Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

April 2012

Eitle Cervelats

30.04.2012. FAZ und taz schimpfen über die Auswahl für die Deutschen Filmpreise: kleinbürgerlich und bieder. Der Tagesspiegel findet dagegen aufregendes Relevanzkino gewürdigt. Im Blog der New York Review of Books denkt Verleger Jason Epstein darüber nach, was die Preispolitik Amazons für die Verlage bedeutet. Die NZZ trauert um David Weiss, der zusammen mit Peter Fischli Fleischteppich kaufende Essiggürkchen einen glänzenden Auftritt bot. Die SZ bewundert die neue Bildsprache avancierter Infografiken.

Ebenso viel Weiterbildung wie Vergnügen

28.04.2012. Die taz schildert die Angst einer afghanischen Metal-Band vor dem Abzug der Alliierten. Die FR vermisst Popkritik im Internet. Die NZZ erklärt, warum die Documenta so gut nach Kassel ("eine der hässlichsten Städte westlich Sibiriens") passt. Die FAZ fragt: Was macht das Saxofon in Ambroise Thomas' Hamlet-Oper? Und was der Staat in der Hand des Finanzkapitals?

Tendenz zur Selbstzerfleischung

27.04.2012. Vor der Verleihung der Deutschen Filmpreise heute Abend bereitet der Zustand der Branche weiter große Sorge: Die SZ sieht schon Anzeichen von Gremiendenken bei den Kreativen. Viel Politkitsch und begriffliche Schludrigkeit entdeckt die FAZ auf der Berlin-Biennale. Die NZZ kann im französischen Wahlkampf keinen Mangel an Ideen erkennen, die meisten sind nur leider recht unschön. Dafür haben Franzosen wenigstens eine Vorstellung vom Internet, tröstet sich die taz.

Im Rausch der akademisierten Veredelung

26.04.2012. In der Zeit warnt Dominik Graf vor dem deutschen Relevanzkino: Der Verlust an Trivialität ist dramatisch. Die taz setzt sich in Wiesbaden unerschrocken der russischen Realavantgarde aus. Im Freitag schildert die Journalistin Hani Yousuf die gefährliche Lage in Pakistan. Die FR eruiert Hintergründe zum berüchtigten "Todesspiel" von 1942 in Kiew. In der NZZ warnt Miriam Meckel vor drastischen Etiketten in Feuilletondebatten. SZ und FAZ widmen sich salafistischen Umtrieben in Köln und Kairo.

Wir waren bei 30 Sendern

25.04.2012. Der Tagesspiegel stellt drei Regisseuren eine heikle Frage: Wie lebt man eigentlich vom Filmemachen? Rue89 trifft den syrischen Karikaturisten Ali Ferzat, der weiter zeichnet, auch nachdem ihm  Schergen Assads die Hände gebrochen haben. Sascha Lobo kritisiert auf spiegel.de die Kritiker der Seltsternannten. In der Welt fragt sich BHL, wir Frankreich auf den Erfolg von Marine Le Pen reagieren soll. Und: wie sich der Vatikan, israelische Ultraorthodoxe und iranische Geistliche um die Tugend der Frauen sorgen.

Per Hand oder per Maschine

24.04.2012. Der Verlierer der französischen Wahlen heißt Nicolas Sarkozy - und besiegt wurde er von Marine Le Pen, meint Gilles Hertzog im Blog La Règle du jeu. Nein, der Islam gehört nicht zu Deutschland, schreibt Monika Maron in der Welt. Die NZZ stellt den  italienischen Autor und politischen Paradiesvogel Antonio Pennacchi vor. In der taz preist Najem Wali John Freelys Kulturgeschichte der arabischen Welt. In der SZ hält Franzobel eine Laudatio auf Nora Gomringer.

Die Karotte vor der Nase

23.04.2012. Ai Weiwei wird gegen die chinesischen Steuerbehörden Klage erheben, berichtet die Welt. Nicolas Sarkozys Niederlage ist auch eine moralische, meint Michel Wieviorka in rue89. In der taz geißelt der Wirtschaftstheoretiker Yanis Varoufakis die europäische Griechenland-Politik. In der FAZ konstatiert Olaf Kühl, dass man in Russland durchaus über Michail Chodorkowski sprechen kann - und dass nicht wenige mit ihm sympathisieren.In Spiegel Online fordert der Blogger Michael Seemann glatt eine Abschaffung des Urheberrechts.

Sogenannter Sechser

21.04.2012. In der NZZ erklärt der jugoslawische Schriftsteller Miljenko Jergovi?, warum Völker so gern Opfer sein wollen. Im Filmmagazin artechock ärgert sich Rüdiger Suchsland über die Feigheit der "Tatort"-Autoren. In der Welt erklärt Pascal Bruckner die Gesetze des Politischen in Frankreich. Die taz feiert Günter Netzers Ankunft aus der Tiefe des Raums vor 40 Jahren. Die SZ gibt ihr okay zum Urteil des LG Hamburg im Streit zwischen Youtube und der Gema. Die FAZ lauscht den Phrasen der Revolution in Andrej Belyis "Petersburg".

Ohne Film, ohne Oper, ohne elitäre Spitzenkultur

20.04.2012. In der FAZ fürchtet der Tatort-Autor Niki Stein, dass ihm die Piraten sein geistiges Eigentum wegnehmen. Die Welt protestiert gegen den Rückbau der Stadt Duisburg. Und: Sensation bei Spiegel online: Wird das erfolgreiche Portal kostenpflichtig?

Dieser Aaskäfer des französischen Leids

19.04.2012. In der Welt spricht BHL deutlich aus, wie er über Marine Le Pen denkt. Außerdem fürchtet der Philosoph Pierre Zaoui einen Erfolg des Linkspopulisten Jean-Luc Mélenchon bei den Wahlen am Sonntag. Als perfide Propaganda sieht die Jüdische Allgemeine  die Arte-Miniserie "Gelobtes Land". Die Columbia Journalism Review untersucht den sagenhaften Erfolg der Huffington Post: Networking ist das Geheimnis. Und Charles Simic gibt es im Blog der NYRB zu: Er liest gern auf dem Klo.

Heizwärme aus dem Parlamentsgebäude

18.04.2012. In der FAZ fordert Necla Kelek die deutschen Islamfunktionäre auf, eine klare Position zu den Salafisten einzunehmen. In der FR erklärt die Kunstkritikerin Jennifer Allen von der Zeitschrift frieze, warum brasilianische Künstler in Berlin besser Deutsch sprechen als italienische oder britische. Das nepalesische Magazin Himal würdigt die Rolle von Sufi-Dichterinnen. Die NZZ schildert die Schwierigkeiten bosnischer Kultureinrichtungen. Außerdem 50 rätselhafte Schwarzweißfotos. Und Nicolas Cage spielt John Cage.

Warnungen vor dem Endgericht

17.04.2012. Die Grass-Debatte ist definitiv abgeflaut. Jetzt ist wieder Urheberrecht dran. Marcel Weiß wendet sich in Neunetz scharf gegen die von Dirk von Gehlen in der SZ vorgebrachte Idee einer Kulturflatrate. In der FAZ plädiert die Grünen-Politikerin Agnes Krumwiede gegen eine Verkürzung der Schutzfristen, die nur Google nützen würde. Zwei andere Grüne wollen dagegen in der FR eine Modernisierung des Urheberrechts. Die NZZ berichtet über Mario Vargas Llosas Warnung vor Kulturverfall qua Internet. Außerdem rät sie von urheberrechtlichen Klagen gegen den Perlentaucher ab. Aber nicht alles ist Internet: Die Zeitschrift Landlust verkauft inzwischen mehr Exemplare als der Spiegel, meldet turi2.

Sie spricht sich in Form

16.04.2012. Im Guardian nennt Sergey Brin von Google die Hauptgefährder der Freiheit im Internet: China, Facebook, Iran und Apple. In den Blogs wird über die Marktmacht von Amazon bei Ebooks diskutiert: Begeben sich die Verlage aus Angst vor Piraten in die Klauen des als Großmutter verkleideten Wolfs? In der Welt kritisiert der Philosoph Byung-Chul Han den Demokratiebegriff der Piratenpartei. In der SZ plädiert Dirk von Gehlen für eine Kulturflatrate, während Kathrin Passig im Tagesspiegel erklärt, wie sie sich gegen den Ausverkauf ihrer Urheberrechte wehrt. In der FAZ stellt sich Ingo Schulze an die Seite von Günter Grass.

Der Eisberg ist das Monument dieses Misstrauens

14.04.2012. In der FAZ bekennt Fritz Stern seine Bestürzung über Günter Grass. In einem posthumen Video bespricht Christopher Hitchens die zehn Gebote. Vor hundert Jahren sank die Titanic - aber das war nur die Spitze des Eisbergs! Die NZZ bringt einen wunderbaren Text von Hans Blumenberg aus diesem Anlass. Außerdem geht Jan Koneffke dem philippinischen Autor Miguel Syjuco fast auf den Leim. Und Isolde Charim fragt in der taz: Kann es ein gutes Leben in der Apokalypse geben? (Und wird darüber heute mit Pascal Bruckner auf dem "tazlab" diskutieren.)

Nein, Sie haben Guernica gemacht!

13.04.2012. Die Welt erklärt, wie man sich heute noch im Roggen versteckt. In der NZZ meint Richard Wagner: die Frage ist nicht, ob Grass antisemitisch ist, sondern wie er zur Demokratie steht. In der taz meint die Grünen-Politikerin Agnes Krumwiede: Das Internet kann keinen Verleger und Investor ersetzen. Die New York Times und die FAZ kommentieren den jüngsten Sieg von Amazon über Apple, der es Amazon wieder erlaubt, Ebook-Preise zu senken. Und Salon erzählt, wie Amazon bei kleinen Verlagen und Literaturzeitschriften für Sympathie wirbt: mit Geld.

Aber Grass war schon immer so

12.04.2012. Günter Grass äußert sich in der SZ irritiert: Trotz seiner massiven dichterischen Intervention zeigt sich Israel "keiner Ermahnung zugänglich". In der FAZ schlägt Durs Grünbein die Hände über dem Kopf zusammen: So dumm, so krass kann Dichtung sein. Die Medien sind der Skandal, schreibt Robert Menasse auf news.at. In der Welt diagnostiziert Henryk Broder: Grass hat den Antisemitismus einen Schritt weiter gebracht. In der Jungle World konstatiert Yoram Kaniuk: Grass hat nie über den Holocaust geschrieben. Die Zeit erklärt, warum sie das Gedicht nicht druckte: Kein Redakteur in der Zeitung wäre bereit gewesen, es publizistisch zu verteidigen.

Ergreifend dosiertes Pathos

11.04.2012. Die Feuilletons nehmen Abschied von Ivan Nagel. Die FR empfiehlt sein letztes Buch über "Gemälde und Drama", die FAZ erinnert sich vor allem an den großen Theatermann, die SZ an den großen Essayisten. Wir verlinken auf seine Autobiografie in Gesprächen bei Deutschlandradio Kultur. Die NZZ ist streng mit Amsterdams neuesten Kulturbauten mit Ausnahme des EYE Filminstituts. Die taz porträtiert den Folksänger Michael Hurley. Und Peter Glaser antwortet Grass mit einem richtigen Gedicht: "Der Blechrommel".

Als Unausgesprochenes umso mehr präsent

10.04.2012. Im Perlentaucher denkt Pascal Bruckner über das "gute Leben" nach, das jedenfalls nicht in der Preisgabe des westlichen Lebensstils bestehen kann. In der FAZ erzählt Liao Yiwu, warum er das Exil wählte. Die SZ verteidigt die Gema gegen Youtube. Und natürlich Grass: In der Welt nennt Hans-Ulrich Gumbrecht die wahren Gründe für sein Schweigen. Salman Rushdie wendet sich per Twitter gegen das israelische Einreiseverbot. In der New Republic glaubt Jeffrey Herf, dass der linke und linksliberale Mainstream in Deutschland nicht so weit von Grass abweicht.

Kalte, klare Gedanken

07.04.2012. Die NZZ entdeckt die Moderne im weißen Kleid von Renoirs Geliebter Lise Tréhot. Die FR stellt fest, dass Kultur für die Piratenpartei ja nur ein Wirtschaftsfaktor ist. Das Handelsblatt lässt beim Angriff auf die Piraten die Gedankenfreiheit untergehen und dekretiert: "Kluge Ideen sind kein Allgemeingut." Außerdem schlägt Günter Grass' Israel-Gedicht weiter Wellen. In der SZ verteidigt er seine lyrische Attacke. Die taz findet seine Rede von der gleichschalteten Presse sehr fragwürdig. Auf Spiegel Online meint Jakob Augstein allerdings: Günter Grass hat recht.

Das mit dem Schweigen

05.04.2012. Wird Deutschland sich je von Grass' lyrischem Erstschlag gegen Israel erholen? Das Entsetzen ist jedenfalls ziemlich einhellig von taz über FAZ bis FR. Grass mogelt sich in die Rolle eines Opfers und Verfolgten, analysiert die FAZ. Da steigen die "Prägungen der Jugend" wieder an die Oberfläche, meint die Welt. Grass ist unaufrichtig, meint Micha Brumlik in der taz. In den Blogs kursieren Gegengedichte. Und in der SZ versichert man: "Veröffentlichen heißt ja nicht zustimmen."

Mit letzter Tinte

04.04.2012. In der SZ und der übrigen Weltpresse droht Günter Grass, mit Lyrik den Weltfrieden wieder herzustellen - gegen voraussehbare israelische Verbrechen. In der Welt holt Henryk Broder zum Gegenschlag aus. In der FAZ bedauert Monika Maron die Pleite der Solarfirma Q-Cells, die der Stadt Bitterfeld neue Hoffnung gegeben hatte. Und der Internetbuchhändler Libri.de streicht alle FAZ und SZ-Zitate aus Angst, dass es ihm wie dem Perlentaucher ergeht.

Vor allem die Leerkassette

03.04.2012. In der FR/Berliner Zeitung erklärt Ralf Bönt, was er mit "Kritik von links" am Feminismus meint. Auf Vocer stellt Stephan Weichert seinen Bericht zur Innovationsfähigkeit des deutschen Journalismus vor, um die es besser bestellt sein könnte. In der taz fasst sich Micha Brumlik angesichts eines "friedensbewegten" Appells in Sachen Iran und Israel an den Kopf. Außerdem singt die taz eine Hymne auf die Sopranistin Mojca Erdman. In NZZ und SZ geht die Debatte zum "Kulturinfarkt" weiter: Hat der Kulturbetrieb die Berührungsangst gegenüber der Kunst zum System gemacht?

Zahle und herrsche

02.04.2012. Die FR verteidigt Andrea Breths Modernisierung von Bergs "Lulu" in Berlin. Die Welt wirft einen Blick auf die deutsche  Befindlichkeit zu Beginn des Falklandkriegs vor dreißig Jahren. In der NZZ beklagt David Simon, Autor von "The Wire", den Krieg gegen die Armen in den USA. In der FAZ fragt sich Christoph Lauer von der Piratenpartei, nachdem er von Kurt Beck angerüffelt wurde, ob er jemals wieder in einer Talkshow auftreten will.