Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

September 2012

Kein Zauberkunststückchen weit und breit

29.09.2012. Die SZ sieht die Strahlkraft westlicher Werte vom Aufstieg Chinas nicht bedroht. Angesichts des Putinkults fühlt sich die taz in die Zarenzeit zurückversetzt. Welt und FAZ werfen einen Blick auf Neuseeland, das Gastland der Frankfurter Buchmesse. Nadine Gordimer zeigt sich in der NZZ enttäuscht von der Entwicklung Südafrikas. NZZ, taz und FR würdigen Michelangelo Antonioni, der heute vor 100 Jahren geboren wurde. Von Joanne K. Rowlings Erwachsenen-Roman ist man einhellig unterwältigt.

Der Heiland war kein Single

28.09.2012. Im Perlentaucher skizziert Stephan Porombka die Zukunft des Schreibens. Felix Schwenzel nahm an einer Diskussion über "geistiges Eigentum" teil und verließ sie in tiefer Hoffnungslosigkeit. Die Tagesschau-App eines bestimmten Tages wurde gerichtlich verboten - und die FAZ feiert das als "Zeichen der Freiheit". Die NZZ beleuchtet die bewegte Geschichte der Inselgruppe Senkaku beziehungsweise Diaoyu. Die SZ verzweifelt an Berlin. Aber Kai Biermann weist einen Weg aus der Krise.

Alles Unfug: Du bist du!

27.09.2012. Auf der Website von Litflow annonciert Clemens J. Setz den Tod des Todes des Autors. Die Welt ist leicht irritiert: Quietschbunt wie ein Kinderladen ist die Lobbyzentrale von Google in Berlin. In der FAZ freut sich BHL über die Demokratiebewegung in Libyen. Die Zeit veröffentlicht Gefängniskassiber Hans von Dohnanyis. Die taz befreit sich mit Mühe vom Übergewicht Helmut Kohls. Die in diesen Dingen vorsichtige SZ spricht sich gegen aufdringlichen Mut von Mohammed-Karikaturen aus.

Radikaler Rutsch in die Mitte

26.09.2012. In der NZZ freut sich der Amsterdamer Schriftsteller Abdelkader Benali über die Marginalisierung des Geert Wilders. Im Blog der NYRB erinnert sich Charles Kaiser ans große Jahrzehnt des homosexuellen Coming Outs in New York - die siebziger Jahre. Die FAZ erzählt die Geschichte des Kairoer Bloggers Albert Saber, dem Atheismus vorgeworfen wird. GQ interviewt Pussy Riot. Alle gratulieren Karl-Heinz Bohrer zum Achtzigsten. Und Charlie Hebdo bringt erstmals in seiner Geschichte ein verantwortungsvolles Magazin heraus.

Ein herzförmiges Loch

25.09.2012. Die Welt erzählt, wie  Glenn Gould und Elisabeth Schwarzkopf einmal nicht zusammen musizierten. Dafür spielt Lang Lang auf dem Klavier von Gould Bach, und zwar recht schnell. Zu Goulds Achtzigstem. In der FR spricht sich Götz Aly für eine Velegung der Stasiakten ins Bundesarchiv aus. Die NZZ liest eine Studie, die herausgefunden hat, dass Deutschland von Fukushima doppelt so heftig betroffen war wie Großbritannien. Und in der SZ erklärt der ehemalige Verfassungsrichter Dieter Grimm zornigen jungen Männern, was es mit dem öffentlichen Frieden auf sich hat.

Das Land, in dem der Korkenzieher eine Waffe war

24.09.2012. Im Tagesspiegel findet Günter Wallraff den Ausweg aus dem Kampf der Kulturen: Überschwemmt die Zeitungen mit Karikaturen. Die FAZ feiert einen ZDF-Film über die Entführung Jakob von Metzlers. In der Welt hält Ian Wardropper von der Frick Collection die Stadt Berlin für fähig, die Gemäldegalerie zu verlegen. Neil McGregor vom British Museum glaubt das in der FAZ auch. taz und FR staunen über den chinesischen Begriff der Menschenrechte. Bei den angeblich spontanen Protesten gegen ein dummes Video geht es nur um eins, meint Salman Rushdie im CNN-Interview: Macht.

Stockwerk für Stockwerk

22.09.2012. In der Welt erinnert Wolfgang Kraushaar an den Brandanschlag auf ein jüdisches Altenheim in München 1970 und hofft, dass das Schweigen der Täter und Mitwisser demnächst gebrochen werden kann. Die taz hat gelesen und befunden, dass die deutsche Literatur sehr wohl auf der Höhe der Zeit sei. NZZ und FAZ erinnern an den Skandal der Fatwa gegen Salman Rushdie. Die SZ bringt Jürgen Habermas' Rede zum Juristentag, in der er einen Zusammenschluss Europas gegen die Finanzmärkte empfiehlt.

Selbst das schwefligste Gelb wird materiell

21.09.2012. Die FR feiert zwei Ausstellungen: Ron B. Kitaj in Berlin und Narren, Künstler, Heilige in Bonn. In der Welt wundert sich Henryk Broder: Ein neuer Faschismus erhebt sein Haupt, und der Rest der Welt steckt den Kopf in den Sand. Das war schon vor zwanzig Jahren nicht anders, meint Kenan Malik in seinem Blog. Für Tim Wu geht's mit Apple bergab. Michael Wolffsohn bedankt sich im Tagesspiegel für die Beschneidungsdebatte. Zwei deutsche Alpha-Journalisten fetzen sich auf Twitter über #LSR. Und dräuend dröhnt es aus der FAZ, denn Drohnen drohen.

Diese weißrussische Form der Selbstgeißelung

20.09.2012. Völlig fassungslos steht die Welt vor dem neuen Anbau des Stedelijk Museums in Amsterdam. In der FR fordert Tariq Ramadan einen verantwortungsvollen Umgang mit der Meinungsfreiheit. In der Zeit sieht Salman Rushdie das Problem ganz woanders: "Wir leben in einer Gesellschaft, deren Plage die Rückkehr der Religionen ist." Das Blog critic.de fragt: Darf ein Filmemacher wie Til Schweiger, der Millionen aus der Filmförderung erhält, seine Filme an der Presse vorbeischmuggeln?

Alles wird dauernd anders

19.09.2012. In der FAZ sprechen Timothy Snyder und Ian Kershaw über die "Bloodlands". Im Buchreport denkt der Literaturwissenschaftler Stephan Porombka über die Zukunft des Buchs, in Carta denkt Wolfgang Michal über die Vergangenheit des Urheberrechts nach. In der Welt fürchtet Necla Kelek, dass die Salafisten in arabischen Ländern weiter Terrain gewinnen. Die Debatte über ein Aufführungsverbot für das Video "Die Unschuld der Muslime" geht weiter. Und der Grünen-Politiker Omid Nouripour fragt in der FR, warum sich die arabischen Zivilgesellschaften nicht wehren. Außerdem liest Tilda Swinton "Moby Dick".

Steine siegen

18.09.2012. Nach Angela Merkels Plädoyer gegen eine Aufführung des Videos "Die Unschuld der Muslime" wird in deutschen Medien über Meinungsfreiheit diskutiert. Die FAZ fordert mehr Rücksichtnahme auf den Islam und lobt die traditionellen Medien für ihre Flexibilität. Die Welt ist gegen ein Aufführungsverbot. Auch Ayaan Hirsi Ali fordert, dass der Westen zu seinen Werten steht. Die SZ beharrt darauf: Der Protest gegen die Beleidung des Propheten hat rein soziale Ursachen!

Irgendwo irgendwas, und zwar jeden Tag

17.09.2012. In der NZZ erklärt der Theologe Friedrich Wilhelm Graf, warum Blasphemie-Gesetze keinen Sinn haben. Wer sagt, dass man den Muslimen keinen Spott über ihre Religion zumuten darf, ist ein subtiler Rassist, meint Henryk Broder in der Welt. Während dessen meldet der Telegraph, dass eine iranische Stiftung die Morddrohung gegen Salman Rushdie erneuert. Viele Blogs setzen sich heute mit der Zukunft des Journalismus auseinander.

Wer die Freiheit bringt

15.09.2012. In der NZZ hilft Georg Klein, der kleinen Zeit zu entkommen. Die SZ singt eine Ode an das Urheberrecht, die einzige Möglichkeit, superreich zu werden und cool zu bleiben. Die taz lernt: Der Weg zur wahren Kunst-Hipness führt über das Kottbusser Tor. Die FR dokumentiert Judith Butlers Adornopreis-Rede. Und die FAZ fragt, ob Kafka heute ein twitternder Nerd wäre.

Fragen zum Beispiel. Utopien. Oder Werte

14.09.2012. Deutsche Theater treten laut SZ aufs Bremspedal. Schuld sind unsere hektische Lebensweise sowie der Kapitalismus. Auch die FAZ fühlt sich schon mal den Puls - mit dem Smartphone. Der interkulturelle Dialog zwischen extremistischen Christen und entfesselten Muslimen löst in der deutschen Journalistenschaft unterdes Debatten über die Schuldfrage aus. All diese grandiosen Leistungen wären selbstverständlich ein Leistungsschutzrecht wert, das von den Piraten aber bekämpft wird.

Brüssel muss aus Übersee exportiert werden

13.09.2012. In der Zeit fragt Wolfgang Kraushaar: War am 2. Juni 1967 in Berlin ein Attentat auf den Schah von Persien geplant? Die Welt kann es nicht fassen: Rainald Goetz steht nicht auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises. In der NZZ erklärt Bahman Nirumand, was hinter dem Studierverbot für Frauen im Iran steckt. Auf der Grosso-Tagung forderte Richard David Precht eine Stärkung von Print gegen die "Pöbelkultur" im Internet. In der FAZ schildert der Pirat Bruno Kramm die byzantinischen Ungerechtigkeiten des Systems Gema. In der FR spricht Teju Cole über seinen Roman "Open City".

Wir verorten uns anti-patriarchal und leben vegan

12.09.2012. In Berlin soll ein Drei-Religionen-Haus entstehen. Es soll 44 Meter hoch sein. Die Welt hofft, dass die Religionen darin einen Gegenentwurf zur "weitgehend laisierten Stadt" liefern. In der FAZ empfiehlt der Historiker Andreas Wirsching, dass Deutschland den Euro rettet, und zeigt schon mal die "notwendigen politischen Instrumente", auch George Soros wird zitiert, der sich mit ihm einig ist. In der FR sieht es Richard Sennett genauso. Die SZ ersehnt sich nach einem Sommer der Hektik eine langsame Erschließung von Kunst.

Inhalte von fremden Verlagsangeboten

11.09.2012. Der New Yorker bringt einen Vorabdruck aus Salman Rushdies Erinnerungen an die Zeit der Fatwa und des Lebens im Versteck. Im Tagesspiegel macht sich der palästinensisch-israelische Psychologe Ahmad Mansour Sorgen um Antisemitismus in der muslimischen Community. In der FAZ hat Oskar Lafontaine herausgefunden, warum sich linke Ideen nicht durchsetzen: Es liegt an der Sprache. Die SZ bleibt skeptisch nach Robert Menasses Plädoyer für eine Überwindung der europäischen Nationalstaaterei.

Spiegelbild der Nutzersuchen

10.09.2012. Sollte man Google verklagen, weil seine Autovervollständigung bei Suchanfragen die Entstehung von Gerüchten verstärkt? Darüber streiten sich Netz und Medien nach juristischer Intervention von Bettina Wulff. Google will jedenfalls keine Unterlassungserklärung unterschreiben, berichtet die SZ. Die Kritiker sind mit den Preisen von Venedig soweit ganz zufrieden und staunen noch mal über die religiöse Tendenz des Festivals. Hans-Magnus Enzensberger schießt in einer Anzeigenbeilage in der FAZ sehr scharf gegen die EU. Und die FAZ erklärt, warum die Niederländer morgen trotz Eurokrise nicht die Populisten wählen werden.

Lebende Ameisen aus Jütland

08.09.2012. In der NZZ ruft V.S. Naipaul die Schriftsteller auf, neue Formen des Schreibens auszuprobieren. Die taz macht sich Sorgen um den syrischen Filmemacher Orwa Nyrabia, der spurlos verschwunden ist. Die Literarische Welt feiert eine monumentale Briefedition Max Hermann-Neißes, die die Zeit des Londoner Exils zur Gegenwart werden lasse. In seinem Blog erklärt Wolfram Siebeck, warum er bei allzu radikaler Regionalküche ein Kribbeln im Magen bekommt. Und die künftige Zwangsgebührenzahlerin Clara aus der zehnten Klasse fordert mehr Originalität von ARD und ZDF.

Akademische Verpackungskünstler

07.09.2012. Der Adorno-Preis für Judith Butler sorgt nach wie vor für Debatten: In der Welt fragt Henryk Broder, was Butler eigentlich meint, wenn sie behauptet, sie sei denunziert worden. Auch Stephan J. Kramer vom Zentralrat der Juden antwortet in der FR auf ihre Vorwürfe. Detlev Claussen nennt in seinem Blog schon mal die nächsten Kandidaten für den Preis: Zizek, Agamben, Sloterdijk. Springer-Lobbyist Christoph Keese bietet Google in seinem Blog ein Gespräch über Leistungsschutzrechte an. Aber Google scheint nicht zu antworten. Die SZ rät der Documenta, mal wieder was mit Maßstäben zu machen.

Zerbeult, zerkratzt und zerdellt

06.09.2012. Auf der Website von Bayern 2 wendet sich Platon gegen neue Medientechnologien, die das Hirn schädigen könnten. Manfred Spitzer kann ihm in der Zeit nur zustimmen. Kenan Malik greift in seinem Blog die deutsche Debatte um Judith Butler auf und findet Butler und ihre Kritiker gleichermaßen problematisch. Die Gema kündigt laut Berliner Zeitung an, die Internetdiskussionen über ihr segensreiches Wirken mithilfe einer Armee verdingter Kommentatoren sachlich steuern zu wollen. In der NZZ und SZ träumen Adriaan van Dis und Robert Menasse von der Überwindung des Nationalstaats. Die FAZ lauscht den fernen Echos des Urknalls der Fotografie.

Das Über-Ich hatte damals eine gute Zeit

05.09.2012. In der FAZ läutet Jochen Schimmang die Saison mit Kritik am Literaturbetrieb ein. Die taz stellt sich zwar nicht an die Seite der Kritiker von Judith Butler, aber so ganz geheuer ist sie ihr auch nicht. Der New Yorker bringt einen Vorabdruck aus D.T. Max' Biografie über David Foster Wallace.  In der FR sprechen die Pet Shop Boys über das Altern in der neuesten Musik. Die Welt denkt anlässlich des hundertsten Geburtstags von John Cage über den Erkenntnisabstand des Zuschauers nach. Die NZZ feiert den ultraorthodoxen Heiratsmarkt in Venedig.

Hektische Mediensphäre

04.09.2012. In der FR rät Götz Aly zur Wiederherstellung des Landfriedens. Ein Adorno-Preis für Judith Butler? Theoretisch liegen die beiden ja gar nicht so weit auseinander, meint Richard Herzinger in seinem Blog. Eine Gruppe prominenter Akademiker verteidigt Butler in einer Petition. In der FAZ behandelt Ex-Bankier Otmar Issing Jürgen Habermas und Martin Walser als Euroblütenträumer. Und ein Baby, das aufwacht, durchleidet hundert Emotionen pro Minute.

Moralisches Unterfutter

03.09.2012. Die Welt begibt sich mit und gegen Judith Butler auf die Suche nach multiplen Identitäten in Israel. Der sueddeutsche.de-Chefredakteur Stefan Plöchinger erzählt in seinem Blog, wie deutsche Zeitungswebsites, wenn sie nicht gerade nach Leistungsschutzrechten jammern, ihre Google-Statistik frisieren. Bei den Berichten aus Venedig fällt auf, dass Terrence Malick nun gar nicht mehr angesagt ist. Statt dessen wird Paul Thomas Anderson gefeiert, dessen Film über Ron Hubbard zwar nicht Scientology-kritisch, dafür aber ein Meisterwerk sei.

Flächendeckende Gesinnungsschnüffelei

01.09.2012. Wird das Leistungsschutzrecht von seinen eigenen Verfassern sabotiert?, fragt sich Sascha Lobo. In der taz bekräftigen Horst Meier und Claus Leggewie die Forderung nach der Auflösung des Verfassungsschutzes. Judith Butler wehrt sich in der FR gegen den Vorwurf des Antisemitismus. In der SZ beurteilt Drehbuch-Guru Robert McKee die narrativen Qualitäten des US-Wahlkampfes. Die NZZ sieht im Internet eine nachkapitalistischen Wissensordnung am Werk. FAZ und NZZ porträtieren John Cage zum bevorstehenden 100. Geburtstag.