Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

November 2009

Querbeet die Faust im Sack

30.11.2009. Das Schweizer Minarett-Verbot wird allenthalben mit Entsetzen bis Befremden kommentiert. Die Blogs kopieren Bernd Neumanns Satz, dass es kein Recht auf Privatkopien gibt. In der taz verbittet sich der iranische Regimekritiker Akbar Gandji Einmischung aus dem Westen: "Man kann Demokratie und Menschenrechte nicht von außen einführen." Die FAZ schildert den Streit zwischen Exklusionisten und Inklusionisten in der Wikipedia.

Die Künstlichkeit bleibt unerlöst

28.11.2009. In der NZZ preist Mario Vargas Llosa die EU als das einzige politische Projekt der Welt, das zugleich revolutionär und Realität ist. In der SZ ergründet Georg Klein die Kunst des David Lynch. In der Welt geht Norbert Zähringer der großen Schweinegrippe-Verschwörung nach. Die FAZ ertappt Roland Koch bei einer Verstiegenheit zur Tarnung der Taktlosigkeit. Die FR geht auf Baustellen-Tour in Südafrika. Und die taz erkundet Seouls neue Clubkultur. 

Selber denken macht fett

27.11.2009. Auch die Afrikaner wollen Strom: In der Welt protestiert die ugandische Menschenrechtlerin Fiona Kobusingye gegen die Klimaschützer. In der FR bekennt Jakob Augstein, dass er der Sohn von Martin Walser ist. Die NZZ berichtet über die geplante Pantheonisierung Albert Camus' und ihre Gegner. Die taz und andere Zeitungen kritisieren die für heute geplante Absetzung des ZDF-Chefredakteurs Nikolaus Brender. In der SZ  analysiert der Psychologe Peter Kruse die Angst  Frank Schirrmachers vorm Kontrollverlust durch das Netz.

Öde Langeweile im Paradies

26.11.2009. Etwas ist faul im Staatstheater, das sich von der Krise nicht berühren lässt, ruft der Tagesspiegel. Die Berliner Zeitung würdigt die verantwortungsvolle Tätigkeit der Landesmedienanstalten. Die Zeit mobilisiert ihre letzten Kräfte, um über das Zeitungssterben Auskunft zu geben. Die Verleger sollen sich nicht so haben, meint Blogger Markus Beckdahl: 13 Prozent Rendite können sich doch sehen lassen.

Wir wollen einfach nicht reif werden

25.11.2009. Die Welt klärt die Relevanzproblematik bei Wikipedia. Gawker meldet: Die Washington Post schließt ihre Büros in New York, Chicago und Los Angeles. Die FAZ staunt über das konservative französische Kabinett, das wie ein Mann hinter seinem schwulen Kulturminister steht. Außerdem bringt sich Kai Diekmann für den Chefredakteursposten der taz ins Gespräch. Die SZ erkennt auf liberale Tendenzen des EU-Parlaments bezüglich der Bürgerrechte im Internet. Die Berliner Zeitung bemerkt eine kleine Veränderung bei Twitter.

Hell YES! Andreas, Praxis, Du sagt's!

24.11.2009. Die FR genoss beides in Korngolds "Toter Stadt": das Prunkvolle und dessen Verrottung. Der Tagesspiegel analysiert das Bündnis zwischen linken Regierungen in Amerika und Machmud Achmadinedschad. In der SZ liest Gerd Koenen den jetzt edierten Briefwechsel zwischen Gudrun Ensslin und Bernward Vesper. Viele Zeitungen kommentieren Rupert Murdochs Allianz mit Microsoft - Spiegel Online findet sie selbstmörderisch. Gawker langweilt sich ohne Paris Hilton. In der FAZ erinnert sich Michal Hvorecky an die Wende in Bratislava.

Er sprach gut platonisch

23.11.2009. FAZ und SZ retten heute die Öffentlich-Rechtlichen: Die FAZ sieht einen Staatsjournalismus aufziehen. Die SZ würdigt die Arbeit der Degeto, die es schafft für 400 Millionen Euro jährlich fast ausschließlich Schmonzetten zu produzieren. Die NZZ interviewt einen Überlebenden des nordkoreanischen Gulag. Im Perlentaucher erwidert Ilja Braun auf den Vorschlag des Heidelberger Juristen Burkhard Hess, Google immer weiter zu verklagen und die Bibliotheken gleich mit.

Defloration des Unwegsamkeitsmythos

21.11.2009. Was werden die Skandinavier mit der eisfreien Arktis anfangen?, fragt der dänische Autor Jens Christian Gröndahl in der NZZ. Die Welt bringt eine Rede von Necla Kelek über die Muslime und den Holocaust. In der FR spricht der Schriftsteller Irvin D. Yalom über Freud, Nietzsche und den Tod. Alle Zeitungen kommentieren den endgültigen Ausstieg Joachim Unselds aus dem Suhrkamp Verlag. Viel besprochen: der neue Roman Katharina Hackers, die Suhrkamp ebenfalls verlässt.

Heimgesucht von Blackouts

20.11.2009. In Spiegel Online ist Claude Lanzmann bestürzt: Kinobesucher, die einen Film von ihm sehen wollen, werden als "Judenschweine" beschimpft, geschlagen und letztlich am Kinozugang gehindert - und niemand regt sich auf. In der FAZ schlägt der Jurist Burkhard Hess vor, nicht nur Google zu verklagen, sondern auch die Bibliotheken, die mit Google zusammenarbeiten. Die Kritik von Ulrich Wickert löst bei ARD und ZDF nur Schulterzucken aus, meldet die Welt. BoingBoing stellt drastische Pläne der britischen Regierung zum Schutz der Verwerterindustrien vor.

Tränen der Rührung

19.11.2009. Die Welt liest die Tagebücher der Mussolini-Geliebten Clara Petacci. Ohne große Freude meldet sie zudem, dass Pirate Bay die Segel streicht. Die FAZ beobachtet die Produktion von Raubkopien auf chinesischen Hühnerfarmen. Die SZ vermisst gezielte Aktionen von den Studenten. FR und taz feiern Birgit Schulz' Dokumentation über die einstigen RAF-Anwälte Christian Ströbele, Otto Schily und Horst Mahler. Die Zeit rollt den Streit um den Kafka-Nachlass auf. Außerdem schickt Jonathan Littell eine Reportage aus Tschetschenien: Die Wirklichkeit, das sind zwei Kugeln im Kopf.

Die Summe seiner Triebe

18.11.2009. In der FR möchte Tiziano Scarpa das Subjekt wiederbeleben, schon um Berlusconi wieder etwas entgegenstellen zu können. Die SZ bestaunt das Wunder von Lüttich. Die Berliner Zeitung erinnert in der Sloterdijk-Debatte daran, dass wir nicht nur für Hartz IV Steuern zahlen. Die Welt erklärt noch einmal die Vorzüge von Open Access. In den Blogs werfen Matthias Spielkamp und Robin Meyer-Lucht einen kritischen Blick auf die Verlegerpläne für ein Leistungsschutzrecht

Errichtung einer Kulturpolizei

17.11.2009. In der Welt schreibt Paul Lendvai über den rasenden Antisemitismus der Imre-Kertesz-Gegner in Ungarn. Die FR ist traurig über Minsk: Moderne Geschmacklosigkeiten schwächen den Brutalismus der Stadt. In der taz macht der Medizinhistoriker Klaus Bergdolt keine Hoffnung: Wäre die Schweinegrippe ernst, würden wir Kranke isolieren. Es ist November. In China übernimmt das Wetterveränderungsamt die Verantwortung, berichtet die FAZ.

Demokratie ist die Lösung

16.11.2009. Nach dem neuen Google Book Settlement werden deutsche Bücher nicht mehr online gestellt. Nun fürchtet die Branche kulturellen Bedeutungsverlust, meldet die Welt. In der FR spricht Shirin Ebadi und im Tagesspiegel Said über die Chancen der iranischen Protestbewegung. Im Perlentaucher ist nachzulesen, warum ein Leistungsschutzrecht den Autoren nichts bringt. FR und FAZ betrachten Botticelli.

Alle 6 Millionen Basen-Paare meiner Sequenz

14.11.2009. Die SZ findet: Viel sexyer als die weiblichen Pin-Ups sind bei Botticelli die männlichen. Die FR empfiehlt Frank Castorfs neue Inszenierung: die Mühe lohnt sich. Die FAZ berichtet über ein Zerwürfnis zwischen Katharina Hacker und dem Suhrkamp Verlag. In der NZZ spricht Richard Powers über Gentechnik und seinen neuen Roman. In der Welt plädiert der Historiker Rick Atkinson fürs Erzählen. Dokumentiert ist jetzt auch die bemerkenswerte Rede des freien Journalisten Tom Schimmeck auf den Mainzer Medientagen. Carta fragt: Wer bestimmt den Preis von Werbung?

Formales Wunder der Natur

13.11.2009. Die NZZ fragt: Kassiert das Internet das Individuum? Die Welt versucht mit David Foster Wallace das Wesen der Depression zu verstehen. Die FAZ staunt über einen japanisch-chinesischen Flirt. Die SZ hält am Analogbuch fest. Die Blogs gucken ein Video mit Ariana Huffington und Mathias Döpfner. Die FR ist verknallt in eine Schönheit aus Florenz: "Sie ist Venus und Flora, Minerva und die Grazien."

Wie sich das Geld die Stadt unterwirft

12.11.2009. In der FR verteidigt Norbert Bolz den Liberalismus. Der Freitag würde sich ja mit Honneths Sloterdijk-Kritik anfreunden, wenn da nicht Honneths Fliegenklappe wäre. Die Welt staunt über die offene Gesellschaftskritik türkischer Künstler. Die NZZ verabschiedet sich mit Trauer von zwei Dritteln aller Sprachen. In der FAZ meint Bernard-Henri Levy, dass man das Ende des Sozialismus durchaus voraussehen konnte. 

Das sogenannte gemütliche Beisammensein

11.11.2009. Die FR geißelt die Herren Sloterdijk, Gumbrecht, Bohrer, Bolz, Sarrazin und Precht als Sprachrohre einer konsumistischen Ordnung. Die FR ist angesichts eines Heiner Müller, der die Unschuld hasste, aber auch froh, dass es einen Enzensberger gibt. Überhaupt sind alle froh, dass es Enzensberger gibt, der nach Mauerfall und Levi-Strauss endlich wieder Anlass zu neuen Gedenksonderseiten gibt. Auf Abdolkarim Soroush Blog schildert ein anonymer Autor die Angst des Regimes vor neuen Demos.  Carta kritisiert Bernd Neumann, den Verteidiger der alten Medienordnung.

Weitreichender Beschluss ist eindrucksvolles Bekenntnis

10.11.2009. Die taz würdigt den zivilisatorischen Einfluss Peter Kraus', Mary Roos' und Udo Jürgens' auf die Deutschen. Die FR stellt die Frage der Verteilung neu. In der SZ plädiert Boris Groys für das Englische als lingua franca in Europa. Die FAZ wundert sich über die Frenesie der Franzosen in bezug auf den 9. November. Und die Internetpetition zu Open Access hat schon 1309 Unterzeichner. Im Guardian sieht Adam Michnik postkommunistischen Krokodilen aufs Maul.

Die Gerontokraten zum Teufel

09.11.2009. In der Welt erinnert sich Buchpreisträgerin Kathrin Schmidt an ihren Überschwang im Herbst 89. Die FAZ fragt, was das Jahr 1989 heute den Chinesen und den Russen bedeutet. Die SZ sucht nach architektonischen Leistungen Berlins seit dem Mauerfall und und erstarrt vor einer Blutwurst zur Salzsäule. In der NZZ plädiert der Architekt Magnago Lampugnani für eine Verdichtung der Städte.

Um einen Punkt erhöht

07.11.2009. Der Mauerfall treibt sie alle um. Der Westen sollte nicht vergessen, wie einverstanden er eigentlich mit der Mauer war, meint die NZZ. Die Welt erinnert daran, wie die NZZ den Mauerfall fuhr: einen Schriftgrad größer. Die NZZ bringt außerdem eine Erzählung von Imre Kertesz, der außerdem in der Welt ein Loblied auf Berlin singt. Der Tod der Netzeitung wird bisher nur in einigen Blogs kommentiert: 14 Mitarbeiter müssen gehen.

Ob die DDR in Zukunft existieren wird

06.11.2009. Kultiversum bringt ein Theaterheute-Gespräch vom 4. November 1989, in dem Ulrich Mühe und Heiner Müller über den Fortgang der Ereignisse spekulieren. Netzwertig kommentiert die Iphone-Politik des Springer-Verlags: Bild und Welt bekommen zahlbare Apps, der Iphone-Zugang zu den Webseiten wird gesperrt.In der Welt erklärt die Goncourt-Preisträgerin Marie N'Diaye, warum sie in Berlin lebt. Die SZ hätte gern ein Bürgergeld. Die FR dankt den Islamisten für den Mauerfall, und Slavoj Zizek fordert Freiheit ohne Risiko.

Dieser Zipfel Optimismus

05.11.2009. Während die Polen den russischen Bären piesackten, war den Deutschen in Ost und West immer ganz bange, wirft Andrzej Stasiuk uns in der Welt vor. Die FR auskultiert die Wähler vom Kollwitzmarkt und stößt auf ein leise pochendes soziales Herz. Jeff Jarvis diagnositiziert: Twitter ist für das Web, was das Web für die Medien ist. Die SZ plädiert für den lange verkannten Künstler Gustav Metzger. In der FAZ erhält Claude Levi-Strauss ein dreiseitiges Staatsbegräbnis

Celan gilt als die blaue Mauritius

04.11.2009. Mit Claude Levi-Strauss starb der Mann, der uns die Struktur gab, meint die SZ. Auch die anderen Zeitungen würdigen den Anthropologen. Richard Wagner rückt in der NZZ den Rand ins Zentrum. In der FR erklärt der Ostberliner Autor Reinhard Jirgl, was die Wende wirklich war: die "beamtische, teils feindliche Übernahme eines Betriebs namens DDR". In der taz verficht Daniel Goldhagen noch einmal seinen Interventionismus.

Weiß, glatt, verfugt

03.11.2009. In der Achse des Guten erinnert sich Richard Wagner, wie die Evangelische Kirche einmal Herta Müller und ihn selbst auslud, weil sie beim Tête-a-Tête mit den rumänischen Machthabern störten. Im Perlentaucher antwortet der Medienwissenschaftler Stefan Münker auf Richard David Prechts Sehnsucht nach Öffentlichkeit wie früher. Die NZZ erklärt, was Schwindel-Marketing ist. In der SZ fordert der Urheberrechtler Gerd Hansen ein Urheberrecht, das auch Nutzer schützt.  In der taz spricht der Schriftsteller Mahmud Doulatabadi über die Lage im Iran.

Solcher Drang nach Klarheit

02.11.2009. In den USA kündigen die ersten Journalisten, weil sie nicht akzeptieren, dass das Onlineangebot ihrer Zeitung zahlbar wird, meldet die New York Times. Illegale Downloader kaufen mehr Musik als solche, die nie illegal Musik herunterladen berichtet der Independent. Die NZZ macht sich Sorgen über die Narcocultura in Mexiko. In der Welt erklärt Francis Fukuyama, warum Demokratie auch in nicht-westlichen Gesellschaften die beste Regierungsform ist. Slate fühlt sich bei der Lektüre von Hannah Arendts Schriften an antisemitische Propaganda erinnert. Der Chronicle of Higher Education will keinen Heidegger mehr lesen.