Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

Dezember 2010

All diese Liebesworte im Vietnamesischen

31.12.2010. Die NZZ denkt über Freiheit nach: Vorsicht, anstrengend, warnt Rüdiger Safranski. Wo ist die Freiheit auffindbar?, fragt Peter Nadas. Die taz erscheint heute als Erzähl-taz mit Geschichten von 20 SchriftstellerInnen. In der Welt plaudert Christian Thielemann über seine bevorzugten Drogen. Die FAZ erzählt, warum Renzo Piano das Pariser Kino Le Gaumont-Gobelins Rodin in einen Insektenpanzer verwandelt. In der SZ erzählt der Comic-Künstler Stephane Heuet, wie man seinen Proust vom Sockel holt. Wir wünschen allen Lesern einen guten Rutsch und viele Liebesworte im neuen Jahr!

Am Abgrund nervenstark

30.12.2010. In der FR empfiehlt Timothy Garton Ash etwas weniger Hysterie und Dogmatismus und etwas mehr Pragmatismus in der Integrationsdebatte. Die FAZ guckt zum 150. Geburtstag auf Italien und findet: immer noch die fidelste Suite im europäischen Haus. Die taz lernt einiges über Onlinebanking beim Kongress des Chaos Computer Clubs.

Glück in Zahlen

29.12.2010. In der FR erklärt die Sopranistin Simone Kermes, von wem Händel geklaut hat. In der taz beklagt Paul Lendvai das Fehlen einer echten Opposition in Ungarn. In der Welt erklärt Avishai Milstein, warum das israelische Theater so lebendig ist: Es gibt kaum staatliche Subventionen. Die NZZ fürchtet, dass Leser digitaler Bücher einem Fundstellen-Fetischismus frönen. Die FAZ durchschaut den Angriff der Pandas auf das Empire State Building.

Machodiskurs

28.12.2010. In der Welt erklärt Frederick Wiseman, warum man beim Filmen besser nicht über die Wahrheit nachdenkt. Die FR entdeckt bei der Lektüre der Magna Carta den Rousseauisten in sich. Sind wir im Pop schon in der postrassistischen Gesellschaft angekommen, fragt die taz. Die FAZ liest im Internet, wie Al Qaida potentiellen Selbstmordattentätern etwas mehr Selbstbeherrschung nahe legt.

Wir brauchen totale Sanktionen

27.12.2010. In der taz lässt sich Gabriele Goettle erzählen, wie man als 67-Jährige mit 287 Euro Rente und vier Putzjobs über die Runden kommt. Junge libanesische Literatur interessiert sich nicht mehr für Politik, berichtet die NZZ. Mit Bhutan geht's aufwärts, meldet die Architektin Ingeborg Flagge in der FR: Jetzt haben auch buddhistische Mönche ein Handy. In der SZ fordert die weißrussische Kulturszene von der EU totale Sanktionen gegen die Regierung Lukaschenko. In der FAZ erklärt Daniel Bayaz, warum die "Mehmet-Scholl-Türken" nicht über Integration debattieren wollen.

Asche und Schnee

24.12.2010. Im Guardian schimpft Orhan Pamuk auf Europa, das die Türken nicht integrieren will. In der FAZ diagnostiziert Thilo Sarrazin überbordenden Opportunismus und kriecherische Feigheit in Politik und Medien. Die NZZ auch. Der Freitag gibt Sarrazin rechter als ihm recht sein. Die SZ stellt die Frage "Wie leer wäre die Welt doch ohne Hausmusik?" Die FR erzählt das Leben eines gewissen Jesus von Nazareth. Angesichts derart guter Nachrichten wünscht der Perlentaucher seinen Lesern und Leserinnen ein schönes Wochenende!

Riesiger weißer Eber

23.12.2010. In der Welt äußert sich der deutsch-iranische Filmemacher Ali Samadi Ahadi entsetzt über die Verurteilung seines Kollegen Jafar Panahi. Die FR fragt, ob Filmfestivals zu intensiv mit dem iranischen Regime zusammenarbeiten.  Die NZZ empfiehlt Japan-Reisenden Schutzmaßnahmen gegen Waldgötter. In der FAZ rumort es noch mal sehr heftig gegen das Buch "Das Amt". 

Medea kann das!

22.12.2010. Der iranische Regisseur Jafar Panahi wurde zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt. La regle du jeu und die Welt erzählen, warum das Regime ihn hasst. Der Tagesspiegel bringt ein Gespräch mit Bei Ling, dem Freund und Biografen Liu Xiaobos. Die SZ besucht Julian Assange auf Ellingham Hall. Er klagt über Schweden und den Feminismus. Die Zeit war dabei, als Sophie Rois in einem Restaurant die Weingläser zum Klirren brachte. In der FR feiert Jan Wagner den italienischen Lyriker Mario Luzi.

Die Kinder harrten mit Verlangen

21.12.2010. Spiegel Online berichtet über einen Plan der britischen Regierung zu rigoroser Internetzensur. In der Welt artikuliert  Riccardo Chailly seinen ganzen Frust über Sänger. Die SZ verteidigt das Regietheater gegen heute Abend zu erwartende Buhrufe in der Münchner Oper. Die FR sieht Gespenster des Bürgerkriegs in Italien.

I love Juice

20.12.2010. Der Comedian Ricky Gervais erklärt in einem Blogbeitrag für das Wall Street Journal, warum er nicht erklärt, warum er nicht an Gott glaubt. Kenan Malik erinnert in seinem Blog an eine sehr internetfreundliche und zensurfeindliche Rede der jetzigen Wikileaks-Jägerin Hillary Clinton von Anfang des Jahres. In der SZ  wundert sich der Berthold-Beitz-Biograf Joachim Käppner über Kritik an dem Buch "Das Amt": "Natürlich war das Auswärtige Amt 1933 bis 1945 eine verbrecherische Organisation."

Der Westen erzittert vor Ekel

18.12.2010. In der taz fragt Tom Tykwer, warum zum Teufel man im Film eigentlich nicht denken dürfen soll. In der Berliner Zeitung meint Sophie Rois: Können wir langsam mal über die Liebesheirat wegkommen? Die Presse überlegt, warum der Begriff "Islamophobie" so geliebt wird. In der Welt beschreibt Viktor Jerofejew den Bürgerkrieg zwischen Nationalisten und Liberalen in Russland. In der SZ feiert Evgeni Morozov DDoS-Attacken als neue Form digitalen Widerstands. Die FAZ berichtet über die Exhumierung von Mordopfer des Spanischen Bürgerkriegs.

Da erschrak er, da erschrak ich

17.12.2010. Alan Posener wendet sich in starke-meinungen.de gegen Pascal Bruckners Perlentaucher-Artikel über die "Erfindung der Islamophobie". Vera Lengsfeld erinnert in der Achse des Guten an Jürgen Fuchs. Die FR erklärt am Beispiel Italiens, was Selbstentmächtigung der Politik ist. Die SZ versucht ihren Lesern zu erklären, was Leistungsschutzrechte sind.

Attacke einer verlorenen Kohorte

16.12.2010. In der FR verteidigt Micha Brumlik den Begriff der Islamophobie und macht gleich mehrere Treitschkes der Jetztzeit ausfindig. Die Welt kritisiert die Schüchternheit der FDP bei der Verteidigung säkularer Werte. Die SZ findet nun auch, dass Wikileaks für einen Paradigmenwechsel im Verhältnis des Staates zu seiner Öffentlichkeit stehe. Ähnlich sieht es Julian Nida-Rümelin in der Zeit. Aber nicht Bernd Ulrich in der Zeit. Der Perlentaucher fragt: Leistungsschutzrechte? Wofür denn?? Alle Zeitungen besprechen höchst beeindruckt Xavier Beauvois' Film "Von Menschen und Göttern".

Kreuzung von Dagobert Duck und Kim Il Sung

15.12.2010. CNN erklärt, warum die Cyberkrieger von Anonymous gegen den Weihnachtsmann keine Chance haben. In den Digitalen Notizen wendet sich der Medienwissenschaftler Stefan Münker gegen die Vermutung, früher sei für Inhalt bezahlt worden. In der FAZ erklärt Frank Rieger vom Chaos Computer Club, warum er das Prinzip Wikileaks für segensreich hält. Die taz wirbt für die Sharjah Art Foundation. Für die SZ ist Xavier Beauvois' Film "Von Menschen und Göttern" ein Wunder. Die NZZ fühlt mit Norwegens totem König Olav.

Der Elefant im Raum, Berliner Version

14.12.2010. Die NZZ ist entgeistert über die Stillhaltepolitik deutscher Politiker und Medien im Fall der beiden im Iran inhaftierten Journalisten Marcus Hellwig und Jens Koch. Die Blogs erklären einen Tag nach der Gründung des "Igels" gegen das Leistungsschutzrecht, was es mit diesem Spezialpolster für Verleger auf sich hat. Die SZ erklärt die Grundlagen des Cyberkriegs. Die FR beleuchtet die keineswegs vorteilhafte Rolle Pius' XII. und Ernst von Weizsäckers bei der Rettung der Juden von Rom.

Dogan K.! Wie Josef K.

13.12.2010. Im Journal du dimanche erzählt Bernard-Henri Levy, wie er die neuesten Wirren im Fall Sakineh Ashtiani erlebte. Die Diskussion um Wikileaks geht weiter: Auch in den Medien häufen sich die Stimmen für die Enthüllungen. Nachdem Frits Bolkesteins den Juden der Niederlande empfohlen hat zu emigrieren, bringt Trouw eine Reportage über die jüdische Gemeinde im Land. Im Perlentaucher kritisiert Pascal Bruckner die "Erfindung der Islamophobie". In der SZ erzählt Dogan Akhanli, wie er seine Inhaftierung in der Türkei erlebte.  Die FAZ diagnostiziert eine Verschwörung zwischen Rechtspopulisten aus Israel und Europa. Inszenierung des Wochenendes: ganz klar Volker Löschs Wedekind-Montage nach "Lulu" mit original Berliner Prostituierten. Und ein Igel ist geboren: gegen das Leistungsschutzrecht

Die Aus-Funktion wird mitgedacht

11.12.2010. Wikileaks treibt die Zeitungen immer noch stark um. Leiden Journalisten an dem Umstand, dass nicht sie die Dokumente lancierten? Sie sind erstaunlich schlechte Verlierer, schreibt Hans-Martin Tillack in seinem Stern-Blog. Wikileaks ist totales Denunziantentum, meint James Carinsson in der Welt. Im digitalen Zeitalter lassen sich Daten nicht mehr schützen, informiert Tim Renner mit der Erfahrung der Musikindustrie in Carta. Hans Leyendecker stellt sich in der SZ die bange Frage, ob er Teil des Systems sei. Taz und Tagesspiegel staunen über die Linke auf dem Kunstmarkt.

Jene Ehemaligen

10.12.2010. In der NZZ verteidigt der der kolumbianische Autor Hector Abad seinen Kollegen Mario Vargas Llosa gegen europäische Lateinamerikaromantiker. In der Welt plädiert Gerhard Schulze gegen totale Transparenz im Internet, auf das er übrigens gern verzichtet hätte. Das Feuilleton der Welt feiert die Freilassung  Dogan Akhanli, die sich möglicherweise der Angst vor einer Aktion Günter Wallraffs verdankt. In der FR erklärt der Sinologe  Heiner Roetz, warum der Konfuzianismus nicht im Widerspruch zu Menschenrechten steht. SZ und FAZ bringen großformatige Verteidigungen des Buchs "Das Amt".

Der gestisch verteilte Farbstoff

09.12.2010. Im Freitag kritisiert der Wikileaks-Dissident Daniel Domscheit-Berg die jüngste Veröffentlichungspolitik seines jüngsten Arbeitgebers. In der Zeit stellt er klar, dass ihm zwar Transparenz in der Organisation, aber mehr noch überall sonst fehlt. Würde ein Medium spo angegriffen wie Wikileaks, dann würden die Medien aber laut schreien, meint Neunetz. Mario Vargas-Llosas Nobelpreisrede spaltet die Feuilletons: Der SZ ist sie zu phrasenhaft und nicht links genug. Die FAZ lobt ihre politische Weitsicht. In der Zeit outet die des Zickenkriegs bezichtigte Alice Schwarzer die wahren Meister des Genres. In der taz lässt Ai Weiwei kein gutes Haar an Liu Xiaobo.

Am wahrsten ist seine Mutter

08.12.2010. Der Tagesspiegel wundert sich: Ausgerechnet die UN-Menschenrechtskommissarin Navi Pillay bleibt der Nobelpreiszeremonie für Liu Xiaobo fern. Der Guardian zählt außerdem alle Länder auf, die aus Angst vor China niemanden nach Oslo schicken. Es gab Zeiten und Gegenden, wo die aggressive Genvariante von Vorteil gewesen sein mag, schreibt der Biologe Gottfried Schatz in der NZZ. Die FR stellt (wie fast alle Zeitungen) die diesjährige Turner-Preisträgerin Susan Philipsz vor. Die FAZ sagt: danke, Julian Assange.

Allerhand rätselhafte Zuckungen.

07.12.2010. Clay Shirky stürzt sich in den Zwiespalt von Transparenz und Geheimnis. In der FR vergleichen Geert Lovink und Patrice Riemens Hacker und Agenten.  Die vier Kritiker der Berliner Zeitung sind sich uneins über Thielemanns Beethoven-Zyklus. Der eine in der FAZ auch. Aber dann der langsame Satz! Netzpolitik ist entsetzt über Rot und Grün in NRW. Die taz erscheint heute mit Migrationshintergrund. Die Welt schwärmt von den "Trojanern" an der Deutschen Oper Berlin und vor allem vom Zottelschotten Runnicles. In der SZ wehrt sich der Historiker Gregor Schöllgen gegen den Vorwurf, erst durch den Band "Das Amt" sei die deutsche Außenpolitik der Nazizeit angemessen ausgeleuchtet worden.

Selbstgerechte Lust am Ersterben

06.12.2010. In der taz fürchtet der britische Diplomat Hugh Mortimer, dass die jüngsten Wikileaks der Transparenz eher schaden als nützen. Im Perlentaucher problematisiert Matthias Küntzel die weiche Linie der Regierung und des Bundestags gegenüber dem Iran - besonders im Fall der Journalisten Marcus Hellwig und Jens Koch. Die NZZ ist verstört: Die Brücke-Künstler haben Kinderakte gemalt. Und das Sprengel-Museum stellt sie aus. Die SZ macht sich Sorgen um die künftige Architektur der letzten Baulücken in Berlin: Ist und bleibt die Stadt eine begehbare Grabplatte?

Humanistische Gehölzwahrnehmungstechnologie

04.12.2010. In der FR erzählt der chinesische Verleger Bao Pu von seiner Zusammenarbeit mit Whistleblowern. In der Welt attackiert Theodore Dalrymple die "Lumpenintelligentsia" Großbritanniens. Die NZZ bewundert die spezifischen Schönheiten der von Kees van Dongen porträtierten Damen. In der SZ lehnt Peter Glaser den Internet-Kulturpessimismus von Frank Schirrmacher bis Klaus Staeck rundweg ab. Spiegel-Online berichtet über Versuche, Wikileaks aus dem Netz zu kicken.

Radikale Veröffentlichung des Herrschaftswissens

03.12.2010. In der Jungle World erzählt der dänische Autor Frederik Stjernfelt, wie die Linke einer an sich reaktionären Ideologie - dem Kulturalismus - aufsaß. Die SZ analysiert den Cypherpunk Julian Assange. Carta erzählt, was Wikileaks mit den Medien macht (vor allem mit denen, die nicht zu seinen Auserwählten zählen). In der NZZ schreibt Slavenka Drakulic über Zensur an Angelina Jolie, die in Bosnien einen Film drehen wollte. In der FAZ spricht Daniel Cohn-Bendit über Freundschaft, Zerwürfnis und Wiederbegegnung mit Jean-Luc Godard und schweigt auch nicht über das Thema Antisemitismus.

Ästhetik der Außenseiter

02.12.2010. Die FR hört den tollsten neuen Pop: Witch House. Die Welt hält am Totalitarismus-Begriff fest. Die taz porträtiert Jean-Luc Godard als sehr lose Kanone. Im Freitag joggt Jochen Schmidt mit Proust im Ohr. In der Zeit erklärt Tariq Ramadan, wie man emanzipiert ist, ohne unislamisch zu werden. Die SZ beschreibt den türkischen Justizskandal um den inhaftierten Schriftsteller Dogan Akhanli.

Absatz 1 gilt nicht für Nachrichtensendungen

01.12.2010. Die deutschen Blogs sind höchst erregt wegen des, äh, Jugendmedienschutzstaatsvertrags, der die Medien im Netz künftig arg bürokratisieren soll. Erste Blogs schließen. Eine originelle Theorie zu den jüngsten Wikileaks hat laut Gawker Ahmadinedschad: Das ist eine amerikanische Verschwörung! Auch der Daily Star im Libanon ist schockiert: Die Scheichs haben sich bis unter die Zähne bewaffnen lassen und fühlen sich doch so hilflos und verletzlich gegenüber dem Iran! die FAZ fragt, ob der Staat an Vertuschungen im Fall Buback beteiligt war.