Efeu - Die Kulturrundschau
Wer das nicht Paradies nennt
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Bühne
Im taz-Gespräch mit Anna Fastabend erklärt Eva Hubert, Vorständin von Themis, weshalb Betroffene meist lange schweigen: "Das hat ganz stark mit dem branchentypischen Gefühl zu tun, dass doch eigentlich alle eine große Familie sind und für die richtige Sache kämpfen. Hinzu kommt, dass man beim Proben oder Drehen viel Zeit miteinander verbringt. Häufig sitzt man an den Feierabenden noch zusammen, trinkt Wein, diskutiert. Da verschwimmt das Berufliche mit dem Privaten. Und natürlich gibt es in diesen Branchen eine ganz andere Körperlichkeit als bei normalen Bürojobs."
Außerdem: In der NZZ vermisst Bernd Noack neben der Kultur vor allem auch die Kulturkritik. Die nachtkritik streamt am Wochenende die Serie "Urlaub in Deutschland" des Theaterhauses Jena. Besprochen wird das Projekt "Creation Notebooks" der brasilianischen Choreografin Lia Rodrigues im HAU 4 (taz).
Kunst

In der NZZ reist Philipp Meier in der Ausstellung "Kunst der Vorzeit" im Zürcher Museum Rietberg zu den "Ursprüngen der Kunst". Die Ausstellung zeigt Kopien prähistorischer Felsbilder aus den Frobenius-Expeditionen, wobei die meist von Künstlerinnen angefertigten Kopien eher als von den Vorlagen "inspirierte Nachschöpfungen" gelten, fügt Meier hinzu. Nicht alles ist auf Anhieb verständlich: "Was zum Beispiel diese Menschengestalten mit gehörnten Tierköpfen bedeuten, oder was es mit jenen chaotischen Wimmelbildern aus lauter übereinandergemalten Pferden, Zebras, Büffeln und insektenartigen Menschengestalten auf sich hat. (...) Zu anderen Bildern haben wir einen unmittelbaren Zugang. Da ist eine Elefantenmutter, die mit ihrem Rüssel fast zärtlich ihr Junges umfasst und solcherweise vor einer sich nähernden Raubkatze zu schützen versucht. Da geht es weder um Magie noch um Tierkult. Die Szene muss einen unserer Vorfahren vor sehr langer Zeit schlicht und einfach ergriffen haben, genauso wie sie uns heute ergreifen würde. Und allein deshalb hatte er sie wohl dargestellt. In wesentlichen Dingen, so scheint es uns vor einem solchen Werk, hat sich die Menschheit in ihrer langen Entwicklungsgeschichte kaum groß verändert."

Im Monopol-Gespräch mit Patricia Grzonka erklärt die in London lebende Galeristin Julia Muggenburg, wie hart Corona, vor allem aber der Brexit die britische Kunstszene trifft: "Seit dem Brexit gibt es viel mehr Bürokratie, und es besteht eine gewisse Unsicherheit in Bezug auf die Verordnungen. Galerien müssen sehr schlau vorgehen, wenn sie Künstler zeigen, die nicht aus England sind. Der Versand der Kunstwerke unterliegt neuen Bestimmungen: Es fällt eine Mehrwertsteuer an, die bereits im Voraus bezahlt werden muss, unabhängig davon, ob eine Arbeit verkauft wird oder nicht. Wenn die Leihgabe zurückgeht, wird diese zurückerstattet, aber dieser Prozess dauert Monate. Neu ist auch, dass Künstler*innen Arbeitsvisa brauchen, die individuell für jeweilige EU Länder gelten."
Weiteres: Im Tagesspiegel berichtet Birgit Rieger über das bei Christie's für 69 Millionen Dollar digitale Kunstwerk des Instagram-Künstlers Beeple. Im taz-Gespräch mit Ronald Berg erklärt Hannes Langebein, Direktor der Stiftung St. Matthäus, wie sich der Dialog zwischen Kunst und Kirche gestalten könnte.
Besprochen wird die große Werkschau "Andy Warhol Now" im Kölner Museum Ludwig, die zwar einen Schwerpunkt auf Warhols Homosexualität und seinen Hintergrund als Kind slowakischer Migranten setzt, in der SZ-Kritiker Alexander Menden aber dennoch nicht unbedingt einen "frischen, queeren Blick" auf all die bekannten Werke gewinnt und die Neo-Rauch-Ausstellung "Der Beifang" im Berliner Gutshaus Steglitz (Tagesspiegel).
Literatur
In der Frage um Repräsentation, ums Zuhören und der Kenntnisnahme von diskriminierten Positionen des Sprechens sind Einfühlungsvermögen und Respekt als allererstes geboten, schreibt Frank Heibert in seinem sehr um genaues Abwägen bemühten Tell-Essay zur Gorman-Debatte. Aber ersetzt eine weiße Übersetzerin wirklich die schwarze Originalstimme hinter einer Übersetzung? Mitnichten, "wer übersetzt, spricht nämlich immer für jemanden, an seiner oder ihrer Stelle - in einer anderen Sprache. Es gehört zum Ethos, zur Verantwortung dieses Berufs, sich so gewissenhaft wie möglich in das Andere einzufühlen und den neu geschriebenen Text so überzeugend wie möglich zu gestalten." Somit ist "das Problem einer Übersetzung des Gorman-Gedichts ins Niederländische durch Rijneveld nicht die fehlende schwarze Erfahrung, sondern die fehlende Übersetzungserfahrung. ... Bei der Entscheidung des Meulenhoff-Verlags gab wohl vor allem ein übersetzungsfernes Argument den Ausschlag: Rijnevelds Prominenz durch den International Booker Prize."
Weitere Artikel: Elke Brüns meditiert in der taz über das sich neu verhandelnde Verhältnis zur Tierwelt, das sie in T.C. Boyles neuem Roman "Sprich mit mir", aber auch in der Netflix-Doku "Mein Lehrer, der Krake" sich abzeichnen sieht. Der Schriftsteller Bora Ćosić schreibt in der NZZ über sein Leben auf dem Land, wohin er sich zurückgezogen hat. Rainer Moritz ackert sich für die Literarische Welt durch die acht Neuübersetzungen von "1984", die nun auf den Markt gekommen sind, da George Orwells Romane gemeinfrei sind. Für die FAZ hat sich Thomas David mit dem Lektor und Lyriker Robert Robertson per Schalte unterhalten.
Besprochen werden unter anderem Christian Krachts "Eurotrash" (Jungle World, Freitag), Esther Safran Foers "Ihr sollt wissen, dass wir noch da sind" (taz), Ulrich Peltzers "Das bist du" (taz), Lana Bastašics "Fang den Hasen" (FR), Charlie Kaufmans "Ameisig" (Dlf Kultur), Monika Helfers "Vati" (taz), Amy Waldmans "Das ferne Feuer" (online nachgereicht von der FAZ), Rutu Modans Comic "Tunnel" (Intellectures), Amano Jakus SF-Manga "Adou" (Tagesspiegel), Rainer Hanks "Die Loyalitätsfälle" (Literarische Welt), Andreas Maiers "Die Städte" (SZ) und Arezu Weitholz' "Beinahe Alaska" (FAZ).
Außerdem bringt die FAZ heute ihre erste Literaturbeilage des Jahres, die wir in den kommenden Tagen auswerten.
Musik
Außerdem: Die FAZ hat Victor Sattlers Bericht über den politischen Hiphop aus Tansania online nachgereicht. Und zum Nachhören beim Dlf Kultur: ein Konzert der Berliner Philarmoniker unter Paavo Järvi mit Igor Levit.
Design
Film
David Steinitz warnt in der SZ vor dem bloßen gefühlten Expertentum, das sich manche Zeitgenossen schon alleine auf der Grundlage von Netflix-Serien über historische Sujets selbst bescheinigen. Schließlich mischen sich darin Fakten und Drehbuchideen aufs Entschiedenste. Aktuelles Beispiel: die Netflix-Serie "The Crown" und die aktuelle Debatte ums britische Königshaus im Zuge des jüngsten TV-Auftritts von Harry und Meghan. "Das Paradoxe" an diesem Auskennertum: "Einerseits scheint es vielen Menschen egal zu sein, mit welchem Halbwissen sie da um sich werfen. Andererseits sind viele Menschen schwer beleidigt, wenn sie merken, dass die Macher einer fiktiven Serie es wagen, Sachen zu erfinden." Wobei andererseits "Filmemacherinnen und Filmemacher gerade durch ihre künstlerische Freiheit die Essenz bestimmter Ereignisse manchmal besser destillieren können als die Geschichtswissenschaft."
Außerdem: Die FAS hat Karen Krügers Bericht von ihrem Besuch im neuen Fellini-Museum in Rimini online nachgereicht. Für den katholischen Filmdienst blickt Joachim Valentin auf Spuren des Religiösen im Klimawandel-Kino. Im Tagesspiegel schreibt Lena Schneider zum 90. Geburtstag von Wolfgang Kohlhaase. In der FAZ gratuliert Dietmar Dath Wolfgang Petersen zum Achtzigsten.
Besprochen werden Anthony und Joe Russos Veteranendrama "Cherry" (Presse) und Catherine Breillats "Schmutziger Engel" von 1991 (critic.de).
Architektur
Außerdem berichtet Alexander von einem FAZ-Kongress mit dem Titel "Zwischen den Zeilen", in dem Rem Koolhaas ausführte, was der Westen mit Blick auf urbane Ballungsräume von Afrika lernen könne.