Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

November 2013

Im Jazz spielen wir alle Noten

30.11.2013. Die taz erinnert daran, wie Christoph Schlingensief den 68ern die heiligen Allgemeinplätze austrieb. Die NZZ begutachtet Félix Vallottons Rache an der femme fatale. Die FAZ unterhält sich mit den Coen-Brüdern über ihren Film "Inside Llewyn Davis" und das Revival der Folkmusik im Greenwich Village. Die SZ wägt gutes Gewissen gegen Sicherheit. Die Welt fragt: Wohin mit Opas Filmrollen

Nicht übel, eher ruhig, 15

29.11.2013. In der Jungle World erklärt Boualem Sansal, warum es Demokraten in der arabischen Welt so schwer haben. Im Freitag erzählt Klaus Biesenbach, warum Christoph Schlingensief für Amerika so wichtig ist. Die NZZ bewundert die französische Justizministerin Christiane Taubira, die sich gegen Rassismus zur Wehr setzt. Le Monde wirft einen letzten Blick auf Prostitution, bevor sie endgültig verboten wird. Die taz bringt ein Dramolett wider die Große Koalition von Ingo Schulze. Und meiden Sie den Darien Gap.

Erfahrbare Materialität des gedruckten Wortes

28.11.2013. Die taz ist baff: der neue Papst ist so radikal, dass er sich am Ende womöglich selbst abschafft. In der Zeit erklärt  Burda-Chef Paul-Bernhard Kallen, wie es kommt, dass der Internetkonzern Amazon so viel innovativer ist: Es liegt daran, dass er lange keine Umsatzsteuer zahlte!  Auch in der Zeit zieht Alice Schwarzer Parallelen zwischen Pädophilie und Prostitution. In Spiegel Online erklärt Juli Zeh, wo die Konfliktlinie bei der NSA-Affäre wirklich verläuft. Die NZZ besucht die legendäre London Library.

Agnostisches Nichts der puren Dinglichkeit

27.11.2013. Die NZZ rühmt den spanischen Architekten Rafael Moneo. Die FAZ findet am Ende auch aus Zurbarans Stillleben ins Religiöse zurück. Die Welt bewundert Ai Weiwei, der mit seinen Überwachern das Spiel vom Arroseur arrosé spielt. Die SZ ist jetzt doch enttäuscht vom Internet. Und alle freuen sich: Hamed Abdel-Samad ist wohlbehalten in der Obhut des Botschafters.

Provokationen wie diese

26.11.2013. Soviele Leute wie möglich sollten jetzt Hamed Abdel-Samad kennenlernen, fordert der Tagesspiegel. Die SZ erklärt, warum der dänische Lyriker Yahya Hassan kein "sogenannter Islamkritiker" ist. Spiegel Online berichtet, dass die UN-Resolution gegen Internet-Überwachung auf Druck der USA und Großbritanniens abgeschwächt wurde. In der FAZ fordert der IT-Unternehmer Felix von Leitner eine Absicherung des Netzes mit den Mitteln der Geheimdienste. Und Zaha Hadid wehrt sich: Ihr Stadionentwurf für Qatar erinnert nicht an eine Vagina.

Die riesigen Oberschenkel des Pferdes

25.11.2013. Wenn demokratische Kontrolle versagt, brauchen wir Whistleblower, sagt Jimmy Wales laut Guardian. Laut FAZ versagen auch Hamlet und Elektra in Berlin. In der taz porträtiert Gabriele Goettle den Kölner Armutsforscher Christoph Butterwege. Die SZ freut sich über die Auferstehung des Musikvideos im Geiste des Internets. In der Welt erzählt Bernardo Bertolucci, wie er Sergio Leone für sich gewann. Aktuell: Auf Facebook und Twitter kursieren immer konkretere Meldungen, dass Hamed Abdel-Samad entführt worden sei. Die Ruhrbarone führen ein Liveblog.

Ein wilder Watz

23.11.2013. Wozu ein nationales Internet, wenn dann der BND schnüffelt, statt der NSA, fragt Mario Sixtus im Tagesspiegel. In der NZZ liest Gertrud Leutenegger in einem ihr besonders teuren Diebesgut. Die taz gräbt Schätze aus der Blütezeit des äthiopischen Jazz aus. Die Welt veröffentlicht einen Aufruf europäischer Intellektueller, die die Freilassung Nadeschda Tolokonnikowas und Marija Aljochinas fordern. Die FAZ reist zum Literaturfestival "Filit" ins ostrumänische Iaşi.

Nationale Krypto-Algorithmen

22.11.2013. In der taz erklärt Norman Birnbaum, warum die amerikanische Politik in den fünfzig Jahren seit dem Mord an John F. Kennedy alle Hoffnung fahren ließ. Sibylle Lewitscharoff stürbe froher, stürbe sie nach Amazon, gab auf der Buchmesse Wien laut Presse aber auch zu, dass es wohl umgekehrt kommt. In der SZ rechtfertigt Oberstaatsanwalt Reinhard Nemetz die Dauer des Verfahrens um den Gurlitt-Kunstschatz. Die Welt erklärt Anton Graff zum größten Porträtisten des 18. Jahrhunderts.

Auf dem Feldherrnhügel der Deutungshoheit

21.11.2013. Kunstwerke, die Hildebrand Gurlitt im besetzten Ausland kaufte, können nicht als rechtmäßig erworben gelten, schreibt Götz Aly in der Zeit. Das FAZ-Feuilleton lässt Politiker und Wirtschaftsleute für eine Europäisierung des Internets trommeln. In der Welt wehrt sich der Autor und Fotograf Rolf Bauerdick, der an dem Begiff der "Zigeuner" festhält, gegen den Vorwurf des Rassismus. Die NZZ stellt den 18-jährigen dänischen Lyriker und Religionskritiker Yahya Hassan vor. Alle nehmen Abschied von Dieter Hildebrandt.

Bösgläubige Besitzer

20.11.2013. Sowohl SZ als auch FAZ befassen sich mit der Frage der Verjährung bei Raubkunst: So eindeutig scheint die Rechtslage nicht zu sein. Die NZZ erkundet das Gewaltregime des Daniel Ortega und ist nicht zufrieden mit einem chauvinistischen Blick auf die Art déco in einer Pariser Ausstellung. Auch die Welt verreißt: und zwar einen "Falstaff" an der Deutschen Oper Berlin, der öderweise in einem Altenheim spielt. Kenneth Roth von Human Rights Watch erklärt den amerikanischen Lesern im NYRBlog, wie die NSA die Meinungsfreiheit gefährdet. Und im Guardian fragt Simon Jenkins, wie man Geheimdiensten vertrauen soll, die britische Staatsgeheimnisse an 800.000 Amerikaner weitergeben.

Befugnis-Hopping

19.11.2013. Datenschützer Peter Schaar prangert in einem Bericht an die Bundesregierung die Rechtsbeugung durch die Geheimdienste an. In der NZZ fordern zwei Medienwissenschaftler eine medienübergreifende Bezahlschranke im Netz. Die taz feiert die ersten Inszenierungen der Ära Shermin Langhoff am Gorki-Theater. Guernica feiert die Gebrüder Gao. In der FAZ erschallt nun erwartungsgemäß ein Roland Reußscher Bocksgesang zu Google Books.

Großbritannien ist verdammt noch mal am Ende

18.11.2013. Dass mit dem Privatmann Cornelius Gurlitt anders verfahren wird als etwa mit Museen, erscheint der FAZ inzwischen skandalös. Die Welt unterwirft Gurlitt schon mal einer Psychoanalyse. Spiegel Online und SZ bringen neue Geheimdienstenthüllungen. In der Daily Mail erklärt Google-Chef Eric Schmidt, wie er durch Indizierung von Suchen Kinderpornografie verhindern will. In der taz schwärmt Oasis-Entdecker Alan McGee vom Bauch der Arbeiterklasse.

Vergangenheitsbewältigung im Zeitraffer

16.11.2013. Aldous Huxleys "Schöne neue Welt" ist nicht aktueller denn je, wie es immer heißt, sondern reaktionäre Modernekritik, stellt die Welt zum fünfzigsten Todestag des Autors fest. Die FAZ sieht Google Books mit dem New Yorker Urteil als schützenswerte Errungenschaft anerkannt. Fritz Stern warnt davor, wegen der arroganten Dummheit der USA gleich in Antiamerikanismus zu verfallen. Der deutsche Kunstmarkt hat in der Aufarbeitung der NS-Verbrechen versagt, stellen SZ und taz fest. Und die NZZ feiert Albert Camus' hundertsten Geburtstag.

Mit geläufiger Gurgel

15.11.2013. Heise analysiert das nach langen Jahren gefallene Urteil zu Google Books: Der Konzern darf Bücher einscannen und durchsuchbar machen - vorerst. Die taz fürchtet Pressezensur in Großbritannien. Die NZZ lauscht mit Oleg Jurjew russischen Ganovenliedern. Die SZ schildert das Behördenchaos im Fall des Schwabinger Kunstfundes. Und der Hornist Felix Klieser spielt Schumann.

Hochkulturwürden

14.11.2013. Die FAZ macht die Museen mit dafür verantwortlich, dass ein bunter Blechpudel jetzt 54 Millionen Dollar erlöst. Die Zeit erklärt, wie geraubte Kunst zum Grundstock der blühenden Galerienlandschaft nach dem Krieg wurde. SZ, FAZ und Perlentaucher sind schockiert von Joshua Oppenheimers Dokumentarfilm "The Act of Killing". Die NZZ macht einen Ausflug in die Schwulenszene von Jerusalem. Die Welt räumt mit dem Mythos der deutschen Alleinschuld am Ersten Weltkrieg auf. Seit hundert Jahren sucht Proust nach der verlorenen Zeit. Und wir betten einen 110-minütigen neuen Dokumentarfilm über Jimi Hendrix ein.

Das Jenaer Pendant zu den Twin Towers

13.11.2013. In der NZZ gibt Najem Wali Entwarnung: Er ist gar nicht von Al Qaida, obwohl er Arabisch kann. In der taz spricht Martin Miller über seine Mutter Alice Miller, die berühmte pädagogische Klassiker schrieb und ihren Sohn ins Kinderheim steckte. In der FAZ machen sich 160 Dirigenten Hoffnung, dass das Freiburger SWR-Orchester doch noch zu retten ist. Allgemein wird begrüßt, dass einige Werke aus dem Gurlitt-Fundus online gestellt wurden. Nun sollten es die in dieser Sache recht schüchternen Museen genau so halten , findet die FAZ.

Welthaltigkeit ist das Stichwort

12.11.2013. In der FAZ attackiert Roland Reuß deutsche Bibliotheken (etwa die Bayerische oder die HU-Bibliothek) und wirft ihnen vor, Nutzerprofile an Google (und somit tendenziell an die  NSA) auszuliefern. SZ und FAZ sind nicht ganz einverstanden mit der Entdeckung immer neuer Raffaels oder Da Vincis. Die NZZ porträtiert die katalanische Verlegerin und Autorin Rosa Regàs, die sich gegen den sezessionistischen Taumel in ihrer Region wendet. Rue89 analysiert das neue Wahlkampfplakat der unheimlichen Marine Le Pen.

Alles zitieren, aber selbst nicht zitiert werden

11.11.2013. FAZ und SZ sammeln neue Details aus dem Leben des Hildebrand Gurlitt. Die SZ wendet sich außerdem gegen Peter Raues Idee einer schnellen Veröffentlichung der Bilder im Netz. Mailand will die Via Gluck unter Denkmalschutz stellen, berichtet der Tagesspiegel. Netzwertig macht sich Sorgen um die Zukunft von Facebook. Das Urteil im Prozess um Kritikerzitate auf Klappentexten, die sich die FAZ künftig bezahlen lassen will, ist auf Januar verschoben, meldet burchreport.

Noch leiser als möglich

09.11.2013. In der Welt erzählt Jonathan Franzen, wie er gegen das elterliche München rebellierte. Außerdem fragt die Zeitung, wer wie viel über den großen Kunstschatz wusste. Die SZ widmet sich den ebenfalls recht enormen Lügen der Wiederaufbauzeit und fordert ein Ende der Verjährung bei Raubkunst. Auf dem E:publish-Kongress erklärt Katharina Hacker, warum sie die Gruppe "Fiktion" unterstützt. Die NZZ feiert Roman Polanskis listigen Film "Venus im Pelz". Und die taz zahlt für Erregungsvorschläge künftig in Sloti.

Wir twittern ganz frei aus Iran

08.11.2013. Die Welt beschreibt die "Wege des Unrechts", auf denen man unter den Nazis legal an Kunst kommen konnte. In der FAZ will der Provenienzforscher Willi Korte die Entdeckung des Gurlitt-Schatzes nicht als Sensation sehen. Der Freitag porträtiert die Verlegerin Sabine Dörlemann. Die britischen Abgeordneten haben ihren Geheimdienstchefs bei einer Befragung leider kein bisschen Angst eingejagt, finden Bürgerrechtsgruppen laut Guardian. Hasenherzig sind auch die deutschen Politiker, meint die SZ. In der NZZ hofft Bahman Nirumand auf eine Liberalisierung im Iran.

Sensationelles Feingespür

07.11.2013. Peter Raue wiederholt im Tagesspiegel seine Forderung, die Bilder des Gurlitt-Fundes ins Netz zu stellen. Aber handelt es sich überhaupt um Raubkunst, fragen NZZ und SZ. Die FAZ stellt klar, dass Werke verfolgter Künstler auch in der Nazizeit durchaus gehandelt wurden. Der Gegensatz zum Islamismus sind nicht "westliche", sondern universale Werte, meint Boualem Sansal in der Huffpo Maghreb. Im Guardian kritisiert Tim Berners-Lee die Geheimdienste, die mit der Entschlüsselung von Codes die Welt nur unsicherer machten. In der Zeit erzählt Claude Lanzmann, wie er sich mit Steven Spielberg versöhnte.

Die sagen: Wir forschen selbst

06.11.2013. Im Deutschlandradio fordert Peter Raue, dass die Bilder des Gurlitt-Schatzes ins Netz gestellt werden. Aber genau das will die Augsburger Staatsanwaltschaft nicht, meldet die taz. Erstaunlich, dass man von Schatz spricht, und nicht von Schätzen, findet die NZZ. Immerhin, sie wurden gut gelagert, meldet erleichtert die SZ. Ist der an deutschen Universitäten gelehrte Islam allzu liberal, fragt die FAZ.Vor seiner Wahl erweckte Barack Obama den Eindruck, er wolle Whistleblower schützen und Folterer verurteilen, nun macht er's genau umgekehrt, klagt der Atlantic.

Eine Familiengeschichte im deutschen Kunstbetrieb

05.11.2013. Die SZ stellt die unheimliche Frage, ob sich die Familie des Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt ihren Kunstschatz wegen abgelaufener Verjährungsfristen womöglich "ersessen" hat. Auch die FAZ trägt Hintergründe zum Fall von Hitlers Kunsthändler zusammen. Außerdem fragt sie sich angesichts eines Google-Springer-Deals, warum Springer das Leistungsschutzrecht erkämpfte (und die FAZ hinterhertrottete). Die Welt freut sich weiter über die Bespitzelung durch freiheitliche Mächte. Und MacKenzie Bezos, die Frau von Amazon-Gründer Jeff Bezos bewertet ein kritisches Buch über ihren Mann auf Amazon mit nur einem Stern.

Und nie wird gelacht

04.11.2013. Die Welt fragt, warum bayerische Behörden den Fund von 1.500 Kunstwerken seit 2011 geheim hielten. In der NZZ verzweifelt der syrische Dichter Adonis am Westen, der in Syrien die Falschen unterstütze. Wer ist Old School und wer ist New School, fragt Jay Rosen mit Blick auf Glenn Greenwald und den New-York-Times-Redakteur Bill Keller. Die SZ hält die Behauptung, dass der russische Geheimdienst die Enthüllungen Snowdens steuere, für Desinformation. In der Financial Times spricht Michail Chodorkowski über seine Lagerhaft.

Ständige Seligkeit in jedem Atem

02.11.2013. Der Guardian erzählt, wie beflissen kontinentaleuropäische Geheimdienste NSA und GCHQ beim Ausspähen der eigenen Bevölkerung helfen. Die taz konstruiert eine Symmetrie zwischen NSA und islamistischem Terror. Die SZ plädiert auf Asyl für Snowden. Nazis, Klimt, österreichische Honoratioren und 14 uneheliche Kinder - Art erzählt, warum der Direktor des Leopold Museums zurückgetreten ist. Krieg ist auch eine Hochzeit für die Literatur, lernt die Welt in einer Marbacher Ausstellung.

Ohne Cash

01.11.2013. Frank Schirrmacher fordert in der FAZ eine europäische Alternative zu Google und Co. Die Historikerin Anne Applebaum kritisiert in Slate die "selbstgerechte Hysterie" der Deutschen. Glenn Greenwald betont trotz Keith Alexanders Protesten, dass die amerikanische Regierung bisher keine der Snowden-Enthüllungen dementiert hat. Und was wird wohl in Edward Snowdens Brief an die Kanzlerin stehen, den Christian Ströbele heute Nachmittag überreicht? Schon jetzt sollte er zumindest den Generalbundesanwalt beschämen, meint jedenfalls Netzpolitik.