9punkt - Die Debattenrundschau
Der Markt der Anmut
Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
Kulturpolitik
In der taz denken Jannis Hagmann und Stefan Reinecke eher, dass hier ein Haus auf Linie gebracht werden soll. Vor allem mit der Ausstellung "Welcome to Israel" habe Schäfer die Pro-Israel-Fraktion gegen sich aufgebracht: "Damals saß Direktor Schäfer in seinem Büro und versuchte akademische Brandmauern gegen die politische Einflussnahme hochzuziehen. Die Kritiker, sagte er, würden immer auf dem Politischen rumhacken. Dabei gehe es in der Ausstellung gar nicht um Jerusalem als Hauptstadt Israels oder der Palästinenser, sondern um die Bedeutung der Stadt für die monotheistischen Religionen. Schäfer ist Wissenschaftler, brillant, sagen viele, aber kein politischer Stratege. Nicht die aufgeheizte Debatte interessiert ihn, sondern die zurückgelehnte Auseinandersetzung mit dem Judentum. Durch die heißen Gewässer des Nahostkonflikts, Debatten über Besetzung und Antisemitismus bewegt er sich erstaunlich gelassen - aber auch mit einem Mangel an Feinfühligkeit, der an Naivität grenzt."
Same, same but different: Im FAZ.net schrieb Andreas Kilb bereits vor Schäfers gestrigem Rücktritt, dass der Direktor natürlich auf Linie sein muss: "Das Jüdische Museum bleibt eine Einrichtung und ein Sprachrohr der deutschen Politik, ganz gleich, welche Freiheiten es sich in einzelnen Fragen nimmt. Form follows function, das gilt auch beim JMB."
Ideen
In der taz folgt Jörg Später den Lebensstationen des Philosophen, bleibt aber in sicherer Äquidistanz: "Habermas war und ist ein Denkraumöffner und Stichwortgeber ohne Gleichen, der mindestens so viel Aggression wie Bewunderung auf sich gezogen hat. An Habermas rieben sich früher scholastische Links-Adorniten und deutsche Nationalkonservative, heute beschimpfen ihn Popliteraten und rechte Kulturkämpfer."
Der Kieler Philopsoph Ralf Konersmann erhebt in der NZZ ohne konkreten Anlass mit Albert Camus Einspruch gegen die Maßlosigkeit und die Vorstellung, dass Entgrenzung Freiheit bringe: "Camus nennt das Denken, das gegen den Konformismus der Maßlosigkeit aufbegehrt, 'mittelmeerisch' und teilt diese Intuition mit Paul Valéry. Als Hinterlassenschaft des mediterranen Denkens, hatte Valéry Anfang der dreissiger Jahre geschrieben, bilde das Mass das humane Gegengewicht zum alles mit sich reißenden Absolutismus der Geschichte. Nicht die Geschichte bewahrt die Fülle des Menschseins, sondern das Maß."
Europa
Im Guardian kann Fintan O'Toole nicht fassen, dass sich die Briten von Donald Trump auf der Nase herumtanzen lassen, aber von Europa "gedemütigt" fühlen: "Dieses ständige Gerede von der Demütigung hat etwas Hysterisches. Es ist der Aufschrei der Empörung: Wie können sie es wagen, uns so zu behandeln? Natürlich hat das Brexit-Debakel Britanniens Prestige in der Welt geschmälert. Das Austrittsabkommen, das Theresa May verhandeln hat, ist tatsächlich recht kläglich im Vergleich zu den glorreichen Versprechungen, die ihm vorausgegangen sind. Aber Britannien ist nicht von der EU gedemütigt worden - das Abkommen folgt den roten Linien, die May (und Arlene Foster) vorgegeben haben. Britannien hat nicht bekommen, was die Brexiter herbeifantasiert haben, sondern worum es gebeten hat. Das ist keine Demütigung."
Und gewohnt maliziös, aber sehr anspielungsreich kommentiert Mariny Hyde ebenfalls im Guardian das Rennen um den Vorsitz der Tories: "Journalist, Romanautor, Churchill-Biograf, Politiker, Stadtentwickler, Diplomat. An diesem Punkt von Boris Johnsons Karriere müssen wir uns fragen: Gibt es etwas, was dieser Mann kann?"
Medien
Gesellschaft
In der taz pocht der Schriftsteller Arnon Grünberg auf das Recht, nicht mit seiner Identität hausieren gehen zu müssen: "Ich übe das Recht aus, nicht hineinzupassen. Das ist eine andere Art, zu sagen: Ich übe mein Recht auf Einsamkeit aus."