9punkt - Die Debattenrundschau

Und übrigens, welche Demokratie?

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
15.12.2018. Michel Houellebecq veröffentlicht in Harper's eine wirre und böse Hommage auf Donald TrumpChristopher Clarke fordert in der Literarischen Welt eine Politik der Langsamkeit. Die Fotografin Romy Alizée, deren Konto bei Instagram gesperrt wurde, fragt in Libération: Was sollen Künstler tun, die auf diese Plattformen angewiesen sind? Die Ärztin Kristina Hänel erklärt in der taz, warum sie mit dem Kompromiss zum Paragrafen 219a nicht zufrieden ist. Und Monika Grütters und Forscher wetteifern um die Spitzenposition in der Aufarbeitung von Kolonialgeschichte.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 15.12.2018 finden Sie hier

Ideen

Michel Houellebecq veröffentlicht in Harper's eine teils wirr, teils höhnisch, teils ehrlich wirkende Hommage auf Donald Trump, dessen Rückkehr zu Nationalismus und Protektionismus und Hass auf Europa er herzlich begrüßt. Nebenbei stellt er Trump wegen der Weigerung, in Syrien zu intervenieren, in eine Kontinuität mit Barack Obama: "Trump verfolgt und verstärkt die von Obama initiierte Politik des Rückzugs; das sind sehr gute Nachrichten für den Rest der Welt. Die Amerikaner lassen uns den Rücken frei. Die Amerikaner lassen uns existieren. Die Amerikaner haben aufgehört, zu versuchen, die Demokratie in alle Himmelsrichtungen zu verbreiten. Und übrigens, welche Demokratie? Alle vier Jahre über die Wahl eines Staatsoberhauptes abstimmen - ist das Demokratie?"

Mara Delius und Marc Reichwein unterhalten sich in der Literarischen Welt mit dem Historiker Christopher Clark ("Von Zeit und Macht") über historische Identität und die Schläue der Populisten, die alte Geschichtsbilder beschwören, dabei aber Mittel der politischen Beschleunigung wie Twitter benutzen. Angela Merkel ist für ihn hier der Gegenakzent: "Merkels Kennzeichen als Politikerin war eine Verlangsamung der politischen Zeit." Und darin sieht Clarke eher ein Verdienst: "Demokratie, das ist ihr  Problem,  funktioniert  sehr  langsam, in formalen Prozessen. Man muss abwarten, bis man dran ist, bis man sich äußern darf. Parlamentarische  Prozeduren sind  schwer  zu vermitteln. Sie haben ihre innere Logik und sind  nicht  besonders  aufregend oder  lustig. Das ist kein Argument gegen die Demokratie, im Gegenteil. Es ist ein Argument für die Demokratie. Man könnte fast sagen, es ist eine Aufgabe der Politiker heute, diese Langsamkeit als Prinzip zu retten."

Ebenfalls in der Literarischen Welt: ein Gespräch mit der Autorin Géraldine Schwarz ("Die Gedächtnislosen - Erinnerungen einer Europäerin") über Vergangenheitsbewältigung in Deutschland und Frankreich.
Archiv: Ideen

Internet

Es ist auch schon wieder ein paar Jahre her, da begann Facebook zum Factchecking mit Journalisten zu kooperieren, aber die sind laut Sam Levin, dem Silicon-Valley-Korrespondenten des Guardian, inzwischen reichlich frustriert: "Facebook-Factchecker berichteten dem Guardian, dass die Zusammenarbeit der Technologieplattform mit externen Reportern kaum zu Ergebnissen geführt hat und dass sie wegen der Weigerung von Facebook, aussagekräftige Daten über die Auswirkungen ihrer Arbeit zu veröffentlichen, das Vertrauen verloren haben. Einige sagten, dass das Engagement einer PR-Firma durch Facebook, die antisemitische Muster einsetzte, um Kritiker zu diskreditieren - womit die gleiche Art von Fake News betrieben wird, die von Factcheckern bekämpft werden soll - ein Wendepunkt sein sollte."

Die Fotografin und "Sexarbeiterin" Romy Alizée protestiert in Libération, nachdem Instagram ihr Konto, wo sie ihre - auf den ersten Blick völlig harmlosen, nicht pornografischen - Fotos teilweise nackter Frauen veröffentlichte, kommentarlos sperrte - und sie spricht ein Problem an, das die Kunstwelt insgesamt beschäftigen sollte: "Eine offensichtlicher Schluss ergibt sich aus dem Austausch mit verschiedenen von der Zensur betroffenen AkteurInnen: Wir sind nicht mehr wirklich freiwillig auf Instagram, wir sind da, weil seine Nutzung für die Verbreitung unserer Arbeit unerlässlich geworden ist. Klar können wir Websites erstellen, die diese Zensur vermeiden, aber wie können wir sie unter die Leute bringen, wenn Facebook und Instagram den Zugang zu ihnen blockieren?"
Archiv: Internet

Gesellschaft

Die Ärztin Kristina Hänel erklärt im Interview mit Dinah Riese von der taz, warum sie mit dem Kompromiss zum Paragrafen 219a nicht zufrieden ist. Sie dürfe zwar informieren, dass sie Abtreibungen durchführe, aber ihre jetzige Website bliebe weiterhin illegal: "Weil ich dort auch die medizinische Aufklärung, zu der ich als Ärztin den Frauen gegenüber verpflichtet bin, zur Verfügung stelle. Also zum Beispiel, welche Methoden des Abbruchs und welche Narkoseformen bei mir möglich sind und welche Komplikationen es geben kann. Wir verweisen auf die Möglichkeit einer Kostenübernahme, und dort steht, was die Frauen mitbringen müssen und dass sie eine Begleitperson mitbringen dürfen - alle die Details eben, die für Frauen relevant sind, wenn sie vor diesem Schritt stehen. All das bleibt, so hat es den Anschein, weiter verboten."

Nach dem Terrorattentat auf den Straßburger Weihnachtsmarkt möchte Sonja Zekri in der SZ ausgerechnet den Begriff des Terrorismus begraben. Im Feuilletonaufmacher der SZ schreibt sie: "Die Gewalt ist zurückgekehrt und sie bedarf nicht der Empörung, sondern der Beschreibung. Der Alles- und-nichts-Begriff 'Terrorismus' hilft dabei nicht, denn er verspricht eine Trennung zwischen 'denen' und 'uns', die es längst nicht mehr gibt. Deshalb: auf den Müllhaufen der Debatte damit." Auch Arno Frank in Spiegel online möchte den Begriff am liebsten abschaffen, weil er "mediale Empörung und Rassismus" befördere.
Archiv: Gesellschaft

Kulturpolitik

Harry Nutt kommt in der FR auf einen Aufruf einiger Wissenschaftler zurück, die sich den Forderungen des Savoy- und Sarr-Berichts zur Rückgabe von Kolonialkunst anschließen. Die Zeit hat ihn inzwischen online gestellt. Nutt resümiert die Forderungen der Wissenschaftler bündig in einem Absatz: "Die Wissenschaftler fordern zusätzliche Forschungsmittel, größere Bildungsanstrengungen und die Errichtung einer zentralen Einrichtung, in der die neuen Erkenntnisse gebündelt werden. Der hehre Wunsch zielt auf eine neue Erzählung über Kolonialisierer und Kolonialisierte. Rückgabe wäre dann der Anfang eines neuen Austauschs." Und vieler schöner neuer Stellen.

In der FAZ möchten Kulturstaatsministerin Monika Grütters und Michelle Müntefering, Staatsministerin für Internationale Kulturpolitik im Auswärtigen Amt, klarstellen, dass sie an der Spitze der Aufarbeiter deutscher Kolonialgeschichte stehen: Die Debatte muss geführt werden, maximale Transparenz hergestellt und Raubkunst zurückgegeben werden, und auf keinen Fall soll es dabei eurozentrisch zugehen: "Um einen ersten Rahmen dafür abzustecken, haben wir den Deutschen Museumsbund bei der Entwicklung von Leitfäden zum Umgang mit menschlichen Überresten (2013) und zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten (seit 2016) unterstützt. Eine durch internationale Expertinnen und Experten ergänzte Fassung soll im kommenden Jahr folgen. Sie wird Impulse auch über Deutschland hinaus setzen. Denn nicht nur der Staat, auch die Kultureinrichtungen tragen Verantwortung im Umgang mit den schwierigen Fragen der Aufarbeitung des Kolonialismus. Gerade bei ihnen ist aber auch der Bedarf an Beratung und Orientierung groß. Deshalb sollten wir über eine Kommission nachdenken, die in schwierigen Fällen Museen und Anspruchsteller berät und konstruktive Lösungen vermittelt."

Die Zeit hat Ijoma Mangolds Interview mit Hartmut Dorgerloh und Lars-Christian Koch - der eine Intendant des Humboldt Forums, der andere Leiter der Sammlungen der Staatlichen Museen zu Berlin - online nachgereicht. Auf Mangolds drängende Fragen, wann denn nun endlich zurückgegeben wird, meint ein verdutzter Dogerloh: "Das irritiert mich am allermeisten an der aktuellen Diskussion: dass wir in Europa schon wieder zu wissen glauben, wie es geht und was passieren muss. Erst mal würde ich gerne erfahren: Was sagen denn die Kollegen in Tansania oder in Namibia oder in Ozeanien zu dem Bericht [von Benedict Savoy und Felwine Sarr]? Kürzlich besuchte uns in Berlin der Präsident eines afrikanischen Landes, dessen Gebiet einst ebenfalls deutsche Kolonie war. Er fand es bedauerlich, dass aus seinem Land so wenig im Humboldt Forum zu sehen sein wird, und fragte: 'Was können wir tun, damit wir im Humboldt Forum präsenter sein werden?'"

Der Berliner Kultursenator Klaus Lederer will das Digitale in der Berliner Kulturpolitik fördern und stellt dafür einen kleinen Innovationsfonds bereit. Im Interview mit Oliver Voß vom Tagesspiegel sagt er: "Das Digitale ist im Alltag so präsent, dass es eigentlich absurd ist, welch geringe Rolle diese Instrumente im Kulturbereich spielen. Dabei wird selbst der analoge Kultursektor davon am Ende profitieren. Bestes Beispiel sind Streamingdienste, die dazu führen, dass wieder mehr Menschen in Konzerte gehen."
Archiv: Kulturpolitik