Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

Dezember 2011

Haltung der kultischen Ambivalenz

31.12.2011. Totale Klaustrophobie: 2011 war das Jahr, in dem die Kunst die Räume eng machte, meint der Tagesspiegel. Und es war ein Jahr des Protestes. Das Blog Buzzfeed bringt die vierzig besten Protestplakate des Jahres. Die taz ist auf Drogen. Die NZZ erzählt aus der Zeit, als angehende Künstler es sich noch leisten konnten, in New York zu wohnen. Besorgt sind die Zeitungen über ein Urteil, das Fotos von Kunstwerken die künstlerische Eigenständigkeit abspricht. Beuys' Witwe freut sich aber. Ihr und allen lebenden Künstlern - und vor allem unseren Lesern! - wünscht der Perlentaucher guten Rutsch.

Vollwaschgänge der Erinnerung

30.12.2011. Rückwärtsgewandt und provinziell: so sieht die Welt die Literatur in Deutschland. Und Hans Ulrich Gumbrecht stellt nichts weniger als die Überlebensfrage für die Menschheit. Die NZZ berichtet über Apartheid in Katar.  In der taz spricht Najem Wali über die Zukunft des Iraks. Die FAZ begibt sich auf den Tahrir-Platz und will die Hoffnung nicht fahren lassen. Le Monde bringt ein  ausführliches Gespräch mit dem Historiker Vincent Duclert über den Völkermord an den Armeniern.

Die Sprache, die Sprache, die Sprache!

29.12.2011. In der FAZ fragt der Historiker Thomas Stamm-Kuhlmann: Warum darf man in der SPD offiziell fromm, aber nicht offiziell unfromm sein? Im Blog der New York Review of Books stellt Charles Rosen einige neue Stücke von Elliott Carter vor - mit Hörproben. In der Zeit mit Sachsen-Teil verabschiedet Clemens Meyer das Jahr der Neutrinos. Und Andrea Breth erklärt, was im Theater das schwierigste ist: der Handschlag. In Le Monde wird erbittert über das französische Gesetz diskutiert, das die Leugnung von Genoziden unter Strafe stellt. Der Völkermord an den Armeniern ist eine Tatsache, konstatiert die FR.

Wie eine Wiedergeburt

28.12.2011. In Liberation macht Andre Glucksmann klar, dass Europa auch heute Dissidenten braucht. In der taz ruft Khawla Dunia zur Unterstützung der syrischen Revolution auf. In der FR meint Peter Temple, Krimis können alles, vor allem, wenn sie nicht von Zwölfjährigen geschrieben werden. Die SZ freut sich über die Wiederentdeckung Georg Seidels im deutschen Theater.

Magischer Totalitarismus

27.12.2011. In der FAZ äußert sich die Hanser Berlin-Verlegerin Elisabeth Ruge optimistisch über die Digitalisierung der Buchbranche. zeit.de meldet, dass Amazon auch in Deutschland verlegerisch tätig werden will. Die Basler Zeitung staunt über die rabiate Öko-Ideologie des europäischen Hochadels. Für die taz berichtet Gabriele Goettle über die unendlichen Folgen von Tschernobyl. Laut SZ ist Jazz noch nicht ganz tot.

Demo 24

24.12.2011. In der FAZ verrät Seamus Heaney das Geheimnis seiner Dichtkunst: Einfach mit Begeisterung loslegen. Außerdem berichtet sie von türkischen Reaktionen auf die französische Entscheidung, das Leugnen von Völkermorden unter Strafe zu stellen. In der taz erzählt Sibylle Berg von Weihnachten in Sankt Moritz - mit 60 Millionen Euro in der Urlaubskasse. Die SZ stellt fest, dass in England wieder Werte zählen, und Klasse. Die FR sorgt sich um die unterdrückten Völker Europas. Die Blogs stimmen sich mit Terry Gilliam und Charles Dickens auf die Feiertage ein. Und auch wir wünschen schöne Weihnachten!

Ein Grund für Bildungshunger

23.12.2011. In der Welt erhofft sich die russische Autorin Alissa Ganijewa  Ideen von Schriftstellern für eine sachliche Diskussion. Le Monde zeichnet ein Portrait de famille der französischen Elektrotanzmusikszene. Der Tagesspiegel appliziert Berliner Schnauze auf Berlinhassbücher. In der FR klagt Slavoj Zizek: Man findet keine guten Bücher mehr, außer vielleicht in der Knesebeck 11.

Der Bierkrug des Präsidenten

22.12.2011. Evolution statt Revolution: Im Freitag benennt Marjane Satrapi einen Unterschied zwischen dem arabischen Frühling und dem Aufstand im Iran vor zwei Jahren. Europa ist belgischer geworden, konstatiert der belgische Autor Erwin Mortier in der NZZ. Die FR erklärt, warum Drake, Frank Ocean und The Weeknd gut, aber böse sind. Und in der Zeit seufzt Martin Walser: Es hat sie gegeben, trotzdem, die deutsche Seele.

Grindr macht auch nicht glücklich

21.12.2011. In der taz spricht sich Filmregisseur Thomas Heise gegen ein NPD-Verbot aus. Die Trauer über den Tod Kim Jong-Ils hält sich in Südkorea in Grenzen, berichtet die NZZ, die Kenntnis Nordkoreas aber auch. In der FAZ antwortet Götz Aly auf Hans-Urlich Wehler: Nein, der Holocaust ist nicht allein auf Hitlers "maßgeblichen Einfluss" zurückzuführen. In der Welt behauptet die "junge, liberale, weibliche, lesbische" Muslimin Irshad Manji, der Islam sei reformfähig. Die SZ warnt vor Demokratie-Illusionen.

Die Sonne des 21. Jahrhunderts

20.12.2011. Harald Welzer fasst sich an den Kopf. Wo bleiben die Symposien der Soziologen über den gegenwärtigen Verfall der Politik?, fragt er im Tagesspiegel. Peter Sloterdijk entwirft dagegen im Handelsblatt einen historischen Begriff der Schuld und der Schulden. In der FAZ analysiert Gesine Schwan den auf Misstrauen und Kontrolle setzenden - und darum nicht wirklich demokratischen - Führungsstil Angela Merkels. In der SZ freut sich John Berger über Cezanne. Und wussten Sie, dass es zwei europäische Literaturpreise gibt?

Dass wir es in der Hand haben

19.12.2011. Abschied von Bürger Havel. Im Guardian erinnert sich Timothy Garton Ash an seinen ersten Besuch bei Vaclav Havel, Anfang der achtziger Jahre. Wir verlinken auf viele Nachrufe und Erinnerungen in in internationalen Medien. Und auf einen Text von Vaclav Havel über Kim Jong-Il in The Globe and Mail. In der Welt erklärt die russische Autorin Natalja Kljutscharjowa, warum sich die Russen nicht mehr ducken.

Stolz und ungetröstet

17.12.2011. "Erbärmliche Versager!" In der Welt schimpft Klaus Harpprecht auf die deutschen Intellektuellen, die zu Europa nichts zu sagen haben.  Die NZZ bringt Durs Grünbeins Rede über die Büchner-Preisreden Gottfried Benns und Paul Celans: Zwei Dichter auf der Suche nach dem Nicht-Gedicht. In der taz räumt Michael Hardt mit dem Mythos vom Finanzkapital auf. Die FAZ macht sich Sorgen: Je langweiliger Jean-Claude Juncker wird, desto dramatischer steht's um Europa.

Weder Zigaretten noch Alkohol

16.12.2011. Christopher Hitchens ist tot. Wir verlinken auf Dossiers in Slate und Vanity Fair und Nachrufe im Guardian und der New York Times. In der Welt hält Daniel Johnson vom Standpoint-Magazin den Deutschen eine Standpauke. Im Tagesspiegel erklärt Joachim Sartorius von der Berliner Festspielen, warum er "Richard III." mit Kevin Spacey nicht nach Berlin holte. Die SZ fragt nach der Wechselwirkung zwischen Avantgarde und Pop.

Sie haben heimlich Wasser abgezweigt

15.12.2011. Günter Grass' scharfe Kritik an der Rolle der Journalisten in der Debatte um Christa Wolf nach der Wende stößt in den Feuilletons auf eher laue Reaktionen. Die taz findet sie unliterarisch, die Welt geschmacklos. Die SZ erwähnt sie halb und verschweigt sie halb. Der Tagesspiegel wirft immerhin das Problem der "intellektuellen Moral" auf. Die FAZ spricht lieber über Wulff als über Wolf. In der Zeit feiert Viktor Jerofejew die Geburt der russischen Zivilgesellschaft. Und die Glaubensseite verabschiedet den Kapitalismus.

Innigkeit der intellektuellen Existenz

14.12.2011. Nachlesbar entschuldigen sollen sich Frank Schirrmacher und Ulrich Greiner, wenigstens postum, forderte Günter Grass bei der Trauerfeier für Christa Wolf. Er wirft ihnen vor, nach der Wende mit "Niedertracht und Vernichtungswillen" eine Kampagne gegen die Autorin lanciert zu haben. Die FR bringt Grass' Rede. In den anderen Zeitungen hat die Attacke noch kein Echo. Gibt es eine neue Schriftstellergeneration?, fragt der Tagesspiegel hoffnungsfroh. Die Welt ist entsetzt über Rechtsextremismus in der ungarischen Kulturszene. In der SZ erzählt der britische Theaterregisseur Simon Stephens, wie das deutsche Theater ihn "ruiniert" hat.

Einsamkeit, Zweifel, Verlustängste

13.12.2011. In der FAZ möchte Sigmar Gabriel die europäischen Bürger  von der Zuschauertribüne holen. Außerdem bringt die FAZ den dritten Götz-Aly-Verriss: diesmal von Hans-Ulrich Wehler höchstpersönlich. Die SZ berichtet über die Angst  ägyptischer Intellektueller, von den Mühlsteinen des Islamismus und des Militärs aufgerieben zu werden. Die taz bringt eine Hommage auf Bob Dylans Hommage auf Hank Williams. Die NZZ sammelt Stimmen russischer Autoren zu den gefälschten Wahlen. In der New York Times protestieren Autoren gegen die Price-Check-App von Amazon.

Zurschaustellung von Toms Fitness

12.12.2011. Die taz porträtiert den Blogger Alexei Nawalny, der die russischen Proteste gegen Putin inspirierte. Die Welt staunt: Schon der Christie's-Katalog der Diamanten Elizabeth Taylors kostet 2.500 Dollar. Außerdem wünscht die Welt alternden Dirigenten Mut zum Abschied. Im Tagesspiegel spricht Regisseur David Wnendt über Frauen in der Nazi-Szene. Die NZZ wiegt den Kopf zu Pfitzner. Bei Holger Ehling erklärt der spanische Verleger Jorge Herralde, warum  die wichtigen spanischen Verlage alle in Barcelona sind.

Schwarze Rummelplatzromantik

10.12.2011. In der Welt fragt sich Georg Stefan Troller, wie der Wiener sich vermehrt. Und Najem Wali erinnert an seinen Meister Nagib Machfus. Die NZZ findet keinen Ringlgschbüübsizza mehr im Wiener Prater. Die taz porträtiert den John Wayne der deutschen Publizistik. Im Tagesspiegel freut sich Andre Glucksmann über Putins peinliche Niederlage. Die FAZ erklärt, warum die Chinesen überhaupt keine Lust haben, in unsere Schulden zu investieren. 

Die Traurigkeit eines Curtis Mayfield

09.12.2011. Hurra, F. Scott Fitzgerald ist tot - und das seit siebzig Jahren. Und damit werden die Rechte frei, und überall blüht der Gatsby auf Bühnen und in Büchern, berichtet die Welt. Die NZZ preist die HipHopper von The Roots. In der SZ spricht  Hans-Ulrich Wehler über die Eurokrise. Vergesst den Feminismus nicht, ruft die FAZ den jungen Frauen zu. Bitter schmeckt der Sieg der Islamisten in Ägypten der Welt und Achgut.

Erzakademisch, wohlerzogen und lieb

08.12.2011. In der FAZ veranstaltet Sahra Wagenknecht eine machtvolle Manifestation ihrer Rezepte gegen die Eurokrise. Die SZ analysiert den Nerdbegriff der Piraten. Gawker schildert, wie Amazon seine Kunden zu Spitzeln macht. Die taz findet Jena lieb. Zu lieb. In der NZZ wünscht sich Marko Martin ein bisschen vom Licht der Aufklärung auch für Lateinamerika.

In diesem Applaus lag der Misston

07.12.2011. Jena ist empört. Aber nicht über den Rechtsextremismus in der Stadt, sondern über einen Fernsehbeitrag dazu und den Imageschaden für die Stadt, berichtet die FRAi Weiwei hat für Spenden Tausende von Schuldscheinen verschickt. Viele davon stehen jetzt im Netz, berichtet die Welt. In der taz erklärt der iranische Regisseur Mohammad Rasoulof, was es heißt, permanent in Angst zu leben. FAZ und taz berichten über die erstaunlich breiten Proteste gegen Putin in Russland.

600 Franken pro Premiere

06.12.2011. In der Welt kritisiert Necla Kelek die Studie über Zwangsehen in Deutschland.  In Zeiten der Finanzkrisen blüht regelmäßig der Antisemtismus, schreibt Micha Brumlik in der taz. Slate stellt Joseph Epstein vor, der den Klatsch als Kunstform sieht. Atlantic Monthly bringt eine Fotoserie aus der "Exclusion Zone" von Fukushima. Die FAZ fragt, warum ausgerechnet Europa im geplanten Berliner Museum der Weltkulturen ein weißer Fleck bleiben soll. Die NZZ sucht nach Spuren von Kulturjournalismus im Netz.

Europäischer Glamour

05.12.2011. In seiner in der FR abgedruckten Hannah-Arendt-Preisrede präsentiert Navid Kermani eine Perspektive für Europa: Aufnahme der arabischen Länder in den Binnenmarkt. In der FAZ hofft Hamed Abdel-Samad, dass sich die ägyptischen Islamisten in der selbstgestellten Demokratiefalle verheddern. In der SZ plädiert Gert G. Wagner vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung für weiteres Schuldenmachen. In der Welt träumt Rem Kohlhaas vom starken Staat - aber nur um einer guten Architektur willen.

Ich seh's doch über Facebook

03.12.2011. In der NZZ stellt die ägyptische Schriftstellerin Mansura Eseddin fest, dass alle die Revolution wollen, aber niemand die Revolutionäre. In der Welt ruft Cora Stephan die deutschen Autoren zur eRevolution auf. In der taz erinnert sich Angela Davis an ihre Vorlesungen bei Adorno, Horkheimer und Habermas. In der SZ ruft der Kameruner Fabien Yene den Europäern zu: Räumt eure Dosen selbst ein! In der FAZ erinnert Eva Menasse die "ersten Opfer Hitlers" daran, dass Georg Kreisler allen Grund hatte, unversöhnlich zu sein.

Der Irrtum als Weg

02.12.2011. Abschied von Christa W.: Arno Widmann erinnert sich in der FR an ihre Kassandra-Vorlesungen Anfang der achtziger Jahre in Frankfurt: "Niemand konnte sich diesem Sog entziehen. Es war ganz klar." Frauke Meyer-Gosau (taz) fehlte zuletzt ihre Stimme im Chor der achtzigjährigen Stimmführer Habermas, Enzensberger, Walser. Tilman Krause erinnert in der Welt an die schmerzhafte Debatte um ihre Stasi-Akte, die ihre Stimme verstummen ließ. Lothar Müller schreibt in der SZ über die kranken Frauen in ihrem Werk.

Und im Cafe plaudern die Kellner über Victoria Beckham

01.12.2011. In der Welt versucht Andre Glucksmann, den Westen wachzurütteln. Der Tagesspiegel bringt ein unter anderem von Glucksmann unterzeichnetes Manifest für Europa. Die NZZ hält Artemisia Gentileschi zwar eher für eine feministische Ikone, widmet ihr aber trotzdem eine Seite. In der Zeit entwirft Petros Markaris ein Panorama Griechenlands in der Krise. In der FAZ fordert Evgeny Morozov ein Netz der Bürger und Anonymität beim Musikkonsum.