Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

September 2010

Ebenjenes Lullefix

30.09.2010. In der Zeit vermisst Thea Dorn politische Polemiker. Außerdem findet die Zeit: Der deutschen Literatur geht's nicht so gut. Sie plappert. Wie die  "kindergeburtstagsfröhliche Literaturkritik". Die FAZ sieht Geert Wilders' Erfolg in den Niederlanden als Stoßseufzer einer satten Gesellschaft, die beim Verdauen nicht gestört werden möchte. 

Zurückweisung, Kritik und Bedenken

29.09.2010. Die FAZ kritisiert Wolfgang Benz und sein Berliner Zentrum für Antisemitismusforschung und nennt Benz' Nachfolgerin: Stefanie Schüler-Springorum. Warum haben gerade Linke eine so altmodische Vorstellung von Öffentlichkeit?, fragt Carta. Die Welt porträtiert die japanische Architektin Kazuyo Sejima. Und die FR stellt den uruguayischen Autor und Abenteurer Horacio Quirogas vor.

Raucher, Trinker, Übergewichtige, Autofahrer

28.09.2010. Die FR erzählt die Geschichte des nigerianischen Zimmermädchens B.O. in Halle. In der Welt fürchtet Michael Wolffsohn: Wenn sie könnten, würden Medien und Politiker das Volk abwählen. Die NZZ fragt mit dem Merkur: Betreibt der Sozialstaat die Abschaffung der Selbständigkeit? (findet allerdings: eher nicht). Die SZ verfolgte eine Tagung über "Die Securitate in Siebenbürgen", wo auch über Oskar Pastior diskutiert wurde.

Aber er hat eine gute Gesichtsfarbe

27.09.2010. Aktualisiert um 11.30 h: Das Spiegel-Interview mit Daniel Schmitt über seinen Rückzug aus  Wikileaks steht jetzt online. Vaclav Havels Aufruf, Liu Xiaobo mit dem Friedensnobelpreis auszuzeichnen, sorgt in China für heftige Unruhe, berichtet die Welt. Die Welt interviewt außerdem noch einmal Necla Kelek und Monika Maron zur Sarrazin-Debatte, die sich freuen, dass nun endlich über Integration diskutiert wird. Ein Tweet von Wikileaks stößt nicht gerade auf die Sympathie von netzpolitikorg. Für die taz interviewt Gabriele Goettle den Spielsüchtigen Addi H.

Was wir brauchen, ist sauberer Atomstrom

25.09.2010. Die NZZ beklagt in strengen Worten die dröge faktische Einförmigkeit deutscher Politik. Für Spiegel Online unternimmt Henryk Broder einen Gang durch die absurdesten Behörden der Republik. Neunetz und netzpolitik fragen sich, warum die Bundesregierung eigentlich immerzu Lobbyarbeit für die Printpresse macht, statt für Medienkompetenz zu werben. Die FAZ bringt ein bisher unbekanntes Trinklied von Gottfried Benn: "Welch gewaltiger Schritt der Natur/ Bis zum Gerstensaft!"

Das sieht aus wie Erhabenheit

24.09.2010. Die Existenz Gottes ist zwar widerlegt, wie die SZ heute meldet, aber die FAZ plädiert trotzdem unverdrossen für Religion an deutschen Schulen. Die FR fürchtet sehr um die Hamburger Kultur. Die taz staunt über bürgerliche Revolutionäre in Stuttgart und anderswo. Nur die Blogs berichten, dass die Zeitungen zwar für Leistungsschutzrechte sind - aber der gesamte Rest der Wirtschaft sehr heftig dagegen. Stefan Niggemeier entschuldigt sich für ein Lob von Bernd Neumann. Und außerdem: Druckt alle, alle Benjamin. Ab Montag ist es erlaubt.

Aus Solidarität mit Molly Norris

23.09.2010. Die taz erklärt, warum ihr Lady Gaga auch politisch ganz klar lieber ist als Stephanie zu Guttenberg. In der FAZ fragt der Kunsthistoriker Peter Geimer: Wozu noch Demokratie, wenn eine Kunstjury schon entschieden hat? Im Freitag erklärt der französische Philosoph Tzvetan Todorov, warum für ihn alles Kultur ist. Im Guardian wird ein säkulares Manifest zur Diskussion gestellt. Die Welt fordert Journalisten auf, Mohammed zu zeichnen. In der NZZ benennt Ahmed Rashid den saudiarabischen Anteil an der Verbreitung des Islamismus.

Unermüdlich durchpermutiert

22.09.2010. Antiliberaler Geist, jakobinischer Feminismus, fanatischer Rationalismus: Alice Schwarzers Buch gegen das Kopftuch führt zu starken Intoleranzen in der FAZ. Außerdem führt die FAZ mit dem Computervirus stuxnet einen Erstschlag gegen den Iran. Hat sich eigentlich was geändert?, fragt Charles Simic im Blog der New York Review of Books nach Lektüre einer Zeitung von 1990. Berliner Zeitung und Tagesspiegel resümieren das Berliner Musikfest mit seinem Boulez-Schwerpunkt. Und Oskar Roehlers "Jud Süß"-Film kommt gar nicht gut an.

Wichtig für den Journalismus

21.09.2010. Die Welt stellt die junge finnisch-estnische Autorin Sofi Oksanen vor, deren Roman "Fegefeuer" über estnische Kriegstraumata internationale Erfolge feiert. Die NZZ liest eine Studie und stellt fest: Medienjournalismus entspricht den Kriterien des Metiers noch am wenigsten. Die taz greift der Buchmesse vor und liest neue argentinische Romane. Die SZ beschreibt das nepotistische Regime Sarkozys. Die Karikaturistin Molly Norris, die den Draw-Mohammed-Day ausgerufen hatte, ist verschwunden, berichtet die FAZ.

Brummender Belgier mit Beuyshut

20.09.2010. In der taz plädiert der Politologe Armin Pfahl-Traughber gegen den Begriff der Islamophobie. Die SZ porträtiert den von Thilo Sarrazin wieder ins Gespräch gebrachten Eugeniker Francis Galton, der eine Herrenrasse aus Übermenschen züchten wollte. Inszenierung des Wochenendes: Der "Hamlet" in der Regie Luk Percevals am Hamburger Thalia Theater.

Von allen Seiten umzingelt

18.09.2010. In der FAZ beschreibt Ernest Wichner detailliert, wie Oskar Pastior als IM in die Fänge der Securitate geriet. Herta Müller empfindet vor allem Trauer: "Aus dem Lager heimgekehrt wurde er statt frei vogelfrei." Die FR erkennt in der Sache einen klassischen Fall von schuldloser Schuld. Außerdem nennt Thilo Sarrazin in der FAZ Sigmar Gabriels Vorwürfe gegen ihn "ehrabschneidend". Absurd findet die taz die Idee der Unesco, im Iran einen Philosophentag abzuhalten. In der NZZ spricht Luk Perceval über die verschleierte Depression in seinem Theater. Und die SZ fragt sich, wann das Fernsehen besser wurde als das Kino - in den USA.

Auf den Schwingen des Volkszorns

17.09.2010. Oskar Pastior war ein IM der Securitate, berichtet die SZ und beruft sich auf einen Vortrag des Historikers Stefan Sienerth.  Der Perlentaucher dokumentiert einen Vortrag von Götz Aly zum Thema Flucht und Vertreibung: Nur die europäische Perspektive gibt wirklich Einblick in die Abgründe dieses Themas. Der polnische Historiker Tomasz Szarota meint in der FR: Viele deutsche Vertriebene waren nur Flüchtlinge.

Mal richtig krachen lassen

16.09.2010. Es entsteht zwar keine rechtspopulistische Partei, aber die Zeit bastelt schon mal eine zusammen. Sie ist enthemmt! Im Kulturteil steht dagegen ein Plädoyer gegen das Kopftuch. Wissenschaftlich gesehen ist Thilo Sarrazins Rückgriff auf eugenische und genetische Argumente totaler Kokolores, meint die Biologin Veronika Lipphardt im Freitag. Jungle World hat rechtsextreme Foren gelesen und festgestellt: Die echten Rechten fürchten Sarrazin eher: Wurde er vom Mossad geschickt? In der taz ätzt Antje Vollmer: An Bertelsmann geht keiner ran.

Kampfbereit in Chanel

15.09.2010. Oh those Germans, ruft Jeff Jarvis in seinem Blog: In Deutschland schimpfen Datenschützer  über Google und befürworten Personalausweise mit RFID-Chips. Ein Blog der New York Times wirft einen Blick auf David Foster Wallaces nachgelassenen Roman "The Pale King". Netzpolitik meldet: Depubliziertes wird republiziert. Die FR feiert Hayao Miyazakis Anime "Ponyo". Die anderen feiern "The American" von Anton Corbijn, der in der Welt über die Musik von Herbert Grönemeyer spricht.

Heiße Theorie der Amarna-Epoche

14.09.2010. Es gibt kein geistiges Eigentum, sagt Jean-Luc Godard laut BoingBoing und spendet einem angeklagten Piraten tausend Euro. Der Blogger James Bridle hat bei beim Stichwort Iraq War in der Wikipedia auf den History Button gedrückt - und bekam ein zwölfbändiges Geschichtswerk. Die Zeitungen stürzen sich auf Cornelia Funkes neuen Roman "Reckless". In der SZ kritisiert der Skandinavistikprofessor Bernd Henningsen den "Meinungsfreiheits-Fundamentalismus" Angela Merkels, die Kurt Westergaard auszeichnete und damit den Rechtspopulisten zuarbeite.

Die Entfernung, die Entfremdung, die Einsamkeit

13.09.2010. Die taz bringt einen offenen Brief bekannter muslimischer Intellektueller wie Feridun Zaimoglu und Katajun Amirpur an Christian Wulff und fordern ihn auf, "für eine von gegenseitigem Respekt geprägte demokratische Kultur" einzustehen. Die Preise in Venedig lösen eher laue Reaktionen aus. Außerdem nehmen die Feuilletons Abschied von Claude Chabrol, dem "maitre des französischen Films, seinem Hausvater, Ehrenvorstand, Lehr- und Küchenmeister".

Dieser böse Mann mit dem Bestseller

11.09.2010. Der Tagesspiegel berichtet von eine Lesung Thilo Sarrazins, in der sich weder Sarrazin noch sein Publikum über ihre genetische Ahnungslosigkeit aufklären lassen wollten. In der taz versucht der linke Politologe Claus Leggewie Religionskritik zu erledigen, indem er sie in die rechtsextreme Ecke stellt. Der FR erschien Tom Tykwers neuer Film "Drei" in den letzten Tagen des Festivals von Venedig ein wenig belanglos - trotz Sophie Rois. Laut n-tv hätte Renate Künast an der Stelle von Angela Merkel keine Rede für Kurt Westergaard gehalten: "Ich hätte es nicht gemacht." In der Literarischen Welt ruft Andre Glucksmann: Die Roma sind Europäer wie wir!

Der Widerspruch des Augenblicks

10.09.2010. Die taz kritisiert die "Selbstbeweihräucherung" in Angela Merkels Verteidigung der Meinungsfreiheit. Henryk M. Broder findet sie im Spiegel dagegen vorbildlich. Die FAZ ruft Merkel zu: das gibt einen guten Eintrag in den Geschichtsbüchern. Der Freitag sucht Gemeinsamkeiten zwischen Sarrazin und Sloterdijk. Die SZ feiert die immer noch lebendige Jazz-Szene in New Orleans. In der NZZ wehrt sich der Übersetzer Laszlo Kornitzer gegen den Vorwurf, seine Kritik am Antisemitismus Istvan Örkenys sei ideologisch.

Große Wette auf die Offenheit der Systeme

09.09.2010. Sie wolle die Zeitungen, die die Mohammed-Karikaturen seinerzeit (und übrigens auch heute) nicht druckten, ja nicht kritisieren, sagte Angela Merkel bei der Preisverleihung für Kurt Westergaard. Aber äh, naja: "Das Geheimnis der Freiheit ist der Mut." Die Welt bringt ihre Rede. Die SZ ist irgendwie gegen den Preis. Die FAZ hat ein Interview mit Westergaard. Die Solidarität mit ihm war okay, sagt er: "Die einzige Ausnahme ist leider meine eigene Klasse."

Eine besondere dialektische Geltung

08.09.2010. Heute bekommt Kurt Westergaard in Deutschland einen Preis für Pressefreiheit - in Anwesenheit Angela Merkels. Die FAZ bewundert sie für einen Mut, den diese Zeitung  seinerzeit nicht hatte. Die meisten anderen Zeitungen schweigen beredt. Auf Carta erklärt der Qualitätsforscher Kurt Imhof, warum er die Qualität solcher Qualitätsmedien schützen will. Böse ist dagegen das Internet, findet Jonathan Franzen in der FAZ. In der taz erklärt Tom Segev, warum die Österreicher dankbar dafür sein sollten, dass Simon Wiesenthal mit dem Mossad gearbeitet hat.

Bürgerlich gehobene Kindergärten

07.09.2010. In der FAZ bestätigen die Wissenschaftler Detlef Rost und Heiner Rindermann: Thilo Sarrazin hat uns richtig verstanden. In der FR kritisiert Götz Aly Sarrazin, aber auch seine Gegner. Auch die Blogs diskutieren über Sarrazin und untersuchen Statistiken von Freunden und Feinden. In der taz bespricht Micha Brumlik die Memoiren von Claude Lanzmann, die auch in anderen Zeitungen gleich am Erscheinungstag präsentiert werden. 

Starke selbstbetrügerische Züge

06.09.2010. Die NZZ führt eine Identitätsdebatte um arabische Altstädte. Die FAZ hat durch die Memoiren von Tony Blair "fesselnde Einblick in das innerste Innere seiner Premierministerschaft" bekommen. Die Sarrazin-Debatte ist ingesamt nach wie vor zum Weglaufen: Sarrazin repräsentiert die Angst der Mittelschicht vor den Integrationserfolgen der Türken, meint die taz. Sarrazin wird mundtot gemacht wie einst Martin Walser von Ignatz Bubis, meint Klaus von Dohnanyi in der SZ.

Das Verschwinden der Fische

04.09.2010. Die NZZ liefert eine wohltuend nüchterne Besprechung von Thilo Sarrazins Buch und erinnert daran, dass auch Sozialdemokraten einst eugenisches Gedankengut pflegten. Sarrazin droht, gegen eine Entlassung zu klagen, meldet die Welt, die außerdem Claude Lanzmanns nordkoreanische Liebesgeschichte erzählt. In der taz stellt der Theatermann Schorsch Kamerun klar: Er möchte nicht gesponsort, sondern lieber nur subventioniert werden. In der Berliner Zeitung beklagt der Tourneeveranstalter Berthold Seliger das neue Biedermeier in der subventionierten Kultur. In der FR erfahren wir vom Hirnforscher Christian E. Elger: Der Mensch ist gut. Die SZ erzählt die Geschichte der Moschee von München, die ihr erst von einem Amerikaner aufgedeckt werden musste. Die FAZ bringt Auszüge aus Fritz J. Raddatz' Tagebüchern.

Warum wird gerade die eingeladen?

03.09.2010. Die taz porträtiert den chinesischen Literaturwissenschaftler Yu Jie, der gerade ein Buch über den "größten Schauspieler" Chinas veröffentlicht hat: Premierminister Wen Jiabao. Es gibt auch Unterlassungsrassismus, hält der Philosophieprofessor Markus Tiedemann den Verfechtern multikultureller Toleranz entgegen. Die NZZ liest Necla Keleks Heft über den Freiheitsbegriff des Islam. Slate findet unerwartete Leser-Communities in Zeitungen aus dem 18. Jahrhundert. In der SZ beklagt die Theaterregisseurin Anna Bergmann Deutschlands durchkonventionalisierte Stadttheaterlandschaft.

Ein feiner Herr

02.09.2010. In der Welt fragen Monika Maron und Necla Kelek, wann wir über die interessanten Seiten in Thilo Sarrazins Buch diskutieren. In der taz erklärt der Politikwissenschaftler Markus Linden, warum Sarrazin gut für die Demokratie ist. Die NZZ betrachtet leicht amüsiert den roten Kopf des "sittlichen" Deutschlands. In der SZ erkennt der Philosophieprofessor Christian Illies, dass es beim Streit um "Stuttgart21" um das gesellschaftliche Selbstverständnis der Stuttgarter Bürger geht. In der FAZ erklärt die Intelligenzforscherin Elisabeth Stern, wie gesellschaftliche Verdummung zustande kommt. Die Zeit blickt in deutsche Redaktionsstuben und sieht nur urdeutsche Mittelschicht.

Freier Platz in den Synapsen

01.09.2010. In der FAZ sieht Ali Sethi, wie pakistanische Kampfjets gerettet werden, während pakistanische Bauern ertrinken. Die taz berichtet blutige Einzelheiten über den Drogenkrieg in Mexiko. Der Tagesspiegel geht ganz in Thilo Sarrazin auf. In der FR erzählt Karl Schlögel, wie er mit den Toten spricht.