Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

Januar 2011

Hier demonstriert das ägyptische Volk

31.01.2011. Für die Welt berichtet Hamed Abdel-Samad direkt aus der Demo in Kairo. In der FAZ fordert er den Westen auf, Mubarak fallen zu lassen. Die New York Times schreibt über die wichtige Rolle von Al Dschasira in den arabischen Unruhen.  In der NZZ erklärt die weißrussische Reporterin Swetlana Alexijewitsch, warum ihr Land keine Nation ist. In der SZ beschreibt Joachim Kaiser, wie Christian Thielemann das Horn zu überwältigender Klage animierte.Die Bild-Zeitung nennt die Namen von Marcus Hellwig und Jens Koch.

Unmanierlich nichtideologisch

29.01.2011. In der Welt erzählen Hubert Haddad, Boualem Sansal und Khaled al-Khamissi von der Stimmung in Tunesien, Algerien und Ägypten. Die taz staunt über junge Ägypter, die weder nationalistisch noch islamistisch sind. Die FAZ staunt über den volkstümlichen Charakter der Revolution. Die SZ freut sich, dass endlich mal die heimischen Unterdrücker aufs Korn genommen werden. Außerdem: In der NZZ stellt der Joyce-Forscher Fritz Senn "Finnegans Wake" als ideales e-Book vor. Und die FAZ porträtiert den schwedischen Tenor Jussi Björling.

Eine Orchidee mit Dornen

28.01.2011. Die NZZ fragt: Wo ist die arabische Zivilgesellschaft, die die Gewalt gegen Christen geißelt. Bert Rebhandl hat für Cargo den türkischen Film "Tal der Wölfe - Palästina" gesehen: "Das ist ein lupenreiner Propagandafilm, Preisklasse Jud Süß." In der FR will György Konrad die Zustände in Ungarn nicht mit der Machtergreifung der Nazis vergleichen, tut es dann aber doch. Im Guardian verteidigt sich Ian McEwan gegen Israelkritiker, die ihn auffordern, den Israel Prize nicht entgegenzunehmen. Die SZ empfiehlt eine überrraschend aktuelle Inszenierung des tunesischen Theaterregisseurs Fadhel Jaibi.

Das literarische Paradox diskreter Blicke

27.01.2011. Der Tod Bernd Eichingers ist so einschneidend wie der Tod Rainer Werner Fassbinders vor bald dreißig Jahren, meint die Welt. Die anderen Zeitungen sehen es ebenso. In der FAZ staunt Abdelwahab Meddeb über das Tempo der Tunesier. Heute ist Holocaust-Gedenktag: In der SZ vergleicht Salomon Korn die Situation Muslime heute mit der Juden einst. Die Zeit bringt ein Dossier zur Lage der Juden in Europa. In Le Monde beklagt Slavoj Zizek Israels Tendenz zu existieren. In der taz fürchtet Mike Leigh die Heraufkunft eines neuen Faschismus. Im Freitag erklärt Oskar Negt, warum er die Sowjetunion vermisst. 

Systematische Reflexion über den Gegenstand

26.01.2011. Bernd Eichinger ist tot: Die Zeitungen bringen Nachrufe auf den "bayerischen Tycoon". Die Welt kratzt am Image des neuerdings so beliebten Architekten Paul Bonatz. Die NZZ versucht den Einfluss der Islamisten in Tunesien zu ermessen. Christopher Hitchens spricht in einem Videointerview und in Vanity Fair über seine Krebskrankheit. In der taz erklärt Berlinale-Chef Dieter Kosslick, dass die Berlinale nicht am Streik für Jafar Panahi am 11. Februar teilnehmen wird.

Das Land, das die moderne Propaganda erfand

25.01.2011. Die SZ bringt einen Aufruf von Jürgen Habermas und Julian Nida-Rümelin gegen das ungarische Mediengesetz und die lasche Reaktion der EU. In der Zitty wehren sich Berliner Künstler gegen die "neoliberale Rhetorik" von... äh, Klaus Wowereit. Die NZZ beschreibt die tief gespaltene Medienlandschaft in Belgien. In der FR fragt der in Italien lebende Autor Tim Parks: Wie ist es möglich, dass Berlusconi sich hält? Im Blog von Roger Ebert erklärt der Cutter Walter Murch, warum er ganz und gar nicht an 3D glaubt. Die FAZ schildert den Fall des weißrussischen Präsidentschaftskandidaten Wladimir Nekljajew, der im Gefängnis misshandelt wurde.

Ich habe gehört, dass der Frank am Ende ist

24.01.2011. Die FR ruft: "Vive la Tunisie libre! In der Welt erklärt die Geigerin Hillary Hahn, wie sie neues Repertoire sucht: nachts bei Wikipedia. Foreign Policy ist erstaunt über eine Rede des berühmten New Yorker-Journalisten Seymour Hersh, der überzeugt ist, dass sich die USA  buchstäblich auf einem Kreuzzug gegen die islamische Welt befinden. Alle Zeitungen sind begeistert von dem Architekten des Stuttgarter Bahnhofs, Paul Bonatz, dem in Frankfurt eine historische Retrospektive gewidmet wird.

Das choschted aber

22.01.2011. In der taz erzählt György Dalos, mit welchen miesen Tricks die Regierung von Viktor Orban Druck auf die Medien und Intellektuellen ausübt. In der Berliner Zeitung erinnert sich Angela Winkler an Klaus Michael Grüber. In der FAZ fragt Mercedes Bunz: Ist die Digitalisierung für die Angestellen, was die Industrialisierung für die Arbeiter war? Alle Zeitungen besprechen Michael Thalheimers Inszenierung der "Weber" am Deutschen Theater: Aber ist das wirklich Blut, das da rieselt?

Montenegrinisch versteinert

21.01.2011. Im Tagesspiegel erzählt Laszlo F. Földenyi, wie Viktor Orban es schaffte, sowohl die Nostalgiker des Kadar-Kommunismus als auch die Anhänger des Horthy-Faschismus in seinem nationalistischen Projekt zu vereinen. Die Welt zeigt, dass die ungarische Medienzensur durchaus liberal sein kann, aber nur bei Antisemitismus. Gegenüber der FR fordert Amartya Sen mutige Redakteure. Die amerikanischen Medienblogs kommentieren das Stühleschieben bei Google.  Die NZZ informiert über die beste aller isländischen Sagas.

Haben Sie etwas dagegen, wenn ich ebenfalls lache?

20.01.2011. Jungle World fragt: Ist 2011 das 1989 des Nahen Ostens? Die NZZ feiert die dänische Architekturavantgarde und besonders das Büro 3XN. Außerdem erzählt sie einen Schwedenwitz. Die FAZ traf den höflichen, sanften und israelkritischen Stephane Hessel. Die SZ ist einverstanden mit Okwui Enwezor. In der Welt erzählt der ukrainische Autor Andrej Kurkow, wie es seiner Kollegin Maria Matios erging, als sie Russland kritisierte.Die FR stellt den rumänischen Lyriker  Constantin Virgil Banescu vor: "zu der zeit als ich frauenkleider trug/ trank ich viel tee."

Dieser kolloquiale Huch- und Krass-Ton

19.01.2011. "Wir sind keine Netzbenutzer mehr, wir sind Netzbenutzte", stöhnt der Publizist Eduard Kaeser in der NZZ. Die Tunesier demonstrieren vor allem für Menschenrechte, schreibt der Philosoph Ridha Chennoufi in der FR. Die Politologin Anne Bayefsky warnt in der Jerusalem Post vor der Durban 3-Konferenz, die ausgerechnet zum Jahrestag des 11. Septembers in New York stattfinden soll. Dem Blog Nerdcore soll der Domainname gepfändet werden - die Kollegen sind aufgeregt und solidarisch.

Allenfalls ein Huster der Geschichte

18.01.2011. Die SZ stellt Kirill Petrenko, den Dirigenten der "Tosca" in Frankfurt, unter Genieverdacht. Die Welt findet immerhin, dass er dieses "Quälodram des Repertoirebetriebs" recht kultiviert präsentiert. In der Jüdischen Allgemeinen bekennt Enoch zu Guttenberg seinen metaphysischen Katzenjammer. Mashable meldet, dass man auf Ebay die Identität des Streetart-Künstlers Banksy ersteigern kann. Die FAZ blickt sich um in der Welt nach Stuxnet.

Pathosstätte und Wundertüte

17.01.2011. In der FAZ hat der Film- und Theaterregisseur Fadhel Jaibi Hoffnung für das postrevolutionäre Tunesien: Es gibt genug begabtes Personal. Auch die NZZ blickt mit verhaltenem Optimismus auf die "Jasmin-Revolution". Das Blog AppleInsider hat Neuigkeiten für Zeitungsverleger: Apple verbietet ihnen, ihre Ipad-Apps als Schmankerl zum Printabo anzubieten. Die taz stellt ein neues Buch des amerikanisch-polnischen Historikers Jan T. Gross über Polen im Holocaust vor, das in Polen für Ärger sorgen könnte. Alle Zeitungen begutachteten das Suhrkamp-Archiv in Marbach.

Das Allerprivateste wird zum Ereignis

15.01.2011. Foreign Policy jubelt  über Tunesiens Revolution, bei der erstmals in der arabischen Geschichte ein arabischer Diktator vom Volk gestürzt wurde. In der taz erzählt Willi Winkler, wie der Schweizer Nazi Francois Genoud mit Hilfe von Carlos und der PFLP seinen antisemitischen Kampf fortsetzte. Die SZ freut sich über die winzigen Figuren des  Künstlers Slinkachu. Die FAZ meldet, dass Peking das Wort Zivilgesellschaft verboten hat. Die NZZ feiert den größenwahnsinnigen Humanismus der Wikipedia. Update: In The Atlantic wirft Jonathan Lethem der Wikipedia tödliche Pedanterie vor.

Lindenberg säuft wenigstens

14.01.2011. Die FR rühmt das Artemis Quartett und seinen schroffen Beethoven. In der NZZ schimpft Richard Wagner auf Osteuropäer, die unter Verweis auf ihre traumatische Geschichte aus der Verantwortung für Freiheit und Bürgerrechte mogeln. Die Jungle World legt dar, dass die Verfolgung religiöser Minderheiten im Nahen Osten wahrlich  nichts Neues ist. Die New Republic feiert Jürgen Habermas als "the single most important public intellectual in all of Continental Europe". In der Welt wiederholt Rafi Pitts seinen Vorschlag, dass die Filmwelt (und auch die Berlinale!) am 11. Februar die Arbeit niederlegt - für Jafar Panahi.

Achselzuckendes universelles Schweigen

13.01.2011. In der FAZ vergleicht Abdelwahab Meddab die Proteste der jungen Tunesier mit dem Aufstand nach den fabrizierten Wahlen im Iran im Jahr 2009. In der taz vergleicht sich Rudolf Thome, ohne mit der Wimper zu zucken, mit Howard Hawks. Der Freitag bringt ein historisches Porträt des Schweizer Nazi und Terroristenfreunds Francois Genoud, der sein Geld unter anderem mit Goebbels-Tantiemen verdiente.

Es könnten auch reaktionäre Motive gewesen sein

12.01.2011. Die Welt greift die Diskussion um das Wörtchen "Christenverfolgung" auf. Wired lobt Twitter für sein Verhalten gegenüber amerikanischen Behörden, die Wikileaks-Daten wollten. Die NZZ beobachtet die langsamen Fortschritte der modernen Kunst in Syrien. Die SZ liest Stephane Hessels "Indignez-vous" als Antidepressivum.

Es war so, es war nicht so

11.01.2011. Die FR meint: Lieber Stephane Hessel als Thilo Sarrazin. Thomas Knüwer fordert strengere Datenschutzrichtlinien gegen Zeitungen. Meedia berichtet über einen möglichen neuen Stellenabbau in der FR (sofern das noch möglich ist). In der Welt korrigiert Fotoreporter Rolf Bauerdick Andre Glucksmanns und Günter Grass' romantisches Zigeunerbild. So proislamisch war Goethe gar nicht, schreibt Necla Kelek an die Adresse des verstorbenen Hadayatullah Hübsch in der FAZ. In der SZ feiert Salman Rushdie das Paradoxe.

Vermutlich auf Befehl der Sowjetunion

10.01.2011. Die NZZ berichtet über den Exodus von Christen aus orientalischen Ländern und beklagt die Gleichgültigkeit der Bevölkerungen. Die taz warnt vor politischem Missbrauch dieses Phänomens.Mit Google geht's bergab, meint Techcrunch. Mit Facebook aber auch schon, meint Douglas Rushkoff. Die FAZ fürchtet, dass das Multikulti-Projekt Belgien demnächst in aller Stille begraben wird. Die SZ interviewt Samuel Friedländer zur Debatte über "Das Amt".

Der Morgen grüßt mit krankem Licht

08.01.2011. Die taz zeichnet einen erbitterten Streit in der Wikipedia nach: Es geht um "Neoliberalismus". In der NZZ liest Rüdiger Görner die Briefe an T.S. Eliot viel lieber als die Briefe Eliots. Die FR versucht die Chimäre Berlusconi zu fassen. In der Welt fürchtet Wolf Lepenies um das Collegium Budapest. Soll man universale Prinzipien auch mit Gewalt durchsetzen?, fragt Egon Flaig in der FAZ. Klar, entwortet er, sonst gäbe es bis heute Sklaverei.

Weg zur Marktreife

07.01.2011. Das Plädoyer der PDS-Chefin Gesine Lötzsch für die Zerschlagung von 9.999 Glühbirnen stößt nicht auf ungeteilte Zustimmung. Toter kann Kommunismus gar nicht sein, meint die Welt. Die FR erinnert an die Folgen der letzten Zerschlagungen von Glühbirnen. Achgut bittet, diesmal nicht zerschlagen zu werden. Die NZZ greift die Islamophobiedebatte auf. In der FR spricht Juri Andruchowytsch über die katasrophale Situation in der Ukraine.

Schnell empört, schnell resigniert

06.01.2011. Nach dem Anschlag gegen die Kopten in Alexandria erinnert Hamed Abdel-Samad in der Welt an die Verantwortung des Westens für die Zustände in Ägypten. Die FR bringt eine wissenschaftlich belegte Widerlegung Thilo Sarrazins. In der NZZ schildert Adam Krzeminski die Angst der polnischen Katholiken vor dem spanischen Gespenst. Im Freitag riskiert Hans Ulrich Gumbrecht einen Schlag gegen den intellektuellen Mainstream. Die FAZ rät der Berlinale, am 11. Februar für zwei Stunden die Arbeit niederzulegen.

Literarische Anfütterung

05.01.2011. In der FR attackiert Theodor Buhl ("Winnetou August") seinen Kollegen Günter Grass, dessen "Blechtrommel" er gnadenlose Verdrängung vorwirft. Die NZZ wundert sich über die verschämte Anonymisierung der beiden deutschen Staatsgeiseln des Iran, Marcus Hellwig und Jens Koch. Die Zeit nennt die Namen zum ersten Mal. Die Welt hat eine gute Nachrichten: Erstmals wollen deutsche Theaterintendanten auch für sich selbst einen Moralkodex schaffen. Die SZ entwickelt einen höchst fälligen Würgreflex angesichts der immer häufigeren Marshmallows in unseren Stadtbildern.

Anlass zur Theoriebildung

04.01.2011. In der taz spricht der iranische Filmemacher Rafi Pitts über einen Raum im Teheraner Filmmuseum, in dem Jafar Panahis Preise ausgestellt werden. Er ist größer als Panahis Gefängniszelle. Neunetz kann die Ansichten der ARD-Vorsitzenden Monika Piel über die "Geburtsfehler des Internets" nicht teilen. Christopher Hitchens gießt in Slate das Wasser über den Teebeutel und lehnt jede andere Methode rundweg ab. In der FAZ schildert der Autor  Michael Hvorecky das so gut wie nicht mehr existente afghanische Literaturleben.

Umworben werden müssen die konstruktiven Kräfte

03.01.2011. Die FAZ erzählt, was passieren kann, wenn in China ein Dorfvorsteher energisch protestiert. Die Blogs machen sich Sorgen um den RSS Feed. Die SZ rät im Fall der Journalisten Marcus Hellwig und Jens Koch zur Beschwichtigungspolitik. In der Berliner Zeitung veröffentlicht der ivorische Autor Venance Konan einen Brief an seinen abgewählten, aber nicht weichenden Präsidenten  Laurent Gbagbo. Die taz interviewt Monika Piel. Die FR interviewt Monika Piel. Die SZ interviewt Monika Piel. Die Welt interviewt Monika Piel.