9punkt - Die Debattenrundschau

Wenn ich bei Rot über die Ampel fahre

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
08.09.2017. In der Berliner Zeitung warnt Monika Grütters vor den Auswirkungen des Internets. Dabei können gerade staatliche Stellen viel mit den Fortschritten der Digitalisierung anfangen, zeigt der Deutschlandfunk am Beispiel Chinas. Die taz würdigt die Feministin Kate Millett, die im Alter von 82 Jahren gestorben ist. Die SZ wollte vierzig deutsch-türkische Kulturschaffende zur Lage in der Türkei interviewen - nur ein Viertel war bereit zu antworten.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 08.09.2017 finden Sie hier

Internet

Es handelt sich bisher nur um eine kleine Summe, die nachgewiesen wurde - nämlich 150.000 Dollar - dennoch diskutieren amerikanische Medien die gestrige Meldung der Washington Post als Sensation: "Russische Firmen, die mit der Propaganda des Kreml verbunden sind, haben während der Wahl auf Facebook Anzeigen geschaltet." Auf Politico erklärt Darren Samuelsohn den Hintergrund: "Unabhängig davon, ob Amerikaner an dieser Aktivität beteiligt waren, ist es für Ausländer illegal, Geld auszugeben, um die amerikanische Wahl zu beeinflussen... Facebooks Offenlegung am Mittwoch war eine Kehrtwende nach Monaten öffentliche Leugnung, dass russisches Geld hinter politischen Anzeigen auf der Plattform steht."
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Europa

Nur ein Viertel der vierzig deutsch-türkischen Kulturschaffenden, welche die SZ angefragt hat, haben sich für ein Interview zum Fall um Dogan Akhanli (unser Resümee) bereit erklärt, berichtet Anna Fastabend. Der Grund: Angst vor Erdogan, denn: "Auch hierzulande hat sich die Situation für deutsch-türkische Medien- und Kulturschaffende verschärft. Die Journalistin Akdeniz erinnert sich an eine TV-Debatte, die sie diesen Sommer im türkischen Fernsehen sah und in der Podiumsteilnehmer im Ausland lebende Türken dazu aufforderten, Regierungskritiker mundtot zu machen. 'Wenn ich mir dann überlege, dass es in Deutschland wahrscheinlich rund 2000 Spitzel gibt, die für die türkische Regierung arbeiten, weiß ich nicht, ob ich hier sicher bin.' In den Sozialen Medien jedenfalls wird sie zunehmend für ihre politische Haltung angefeindet: 'Die anonymen Hassangriffe auf meine Posts bei Facebook und Twitter sind in den vergangenen zwei Jahren exponentiell gestiegen.'"

Nach Christian Lindner (FDP) ist jetzt auch Sigmar Gabriel (SPD) mit russlandfreundlichen Forderungen nach Aufweichung der Sanktionen hervorgetreten. Richard Herzinger in der Welt ist empört: "Es fragt sich somit, was Gabriel bewogen haben mag, mit derart unverhohlener Illoyalität die Positionen seiner eigenen Regierung zu konterkarieren. Kurz vor der Bundestagswahl findet unter deutschen Parteien eine Art Überbietungswettbewerb in Sachen Anbiederung an den Kreml statt."

Außerdem zum Wahlkampf:  Die Angst vor der AfD führt dazu, dass im Wahlkampf über entscheidene politische Fragen nur zögerlich diskutiert wird, meint Jan Feddersen in der taz. In der FAZ begründet Jürgen Kaube in einem satirischen Artikel, warum im Grunde nur eine einzige Partei wählbar ist - die FDP.
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Ideen

Die Feministin Kate Millett ist im Alter von 82 Jahren gestorben. Heide Oestreich würdigt sie in der taz: "Es ging Millett tatsächlich um die Befreiung der weiblichen Klasse: 'Im Patriarchat entwickelte sich der Begriff des Eigentums von seinem einfachen Ursprung, der Frau als bewegliche Habe [. . .]. Die Unterwerfung der Frau unter den Mann ist natürlich weit mehr als ein wirtschaftliches oder politisches Ereignis; sie ist ein totales gesellschaftliches und psychologisches Phänomen', erklärte sie. Auch männliche Sexualität werde als Herrschaftsinstrument eingesetzt, so eine ihrer Thesen, die sie bei D. H. Lawrence, Henry Miller und Norman Mailer zu belegen suchte: eine Kampfansage." Millers Klassiker  "Sexus und Herrschaft", so Oestreich, ist heute nur mehr antiquarisch zu haben.

Estland macht vor, wie die digitale Zukunft aussehen könnte, berichtet Matthias Kolb in der SZ. Lediglich Heirat, Scheidung und Immobilienkauf werden noch außerhalb des Internets geregelt, in der Verwaltung werden so über 800 Jahre Arbeitszeit eingespart, erzählt Kolb: "Manch ein Ausländer lästert zwar gern über 'Laptopia' und unterstellt den Esten zu viel PR-Cyblabla - im Land selbst will niemand die Digitalisierung zurückdrehen, weil alles problemlos läuft. 'In der öffentlichen Verwaltung ist Estland weltweiter Vorreiter', sagt Robert Krimmer, Professor für E-Governance in Tallinn. Er lobt, dass hier 'das digitale Konzept ganzheitlich angewandt' werde. Für föderale Staaten wie Deutschland oder seine Heimat Österreich gelte: 'Man kann davon lernen, aber nicht einfach alles kopieren. Vieles funktioniert, weil das Land so klein ist und sich alle Akteure kennen.'" (Michael Hanfeld sah das gestern in der FAZ alles ganz anders, unser Resümee).
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Überwachung

Der von der Mercator-Stiftung geförderte Professor Sebastian Heilmann lobte neulich in der FAZ am Sonntag die chinesischen Fortschritte in der Digitalisierung. Ein Feature Tomas Rudls im Deutschlandfunk, das presseähnlich im Netz nachzulesen ist, zeigt, wie diese Fortschritte ausgestaltet werden - einige chinesische Städte entwickeln ein "Social Credit"-System, mit dem die Bürger beurteilt werden. Um zu erklären , wie das geht, begleitet Rudl den Forstbeamten Zhang Jian in der Bürgeramt der Stadt Rongcheng: "Jeder Bürger bekommt ein Punkte-Konto. Und auf dieser Grundlage kann der Staat dann bestrafen oder auch belohnen. Zhang Jian vom Forstamt weiß, worauf er im Alltag zu achten hat. 'Wenn ich bei Rot über die Ampel fahre, geht's runter mit dem Kontostand. Wenn man sich in der Öffentlichkeit daneben benimmt, zum Beispiel in eine Schlägerei verwickelt ist, kommt man sofort auf die schwarze Liste. Auch meine Arbeit im Forstamt fließt in das Sozialkredit-System ein.'"
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Medien

Eine neue "wertige" und "konservative" Zeitschrift namens Cato kommt auf den Markt - die Protagonisten stammen aus Kreisen um die AfD, den Verlag Manuscriptum und die Junge Freiheit, schreibt Johan Schloemann in der SZ: "Die Tendenz wird aber auch schnell am Inhalt des ersten Heftes klar: Da liest man eine Kritik moderner Architektur, eine Homestory beim Bombenkrieg-Historiker Jörg Friedrich, Rubriken wie 'Gefährdete Gesten' (erste Folge: 'Der Händedruck') und 'Was ist deutsch?' sowie eine Verteidigung des ebenfalls abgedrifteten Historikers Rolf Peter Sieferle ('Finis Germania') aus der Feder des Chefredakteurs." In der taz berichtet Andreas Speit.
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Kulturpolitik

Im Interview mit Harry Nutt von der Berliner Zeitung spricht Monika Grütters über die Signalwirkung, die das Humboldtforum auch hinsichtlich der Kolonialismusdebatte haben soll und den Umgang mit digitalen Medien: "Das Netz darf aus Bürgern keine reinen User machen. Die Werte, die wir uns in der analogen Welt mühsam erarbeitet haben, müssen auch in der digitalen Welt gelten. In der Politik wird oft versucht, über den Verhandlungsweg einen Interessenausgleich zu schaffen. Im Netz hingegen herrscht die pure Ökonomie der Klicks. Was uns große Sorgen bereitet, ist die Macht der Datenmonopole, die sehr schnell auch zu Deutungs- und dann Meinungsmonopolen werden können. Wir laufen Gefahr, dass die bisherigen Wege der politischen Meinungsbildung ausgehebelt werden zugunsten einer schlichten Macht des Stärkeren."
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Religion

Die Berliner Schulverwaltung wehrt sich bislang immer noch tapfer gegen religiöse Ansinnen von Lehrern und Lehrerinnen an Berliner Schulen. Das Kopftuch soll trotz einiger Prozesse von Lehrerinnen, die das Land verloren hat, weiter nicht an Schulen getragen werden, schreibt Martin Klesmann in der Berliner Zeitung. Aber "Konflikte gab es zuletzt auch wegen christlicher Symbole: Der Leiter einer Weddinger Sekundarschule hatte eine Lehrerin aufgefordert, ihr Kreuz abzulegen. Es verstoße ebenfalls gegen das Neutralitätsgesetz. Die Lehrerin erzählte davon einem Pfarrer, der Fall landete auf der Landessynode der evangelischen Kirche. In der Folge gab es sogar eine Debatte, ob es auch verboten werden müsse, ein christlich anmutendes Fisch-Symbol zu tragen."
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