Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

Mai 2009

Er habe jeden Tag zu antichambrieren

30.05.2009. Die FR lernt von Haydn: Quantität schützt vor Verschleiß. Auch die NZZ und die SZ feiern Haydn. In der Welt stellt sich Peter Schneider ein gerechteres 68 vor. Die taz wehrt sich gegen Vorwürfe Wolfgang Kraushaars und hält an ihrem Bild von 68 fest. In der Berliner Zeitung spricht der chinesische Eisenbahner und Aktivist Han Dongfang über das Massaker am Platz des Himmlischen Friedens vor 20 Jahren und seine Glauben an die Notwendigkeit von Gewerkschaften in China.

Kakofonische Explosionen

29.05.2009. Kindesmissbrauch scheint keine Spezialität des Internetzeitalters zu sein. John Banville schreibt in der NZZ über die massenhaften Misshandlungen und Folterungen von Kindern in Heimen der katholischen Kirche Irlands. In der Welt bekennt Simon Rattle seine Vorliebe für Haydn, den Rhythmiker.  In Expressen erklärt Lars Gustafsson, warum er bei der Europawahl für die Piratenpartei stimmen wird. In der FR wendet sich Abdelwahab Meddeb gegen die massenhafte Schlachtung von Schweinen in Ägypten.

Irland schämt sich

28.05.2009. Die Enthüllungen über Karl-Heinz Kurras treiben die Feuilletons weiter um: "Nun ist der Westen am Zug", ruft Götz Aly in der Zeit und fordert die Öffnung weiterer Geheimdienstarchive. In der FR fragt Wolfgang Kraushaar, ob auch Dutschke von einem Stasi-Agenten niedergeschossen wurde. Im Tagesspiegel fordert Lutz Rathenow weniger Schwärzung in den Stasi-Akten. Die Welt berichtet über irische Debatten zu massenhaften Vergewaltigungen von Kindern in Institutionen der Katholischen Kirche. Heise berichtet, dass Kulturstaatminister Neumann Internetabschaltungen für illegale Downloader fordert.

Keine Erklärung für den Schuss

27.05.2009. Der 2. Juni 1967 verwirrt die Geister weiter. In der SZ meint Gerd Koenen, dass sich die Springer-Presse und die Stasi wahrscheinlich ganz gut auf das Feindbild "langhaarige Chaoten" einigen konnten. Die Welt will nachweisen, dass der Springer-Verlag differenzierter über die Studentenproteste berichtete, als das Feindbild es wahrhaben möchte. In der FAZ polemisiert Wolfgang Kraushaar gegen all jene, die an ihrem Geschichtsbild festhalten. Alle würdigen Walter Kappacher, der in diesem Jahr den Büchner-Preis bekommen wird.

Konsequente Fortführung der Groteske

26.05.2009. Bei Durban 2 haben die Feuilletons geschlafen, bei Faruk Hosni werden sie wach. Ein Unesco-Generaldirektor, der entschlossen ist, die Bibliothek von Alexandria Israel-rein zu halten, ist nicht haltbar, meint die FR. Das Blog Lizas Welt sieht den antisemitischen Unesco-Politiker nicht als Ausnahme, sondern als Regel in der UNO. In vielen Feuilletons klingt Cannes nach: Tolles Festival, meint die FAZ, geht so, meint die taz. In der Welt spricht Michael Haneke über seinen palmenprämierten Film. In der SZ fordert Navid Kermani eine Akademie der Kulturen der Welt für Köln. Und Walter Kappacher bekommt den Büchner-Preis, meldet Spiegel Online.

Kinder, einkaufen!

25.05.2009. Die FAZ druckt den Aufruf Bernard-Henri Levys und Claude Lanzmanns gegen die Installierung eines antisemitischen Unesco-Direktors nach. Die NZZ sucht nach dem Gen für Sprache. Überall wird das Festival von Cannes resümiert, erschöpft, aber nicht unglücklich. Die taz schreibt die Geschichte zu Karl-Heinz Kurras nicht um. In der SZ antwortet Beqe Cufaj auf Franziska Augstein zum Kosovo-Krieg. Und man feiert den Schauspieler Christoph Waltz als hocheleganten Nazi bei Quentin Tarantino.

Wir waren kritische Analphabeten

23.05.2009. War der Schuss auf Benno Ohnesorg ein Stasi-Mord? Stefan Aust findet diese Frage in der FAZ nicht von der Hand zu weisen. Auch Wolfgang Kraushaar appelliert in der Berliner Zeitung an Karl-Heinz Kurras, die Hintergründe bekannt zu machen - ohne große Hoffnung, denn Mord verjährt nicht. In der NZZ fragt Dubravka Ugresic: Wo ist Heimat? Die SZ hat sich die Antwortmaschine Wolfram alpha agesehen, die viele Fragen offen lässt.

Gesunder Hauch von Schmiere

22.05.2009. In der FR streiten sich Claus Peymann und Rene Pollesch über den Wert der Literatur. Die Welt zeichnet ein wenig schmeichelhaftes Porträt des neuen Festivalchefs von Salzburg, Alexander Pereira. Und alle schreiben aus Cannes über Quentin Tarantinos Film "Inglourious Basterds": Für die SZ ist es ein Feelgood-Film über Nazis, die taz freut sich, weil Hitler kaputt, die FR sieht ihn als verwegene Kolportage, die Welt feiert den eigentlichen Star des Films: Christoph Waltz.

Vergesst die Ökumene

20.05.2009. Große Debatten über das Internet. Ist es gut, ist es böse? Die Zeit verteidigt die Intellektuellen gegen alle, die zugeben, sie nicht zu verstehen, zumindest aber gegen muehl500. Kann es sein, dass die Intellektuellen selbst die Entkoppelung von Text und Medium durch das Netz nicht verstehen?, fragt der Freitag. In der FAZ antwortet Stefan Niggemeier auf Miriam Meckel: Die Zeitungen haben die Autoren schon vor Google enteignet. In der FAZ kriecht auch Kardinal Lehmann keineswegs zu Kreuze.

Alle Zeichen stehen auf Schock

19.05.2009. Der Skandal um den Hessischen Kulturpreis grollt und rollt weiter. Die FR fordert eine Trennung von Staat und Kirche in Hessen. Die NZZ muss mit Besorgnis zur Kenntnis nehmen, dass ein NZZ-Artikel zum Skandal Anlass gegeben hat. In der FAZ versetzt der Theologe Friedrich Wilhelm Graf den Staats- und Kirchenfürsten eine kräftige Watsche. SZ und Welt geben zu bedenken: Dürfen Christen nicht auch mal beleidigt sein? Und dann Lars von Trier, der Irrsinn, das Echte, die Schere, der Horror, der Horror, der Horror...

Sooo zerbrechlich

18.05.2009. Micha Brumlik fürchtet nach dem Debakel um den Hessischen Kulturpreis in der FR um die Zukunft der Integrationspolitik. In der Welt befürwortet der Autor Rolf Schneider einen Prozess gegen John Demjanjuk. In der taz spricht der Historiker Tom Segev über Rassismus in Israel. Die Cannes-Kolumnisten schreiben zumeist über Ang Lees neuen Film "Taking Woodstock". Die NZZ fand Albert Ostermaiers neues Stück "Blaue Spiegel" am Berliner Ensemble so leicht verständlich wie schwer verdaulich.

Die Jugendschutzschiene

16.05.2009. In der NZZ erklärt David Lodge, wann ein Künstler zum Geschäftsmann wird. Die CDU will bei Google überhaupt keine deutschen Bücher sehen, meldet Spiegel Online. In der taz erklärt der Theatermacher Volker Lösch, wie er das Theater an die Welt ankoppelt. Netzpolitik.org weiß, warum sich die Videotheken solche Sorgen über Kinderpornos im Netz machen. Und: Die Empörung über die Aberkennung des Hessischen Kulturpreises an Navid Kermani ist einhellig.

Die Rückkehr des Bleichen

15.05.2009. Deutsche Politiker im Web 2.0 - ratlos: Die NZZ ist nach Untersuchung der Wahlkampfseiten ernüchtert. In Qantara benennt der Lyriker Adonis die Hindernisse im Dialog der Kulturen. Die Welt bringt ein Gespräch mit Lars von Trier, der eine Depression mit dem "Antichrist" bewältigte. Der Skandal um die Aberkennung des Hessischen Kulturpreises für Navid Kermani sorgt allgemein für Befremdung - Kermani selbst schreibt in der FAZ. Aktualisiert um 10 h: Die Blogs diskutieren über Lawrence Lessig, Kinderpornosperren, "Heidelberger Appell".

Ich könnte an ein Kreuz glauben

14.05.2009. FAZ und NZZ sind fassungslos über die Entscheidung, Navid Kermani vom Hessischen Kulturpreis auszuschließen. In der FR fragt Necla Kelek ihren Soziologenkollegen Claus Leggewie, wie ein emanzipatorischer Ansatz in der Frage des Moscheenbaus aussehen sollte. Die Welt bewundert die Brüste einer Venus von der Schwäbischen Alb.

Ich spürrre nichts

13.05.2009. In der Welt meldet die Autorin Julia Franck literarische Bedenken gegen das Internet an. Die FR hat David Attenborough nach den Kreationisten gefragt. Die Antwort kriecht als Wurm durch das Auge eines afrikanischen Kindes. Den Leipzigern soll eine Demokratieglocke schlagen, berichtet die NZZ. Stefan Niggemeier platzt der Kragen über die Qualitätsjournalisten. Alle Zeitungen freuen sich auf das krisenbedingt ein wenig gerupfte Festival von Cannes.

Rekombination des immer Gleichen

12.05.2009. Der Papst war in Jerusalem, Depeche Mode waren in Tel Aviv. Die SZ entschied sich - für Tel Aviv. Die Welt ist fasziniert: In "Riesenbutzbach" wird mit Menschen gehobelt. Die taz schildert vergebliche Vereinigungsbemühungen von Ost- und Westfeministinnen. In der FAZ erzählt Andrzej Stasiuk sein 89. Carta ist überzeugt: Der deutsche Journalismus geht gerade wegen seiner Rettungsringe unter.

Emotional unterversorgt

11.05.2009. "Heidelberger Appell" hin oder her - in der Welt fasst Cora Stephan ihren Ko-Autoren und den etablierten Medien an die jeweils eigenen Nasen. Auch die taz kritisiert die Medien, die das eigene Desinteresse an Europa als "Europa-Müdigkeit" des Publikums verkaufen. Die NZZ zeigt: Matisse versteht Picasso mit dem Kopf, aber nicht mit dem Hintern. Der SZ-Kritiker Christopher Schmidt diagnostiziert eine Sehnsucht nach Unmittelbarkeit im Theater und beim Publikum.

Am liebsten würde ich Sie erschlagen

09.05.2009. In der Welt schwärmt Arno Geiger von der unkontrollierten, lebenswütigen Literatur des Thomas Wolfe. In der taz arbeitet Antonio Negri an einem Pragmatismus der Revolution. Die SZ sieht sie in Mexiko schon auf bestem Weg, zumindest in der Architektur. In der FR fragt sich Navid Kermani, warum über Goethe immer nur die Meiers und die Schulzes reden. Die NZZ bewundert Ingmar Bergmans souveränen Umgang mit Kritik. Die Blogs resümieren die Urheberrechtskonferenz des Bundesjustizministerium. Und die FAZ erklärt, wie sich Indiens siebenhundert Millionen Wähler an die Urnen bringen lassen: mit Begeisterung.

Schweigen ist anstrengend

08.05.2009. Für die Welt liest Hubertus Knabe die Akten der Stasi-Verhöre Jürgen Fuchs'. Bundesjustizministerin Brigitte Zypries stimmt dem "Heidelberger Appell" zu, will ein Leistungsschutzrecht für Zeitungen und fordert strengere Kontrolle im Netz, berichtet Heise. Die FR druckt ein Youtube-Interview mit Condoleezza Rice, die ganz genau erklärt, warum Waterboarding gar keine Folter sein kann. Die SZ besucht die europäische Google-Zentrale. Im Tagesspiegel erklärt Jury-Mitglied Thomas Brussig, warum es mit dem Einheitsdenkmal nicht werden konnte.

Lotsenschiff im großen Kino-Ozean

07.05.2009. Im Freitag protestiert Christoph Hein gegen die offizielle Ausstellung "60 Jahre - 60 Werke", in der kein einziges Werk aus der DDR gezeigt wird. Telepolis fragt: Warum fordern die Zeitungen, denen es doch so um die Urheber zu tun ist, Leistungsschutzrechte? Die Zeit besucht die Macher des ersten Programmkinos im Internet: The Auteurs. Die Welt berichtet über Zweifel an der Echtheit der Nofretete-Büste.

Kuchen umsonst

06.05.2009. In der SZ erzählt der Künstler James Turrell, wie er den Sammlern Licht verkauft. Die FAZ bringt weitere Artikel gegen Open Access. Und Martin Walser verteidigt den Kapitalismus. Die FR schätzt Wolfgang Rihms "Proserpina" als feministische Oper. Thomas Knüwer hat für Indiskretion Ehrensache den Guardian besucht, wo die Printjournalisten dem Prekariat aus der Online-Abteilung gleichgestellt werden.

Intakte niedere Instinkte

05.05.2009. Techcrunch fürchtet: Der neue Kindle wird die amerikanischen Zeitungen auch nicht retten. In der taz warnt Peter Sloterdijk: Wir müssen aufhören, die Krise zu ästhetisieren. Die Berliner Zeitung will die Gratis-Idee des Netzes aufbrechen. In der FAZ setzt der Autor  Michael W. Perry seine Hoffnungen auf Europa: Rettet uns vor Google.

Pigs Would Fly

04.05.2009. Schriftsteller sind wie Vögel, meint Jonathan Franzen in der Welt. Und Vögel sind so arm, dass sie Käfer fressen. Die taz fürchtet eine immer stärkere Zensur im Netz, für die Kinderpornografie nur ein Vorwand ist. Für die SZ berichtet Richard Swartz Unheimliches aus dem krisengeplagten Ungarn. Und selbst die FAZ kann über Ernst Nolte nur den Kopf schütteln.

So unfassbar allein

02.05.2009. Die Kritik ist sich uneins über Judith Hermanns neuen Erzählband "Alice": Bei ihr wird nicht geweint und nicht geklagt, auch wenn's um den Tod geht, und das ist des einen Freud und des anderen Leid. Die SZ will Google Book Search und Open Access nicht in einen Topf werfen. In der NZZ kritisiert Peter Stein seine jüngeren Kollegen als konventionell. Marcel Weiss setzt in Netzwertig seine Bestandaufnahme der deutschen Angst vorm Netz fort.