Efeu - Die Kulturrundschau
Werfe ich ihn raus?
Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
Film

Auch beim Dokfest München gezeigt wird Daniel Sagers und Marc Bauders "Hinter den Schlagzeilen" über die Arbeit der SZ-Journalisten, die das Ibiza-Video, das Strache zu Fall gebracht hat, journalistisch aufbereitet haben. Tazlerin Silvia Hallensleben bedankt sich für diesen so privilegierten, wie unaufgeregt gestalteten Einblick in "die zähe Arbeit hinter dem journalistischen Coup - von ersten klandestinen Kontakten über die langwierige Sichtung und Transkription des Materials bis zu juristischen Beratungen und dem Formulieren begleitender Anfragen und Texte. Für investigative Journalisten typische Aktivitäten, die jedoch für Außenstehende selten sichtbar sind." Martina Knoben hat für die SZ mit den Machern gesprochen.
Außerdem: In der NZZ schmachtet Urs Bühler George Clooney an, der morgen seinen 60. Geburtstag feiert. Besprochen werden der Dokumentarfilm "Schwarze Adler" über Rassismus im Profifußball (Jungle World) und die Science-Fiction-Serie "The Nevers" (Freitag).
Bühne
Auch das Zürcher Schauspielhaus muss modernisiert werden, berichtet Sabine von Fischer in der NZZ, dem Theater steht dafür eine bescheidene Summe von 100 Millionen Franken zur Verfügung (die Frankfurter Bühnen beanspruchen für ihre Sanierung 1 Milliarde Euro). Die Fassade des späthistoristischen Pfauen gilt als unantastbar, trotzdem sei die große Frage: Erhalt oder Erneuerung: Für eine Erhaltung sprächen Umweltgründe ebenso wie die Aura des Ortes: "Auf der Pfauenbühne wurde eben trotz - und vielleicht zuweilen auch wegen - dem vielen Kopfzerbrechen in den engen Räumen großartiges Theater aufgeführt. Auch für den Abbruch gibt es Argumente. Eine Bühne, auf, neben und hinter der sich technische Abläufe wie auf einer Autobahn uneingeschränkt abwickeln ließen, könnte der Kreativität freieren Lauf bieten." Am wichtigsten ist Fischer jedoch eine Entscheidung mit Vision: "Die Geschichte des Theaters kennen wir, die Zukunft nicht."
Besprochen werden Claude Viviers Schubert-Oper "Lonely Childs" am Münchner Theater am Gärnterplatz (die mit ihren Schubertiaden doch ein etwas biedermeierliches Bild des Komponisten vermittelt, wie Marco Frei in der NZZ schreibt), das Programm des Heidelberger Stückemarkts (taz) und eine Videoinstallation zu Ruth Klügers Autobiografie "Weiter leben" in Wien (Standard).
Literatur
Die Comicübersetzerin Lea Hübner wirft für den Tagesspiegel einen Blick nach Brasilien, wo sich Karikaturisten und Comiczeichner von Bolsonaro teils erheblichen Repressalien ausgesetzt sehen. Für Comicverlage ist dabei besonders bitter, dass beim schwachen brasilianischen Buchmarkt staatliche Einrichtungen wie Bibliotheken und Schulen besonders wichtige Kunden sind. "Es sei großartig gewesen, dass Bücher wie die seines Autors Marcelo D' Salete 'Cumbe' und 'Angola Janga' über Schwarzen Widerstand während der Kolonialzeit, erschienen 2014 und 2017, für den Geschichtsunterricht angeschafft worden seien, und ein Beispiel für die damalige Progressivität. Heute hingegen könne jeder Titel Probleme bringen, der auch nur den Anschein habe, nicht konform zu sein zur Linie Bolsonaros", erklärt Rogério de Campos vom unabhängigen Comicverlag Veneta.
Niklas Bender liest sich für die FAZ durch die "Blätter", Marcel Prousts nun bei Gallimard erschienene Vorstufe zur "Suche nach der verlorenen Zeit", und ist nicht nur entzückt darüber, dass man Prousts Meisterwerk hier beim Werden und dem Autor beim Finden der Form zusehen kann, sondern auch erstaunt darüber, wie offenherzig Proust hier noch teils über Dinge schreibt, die er in der "Recherche" in die Andeutung verschiebt: "Vertraute finden sich unter Klarnamen, besonders Großmutter Adèle tritt uns in Rohversion, als naturnahe, schmuddelige, schroffe Person entgegen. Abermals sieht man, was der Schreibprozess ändert: Proust wird die Großmutter auf die Rolle des verklärt erinnerten Opfers festlegen und den Namen der Mutter, Jeanne, der nur hier fällt, tilgen."
Außerdem: Astrid Kaminski spricht in der taz mit der Baumforscherin und Literaturwissenschaftlerin Solvejg Nitzke unter anderem über Bäume in der Literatur.
Besprochen werden unter anderem Anna Brüggemanns Debütroman "Trennungsroman" (FR), Chaza Charafeddines Autobiografie "Beirut für wilde Mädchen" (Freitag), Anna Baars "Nil" (NZZ), Leslie Jamisons Essayband "Es muss schreien, es muss brennen" (Dlf Kultur), Ali Smiths "Frühling" (Dlf Kultur), Michael Jaegers Buch über Goethes "Faust" (SZ) und Juli Zehs "Über Menschen" (FAZ).
Kunst

Während der Kreml kritische Künstler in Russland schikaniert (unser Resümee), eröffnet in Moskau eine große Romantik-Schau mit Beteiligung der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Für FAZ-Kritiker Stefan Trinks reicht der Titel "Träume von Freiheit", um das Gala-Ereignis in der Neuen Tretjakow-Galerie zu legitimieren: "Obgleich vor vier Jahren konzipiert, trifft die Gegenüberstellung von deutschen und russischen Romantikern plus ihren aktuellen Nachfolgern mit dem ewigen Ringen um Freiheit ins Herz, damals wie heute, hier wie dort. Denn wäre es denkbar, dass es keinen politischeren Stil gibt als die dessen selten verdächtigte Romantik, die unseren modernen Kunstbegriff wie nichts sonst prägte? Die Romantik ist kein klar umgrenzter Kunststil, eher eine innere Haltung."
Weiteres: In der Berliner Zeitung stellt Hanno Hauenstein das Projekt "This is Germany" der südafrikanischen Künstlerin Candice Breitz vor, die darin Reizwörter wie "Z-Sauße", "Biodeutsch" oder "Cancel Culture" bearbeitet. In Monopol berichtet Elke Buhr vom langsamen Anfahre des Messebetriebs in New York und Hongkong. Besprochen wird eine Ausstellung der Fotografin Elfie Semotan im Kunsthaus Wien (Standard).
Musik
Sufjan Stevens ist seit vielen Jahren das Lieblings-Indie-Darling der Feuilletons und um manische Projekte nie verlegen. Fünf Alben umfasst sein neuer Zyklus "Convocations", sehr meditativ soll es darauf zugehen, aber vielleicht ist Stevens auch beim Meditieren einfach viel zu manisch, meint SZ-Popkolumnist Jakob Biazza. Fünf Alben sind es eh, aber man könnte genauso gut sagen: Ein langer Song, der "nun ja, vermutlich irgendwie tantrisch ist oder so - aber halt schon auch gleichförmig. Anders gesagt: Wenn man sich unbedingt ein Album mit bläwolkigem Synthie-Gesäusel zulegen möchte, dann sollte das freilich unbedingt von Sufjan Stevens sein. Aber der Vorgang an sich ist eben doch grundfalsch." Wir wagen trotzdem ein Ohr:
Weitere Artikel: Für den Tagesspiegel porträtiert Julia Lorenz die Hamburger Indie-Musikerin Sophia Kennedy. Im Standard spricht Danger Dan über seinen "Kunstfreiheit"-Song und dass Militanz gegen Nazis als "letzte Möglichkeit" okay ist, als "vorletzte" hingegen eher nicht.
Besprochen werden das neue Album von Ja Panik (ByteFM, mehr dazu hier) Igor Levits Buch "Hauskonzert" (Standard).