Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

November 2011

Anders und doch wiedererkennbar

30.11.2011. In der SZ mag Diedrich Diederichsen dem Retropop durchaus einiges abzugewinnen. Die Welt bringt die fulminante Berliner Rede des polnischen Außenminister Radoslaw Sikorski an die Deutschen: "Ich fürchte mich weniger vor Deutschlands Macht als vor seiner Untätigkeit." Und Martin Walsers Hommage auf den Euro-Miterfinder Theo Waigel. Die NZZ führt uns in Südkoreas politische Satirelandschaft ein.

Demontage des Illusions-Korsetts

29.11.2011. In der FAZ sagt der Klimaforscher Hans von Storch einen Klimawandel in der Klimaforschung an. In der FR erinnert Regisseur Thomas Heise daran, dass wir schon vor zwanzig Jahren über die neue rechtsextreme Szene in Deutschland informiert waren.  Die SZ möchte kein Halal-Netz im Iran. Foreign Policy bringt eine aktuelle Ai-Weiwei-Bilderstrecke. DSK-Gate? Die NYRB fragt, ob DSK Opfer einer Verschwörung wurde. Viele Medien greifen das Thema auf. Die New Republic ist kritisch mit dem in Deutschland sehr gefeierten Maurizio Cattelan

Bis alles in Scherben liegt

28.11.2011. Sparen hat keinen Sinn, meint der amerikanische Autor Adam Haslett in der Welt mit Blick auf Griechenland und Irland. Ähnlich sieht es die SZ. In der NZZ macht sich der weißrussische Autor Artur Klinau Hoffnungen auf Risse im System. Im Guardian spricht Ai Weiwei über die chinesische Politik des Verschwindenlassens von Unliebsamen. Hugh Eakin bewundert im NYRblog das Nation Building in Qatar. Aber er war auch der einzige. Das Heddesheim-Blog berichtet über juristische Weiterungen in der "Fischfutter-Affäre" um Hans-Christian Ströbele.

Als Feind wie als Beute

26.11.2011. In der Welt erklärt Steven Pinker, warum die Menschen mit der "Gewalt" ein fast so großes Problem haben wie mit der Mathematik. Der SZ mag nicht recht an die von Habermas' geforderte Bürgersolidarität in Europa glauben. Außerdem erliegt sie Kate Bushs dramatischer Schrulligkeit. Die taz hört Brian Wilson. Im Tagesspiegel ruft Jeff Jarvis zum Schutz der Öffentlichkeit auf. In seinem Blog erinnert Wolfgang Michal die Grünen an den Unterschied von Urhebern und Verwertern

Futterkugeln

25.11.2011. Die FAZ möchte nach Lech Majewskis Bruegel-Film "Die Mühle und das Kreuz" nur noch nach Wien und "weiterschauen, suchen, bewundern, erleben". In der SZ schildert Doug Saunders die Dialektik der Mega-Cities, wo es passieren kann, dass es steil bergauf geht, obwohl es aussieht, als ginge es steil bergab.  Die FR hat den Garten Eden gefunden. Die NZZ wird kostenpflichtig, meldet persoenlich.com. Wo bleibt die große Demonstration?, fragt Jakob Augstein auf Spiegel Online.

Die Steinzeit der Petipa-Epigonen

24.11.2011. In der Jungle World und in der FR spricht Andres Veiel über Parallelen (oder auch nicht) zwischen der RAF und den Nazimördern aus Zwickau. Die taz interviewt Ian Kershaw zu Hitlers Ende und die endlose Nibelungentreue der Deutschen. Im Freitag spricht der Literaturwissenschaftler Wolf Kittler über Kleist und Schmitt und Lenin. Die SZ rechtfertigt sich für ihre posthume Kritik am Kunstsammler Heinz Berggruen. Die Zeit leitet die Reguttenbergisierung der Politik ein.

Planet der Mikroben

23.11.2011. In der Welt setzt der ägyptische Politologe Omar Ashour seine Hoffnung in die Jugend des Landes. Außerdem feiert die Welt die präraffaelitische Popsängerin Florence Welch. Die SZ erzählt, wie der Karl-Theodor zu Guttenberg mithilfe von Giovanni di Lorenzo trotz kurzfristigen Scheiterns über "notwendige Schritte in der Europa- und Außenpolitik" aufklärt. Die FAZ sieht in Roman Polanskis Verfilmung eines Theaterstücks von Yasmina Reza lauter Schauspieler, die um Oscars konkurrieren.

Pathosvernichtungsmaschine

22.11.2011. Wie hoch ist eigentlich der Anteil der DDR an der Entstehung des Rechtsextremismus in den Neuen Ländern?, fragen Anetta Kahane in der taz und Freya Klier in der Welt. Außerdem in der Welt: Der ANC demontiert die Freiheit, für die er einst kämpfte und bedroht Journalisten mit 25 Jahren Gefängnis. Die NZZ schildert die Zerrüttung Italiens durch den Berlusconismus. Slate liest Peter Nadas' Tausendseiter "Parallele Geschichten", der gerade auf Englisch erschienen ist.

Hellauf hätte ich gejauchzt

21.11.2011. Die New York Times stellt das Google Cultural Institute vor, das in Paris gegründet wird. Mashable hat ganz aktuelle Fotos vom Tahrir-Platz gesammelt, die Demonstranten per Twitter und Facebook publizierten. Die EU-Kommissarin Neelie Kroes hat eine erstaunliche Rede über Urheberrecht gehalten, vermerkt unter anderem Heise. Der Tagesspiegel wirft einen kritischen Blick auf die Berliner Philharmoniker als Veranstalter. Die SZ bringt die Rede der Kleist-Preisträgerin Sibylle Lewitscharoff, die ihr Unbehagen an Kleist bekennt. Die Zwickauer Nazis beschäftigen die Feuilletons weiterhin.

Durchblutete Maschine

19.11.2011. Warum kamen auch die Medien nicht auf die Idee, dass die Morde an türkischen (beziehungsweise deutschen) Mitbürgern rechtsextremistische Taten sein könnten?, fragt selbstkritisch die FAZ. Die Medien waren am Thema Rechtsextremismus überhaupt nicht interessiert, meint ein anonym schreibender Journalist in der SZ. In der NZZ fragt sich Gertrud Leutenegger, warum Kleists Sätze sie so aufwühlen. Und Felix Philipp Ingold wirbt für eine Wiederentdeckung der brasilianischen Schriftstellerin Clarice Lispector.

Konzentration. Reduktion. Meisterschaft

18.11.2011. Wenn unsere Politiker glauben, dass es Sinn hätte, unser politisches System retten zu wollen, dann ist das utopisches Denken, meint John Gray in der SZ. Warum beschäftigt sich das deutsche Kino lieber mit Hitler und Baader als mit aktuellen Problemen wie etwa heutigen Rechtsradikalen?, fragt die taz. Die NZZ beklagt die Verzwergung der Gedächtniskirche. Und der Freitag fordert Open Science und ein Ende der Einsamkeit in der Forschung.

Triumph durch Anpassung

17.11.2011. Die Zeit protokolliert Antonio Tabucchis  Wohnzimmertribunal gegen Berlusconi. Außerdem wirft sie einen Blick in das braune Bullerbü von Mecklenburg-Vorpommern. Die FAZ verteidigt jetzt auch Heinz Berggruen gegen die Anwürfe von Vivien Stein und SZ. In der NZZ erweist Franz Schuh dem souveränen Mitläufer seine Reverenz. Die taz liest Habermas. Und in der FR erzählt Matthew Herbert aus dem Leben eines armen Schweins.

Mit diesem üblen Ingrimm

16.11.2011. Die Welt fragt, warum dieser geradezu physische Ausländerhass in Ostdeutschland noch immer nicht eingehegt ist. In der taz bekennt der frühere Leiter der Münchner Mordkommission seine ganze Ratlosigkeit. In der FR erklärt Eric Hobsbawm, er hätte Irland und Griechenland nicht einmal in die EU aufgenommen. Die SZ wünscht sich Durchstich in der Literatur. Im Tagesspiegel verwahrt sich Hermann Parzinger gegen den "perfiden" Demontageversuch Heinz Berggruens.

Kraftpaket aus Gedankenwucht

15.11.2011. Mit Entsetzen betrachtet die FAZ das Bekennervideo der braunen Terroristen aus Zwickau. Der Tagesspiegel hat herausgefunden, dass die Autorin einer sehr anschwärzenden Biografie über Heinz Berggruen Mitarbeiterin des Auktionshauses Villa Grisebach war, deren Chef gar nicht gut auf Berggruen zu sprechen war...  Die New York Times meldet: Ahmed Rushdie ist sauer und schimpft auf Twitter über Facebook: Er hätte gern seinen Namen zurück. Die SZ liest eine Studie Gilles Kepels über den Islam in französischen Banlieues.

Vergeblich sucht man in den Feuilletons

14.11.2011. Was treibt die SZ zur posthumen Attacke auf den Kunstsammler Heinz Berggruen?, fragt entgeistert der Tagesspiegel. Die Bild veröffentlicht den Bericht einer Untersuchungskommission zu den Umtrieben beim MDR: Da gibt's noch viel zu entdecken! In der taz analysiert der Schriftsteller Rafik Schami die Lage in Syrien. Die FAZ hat von einem Vordenker der Occupy-Bewegung gelernt, dass es "alternative marktwirtschaftliche Gesellschaften geben kann, die funktionsfähig sein können, ohne klassenkämpferisch zu sein".  In Newsweek spricht Ai Weiwei über die Zeit seiner Isolation.

Ein Sturm und eine Flaute zugleich

12.11.2011. Nieder mit dem 3D-Kino, das keine Farben und keine Perspektive und nur einen Standpunkt kennt, ruft Fritz Göttler in der SZ. Zwei Dinge braucht Europa, meint der Tagesspiegel: weniger Kapitalismus und mehr Musil. Europa kommt ins Museum, meint dagegen Walter Laqueur in der Welt. In der taz schimpft Heinz Bude auf den ethnisch homogenen Prenzlauer Berg. In der FAZ droht  Petros Markaris seiner Tochter mit Enterbung. Die NZZ fragt, was Paris fotografieren heißt.

Aber die Musik war echt gut

11.11.2011. Die EU ist nicht nur dazu da, den Griechen Annehmlichkeiten zu bieten, schreibt der litauische Autor Sigitas Parulskis in der Welt. Die NZZ blickt in die Abgründe der politischen Korrektheit. Mit Europa ist's vorbei, meint die SZ: Berlin ist das neue Brüssel. Warum hat sich keine deutsche Zeitung mit Charlie Hebdo solidarisiert?, fragt Achgut.

Dann lernte ich noch zwei Jahre bei Proust

10.11.2011. Die FAZ bringt die Rede, in der Martin Walser erklärt, warum es gar nicht sein kann, dass er Antisemit ist. Der Mediendienst DWDL.de staunt über die Hardcore-Integrationsfähigkeit der Bambi-Jury. Der Islamismus ist eine rechtsextreme Ideologie, auch wenn ihn vor allem Linke dulden, meint Frederik Stjernfelt in der Jungle World nach dem Brandanschlag auf Charlie Hebdo. In der taz erklärt die Regisseurin Kelly Reichardt, wie es bei den Siedlertrecks wirklich zuging: formell. Die Zeit nimmt eine Prise Kritik am Mainstream.

Handlungen, Empfindungen, Erkenntnisse

09.11.2011. In der FR erklärt Marcia Pally, warum die Demokraten in den USA nicht siegen: Sie haben keine Eier. Slate meint: Google Plus ist im Grunde schon tot. Im Tagesspiegel ergründen Thea Dorn und  Richard Wagner die deutsche Seele. In der Welt schreibt Marek Dutschke, ja, der Sohn von Rudi, zum Jahrestag des Mauerfalls. Bernard-Henri Levys Libyen-Buch (und -Initiative) nötigt der SZ am Ende doch Respekt ab. Die FAZ plädiert dringend für eine Max-Ophüls-DVD-Ausgabe. Außerdem: Auf nach London, zur Leonardo-Aussstellung.

Wattierte Orgelgurgler

08.11.2011. Die FR vermisste beim Berliner Jazzfest die "heiligen Spinner" des Free Jazz. Die Presse schaut den Staatsopernposaunen beim germanischen Sippenkampf zu. In der FAZ entwirft Amir Hassan Cheheltan ein kleines Panorama des iranischen Kinos unter den Mullahs. Die SZ packt die Piratenpartei bei den Wurzeln.

Mit Zustimmung der Erstfrau

07.11.2011. Nach der drakonischen Steuerforderung gegen Ai Weiwei werfen Chinesen Geldscheine über Ais Gartenmauer. Ai Weiwei betrachtet die Spenden als Kredit und will in Form von Kunstwerken zurückzahlen, berichtet die Welt. Auch per Paypal sollen Spenden möglich sein. Wir haben's probiert: Ais Paypal-Konto funktionierte heute morgen leider nicht. Außerdem: In der taz meint der Jurist Mathias Rohe: keine Angst vor der Scharia, denn sie ist ein "vielfältig auslegbares Normenbündel". Die FAZ berichtet über die Drangsalierung türkischer Intellektueller, die sich mit dem Völkermord an den Armeniern beschäftigen.

Zerberstende Lebenswelten

05.11.2011. Wir sind bekanntlich gezwungen, im Kapitalismus zu leben. Die FR hat jetzt aber die Nase voll davon und auch von der Demokratie und hätte es gern anders nett. Jürgen Habermas stimmt in der FAZ Frank Schirrmacher zu und sieht die Demokratien in der Zerreißprobe zwischen Märkten und Gerechtigkeit. Selbst die Brasilianer wollen jetzt Flachbildschirme, klagt die SZ. Außerdem ist der Kapitalismus schuld an gurken- und amöbenförmiger Architektur, findet der Architekturhistoriker Vittorio Magnago Lampugnani in der NZZ.  Nur in der Welt warnt Niall Ferguson: Bitte keine Verliebtheit in das Autoritäre!

Ruin und Unfreiheit

04.11.2011. Die taz findet: Das neue Album von Loulou und Metallica ist für Nichtraucher nicht geeignet. Ein Leipziger StartUp schafft eine Flatrate für Bücher, berichtet Netzwertig. Wie groß ist die totalitäre Versuchung in Griechenland?, fragt Guy Sorman in Le Monde. Die SZ wirft einen ernüchterten Blick auf die Occupy Wall Street-Bewegung: dann doch lieber Kapitalismus. Die FAZ staunt über die Intensität der chinesischen Kulturpolitik.

Eine Jeanne d?Arc ohne Auftrag

03.11.2011. In der Welt macht sich Hamed Abdel-Samad Sorgen um den arabischen Frühling. Spätestens in siebzig Jahre ist es dann aber soweit, meint ein optimistischer BHL in der Zeit. Die taz würdigt den Beitrag, den Türkinnen in Deutschland zur Ästhetisierung der Republik leisteten. Der Freitag kritisiert das Urteil des OLG Frankfurt in Sachen FAZ und SZ gegen Perlentaucher. In der Jüdischen Allgemeinen spricht Howard Jacobson über Antisemitismus in Großbritannien. Und die FAZ findet, dass das Netz nicht zu Politik, sondern nur zur Dissemination von Laune und Gerücht taugt.

Bestimmte Zumutungen des Kunstbetriebs

02.11.2011. Die taz übt Selbstkritik und verspricht künftig sauberen Journalismus. AOL will eine deutsche Huffington Post gründen, meldet Meedia. Der Kapitalismus ist tot, meldet Franz Schuh in der NZZ. Was soll die Empörung über das annoncierte Referendum in Griechenland?, fragt Frank Schirrmacher in der FAZ. Außerdem verlinken wir auf zwei alte und schöne Reportagen von Joseph Mitchell und Tom Wolfe.

Idealtypus eines zweifelhaften Gesellen

01.11.2011. Wie die schiitischen Iraner das Bilderverbot der Sunniten aushebeln, erzählt die NZZ. In Newsweek schwärmt Simon Schama von Robert Hughes neuer Geschichte Roms. Seit sechs Jahren in Arbeit ist Ilja Khrzhanovskijs Film "Dau" - GQ-Reporter Michael Idov erlebt am Set sein blaues Wunder. In der Welt erklärt Cora Stephan der Occupy-Bewegung: Die Parolen der Väter sind nicht die Zukunft. Die taz nimmt am Münchner Residenztheater einen Schluck Starkbier mit Mutterkorn. Die FAZ lernt von Andrea Segre, wie es chinesischen Einwanderern in Italien ergeht.