9punkt - Die Debattenrundschau

Mediengeborene Kollektive

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
19.05.2018. In politico.eu warnt der serbische Politologe Srdan Cvijic von der Open-Society-Stiftung: Wenn die EU keine Mittel gegen die Orbanisierung Ungarns findet, wird sich als nächstes der Westbalkan orbanisieren. Mit Schauder blickt Thomas Schmid in der Welt auf das rechts-linke Koalitionsprogramm in Italien. Im Inverview mit der Berliner Zeitung sucht der neue Humboldt-Forum-Chef Hartmut Dorgerloh nach Alternativen zu Restitution. Warum wüten die Missbrauchsfälle ausgerechnet in der kulturellen Sphäre so stark, fragt Dirk Knipphals in der taz.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 19.05.2018 finden Sie hier

Europa

Der serbische Politologe Srdan Cvijic arbeitet am Open Society European Policy Institute, das mit George Soros' Stiftung von Budapest nach Berlin umziehen wird. Er warnt in politico.eu die Politiker der EU-Staaten, dass Viktor Orbans Modell der "illiberalen Demokratie" auf die Westbalkanstaaten abfärben wird, falls die EU keine Handhabe gegn Orban findet. Ansteckend sei dieses Modell schon, weil es keine Ideologie benötige - es reiche die Definition eines Feindes. "Für Balkan-Politiker, die ihm nacheifern, ist das Muster klar: Lass deine Freunde rechtzeitig die Medien kaufen, bring das Big Business, die Gerichte und die Justiz unter deine Kontrolle. Tausche Universitätsleute, Schuldirektoren und Leiter kultureller Institutionen gegen treue Parteifreunde aus. Und um verbleibende unabhängige Stimmen zu vertreiben, eignen sich Gesetze russischen Stils, die das Betreiben einer NGO zum Risiko machen."

Selbst nachdem es auf Druck von Staatspräsident Sergio Mattarella gemildert wurde, klingt das neue Programm der aus divergierenden Populisten zusammengesetzten wohl kommenden Koalition Italiens abenteuerlich, schreibt Thomas Schmid in der Welt: "Zuweilen klingt das Ganze so, als hätten sich hier die maximalistischen Grünen der frühen achtziger Jahre mit dem 'gemäßigten' Flügel der heutigen AfD getroffen. Während das außenpolitische Programm in 15 Zeilen abgehandelt wird, sind der italienischen Justiz 115 Zeilen gewidmet. Das Vertragsdokument ist von erschütternder Provinzialität, ein entschlossener Schritt in die Selbstverzwergung Italiens." Zwar könnte Mattarella immer noch eine Expertenregierung installieren, so Schmid, aber überzeugender wärde dieses Modell für ihn auch nicht.
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Kulturpolitik

Ein wenig deutlicher als in anderen Gesprächen (Unser Resümee), vor allem mit Blick auf die anstehenden Restitutionsfragen im Humboldt-Forum wird Hartmut Dorgerloh im Interview mit Harry Nutt von der Berliner Zeitung: "Restitution ist eine Möglichkeit, aber das Humboldt-Forum soll auch ein Ort sein, an dem Alternativen ausgelotet werden. (…) Es kann ja nicht die Lösung sein, dass mexikanische Kunst nur noch in Mexico gezeigt wird und italienische nur noch in Italien."

Ein Blick nach Frankfurt könnte sich lohnen, wo sich vier Museen ab Juni in einem Kooperationsprojekt unter dem Ausstellungstitel "Gekauft, gesammelt, geraubt? Vom Weg der Dinge ins Museum" der Erwerbsgeschichte ihrer Objekte stellen. In der taz berichtet Rudolf Walther von der Schau.
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Ideen

Schon die Nationen waren heterogene Gebilde, in dem Differenzen planiert wurden. Nicht erst die Globalisierung brachte eine Vereinheitlichung, die das populistisch verteidigte "Eigene" zu geführden schien, schreibt Alem Grabovac in einem taz-Essay: "Der US-amerikanische Politikwissenschaftler Benedict Anderson hat in seinem Klassiker der Nationalismusforschung 'Die Erfindung der Nation' dargelegt, dass erst die Ausdehnung des Buch- und Druckmarktes es Menschen ermöglichte, sich über größere Räume hinweg als vorgestellte Gemeinschaften zu definieren. Nationen sind mediengeborene Kollektive, in denen zusammenwächst, was gemeinsam liest, hört, sieht und neuerdings im Internet gemeinsam chattet."
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Stichwörter: Globalisierung

Internet

Nicht die Datenschutzgrundverordnung ist das Problem, sondern die Unsicherheit bei ihrer Verwirklichung, meint Ingo Dachwitz in Netzpolitik. Man spricht etwa davon, dass Abmahnanwälte Webseitenbetreiber terrorisieren könnten: "Eine Katastrophe, wenn es so kommen sollte. Der eigentliche Skandal ist doch aber nicht, dass auch Blogger sich an Datenschutzvorschriften halten müssen, sondern dass das Geschäftsmodell der Abmahnindustrie in Deutschland immer noch nicht verboten ist. Wie hoch das Risiko für Abmahnwellen tatsächlich ist, lässt sich im Vorfeld kaum sinnvoll beurteilen."
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Gesellschaft

Von Weinstein bis Wedel über den Literaturnobelpreis bis zu hin zur Metropolitan Opera: Gerade im Kulturberreich werden im Rahmen der #MeToo-Debatte immer mehr Missbrauchsfälle aufgedeckt. Christian Kracht reflektierte gerade eine eigene Missbrauchserfahrung (unser Resümee) und ihre Auswirkung auf sein Sschreiben. Dirk Knipphals fordert in der taz ein System der "checks and balances" in kulturellen Institutionen. Und nebenbei behört für ihn "so manche weiterhin gängige Vorstellung von Kultur auf den Müllhaufen. Wer sie nur als harmloses Vergnügen nimmt - wie viele der aktuellen auf Wellness und Unterhaltung ausgerichteten Marketingkampagnen rund ums Lesen -, der liest über den Schmerz, der als Glutkern manchmal in ihr steckt, allzu schnell hinweg. Und mit auf diesen Müllhaufen gehören die Ideen, nach denen sich Künstlergenies mehr herausnehmen dürfen als andere Menschen oder nach denen man erst Opfer zu bringen hat, bevor man im Kreis der erlauchten Kulturschaffenden aufgenommen wird."

In der Welt hat sich Matthias Heine die Ausstellung "Die Erfindung der Menschenrassen" im Dresdner Hygiene-Museum angeschaut, die sich der Geschichte des Rassismus (auch im eigenen Haus) widmet. Auch den linken antirassistischen Aktivismus im 21. Jahrhundert spare die Ausstellung nicht aus: "Die Definition der 'People of Color' ist wissenschaftlich kaum standfester als die Einteilung Blumenbachs der Menschheit in kaukasische, mongolische, äthiopische, amerikanische und malayische Varietäten. Die großzügige Auslegung dessen, was eigentlich 'People of Color' sind, hilft aber der antirassistischen Linken, die eigene Klientel der Diskriminierten oder sich diskriminiert Fühlenden zu erhöhen und den Anteil der Weißen an der Bevölkerung herunterzurechnen."
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