9punkt - Die Debattenrundschau

Aber bitte ohne Zwiebeln

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
27.03.2014. Die Zeit meint: Wer die Ukraine für eine Nation hält, hat Stalins Nationalitätenpolitk missverstanden. Auch Helmut Schmidt versteht die ganze Aufregung um diese Ukraine nicht. Jung & Naiv hat in 19 Videos die tatsächliche Lage in der Ukraine erkundet. Seyran Ates stimmt Hamed Abdel-Samads These vom "Islamischen Faschismus" in der Zeit zu. Die taz beschreibt die Medienpolitik der mexikanischen Drogenkartelle.Und Neues über Gurlitt.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 27.03.2014 finden Sie hier

Europa

Jan Feddersen unterhält sich in der taz mit Ruslana, der legendären ukrainischen Eurovisionssiegerin von 2004, die im Winter Abend für Abend auf dem Majdan gegen das Regime des russischen Marionennten-Präsidenten Wiktor Janukowitsch aufgetreten ist: "In der ersten Woche der Proteste Ende November ging es nur um die Forderung, das Assoziationsabkommen mit der EU zu unterzeichnen, das Janukowitsch auf Eis gelegt hatte. Aber dann kam die Nacht des 30. November 2013, die Nacht, in der der Diktator seine Spezialtruppen auf die friedlich schlafenden Demonstranten - die meisten von ihnen Studenten - hetzte. Es gab dutzende zum Teil schwer Verletzte. Danach war klar, ein solcher Präsident hat jede Berechtigung verloren. Er muss weg."

In der Zeit weist Jens Jessen dagegen daraufhin, schon dem Antikommunisten Bulgakow die Bolschewisten in Moskau lieber gewesen seien als die Nationalisten in Kiew. Und: "Weder die Ukraine noch Weißrussland, noch irgendeine der neu geschaffenen Entitäten waren jemals als souveräne Staaten gedacht worden. Dass sie heute als solche auftreten und akzeptiert werden, ist vor allem eines: ein Missverständnis der ehemaligen sowjetischen Nationalitätenpolitik."

Und auch Helmut Schmidt kann aus seinem staatsmännischen Erfahrungsschatz nur vollstes Verständnis für Putin haben. Aggression sieht er nirgendwo, höchstens "furchtbare Aufregung" im Westen: "Bis Anfang der 1990er Jahre hat der Westen nicht daran gezweifelt, dass die Krim und die Ukraine - beide - Teil Russlands seien."

In der FR erklärt der Historiker Andreas Kappeler, warum die Ukraine sehr wohl eine Nation ist: "Wer eine Nation ist und wer nicht, entscheiden ganz sicher nicht Historiker wie Orlando Figes oder ich, sondern das entscheiden die Menschen selber. Eine Nation besteht dann, wenn eine Bevölkerung sagt: 'Wir wollen eine Nation sein.'"

Tilo Jung von Jung & Naiv meldet auf Netzpolitik, dass er zurück ist aus der Ukraine. Ist er tatsächlich so naiv, wie die Süddeutsche vor einem halben Jahr behauptete? Jedenfalls hat er aus der Ukraine genug Material mitgebracht, um der Frage nachzugehen: "Was wir in der Ukraine alles erlebt haben, könnt Ihr Euch in der jungundnaiven Ukraine-Playlist reinziehen. 19 Videos, 15 Folgen, knapp sechs Stunden veröffentlichte Gespräche stehen zum Binge-watching bereit. Die internationale Resonanz auf unseren Road Trip war sensationell..." Alles auf dem Youtube-Kanal von Jung & Naiv.

In seinem jüngsten Interview spricht Jung mit dem amerikanischen Germanisten Eric Jarosinski, der mit seinen Tweets unter dem Psudonym @NeinQuarterly bekannt wurde.


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Religion

Kommt eine neue Islam-Debatte? Hannah Lühmann verfolgte für die FAZ eine Debatte zwischen Jakob Augstein und Hamed Abdel-Samad über dessen Buch "Der islamische Faschismus - eine Analyse". Auf Augsteins Frage, ob das so im Koran stehe, antwortete Abdel-Samad: "Das sei so typisch; man versuche sofort, das Ganze zu einer deutschen Debatte zu machen, Augstein sitze wie der Schiedsrichter vor der Dönerbude, der sich einen Islam bestelle, aber 'bitte ohne Zwiebeln, ohne Tomaten und ohne scharf'. Das Publikum jault fast vor kontroverser Zustimmungslust..."

"Ja, es gibt ihn, den islamischen Faschismus", meint die Berliner Rechtsanwältin Seyran Ates in der Zeit, die Hamed Abdel-Samads Buch nicht gegen den Islam gerichtet sieht, sondern gegen die Feinde der Demokratie: "Hamed Abdel-Samad schreibt: 'Die Mehrheit der in Europa lebenden Muslime ist apolitisch. Sie pauschal als potenzielle Terroristen anzusehen, wäre eine Gefahr für den Frieden.' Aber genau diese schweigende Mehrheit der Muslime ist nun gefragt. Sie hat es in der Hand, den Extremisten etwas entgegenzusetzen. Hamed Abdel-Samad bedauert, dass sie sich kaum mobilisieren lässt. Das ist auch meine Erfahrung. Liberale Muslime sind zum Beispiel in der Deutschen Islamkonferenz nicht mehr vertreten. Was tun? Die Politik muss aufhören, sich auf konservative Verbände zu konzentrieren. Die säkularen Muslime müssen sich endlich organisieren."
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Medien

In der taz berichtet Christian Jakob, wie schwierig es für mexikanische Journalisten in Ciudad Juarez geworden ist, über das Morden der Drogenkartelle zu berichten, ohne sich in die Kämpfe hineinziehen zu lassen. "Strikt neutral über das Morden der Narcos zu schreiben? 'Unmöglich', meint Rubén Villalpando. 'Unsere Berichte helfen ihnen. Deshalb töten sie kurz vor den Nachrichten. Und sagen uns vorher Bescheid.' Am Morgen sitzt er mit anderen Journalisten im Sanborns-Café. Jeden Tag treffen sich die Reporter der fünf lokalen Tageszeitungen zum Frühstück. 'Jeder hier am Tisch hat Tausende Leichen gesehen', sagt Villalpando. Seit 1979 ist der 62-Jährige im Geschäft, er schreibt für die Agentur AFP und die Tageszeitung La Jornada. 'Es gab Tage, da habe ich Texte über 40 Tote rausgeschickt. Das ist, als ob einem beim Schreiben das Blut von den Fingern tropft.'"

Bei der Zeit bemüht man sich um einen hanseatisch gepflegten Dialog zwischen Print und Online, respektive zwischen Hamburg und Berlin, und um Einigkeit, wie Bernd Ulrich und Jochen Wegner in zwölf Thesen festhalten. Nummer 4: "Print-Journalisten haben keine Ahnung von der Zukunft der Medien. Online-Journalisten aber auch nicht."

Im Guardian berichtet Ashifa Kassam von den Verwerfungen in der spanischen Presselandschaft, die in den vergangegen drei Monaten den drei Chefredakteuren der großen Tageszeitungen, El Pais, El Mundo und La Vanguardia den Posten gekostet hat.
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Kulturpolitik



Der Kunstbesitzer Cornelius Gurlitt will Bilder an jüdische Erben zurückgeben, meldet das transmediale Rechercheteam von SZ, WDR und NDR, und die Sammlung Gurlitts sei wesentlich größer als bisher bekannt - der wertvollere Teil scheint in Salzburg zu lagern. Dei Anwälte Gurlitts kooperieren und zeigen vor: "Es handelt sich um insgesamt 238 Kunstgegenstände, darunter sind 39 zum Teil wertvolle Ölgemälde und Aquarall von Künstlern wie Monet, Renoir, Corot, Corbet, Pissaro, Gauguin, Toulouse-Lautrec und Liebermann." Auf Seite 3 berichten Hans Leyendecker, Georg Mascolo und Jörg Häntzschel über das Thema. Im Feuilleton begutachten Jörg Häntzschel und Ira Mazzoni den Salzburger Teil der Sammlung ("Und dort, in einem üppigen historistischen Goldrahmen hängt eines der ganz wenigen maritimen Bilder von Edouard Manet"). (Das Bild zeigt einen Liebermann aus Gurlitts Salzburger Beständen.)

Im Interview mit der Zeit deutet Kulturstaatsministerin Monika Grütters in der Zeit neue Regelungen für NS-Raubkunst an: "Ich stelle mir vor, dass man etwa darüber sprechen sollte, die Beweislast in Verdachtsfällen umzukehren, sodass in Zukunft der Besitzer die Gutgläubigkeit des Erwerbs beweisen müsste. Man könnte vielleicht auch die Verjährungsfrist für Raubkunstfälle unter bestimmten Umständen aussetzen."
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