Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

April 2008

Sie ist wie der Tristan-Akkord

30.04.2008. Wolfgang Wagner tritt ab. FR und SZ raspeln schon mal Süßholz beim designierten Halbschwesterntandem. In der Zeit nimmt Alfred Brendel tränenlos Abschied vom Konzertleben. Die FAZ hätte die Literatur gern ein bisschen wilder. Die taz findet: Undogmatisches Kino ist bieder.

Der Balkan ist mondän

29.04.2008. In der FR meint der Soziologe Peter Wagner: Die Italiener haben eine korrupte Regierung gewählt, weil sie selbst korrupt sind. Die Blogs antworten auf den Offenen Brief der Musikindustrie. Im Perlentaucher fragt Andre Glucksmann: Warum hat die Linke den Geist von 1968 verraten? Christoph Schlingensiefs Inszenierung von Werner Braunfels' Jeanne-d'Arc-Oper hat die Kritik fasziniert. SZ liegt im Balkanfieber.

Hameister und ich im Bett

28.04.2008. Gabriele Goettle befragt in der taz Dorothea Ridder zum Leben mit den Machos von der Kommune 1. Die Welt ist zufrieden mit der Vertragsverlängerung für Simon Rattle. Netzpolitik.org kommentiert die braven Reaktionen der Politik auf den Offenen Brief der Musikindustrie und fragt sich, was Angela Merkel mit dem "Herunterladen von Computern" meint. In der SZ beschreibt der Nahostexperte Bernard Haykel Osama bin Ladens poetische soft power.

Mit Gewichten beschwert

26.04.2008. Wurde die vor einigen Wochen in Berlin tot aufgefundene russische Künstlerin Anna Mikalchuk doch ermordet, fragt der Berliner Kurier. Die deutsche Nationalkultur ist gut und schön, meint Mely Kiyak in der Welt, die Migranten sind in ihr aber leider unsichtbar. In der NZZ unterhalten sich Ulrich Peltzer und Michael Kümpfmüller über politische Literatur und all das Buchmessengeschwurbel der Feuilletons. SZ und FAZ verbeugen sich vor Preisträgern, erstere vor Anne-Sophie Mutter, letztere vor Alexander Kluge.

18-mal das hohe C

25.04.2008. In Großanzeigen in den Zeitungen wirft die kulturindustrielle Fraktion ihre liberalen Prinzipien über Bord. Schließlich geht es um ihr geistiges Eigentum. Die Blogs antworten schon: "Hören Sie endlich auf, sich in Ihrer beknackten Opferrolle heimisch zu fühlen." Die taz feiert Alexander Kluge, der zusammen mit Kollegen Karl Marx' "Kapital" verfilmen will. Die NZZ gratuliert Google zum Zehnten und findet es ganz schön unheimlich. Die Welt plädiert für den Komponisten Walter Braunfels, der in Berlin wiederentdeckt wird. Außerdem tötet sie Löwen, zu Recht.

Die Lüge, das Gift, das Schiefe

24.04.2008. In der FR weist Hans-Christoph Buch auf die Verbrechen des ruandischen Präsidenten Paul Kagame hin, der heute von Bundespräsident Horst Köhler empfangen wird. "Wir waren verrückt", schreibt Paul Auster zu 1968 in der New York Times. Die Welt erinnert an den Skandalkünstler Michelangelo, der für seine Malerei Leichen sezierte. In der NZZ meint Robert Schindel: Der Antisemitismus war in 68 inkludiert, ist den 68ern aber nicht aufgefallen. In der Zeit kommt Dominik Graf ein schrecklicher Verdacht über den deutschen Film.

Morgens um 11 ein Straub-Film

23.04.2008. Spiegel Online glaubt anders als Kulturstaatsminister Bernd Neumann an die Lesekompetenz der heutigen Jugend. In der taz erklärt die Elitenforscherin Julia Friedrichs: Hoch kommt in Deutschland nur, wer schon oben anfängt. Im Tagesspiegel fragen Christian Petzold und Robert Thalheim: Warum gehen die Deutschen nicht mehr ins Kunstkino? Die Welt berichtet über die Shakespeare-Krawalle in New York (20 Tote). Die FAZ findet einen Befürworter für Gregor Schneiders Projekt des öffentlichen Sterbens: den Jesuitenpater Friedhelm Mennekes.

In der Anlage demokratisch

22.04.2008. Die Welt investiert Energie in das Sparhaus und stellt fest: Es spart gar nicht. Die taz würdigt die Theaterkritik 2.0 in Gestalt der Nachtkritik. Die NZZ findet: Das Theater von Zittau überstrahlt die sächsische Provinz. Die SZ feiert den Bürgerjournalismus (zumindest den amerikanischen). Die Berliner Zeitung beobachtet den Propagandakrieg um Tibet im Internet. Die FAZ fragt: Warum sind die Franzosen bei Lovis Corinth so scheu?

Sterben live, die Auflösung der Kunst

21.04.2008. Jetzt, wo Eva & Katharina durch sind, könnte Wolfgang Wagner doch wirklich abtreten, drängt die SZ. In der NZZ meint Amitav Ghosh: Harvard ist ja okay, aber versuch' mal, in Delhi angenommen zu werden. In der Welt erklärt Benjamin Barber: Zuviel Kapitalismus verdirbt die Demokratie. Ebenfalls in der Welt erklärt Gregor Schneider, wie er sterben will, "in einem von mir ausgewählten Raum, in einem privaten Bereich des Museums". Erstmal will er aber jemand anders öffentlich sterben lassen und wird dabei ohne die Approbation der FAZ auskommen müssen. Die FR geht mit Dietmar Dath in den Widerstand.

Die 30-jährigen Blonden

19.04.2008. In der NZZ erinnern Richard Wagner und Wlodzimierz Borodziej an 1968 in Rumänien und Polen. In der Welt kritisiert Amos Oz das Israelbild deutscher Medien. In der FR zieht Jürgen Boos von der Frankfurter Buchmesse eine Grenze für den Gastauftritt Chinas im nächsten Jahr. Die SZ zieht beim Tod als Live-Erfahrung eine Grenze in der Kunst. Für die taz spiegelt sich im neuen Feminismus der Egoismus der Mittelschicht. Die FAZ erklärt, warum es für Kulturstaatsminister Neumann gut ist, dass Katharina und Eva Wagner künftig Bayreuth leiten werden.

Im Koma befindliche Kulturszene

18.04.2008. Die NZZ erzählt, wie die amerikanische Presse sich aus dem Klammergriff des Internets befreien will. Dummyblog, weiß jetzt schon, wer den Nannen-Preis für Fotografie gewinnt: der Stifter. Die Welt feiert die Tierbilder Jean-Baptiste Oudrys. In der FAZ sagt Cecile Wajsbrot eine neue Französische Revolution an. Die taz interviewt die italienische Satirikerin Sabina Guzzanti zu Berlusconi III.

Wie ein fünfzehnarmiger Dirigent

17.04.2008. Die NZZ schildert, wie Berlusconi die Wahlen gewann, indem er das Fernsehen vermied. Der Freitag dokumentiert einen Aufruf von Memorial zur Gründung eines internationalen Forums für Vergangenheitsbewältigung. In der FR erklärt Harold Bloom, warum in Amerika nicht einmal die Katholiken katholisch sind. Die FAZ trauert um das Stefan-George-Weihe-Organ Castrum Peregrini, die SZ um die Kommunisten in Italien. Gawker kürt das Photoshop-Desaster des Monats.

England gehört jetzt mir, Baby!

16.04.2008. In der Berliner Zeitung erklärt der Countertenor Philippe Jaroussky, warum er sich beim Anblick einer Bach-Partitur völlig kastriert fühlt. In der Welt beobachtet Benjamin von Stuckrad-Barre Claus Peymann und Roger Willemsen beim radikal kleingeschriebenen Denken. Die NZZ besucht die Frauensektionen in saudiarabischen Literaturvereinen. Die FR träumt vom Skelett einer Prostituierten. In der taz findet Hanif Kureishi Deutschland nicht dunkel genug. Die SZ sieht in Charlotte Roches Roman "Feuchtgebiete" einen Protest gegen die Heidi-Klum-Welt.

Laut vernehmlich eingeschlafen

15.04.2008. In der SZ gibt Antje Vollmer die Antwort auf die Tibetfrage. In der taz kommentiert Marco Travaglio Berlusconis dritten Sieg: Er hat den Italienern mit seinem Fernsehen das Gehirn gewaschen. Der Tagesspiegel antwortet auf die Frage, ob es einen neuen Feminismus gibt mit Ja und Nein. Die Blogs streiten über ein Video von Robin Meyer-Lucht, der der Tagesschau vorwirft, in eigener Sache manipulativ berichtet zu haben. In der Welt erinnert Heinrich August Winkler an Richard Löwenthal. Die NZZ meint: Mit der Berliner Volksbühne geht's bergab. Die FAZ feiert Louise Bourgeois.

Schauen, wo wir mitmachen

14.04.2008. Die NZZ sieht die Basler Architekten Herzog & de Meuron mit ihrem Olympiastadion zu Handlangern des chinesischen Regimes werden. In der taz warnt Verfassungsrichter Wolfgang Hoffmann-Riem vor Gefahren für die Pressefreiheit, die weniger vom Staat als aus der Wirtschaft kommen. In der FR erklärt der ukrainische Germanist Jurko Prochasko, warum die Ukraine in die EU gehört. In der SZ sieht Charles Simic schwarz für Serbien. In der FAZ und der Welt bayreuthet es sehr.

Hinten im Emmental

12.04.2008. In der Berliner Zeitung attestiert Tilman Spengler der chinesischen Regierung wilhelminische Züge. Für eine stabilere Weltwirtschaft empfiehlt die NZZ die globale Installierung kleiner Westentaschen-Napoleons nach schweizerischem Vorbild. In der Welt berichtet Raji Abdullah über die missliche Lage der Künstler in Bagdad. Benjam Barber verdammt den Konsumismus in der taz. Und die FAZ besucht Deutschlands Alphablogger und findet zu ihrer Erleichterung keine Konkurrenten vor.

Systemkritik? Mann, geh Adorno lesen

11.04.2008. Die Welt ist bestürzt über Charlotte Roches "Feuchtgebiete": eine kalkulierte Provokation! Ein Kommando Tita von Hardenberg hat die TV-Sendung Polylux mit einem Fake aufs Glatteis geführt und dankt für die "problemlose Umsetzung unseres Themenvorschlags". Im Tagesspiegel denkt der 68er Klaus Hartung über 68 nach: ein Trip. Die taz fragt: Brauchen wir heute einen Dutschke? Die SZ joggt mit Ipod. Das ist eben der Unterschied zwischen Berlin und München.

Und Ignoranz daneben steht wie ein Elefant

10.04.2008. Machtgier wird zur Pest, schreibt Chenjerai Hove in der NZZ über Robert Mugabe. In der FR bezweifelt Sherko Fatah den Sinn der Forderung, dass Immigrantenkinder zuerst Deutsch lernen sollen. Im Tagesspiegel bekennt Goethe-Institutschef Klaus-Dieter Lehmann seine Sensibilität für Tibet. In der SZ klagt Najem Wali über das miserable Kulturleben im Irak. In der FAZ erklärt Florian Henckel von Donnersmarck, warum er zwar Wagner in Baden-Baden nicht macht, es aber trotzdem besser gemacht hätte als die ungepflegten Chaos-Regisseure, die das in Bayreuth machen.

Erschütternd schütter

09.04.2008. Die FAZ weiß, wie es in der Kommune 1 wirklich zuging. Die Berliner Zeitung erklärt, wie sie die Stasi-Verstrickungen der Redaktion aufklären will. Die SZ bringt eine Seite über Simbabwe. Die NZZ fragt, warum Putins Duma den Holodomor nicht als Genozid anerkennen will. Die FR fürchtet das Ende der Zeitung.

Suchtcharakter

08.04.2008. In der FR fordert Beppe Grillo die Abschaffung des Journalisten-Ordens. In der Welt verspricht Buchmessenchef Juergen Boos hoch und heilig, dass neben China auch Tibet auf der nächsten Buchmesse präsent sein wird. Die FAZ freut sich über Kunstwerke von Frauen im Stockholmer Moderna Museet. In der SZ erklärt Volkmar Sigusch: Nicht jede schmutzige kleine Perversion braucht einen Arzt.

Schön, dass er wieder da ist

07.04.2008. Die FR dokumentiert einen Text der chinesischen Menschenrechtler Hu Jia und Teng Biao über Menschenrechtsverletzungen in Vorbereitung der kommenden Olympiade. Die FAZ resümiert den Bloggerkongress re:publika und bezweifelt, dass Blogger je die Zeit für einen Essay finden werden. Und dann Theater: Die FAZ fand Zadek gut und Thalheimer schlecht, Welt und SZ sehen's umgekehrt. Die NZZ fand beide schlecht.

Primat des schönen Klangs

05.04.2008. In der taz erklärt Ralf Dahrendorf: 1968 war ein Schlusspunkt. Was ist schweizerisch, fragt die NZZ: Und Sibylle Berg antwortet: die "größtmögliche Abwesenheit von Angst". Der Tagesspiegel kritsiert Alexander Solschenizyn, der den Holodomor nicht als Genozid anerkennen will. Die FAZ sucht nach verschwundenen Akten zur RAF. Alle gedenken Herbert von Karajans, aber nicht allen fällt viel ein.

Menschen wie Brian

04.04.2008. Die NZZ staunt: Bertelsmann investiert jetzt nicht mehr in Medien, sondern in die Verwaltung der Stadt Würzburg. Die Blogger überlegen ernstlich, ob sie nicht kellnern sollten. Die taz ist böse: Die alten Rechten waren gegen alle Minderheiten, die neuen Rechten sind nur noch gegen die Muslime. In der Achse des Guten findet ein anonymer Professor: Geert Wilders hat recht. Die SZ erklärt, warum die Mazedonier etwas gegen "Skopianiten" haben. Der FAZ ist klar: Klimakollaps ist jetzt. Die Welt ist empört über Putins Duma, die den Holodomor nicht als Genozid bezeichnen will.

Leck-mich-am-Arsch-Tag

03.04.2008. Für die NZZ recherchiert Navid Kermani in Köln-Eigelstein über die Mitte unserer Gesellschaft. Die SZ gedenkt Karajans. Die FAZ an die Adresse der Tibeter: Gewalt ist keine Lösung! "Mann Mann Mann": Die Berliner Zeitung hat einen neuen Online-Auftritt. Die FR stellt fest: Im 17. Jahrhundert war auch in Japan Barock. Die taz ist traurig: Amerikas Westen ist allen Sinns beraubt. Diese Landschaft hat nichts Versöhnliches. Sie verspricht keinen Trost. Sie hat keine Kraft mehr.

Mit Karacho in den Tod

02.04.2008. Im Standard rufen Andre Glucksmann und Bernard Henri Levy zu ein bisschen weniger Rücksicht auf Russland auf. Die Blogs diskutieren mal wieder über die Frage, ob Internet, Qualität und Journalismus zusammenpassen. NZZ und FAZ versuchen zu erklären, warum Bernd F. Lunkewitz den Aufbauverlag mindestens dreimal kaufen musste, bevor er ihn besaß. In der SZ annonciert Paolo Flores d'Arcais mindestens zwölf Jahre Berlusconi. Spiegel Online macht sich Sorgen um das deutsche Kino.

Sensationell angewidert

01.04.2008. In der Berliner Zeitung herrscht Aufruhr über die jüngsten Stasi-Enthüllungen über zwei Redakteure. Die NZZ staunt wie gestern schon die FAZ über die Qualität der Pariser "Wozzeck" unter Christoph Marthaler und Sylvain Cambreling. In der Welt kritisiert Wolf Lepenies das Pariser Musee des arts premiers und fordert Konsequenzen für Berlin. Und Michail Gorbatschow verteidigt Gabriele Krone-Schmalz.