Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

Juni 2011

Zur Nachhut ist ein Kentaur bestimmt

30.06.2011. Bauarbeiten bei Jungle World! Saskia Sassen tauscht das historische Subjekt aus. Der Freitag mag dem Gejammer der Zeitungsverleger über die Apps der Tagesschau nicht glauben. Rupert Murdoch verkauft MySpace, dessen Wert laut Engagdet von 580 auf 35 Millionen Dollar gesunken ist. Für die Welt ist Neo Rauch der Meister der deutschen Verzagtheit. Unterdessen wandelt Öffentlichkeit Struktur. Die Zeit steht am Rand und staunt. Und Hilfe! Das SZ-Feuilleton schrumpft. Wegen eines zähen Streiks, über den die Zeitungen ebenso zäh schweigen.

Maske des Flotten

29.06.2011. Lange Zeit bereitete die Steuererklärung Andreas Maier ein großes Grauen, bis ihm auf einem Gymnastikball ein Engel erschien, so erzählt er in der Welt. Die FR begegnet in den "Transformers" Maschinen von hinreißender Zickigkeit. Netzwertig fragt: Was ergibt Google Plus? Die SZ findet: Selbst Paul Kirchhof reicht an die Klarheit des Code civil nicht heran. Und Horst Bredekamp feiert Imi Knoebels Fenster in der Kathedrale von Reims.

Du stehst nicht im Zentrum

28.06.2011. Nein, ruft Ulrich Schacht dem Ökovisionär Ulrich Beck in der FAZ zu, die Sonne ist nicht demokratisch. Die SZ referiert die Thesen des Internetaktivisten Eli Pariser, der fürchtet, dass uns Google und  Facebook in einer Filter Bubble gefangen halten. Die Presse hat sich in Tunesien bisher kaum geändert, berichtet die Berliner Zeitung. Rupert Murdoch hat sich am Internet die Zähne ausgebissen, meldet Techcrunch. Die alten Kader sitzen auf ihren Stühlen und singen das Loblied der Regierung Spiegel Online begrüßt Wen Jiabao mit den Geschichten einiger unbekannter Dissidenten.

Die haben alle zwei Striche

27.06.2011. Die taz fragt: Warum weigern sich Kroaten und Serben (und die Friedensbewegung im Westen), ihre Vergangenheit aufzuarbeiten? Außerdem spricht Christina von Braun mit Gabriele Goettle über die Kulturgeschichte des Geldes. Die NZZ plädiert für die Institution des Lesekreises, die in den USA und Großbritannien weit erfolgreicher ist als hier. Keiner ist unschuldig in Griechenland, sagt Petros Markaris in der Welt. Thomas Knüwer wundert sich in seinem Blog über die Zitierpraxis der FAZ.

Sie tippen. Sie quatschen.

25.06.2011. In der FAZ erzählt Marie-Luise Scherer von ihrer Familie. "Was jetzt in Syrien passiert, ist nicht Chaos, sondern eine echte Revolution", schreibt der im Exil lebende syrische Autor Nihad Siris in der NZZ. Nicht das Eindringen in die Männerdomäne ist der eigentliche Affront am Frauenfußball, meint Hannelore Schlaffer in der Welt. In der taz findet Ulf Erdmann Ziegler ein eindringliches Bild für die Tätigkeit des Kritikers. Zum Tod von Peter Falk bringen wir eine Szene mit John Cassavetes: "I'm not gonna die."

Das Weibchen mit seinem leuchtenden Hinterleib

24.06.2011. Wie frei ist Ai Weiwei?, fragt die Welt und kommt zu der Antwort: nicht besonders. Ein Jahr lang muss er stillhalten, um die Bedingungen der Freilassung auf Kaution zu erfüllen. Im Deutschlandradio freut sich Tilman Spengler über die Fortschritte in der chinesischen Rechtspraxis: Verglichen mit dem Massaker am Tien an Men Platz geht's heutzutage doch gesittet zu! Und in der SZ macht Spengler seiner Wut über die westlichen Proteste gegen Ais Verschleppung Luft. In der FAZ regt Herta Müller die Gründung eines "Museums des Exils" an. Die NZZ informiert: In diesen Tagen um Johanni ist Paarungszeit bei den Glühwürmchen.

Erdbeeren und Pflaumen

23.06.2011. Den meisten Zeitungen wünschen wir heute einen Fronleichnam. Aber immerhin: Welt und Wall Street Journal bringen Neuestes zu Ai Weiwei. Die Berliner Zeitung annonciert einen Tsunami von Neuerscheinungen zum Kachelmann-Prozess. Die NZZ besucht den 102-jährigen Kinoveteran Manoel de Oliveira, der seit der Einführung des Tonfilms neue Impulse für das Kino vermisst. Verleger und Anstalten führen eine Schlacht von gestern, meinen taz und Perlentaucher. Endlich deutet sich auch eine Friedenslösung für Nahost an. Die Jüdische Allgemeine hat sie von Titanic erarbeiten lassen.

Eine fast tierhafte Schönheit

22.06.2011. Die SZ beschreibt die Tücken der literarischen Globalisierung, die dazu führt, dass Übersetzungen ins Englische eine sonst nicht existente Mittelsprache zwischen Englisch und Amerikanisch wählen. Im Freitag beschreibt dagegen Michael Schischkin die Gefahren einer literarischen Provinzialisierung am Beispiel der russischen Literatur. Meedia spottet: Eine Studie hat herausgefunden, dass die Tagesschau-App, gegen die die Zeitungsverleger jetzt klagen, besser ist als alles, was die Presse so fürs Iphone präsentiert. In der NZZ feiert Georg Klein die Windräder seiner Heimat.

Aufdringlich selbstbewusste Attitüde

21.06.2011. In der Welt spricht der Sozialphilosoph Kenichi Mishima über die politische Blockade in Japan nach dem Tsunami. 3Quarksdaily verleiht Top Quarks und Strange Quarks an Wissenschaftsblogs. Die SZ findet Tilman Jens' Buch über die Odenwaldschule apologetisch. Die taz interviewt den Soziologen Cesar Rendueles über die Proteste in Spanien. Boingboing kompiliert die herzlichsten Schmähungen von Autoren für Autoren.

Vorläufige Alltäglichkeit

20.06.2011. In der NZZ erklärt die argentinische Autorin Maria Sonia Cristoff ihre Techniken des Reisens. Das Blog Mashable erzählt, wie das Netz die Mode verändert. Die FAZ fürchtet, dass das Internet der Liberalisierung der Märkte Vorschub leistet. Die FAZ berichtet auch über den Iran, der das Netz abschaffen will. Die SZ begutachtet die digitale Währung der Bitcoins und stellt fest, dass sie den Gesetzen des Marktes unterliegt. 

Plan zur Sicherung der Moral

18.06.2011. Jürgen Habermas beantwortet fast alle Fragen, aber keine zum Weltuntergang, notiert die FR. Die NZZ analysiert eine Email von Mutters Teekessel. In der taz erzählt Filmregisseur Ulrich Köhler von einem Krankenhausleiter, der sich in ein Nilpferd verwandelte, um die Konkurrentin zu töten. In der Welt erinnert sich Fritz J. Raddatz an sein Treffen mit Czeslaw Milosz. Die FAZ schildert die trostlose Gegenwart der kubanischen Jugend. Im Iran werden Männer mit Halsketten verhaftet, berichtet die SZ.

Erlösung vom Fluch des ewigen Besserwerdens

17.06.2011. In der FR spricht die mexikanische Journalistin Anabel Hernandez über den Drogenkrieg in ihrem Land. In den amerikanischen Blogs geht die von Jeff Jarvis angestoßene Debatte um die Zukunft des Artikels als journalistischer Form weiter. Die FAZ beobachtet  Klaus Lemke bei Dreharbeiten in Berlin. Die SZ stellt den 94-jährigen spanischen Autor Jose Luis Sampedro vor, der jetzt ein Vorwort zu Stephane Hessels Flugblatt "Empört Euch" geschrieben hat. Und der Guardian erklärt sich zur digital first organisation.

Um jede Einstellung einen Rahmen

16.06.2011. Im Freitag spricht Saskia Sassen über ihren Vater, den Nazi Willem Sassen. In der Welt warnt Ralph Giordano vor einer "gespenstischen Drohkulisse", die sich vor Israel aufbaut. Die FR staunt: Noch das letzte leerstehende Postgebäude in Neukölln wird heutzutage von Künstlern zwischengenutzt. Die Zeit wendet sich auf ihren Kultusseiten gegen die Softpornografisierung beinahe aller Gesellschaftschichten. Die SZ ist entsetzt über die Eliminierung des Kurators im italienischen Biennale-Pavillon, ohne den auch die ganze Kunst nichts taugt.

Neo-Konzeptkunst aus Sack und Asche

15.06.2011. Michail Chodorkowski kritisiert in der FAZ den Westen und zitiert einen Klassiker des Marxismus-Leninismus: "Die Kapitalisten verkaufen uns selbst den Strick, an dem wir sie aufhängen." In der Welt setzt sich Henryk Broder mit dem Glauben auseinander, aber auch mit Matthias Matussek.  Die SZ ist ganz durcheinander: Matussek hat seinen Chef kritisiert. Nur halb bekehrt verlässt Diedrich Diederichsen in der taz Terrence Malicks Kinokathedrale "Tree of Life".

Mahnmal heiterer Angriffslust

14.06.2011. In der SZ protestiert der Islamexperte Stefan Weidner gegen die Friedenspreisentscheidung für den allzu kritischen Autor Boualem Sansal. Die SZ bringt auch einen Hintergrund zur Demokratisierung in Tunesien. In der FAZ verteidigt Ulrich Beck den Abschied von der Atomkraft. Sehr streng verurteilt der New Yorker den Amerikaner Tom MacMaster, der das Blog einer angeblichen lesbischen Syrerin von vorn bis hinten erfunden hat.  Überhaupt stellt sich inzwischen heraus, dass viele lesbische Bloggerinnen ein Mann sind. Die taz erinnert daran, dass es tatsächlich syrische Blogger gibt, die ihr Leben riskieren.

Böse Cousine

11.06.2011. In der Welt sucht Krisztina Koenen eine ungarische Partei, die nicht antiaufklärerisch oder korrupt ist. Die taz denkt sich das Personal für die große deutsche Fernsehserie über die Ökobewegung aus. In der NZZ erinnert Urs Widmer an den Aufstand der Lektoren im Suhrkamp Verlag. Die SZ erinnert an dem Umgang mit Hiphop und diesem "Brech-Tanz" in der DDR. Und alle schreiben zum Tod des Malers Bernhard Heisig.

Revolutionär der Rede

10.06.2011. Dance, baby! Die taz feiert Tecnobrega, Durban Kwaito und Moombahton. Herta Müller erzählt in der FAZ, wie Jorge Semprun sie auf den Bumerang des Glücks vorbereitete. Die FR erzählt, wie Hilmar Hoffmann und Iring Fetscher auf die Enthüllung ihrer NSDAP-Mitgliedschaft reagierten. Alle freuen sich über den Friedenspreis für Boualem Sansal.

Die Aura des Artisten

09.06.2011. Nachdem der Stern herausgefunden hat, dass Hilmar Hoffmann, Kurt Rebmann und Iring Fetscher jugendliche Mitglieder der NSDAP waren, lässt sich die Mär von den "Karteileichen" nicht mehr aufrechterhalten, meint die Welt. Spiegel online sucht die syrische Bloggerin Amina Abdallah Arraf und findet sie nicht. Der Freitag sah Marx erblassen. Die NZZ unterhält sich mit Oksana Sabuschko. Die Zeit beklagt die schwachen deutschen Nerven. Alle trauern um Jorge Semprun.

Giebel und Gaupen

08.06.2011. In der FR spricht Abdelwahab Meddeb über Chancen und Risiken der tunesischen Revolution. Die Shopping Mall ist tot, es lebe die Kaufstadt, meldet die Welt. In der NZZ spricht der ägyptische Autor Ibrahim Farghali über die Verfolgung von Christen in seinem Land. Die FAZ denkt über die Lage der Lyrik in Deutschland nach. Zum Tod des großen Jorge Semprun haben wir einige Links zu Interviews und Fernsehdokumenten gesucht.

Seliges Lärmknäuel

07.06.2011. Die taz wählt den koreanischen Spionagenotruf 113. In der FAZ erinnert Erhard Eppler an seine Verdienste für den Umweltschutz. Die SZ hat neue deutsche Stücke gelesen, die immerhin ein Gutes haben: Sie stehen politisch auf der richtigen Seite.

Das Düstere, Romantik, Größenwahn

06.06.2011. Die NZZ stellt klar: In der Wolke liegt die Zukunft der Musik. Dort hält auch Paul Kalkbrenner den Kopf schräg, wenn er seinen Schallereignissen hinterherlauscht - so die Welt. In diese Wolke stellt man nun auch seine Rücktrittsmeldungen, wie das Basketballgenie Shaquille O'Neil in einem Dienst namens Tout, meldet Netzwertig. Die SZ ist recht unglücklich über die Auszeichnung des Schlingensief-Pavillons in Venedig: schon wieder dieses parsifaleske Deutschlandbild! Aber alle Zeitungen sind zufrieden mit dem Börne-Preis für Joachim Gauck.

Kathedrale gesammelten Aufheulens

04.06.2011. Die taz atmet auf: Der Super-GAU wurde im Schlingensief-Pavillon gerade noch verhindert. Fast wäre es zum Fascho-Fluxus gekommen! Die FAZ ist insgesamt zufrieden mit der Biennale, die  sie als Absage an die Hysterie des Kunstmarkts sieht. Die FR ärgert sich aber über den italienischen Pavillon. In der FR erinnert Jochen Hörisch außerdem an verborgene Kontinuitäten der deutschen Geschichte. Die Amerikaner lachen über das französische Staatsfernsehen, dessen Moderatoren die Namen Facebook und Twitter nicht mehr aussprechen dürfen. 

Dem Gesunden, Schönen, Reichen

03.06.2011. Die FR ist trotz mäßigen Proseccos bei der Eröffnung ganz angetan von dem Schlingensief-Gedächtnis-Pavillon in Venedig. Die Welt lobt an der Biennale Venedig die Nüchternheit und den Verzicht auf glamouröse Inszenierungen. Die taz ist dagegen eher enttäuscht. In der Jüdischen Allgemeinen meint Julius H. Schoeps 25 Jahre nach dem Historikerstreit: Ernst Nolte hat gewonnen.

Kein Riesenrad in der City West

01.06.2011. In der NZZ fragt Slavenka Drakulic nach der Verantwortung der serbischen Wähler, die Miloesvic, Karadzic und Mladic erst möglich machten. In der Berliner Zeitung zieht Monika Maron Parallelen zwischen den Reaktionen westlicher Intellektueller auf Kommunismus und Islam. Die SZ liest recht abgetörnt das Parteiprogramm der Grünen für Berlin. Die FAZ beleuchtet die Rolle einiger Publizistinnen im Fall Kachelmann. Zwei von ihnen kommentieren das Urteil, Sabine Rückert in der Zeit und Alice Schwarzer in Bild. Im lawblog fragt Udo Vetter das LG Mannheim: Brauchte man für dieses Urteil wirklich 44 Prozesstage?