recht einzuladen, wen er will, schreibt Frank Lüberrding in der FAZ: "Aber so staatsfern-privat, wie die Messe scheint, ist sie nicht.  Zu ihren 'Partner' genannten Sponsoren gehören unter anderem die EU und drei Bundesministerien. Zudem unterstützen drei Bundesländer und zahlreiche öffentlich-rechtliche Sender die Veranstaltung. Allein vom 'Partner' Bundesbildungsministerium erhält die re:publica 165.000 Euro. Es scheint also Ministerien zu geben, deren Förderung die re:publica gerne annimmt."
Archiv: Internet

Religion

Der gewaltlose Islam etwa der Muslimbrüder sei gefährlicher als Terrorismus, meint Michael Meier nach der Lektüre von Elham Maneas Buch "Der alltägliche Islamismus" im Tages-Anzeiger. Sprengkraft habe in westlichen Gesellschaften vor allem das "Amalgam aus muslimischer Opferrolle und dem Hass vieler westlicher Intellektueller auf die eigene Gesellschaft. Dort die Muslime, die sich als verfolgte und diskriminierte Gruppe fühlen und im Westen den Feind sehen. Hier die Linken und Liberalen, die sich wegen der kolonialen und imperialen Vergangenheit des Westens schuldig fühlen und meinen, die Rechte von Minderheiten aus den ehemaligen Kolonien schützen zu müssen."
Archiv: Religion

Gesellschaft

Der Prozess gegen Beate Zschäpe dauert nun seit fünf Jahren und scheint sich dem Ende zu nähern. Aber Mädchen wie sie gab es viele, schreibt die 1974 geborene Schriftstellerin Manja Präkels ("Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß")  in der FR und erinnert sich an ihre Jugend in Oranienburg unmittelbar nach der Wende: "Die Glatzen dominierten auch den einzigen Jugendklub. Das unter der damaligen Bundesjugendministerin Angela Merkel ausgerufene Prinzip der akzeptierenden Jugendarbeit manifestierte das Kräfteverhältnis: Die dominierende Jugendkultur war rechts. André und seine Kameraden wurden zu den Popstars der Schulhöfe und Werkhallen. Reihenweise verknallten sich die Mädels in Scheitelträger und Glatzköpfe, bewunderten ihre Muskeln, ihre Härte."
Archiv: Gesellschaft

Ideen

In der NZZ nimmt mit Daniel Dettling endlich mal jemand das angsterfüllte Gejammer der Deutschen über die digitale Revolution aufs Korn und ermuntert zu mehr Mut beim Blick in die Zukunft: "Wie Digitalisierung gelingen kann, zeigt Japan. Das Land, das zu den drei führenden Ländern auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz gehört, spricht nicht von 'Industrie 4.0', sondern treibt längst die 'Gesellschaft 5.0' voran. Die übergreifende Vision: die Stärkung der Individuen, mehr Sicherheit und Komfort und eine Innovationskultur, in der jeder teilhaben soll. Die digitale Revolution ist im Kern eine soziale. Ihre Themen sind eine Willkommenskultur für Innovationen und eine Politik der Zukunftsintelligenz. Ihre Prinzipien heißen Personalität und Subsidiarität. Ihr Versprechen ist ein besseres, sinnvolleres und nachhaltigeres Leben."

Herfried Münkler holt ebenfalls in der NZZ buchstäblich bis Adam und Eva aus um Menschheitsutopien der "Sorgenbegrenzung" darzustellen, die nun aber aus irgendwelchen Gründen seit den neunziger Jahren nicht mehr verfingen: "Das begann mit der linken Globalisierungskritik in den neunziger Jahren und manifestiert sich zurzeit in den Forderungen besorgter Bürger nach Schließung von Grenzen oder im Aufstieg nationalprotektionistischer Parteien, die sich um die einheimische Wirtschaft sorgen; weiterhin in der Besorgnis um die Sicherheit des für das Alter angesparten Geldes; in Ängsten vor dem eigenen Abstieg innerhalb der Gesellschaft oder der ganzen Gesellschaft gegenüber anderen Nationen; in der Sorge um die Erhaltung der nationalen Identität."

Archiv: Ideen

Kulturpolitik

Kirsten Kappert-Gonther, Bundestagsabgeordnete der Grünen, möchte Stadtbibliotheken auch sonntags geöffnet halten und erklärt Dirk Knipphals in der taz, warum: "Die Bibliothek im dänischen Aarhus ist ein gutes Vorbild. Die Bibliothek ist dort erst einmal als ein Ort der Begegnung definiert, und innerhalb dieses Ortes gibt es individuelle Rückzugsinseln. Das kann beides zusammengehen, stille Rückzugsräume, aber auch Tische mit sechs oder acht Stühlen drum herum, an denen Jugendliche, die kein eigenes Zimmer haben, zusammen ihre Referate vorbereiten. Seit viele Geflüchtete nach Bremen gekommen sind, sind die Bibliotheken auch ein Ort, an dem Ehrenamtliche Nachhilfe anbieten."
Archiv: Kulturpolitik