Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

August 2008

Opulentes Ungefähr

30.08.2008. In der FAZ erklärt Henryk M. Broder, warum er sich weder vom Gericht noch von der FAZ verbieten lassen möchte, jemanden als antisemtisch zu bezeichnen. Die SZ verabschiedet Wolfgang Wagner. Die taz beobachtet, dass in den USA Weiße und Schwarze noch immer getrennt beten. In der Jungle World plädiert Cord Riechelmann gegen die Gauß'sche Normalverteilung. Und die FR ist enttäuscht von Madonnas Muskelspielen.

Zunehmend feindseliger

29.08.2008. Deutsches Kino in Venedig: Laut Welt weist Christian Petzold in seinem neuen Film "Jerichow" nach, dass man "Ossessione" auch in die Prignitz verlegen kann. In der NZZ bestreitet der Philosoph Otfried Höffe jede Rechtsgrundlage für die Sezession Südossetiens und Abchasiens. In der taz staunt Michail Ryklin über die Tücken der Georgien-Diskussion. Und in der FAZ fragt Michael Krüger: Macht das Kindle aus unserer Welt eine elektronische Hölle? Laut Berliner Zeitung schmolz die Postmoderne in den Tränen von Ulrich Matthes.

In Clooneys gemessen

28.08.2008. Es ist Kalter Krieg, meint die FAZ. Und der größte Provokateur ist ausgerechnet die sanfte EU, die nicht aufhört sich auszudehnen, meint Richard Wagner in der Achse des Guten. Am besten, wir geben den Russen keine Visa mehr, schlägt Foreign Policy vor. Die Berliner Zeitung beklagt die totgesparte und gnadenlos ausgepresste Kultur Italiens. Die taz ermittelt gegen die Hacks-Mafia. Die Zeit basht die Jugend (aber liest die das auch?)

Auf Kortners Kosten jubelnd-schadenfroh

27.08.2008. Die taz erinnert an die traurige Tatsache, dass der Zerfall des Römischen Imperiums vor allem den kleinen Leuten schadete. Die FR meint, dass die weißen Amerikaner inzwischen die Afroamerikaner mögen, aber die Nigger hassen sie immer noch. In der SZ erinnert sich Joachim Kaiser daran, wie er einmal mit einem Verriss seinen Job riskierte. In Liberation erklärt die georgische Politikerin Medea Tuschmalischwili, warum sie den Vergleich von Abchasien und Südossetien mit dem Kosovo für abwegig hält.

Echt schwieriges Zeug, Barock und so

26.08.2008. In der Welt plädiert Adam Krzeminski aus polnischer Sicht für Günter Grass. Der FR gefällt es aber nicht, wie Grass seine Kinder zum Selberlebensrapport bestellte. Die taz porträtiert den Schriftsteller Giwi Margwelaschwili. Die FAZ ist enttäuscht: Die sinookzidentale Verständigung ist durch Olympia nicht besser geworden. Welt und SZ machen gerontologische Bedenken gegen die Nike-Mortier-Lösung für Bayreuth geltend.

Nebelkerzenprosa

25.08.2008. Die FAZ jubelt: Die Revolution in Bayreuth ist möglich, mit Nike Wagner und Gerard Mortier. Die SZ beobachtet den Klimawandel auch in Brasilien: Die Copaibabäume tragen dieses Jahr keine Früchte. Günter Grass' "Box" stößt nicht auf die Begeisterung der Kritik: Schon wieder Selbstrechtfertigung, stöhnt die Welt, der Tagesspiegel will Grass' Orgien der Vagheit nicht mitfeiern. Die FAZ erklärt, warum die Kritik bei der "Box" auf jeden Fall zu spät kommt.

Es hätte auch Schöneberg sein können

23.08.2008. In der Welt betrachtet Sonja Margolina im Stau auf der Rubljowka die entstehende russische Zivilgesellschaft. Die NZZ meint: Das Buch überlebt, wenn es ist wie ein Löffel. In der FR protestiert die Autorin Sherry Jones gegen den Verlag Randomhouse, der ihren neuesten Roman "The Jewel of Medina" mit Rücksicht auf den Islam nicht publizieren will. Rue89 wirft Bernard-Henri Levy vor, in seiner Georgien-Reportage geflunkert zu haben. Die Achse des Guten fand heraus: Israel plant einen Angriff auf das rechtschaffene Russland. Dazu beigetragen hat die einseitige Berichterstattung des Perlentauchers.

Das Sprudeln der Hirne sanft lenken

22.08.2008. Spiegel Online zitiert ein chinesisches Interview des einst als kritisch geltenden Regisseurs Zhang Yimou, in dem er Befehl, Gehorsam und Schönheit der Masse preist. Der Freitag greift die Debatte über Filmkritik im Netz auf. Die Berliner Zeitung fragt: Wozu Books on Demand, wenn es elektronische Lesegeräte gibt? Die FAZ hat noch einmal gründlich recherchiert und findet ihre Thesen über Glucksmann und Levy und Georgien und Amerika und Israel bestätigt.

Bis das Medium hinter die Botschaft zurücktritt

21.08.2008. Die FAZ fragt: Was darf Evelyn Hecht-Galinski denken? Und was darf Henryk M. Broder darüber sagen? Und die Zeitung für Schland fragt: Was darf die FAZ in dieser Sache dekretieren? Die FR hat das Kindle ausprobiert. In der Welt erhebt der Organist Ton Koopman schwere Vorwürfe gegen einen Bach-Sohn: Hat Carl Philipp Emmanuel Bach das Ende der "Kunst der Fuge" verschwinden lassen?

Eine Teilmenge dieser Tatsachen

20.08.2008. Die Berliner Zeitung zitiert die China-Expertin der Deutschen Welle, Danhong Zhang, die sich fragt, was gegen Internetzensur einzuwenden ist: "Hier in Deutschland kann man auch nicht jede Seite aufrufen, zum Beispiel Kinderpornografie." In der FR schreibt Sven Hanuschek zu den Vorwürfen gegen Alfred Andersch: "Dass Andersch den Krieg überleben wollte, ist ja wohl keine moralische Schandtat." In der SZ entfaltet Ernst-Wilhelm Händler Thesen zur Überlegenheit des Romans. Im Tagesspiegel erklärt Ray Bradbury, warum Frauen keine Science fiction lesen.

Kein Placebo, sondern Aufputschmittel

19.08.2008. Die taz fragt: Was ist das für ein Buchpreis, der 14.000 Titeln keine Chance gibt? Die Welt meint: Heath Ledgers Joker ist unheimlicher als Jack Nicholsons Joker. Der Tagesspiegel fragt: Geben amerikanische Museen Raubkunst zurück? Die SZ macht sich Sorgen über den Rechtsextremismus in Ungarn. Die FAZ hat herausgefunden, dass W.G. Sebald mit seinen Vorwürfen gegen Alfred Andersch womöglich doch recht hatte.

Sex lässt sich nicht verfilmen

18.08.2008. In der taz erklärt der ukrainische Autor Mykola Riabchuk, warum sich nach dem Feldzug in Georgien selbst die prorussischen Kräfte von Russland abwenden. Der Perlentaucher übersetzt den Liberation-Artikel von Glucksmann und Levy, denen die FAZ vorwirft, allein die Interessen Amerikas und Israels zu verfechten.  Der Perlentaucher antwortet auch auf eine Polemik des Filmkritikers Josef Schnelle gegen Filmkritik im Internet. In der SZ erklärt Michel Houellebecq, warum das Genital das Problem ist.

Wälzen eines Gegenstands mit beiden Füßen

16.08.2008. In der Berliner Zeitung erinnert sich Diedrich Diederichsen, wie er 1982 in New York eine 24-jährige Kellnerin kennenlernte. In der Welt erinnert sich Thomas von Steinaecker, wie er sich über den "Gesang der Jünglinge" kaputtlachte, bevor er sein Leben veränderte. In der SZ erklärt der ukrainische Schriftsteller Juri Andruchowytsch, warum er zu den Georgiern hält. In der taz erklärt die ossetische Literaturdozentin Schanna Tschotschijewa, warum sie die Georgier für Nazis hält. In der NZZ fürchtet Dubravka Ugresic die Hinterlassenschaft ex-jugoslawischer Kriegsverbrecher.

Stimme im verfremdeten Prozess

15.08.2008. In der FR lobt Ulrich Beck die Religion: Befreit sie uns doch aus nationalen Containern. In der NZZ lobt Sadiq Al Azm den Kommerz: Befreit er uns doch aus religiösen Containern. In Georgien geht's um Europa, meinen Andre Glucksmann und Bernard-Henri Levy in Liberation, aber Europa liegt im Koma. Der Welt graut jetzt schon vor dem Buchmessenland China im Jahr 2009. Und vor der Eröffnung der Berlinale 2009.

Eine Träne ohne bestimmte Bedeutung

14.08.2008. In der Welt würdigt Adam Krzeminski den Einfluss Solschenizyns in Polen und geißelt sein Schweigen zu Katyn. In der NZZ kritisiert der georgische Autor Devi Dumbadze den ohnmächtigen Nationalismus seiner Landsleute. Die taz porträtiert den US-Komiker Adam Sandler. Die SZ meint: der Kaukasus-Krieg mag ein alter Krieg sein. Er ist aber die Folge ganz neuer Fehler. Die Zeit durfte schon einen Blick in Nabokovs nachgelassenen Roman werfen und annonciert eine Sensation.

Die Körper der deutschen Soldaten

13.08.2008. Die Welt fragt: Warum nahm Randomhouse Amerika Sherry Jones' Roman "The Jewel of Medina" aus dem Programm? Die NZZ ist nicht zufrieden mit Locarno. Die FR mahnt die Chinesen, nicht immer Harmonie mit Einverständnis zu verwechseln. Die taz beschreibt, wie die Zensur auf dem chinesischen Buchmarkt funktioniert. Die SZ schildert erotische Verwirrung zur Vichy-Zeit.

The official return of history

12.08.2008. Die Welt meint: Das Kindle kommt nach Deutschland. Die NZZ wirft einen Blick auf die reiche Geschichte der russisch-georgischen Beziehungen. Die FAZ erblickt im Kauskasus-Konflikt (ähnlich wie Robert Kagan in der Washington Post) eine Rückkehr zum klassischen Krieg. Die SZ erklärt, warum sie über Eichingers Baader-Meinhof-Film nicht schreiben wird. Weil sie nämlich gar nicht darf. Und dann auch nicht mehr will.

52 gestaffelte Wendeltreppen

11.08.2008. Peter Singers Begriff der "Tierrechte" ist inhuman, meint die Welt. Die FR porträtiert den Treppenforscher Friedrich Mielke. In der NZZ klagt der somalische Autor Nuruddin Farah, dass sein Land vom Westen im Stich gelassen wird. Die SZ findet Michel Houellebecqs ersten Film ganz gut. Isaac Hayes ist tot: Wir bringen ein Video.

Malerei mit Menschenmassen

09.08.2008. In der Welt erklärt Orlando Figes, warum Russlands Intelligenzija heute entweder korrupt oder mafiös ist. Die SZ sieht Kairo auf dem Weg, ein Unterwassermuseum zu werden. In der Berliner Zeitung stellt Leonardo Padura klar, warum die Kubaner die Besten beim Sex sind. Spiegel Online bewundert Chinas Menschenführung.

Der gute Westen, das böse China

08.08.2008. Heute eröffnen die olympischen Spiele in Peking. Die Welt porträtiert den Regisseur des Spektakels Zhang Yimou. Die taz porträtiert die politisch Verfolgten Chinas. Die FAZ kann mit dieser westlichen Entweder-Oder-Moral nichts anfangen. Die NZZ sieht arabische Konservative mit Pop-Videos zur Weißglut gebracht. In der FR erinnert Arturo Arango an das stalinistische 1968 auf Kuba. Und in der SZ überschreitet Andrzej Stasiuk unbewachte Grenzen.

Schwere Laszivität auf einer Wolke

07.08.2008. Kafkas Pornos tapezieren das Sommerloch! Aber sie sind kulturell zu relevant, um richtig Porno zu sein, meint die Welt. Ähnlich sieht's die SZ. Die NZZ feiert die ungemein schöne Musik Salvatore Sciarrinos. Jungle World fragt: Was macht der UN-Menschenrechtsrat mit den Menschenrechten? Die Zeit gratuliert zahlreichen Popstars zum Fünfzigsten.

Es ist unschön

06.08.2008. In der Welt kritisiert der Sporthistoriker Wolfram Pyta die Willfährigkeit, mit der sich das IOC der Symbolpolitik Chinas fügte. Die taz entlarvt Olympia als die Spiele der kapitalistischen Internationale. In der SZ muss Katajun Amirpur feststellen, dass Ahmadinedschad gemeint hat, was er nie sagte. Die Times informiert über Franz Kafkas pornografische Sammlung.

So unbestreitbare Wahrhaftigkeit

05.08.2008. In der Welt beschreibt Gerd Koenen, wie ihn die Lektüre des "Archipel Gulag" veränderte. Auch für Viktor Jerofejew ist es vor allem der "Archipel Gulag", der Epoche machte. In der FAZ äußern sich unter anderem Ralph Dutli und Marcel Reich-Ranicki. Richard Wagner bezweifelt in der Tagespost, dass sich die deutsche Linke je mit Solschenizyn auseinandergesetzt hat. Die taz meldet außerdem: Das Geschäftsmodell Musik gegen Geld ist endgültig tot.

Venezianisches C-Dur-Ritual

04.08.2008. In der NZZ fordert Najem Wali arabische Intellekuelle auf, mit israelischen Kollegen in einen Dialog zu treten. Die FR greift neue Rechercheergebnisse des Germanisten Volker Liersch über Erwin Strittmatter auf, die dieser in der FAZ am Sonntag präsentierte. Die Welt findet die neuesten Forschungsergebnisse über die NS-Verstrickung Friedrich Flicks mehr als eindeutig. Die Meldung vom Tod Alexander Solschenizyns kam zu spät für die Zeitungen - immerhin bringt die New York Times einen langen Nachruf.

Testosterongetriebene erotische Linie

02.08.2008. Wurde der Jurist Horst Dreier, der angeblich Folter in Extremsituation befürwortet, Opfer eines "Konzertierten Rufmords"? So sieht es Michael Stolleis im Merkur. Die SZ antwortet. In der NZZ betont Bora Cosic: Es gibt in Serbien nicht nur Karadzic, sondern auch Dädalus. Die Berliner Zeitung hört Punk in China. In der FAZ erinnert sich Salman Rushdie an das schwierige Zustandekommen der "Mitternachtskinder" und anschließende Glückwünsche der Raubdrucker. In der Welt fürchtet Harald Welzer, dass die Deutschen das Vertrauen in die Demokratie verlieren.

Kleine und große Kompromisse

01.08.2008. In der taz äußert sich Diedrich Diederichsen skeptisch über den afroamerikanischem Widerstands-Wagnerianismus des John Coltrane. Cyndi Lauper klagt in der Berliner Zeitung: Heute sieht man keine Girl Power mehr. Die FAZ notiert erste Äußerungen der Quandt-Familie über ihre Vergangenheit. Außerdem schließt Ingo Schulze mit der Wende ab: Zwanzig Jahre danach fällt die Bilanz des Westens mehr als mager aus. Im SZ-Magazin posieren Olympiasportler für verfolgte Chinesen.