9punkt - Die Debattenrundschau

Inhalte, die in China illegal sind

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
31.07.2017. In der NZZ denkt Karl-Heinz Ott über Gemeinsamkeiten von RAF-Terroristen und Islamisten nach. Revolutionen in Arabien sind zwar gefährlich, erklärt Hassouna Mosbahi in der NZZ, aber trotzdem wünscht er sich, dass von Tunesien noch eine ausgeht. In Kanada wird laut Marianne.net über etwas gestritten, das Justin Trudeau nie gesagt hat. Apple beugt sich laut Techcrunch der chinesischen Internetzensur und nimmt den Nutzern, die letzten Möglichkeiten, anonym zu surfen. Und auch Putin erlässt in Russland laut Mashable entsprechende Gesetze.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 31.07.2017 finden Sie hier

Gesellschaft

Wer die Revolution predigt, sollte besser wissen, was danach kommen soll, meint Hassouna Mosbahi in der NZZ mit Blick auf den arabischen Frühling in Tunesien. Auch dort konnten die Islamisten punkten, unter anderem weil viele der prodemokratischen oder militant linken Aktivisten "sich keinen Fingerbreit weiterentwickelt hatten". Inzwischen wurde den Islamisten jedoch ihre Grenzen aufgezeigt, nicht zuletzt dank der vielen Frauen, so Mosbahi, die sich vehement für eine liberale Modernisierung einsetzen. "Tunesien war 1861 die erste arabische Nation, die eine Verfassung einführte. Es richtete in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die erste moderne Schule ein, wo Wissenschaften und Fremdsprachen gelehrt wurden; diese wiederum schenkte ihm die moderne, weltoffene Elite, welche dann die Unabhängigkeit erkämpfte und Tunesien zu einem der fortschrittlichsten arabischen Staaten machte. Dieses Tunesien, Tochter Didos und Königin von Karthago, ist es, das einer künftigen Jasmin-Revolution zum Durchbruch verhelfen und den wahren Arabischen Frühling einläuten wird."

Nick Cohen denkt in seiner Observer-Kolumne über Anne Marie Waters nach, die sich einst feministisch gegen Scharia-Gerichte in Britannien engagierte und später zu Ukip überlief, wo man geradezu Angst vor ihrer Einstellung hat und keinen Ärger mit Muslimen will. "Waters begnügte sich nicht damit, linksliberale Heuchelei zu bekämpfen. Sie flippte aus. Sie schnitt alle Verbindungen mit ihren Schwestern und Genossen ab und wählte den schlechtest möglichen Weg." Zugleich schildert Cohen die schwierige Lage säkular denkender Intellektueller, die gern in die rechte Ecke geschoben werden: "Auf der einen Hand müssen sie mit der relativistischen Linken zurechtkommen, die es falsch findet, für Frauen- oder Schwulenrechte zu kämpfen, wenn die Frauen und Schwulen nicht von westlichen oder kapitalistischen Kräften unterdrückt werden. Auf der anderen Seite müssen Säkularisten und Feministinnen aufpassen, dass ihre Kampagnen nicht von Rassisten und Sexisten ausgebeutet werden."

Außerdem: Im Feuilleton der SZ macht sich Thomas Steinfeld über den "Niedergang des Verbrennungsmotors" Gedanken. In der FAS erkennt Niklas Maak das aggressive Design neuerer Audi- und Mercedes-Limousinen als Krisensymptom.
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Ideen

In der FR erinnert Arno Widmann an die Ermordung des Bankiers Jürgen Ponto vor vierzig Jahren und das Schweigen, dass die Taten der RAF heute umgibt. Dabei gäbe es da noch einige Lehren zu ziehen: "Niemand ist damals aus Versehen bei der RAF gelandet. Es gab an jedem Ort in Deutschland eine Vielzahl von Gruppen, in denen man sich gegen alles, das einem nicht passte, engagieren konnte. Wer in die RAF wollte, der wollte es, weil er töten wollte. Der politische Mord war die Raison d'être der RAF. Man wird begreifen müssen, dass, so abschreckend das damals wie heute für die meisten war, es doch damals wie heute Menschen gab, für die genau das den Reiz ausmachte. So sehr, dass alles andere für sie nebensächlich wurde. ... die Ponto-Mörder und die vielen anderen deutschen Terroristen hatten kein wirkliches Kalkül. Sie wollten sich spüren und ihre Macht über andere, über die Welt. Wie Mohammed Atta oder Osama bin Laden."

Auch der Schriftsteller Karl-Heinz Ott sieht in der NZZ Ähnlichkeiten zwischen RAF und Islamisten: "Hinter dem angeblichen Kampf gegen Kapitalismus und Imperialismus oder für den Gottesstaat verbirgt sich ein egomaner Wahn, der schlecht damit leben kann, dass die Welt einem nicht zu Füßen liegt. Dass hinter dem Herzklopfen für das Wohl der Menschheit oft bloß der Wahnsinn des Eigendünkels steckt, hat Hegel mit Blick auf jede Art von Moral betont, die davon lebt, dass man die eigene Monstrosität als die der anderen ausgibt. Es müsste für diese Jugendbewegungen die schlimmste Kränkung sein, nähme man ihren ideologischen Hokuspokus überhaupt nicht ernst. Auch wenn sie selbst an ihn glauben, bildet er vor allem die Tünche, unter der sich ganz andere Begierden verbergen."
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Europa

Das FAZ-Feuileton eröffnet eine Sommerserie über europäische Identität. Jürgen Kaube fallen im Editorial überraschende Attribute des europäischen Wesens ein: "Das Fahrrad gibt es weltweit und massenhaft auch in Indien und China, aber auf so etwas wie die Kultivierung dieses Geräts bis hin zur Idee der Fahrradstadt sind bislang wohl nur Europäer gekommen. Die dichten europäischen Infrastrukturen samt des Konzepts der mittleren Stadt, die möglichst viele Eigenschaften von Metropolen in Miniaturform verwirklichen sollte, könnten ebenfalls eine europäische Besonderheit sein. Oder nehmen wir das Freibad."
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Stichwörter: Fahrrad, Freibad

Internet

(Via turi2) Apple beugt sich der chinesischen Internetzensur, berichtete  Jon Russell am Samstag bei techcrunch: "Die Gleichschaltung des chinesischen Internets geht mit der Meldung weiter, dass Apple alle VPN-Apps entfernt hat, die es chinesischen Nutzern bisher erlaubten, das Zensursystem, des Landes zu umgehen. Diese Maßnahme ist zuerst von ExpressVPN bemerkt worden, einem Dienstleister außerhalb Chinas, der in einem Blogbeitrag berichtete, dass 'alle größeren VPN Apps', auch die eigene, aus dem chinesischen Appstore von Apple herausgeworfen wurden. ExpressVPN  zitierte auch aus eine Apple-Mitteilung an die Firma, in der es hieß, dass die App abgeschaltet wurde, weil sie 'Inhalte enthält, die in China illegal sind'."

Und Putin tut es den Chinesen gleich und hat laut Adario Strange von Mashable nur einen Tag später ein Gesetz unterzeichnet, das "alle Technologie verbietet, die es erlaubt, in Russland verbotene Websites zu besuchen, inklusive virtuelle privater Netzwerke (VPNs)."
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Politik

Der kanadische Premierminister Justin Trudeau hat nie gesagt, dass Beschneidung von Frauen "nicht barbarisch" sei, hält Hadrien Mathoux in Marianne.net fest - diese Behauptung hatte nach einer falsch verstandenen Kolumne des Journalisten Richard Martineau im Journal de Montréal im Netz zirkuliert. Aber einen Hintergrund hat die Aufregung doch: "Der Leitartikler ist empört über eine Veränderung im offiziellen Leitfaden für kanadische Neubürger, der jedem neuen Immigranten in Kanada ausgehändigt wird. Im Jahr 2011 hatten die Konservativen einen Absatz in diesen Leitfaden eingefügt, der darauf hinwies, dass einige 'barbarische kulturelle Praktiken' wie Ehrenmorde und Klitorisbeschneidunge in Kanada als Verbrechen betrachtet werden. 'Nun, diese Passage wird jetzt gelöscht' erregt sich Martineau."
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Medien

Der hoch defizitäre Guardian soll in zwei Jahren schwarze Zahlen schreiben, meldet Rainer Stadler in der NZZ: "Dazu sind rigide Einsparungen nötig. Die Mediengruppe reduzierte die Belegschaft um 300 auf 1563 Personen. Dafür gab sie in den letzten beiden Jahren 30 Millionen Pfund aus. Die Personalkosten sanken so um 14 Millionen. Bis 2018 wird das Budget des Guardian um 20 Prozent verkleinert."
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Stichwörter: Guardian, Medienwandel