Efeu - Die Kulturrundschau

In Austernweiß getüncht

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
12.05.2018. Nachtkritik und NZZ denken über die schlechten Arbeitsbedingungen von Frauen im Theater und in der Kunstszene nach. Immerhin in der Literatur kündigt sich ganz leise eine postfeministische Wende an, hofft die SZ. Keinen leichten Stand hat indes die Literatur in Nigeria, schreibt die Welt. Der Tagesspiegel bewundert in Wolfsburg, wie indische Künstlerinnen auf Unterdrückung aufmerksam machen. Die taz tanzt zu westafrikanischem Punk und urkongolesischen Rhythmen. Die Feuilletons trauern um Gerard Genette. Und: Tag drei in Cannes.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 12.05.2018 finden Sie hier

Literatur

Der französische Literaturwissenschaftler Gérard Genette ist tot. In der NZZ würdigt Milo Rau den Verstorbenen, als dessen wichtigsten Einfluss auf die Geisteswissenschaften er die "totalisierende Unabhängigkeit von Schulen und Denkrichtungen" identifiziert: "'Intertextualität', die im Zusammenhang mit Genettes Werken zum Modebegriff gewordene Arbeitsweise, bezeichnet so eine Methode, die strukturalistische Systematik mit einer totalen Offenheit der kritischen Denkbewegung paart: eine Methode jenseits aller universitären Beschreibungsraster.  ...  Die inhaltliche Interpretation wird zugunsten der formalen Verfassung von Texten, ihrer logischen Struktur, zurückgestellt. Genette gibt damit der Literaturwissenschaft ein fast mathematisches Instrumentarium an die Hand." In Liberation schreibt Philippe Lancon zum Tod von Genette.

Frauen schreiben über Schicksale benachteiligter Frauen - dieses Klischee zeigt deutliche Risse, freut sich Felix Stephan - vielleicht ein klitzekleines bisschen gönnerhaft - in der SZ nach Lektüre einiger internationaler Bestseller von literarischem Rang: Elif Batuman ("Die Idiotin"), Han Kang ("Die Vegetarierin") und Sayaka Murata ("Die Ladenhüterin") erzählen von Frauen, "die sich nicht deshalb außerhalb der Gesellschaft befinden, weil sie Frauen, sondern weil sie Individuen sind. Die postfeministische Wende möchten wir an dieser Stelle noch nicht ausrufen, aber dass weibliche Schriftstellerinnen neuerdings weltberühmt werden, indem sie an den europäischen Universalismus, den Individualismus und die Idee einer allgemeingültigen Menschlichkeit anknüpfen, das wollen wir dann doch zumindest vermerkt haben. Das ist nicht zuletzt deshalb eine Nachricht, weil keine dieser Autorinnen aus Europa stammt und schon deshalb den Eurozentrismus-Vorwurf nicht befürchten muss, der immer schnell zur Hand ist, wenn aufklärerisch-universalistische Poetiken im Spiel sind."

Für die Literarische Welt blickt Anne Waak ins literarische Nigeria: Das Land hat zwar große Namen wie Chimamanda Ngozi Adichie und Teju Cole hervorgebracht, die aus dem internationalen kulturellen Leben nicht wegzudenken sind, erweist sich bei genauerem Hinsehen aber als erstaunlich strukturschwach, was die Grundvoraussetzungen für ein literarisches Leben betrifft: "'Unsere Bücher sind in Nigeria in vielleicht 25 Läden erhältlich', sagt Emeka Nwankwo von Cassava Republic, einem der wichtigsten nigerianischen Verlage der Gegenwart. ... 40 Prozent der 190 Millionen Einwohner können nicht lesen, noch mehr von ihnen leben unter der Armutsgrenze. Erfolgreiche Bücher werden innerhalb von Tagen raubkopiert und auf den Buchmärkten der Viertel Ajegunle und Ojuelegba kistenweise verhökert, während es fast unmöglich ist, im Land selbst in akzeptabler Qualität drucken zu lassen. Es gibt keinerlei staatliche Literaturförderung und kaum öffentliche Bibliotheken, dafür fällt Dutzende Male am Tag der Strom aus. Und doch verfügt Nigeria über eine lebendige Szene."

Weitere Artikel: Ziemlich schauderhaft findet Leander Steinkopf auf ZeitOnline die Wellness- und Achtsamkeits-Rhetorik, mit der die Branche das Buch als solches seinem Publikum andient. Drastischere Vokabeln zur Beschreibung der Dringlichkeit regelmäßiger Lektüre findet die Schriftstellerin Julya Rabinowich in ihrer Standard-Kolumne: "Der unwiderstehliche Sog, der von der Ausdehnung dieses literarischen Universums ausgeht, setzt im Herzen und im Hirn an, reißt und zieht an jeder Faser. Ein schmerzhafter Prozess, aber jede Geburt ist schmerzhaft." Mirjam Ratmann stellt in der taz den neu ins Leben gerufenen Berliner Verlagspreis vor, der künftig besonders ambitionierte Kleinverlage aus der Hauptstadt fördern will. Dennis Scheck ergänzt seinen Welt-Literaturkanon um Sapphos Gedichte. Die FAZ dokumentiert Daniela Strigls Laudatio auf die Schriftstellerin Petra Piuk, die mit dem Wortmeldungen-Literaturpreis ausgezeichnet wurde.

Besprochen werden unter anderem Tanja Paars "Die Unversehrten" (taz), Anna Sommers Comic "Das Unbekannte" (taz), Tom Segevs Biografie über Ben Gurion (taz), Thomas Sparrs Buch über das Jerusameler Viertel Rechavia, das als "Grunewald im Orient" bekannt geworden ist (taz) und George Saunders' "Lincoln im Bard" (FAZ).
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Film



Zum Wochenende lassen es die Filmkritiker in Sachen Cannes ruhiger angehen: Wenig Texte von der Croisette. Im Tagesspiegel attestiert Andreas Busche dem osteuropäischen Kino in diesem Jahr "einen guten Lauf", nachdem dort Pawel Pawlikowskis neuer Film "Cold War" gezeigt wurde. An seinen Vorgänger "Ida" schließt der polnische Regisseur nahezu nahtlos an, meint Busche: Pawlikowski "erzählt zu treibenden Jazzrhythmen von der turbulenten Liebe zwischen der Sängerin Zula und dem Komponisten Wiktor zwischen 1949 und 1964 - mit einer wunderbar präzisen Ökonomie, in der jeder Schnitt sitzt. ... Ähnlich wie Kirill Serebrennikows 'Leto' beschreibt der Film das Ringen mit dem eigenen Gewissen in einem totalitären System, bei dem die ungebrochene Lust am Leben, aber auch die Musik als existenzieller Halt fungieren." Der Film erkundigt filmhistorisch gesehen "klassisches, ein wenig altmodisches Terrain", erklärt Dominik Kamalzadeh im Standard, der sich von der "erlesenen Inszenierung" allerdings versöhnen lässt: "Die Sehnsucht und den Verschleiß der Gefühle buchstabiert er nicht aus. Er verknappt die Szenen, entwirft Noir-Bilder in einem windstillen Paris, Cool Jazz heißt die Musik dazu."

NZZ-Kritikerin Susanne Ostwald dankt Pawlikowski dafür, sie mit "emotionaler Wucht" aus der ersten Festival-Lethargie herausgerissen zu haben: "Cold War" hat durchaus das Zeug, zum "Vom Winde verweht" unserer Gegenwart heranzureifen, glaubt sie. Verena Lueken vermisst im FAZ-Blog allerdings ein wenig den Glamour: Bislang warte das Festival mit grimmigen Stoffen auf.

In Ali Abbasis "Gräns" hat taz-Kritiker Tim Caspar Boehme unterdessen sein erstes großes Festivalhighlight ausgemacht: Der Film biete "neben einem herben Zauber eine der erstaunlichsten Sexszenen seit Langem, überhaupt geht es bei dieser Grenze weniger um Territorien als um Geschlechtergrenzen oder den Unterschied zwischen Mensch und Tier oder noch einmal anderen Lebewesen."

Weitere Artikel: In den Filmen etwa von Agnès Varda lässt sich nachvollziehen, dass die 60er - anders als die das Spektakel betonenden Festreden zum 68er-Jubiläum glauben machen - im Grunde genommen auch ziemlich eintönig gewesen sind, unterstreicht Agatha Frischmuth im Freitag. Für die taz schlendert Birgit Weidt durch die Filmstadt Paris.

Besprochen werden Wes Andersons Stopmotion-Animationsfilm "Isle of Dogs" (Freitag), Iram Haqs autobiografischer Film "Was werden die Leute sagen?" (Standard), Susanne Freunds Dokumentarfilm "I'm a bad guy" (Skug) und die Netflix-Serie "Safe" (FAZ).
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Bühne

Nur 30 Prozent der Inszenierungen an deutschen Theatern stammen von Frauen, nur 24 Prozent der aufgeführten SchauspielautorInnen sind weiblich, nur ein Fünftel der Theater wird von Frauen geleitet, auch in den Ensembles herrscht Männerüberhang - nur im Publikum sitzen rund zwei Drittel Frauen, schreibt Nachtkritikerin Anne Peter in einem langen Essay und nennt unter anderem die schwierige Vereinbarkeit von Familie und Theaterberuf, Netzwerke, Seilschaften und Machtmissbrauch als Gründe für die strukturelle Benachteiligung von Frauen. Sie fordert eine Quote, Intersektionalität und Solidarität: "Mittlerweile gibt es viele Männer, die sich weigern, auf Podien zu sitzen, die rein männlich besetzt sind. Auf die Theater übertragen hieße das etwa, als Mann keine Regieaufträge an einem Haus anzunehmen, an dem nicht auch Frauen auf der großen Bühne inszenieren (Hallo, Schauspiel Frankfurt! Hallo, Berliner Ensemble!). Was gäbe das, einen Run auf Regisseurinnen?"

Weiteres: Im Standard-Interview mit Stephan Hilpold spricht Tomas Zierhofer-Kien, Leiter der Wiener Festwochen, über seine Pläne für die zweite Saison. Im FR-Interview mit Judith von Sternburg spricht die Sopranistin Marlis Petersen über das Normalsein auf der Bühne, über Grenzen und Abgründe und ihr Rollendebüt als "Lustige Witwe" an der Oper Frankfurt. 

Besprochen werden die im Rahmen des Berliner Theatertreffens gezeigte Reihe "Shifting Perspectives" (taz) und Heinz R. Ungers von Bernd Freytag und Mark Polscher inszenierte "Proletenpassion" am Schauspielessen (Nachtkritik, FAZ).
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Musik

Bei der Atlantic Music Expo im westafrikanischen Praia kam neben zahlreichen Debatten zur Struktur der afrikanischen Musikindustrie auch die Livemusik nicht zu kurz, berichtet Elise Graton in der taz: "Der Mix von Jupiter & Okwess aus Punk-Attitude sowie urkongolesischen Rhythmen versetzte das Publikum in Ekstase bis zur Schockstarre. ... Eine der größten Entdeckungen waren dieses Jahr die hypnotischen Melodien und Soundcollagen des kapverdisch-brasilianischen Duos Sarabudja. Getragen von Helio Ramalhos Gitarre und der sandigweichen Stimme von Ricardo Mingardis luden ihre Kompositionen aus elektronischen und traditionellen Perkussions, wie der brasilianischen Berimbau oder dem kapverdischen Ferrinho, zur Zeitreise in die Geschichte dieser Musiken ein." Hier ein Video:



Elend, Dein Name sei Deutschpop, spricht der aufrichtige Zorn aus Elmar Krekeler in der Welt, der geradezu die Motten kriegt angesichts der Weinerlichkeit insbesondere des männlichen Nachwuchses dieses Genres: "Wenn es eine Charakteristik des neuen deutschen Wellenreiters gibt, dann ist es seine Entscheidungsunfähigkeit. Dass seine Beziehungen allesamt eher in die Grütze fahren, dass unter den Balkonen der deutschen Weiblichkeit keine selbstbewussten Minnehelden, sondern beinahe ausschließlich hoffnungslose Liebesloser heulen, dass es also mehr Scheiterklagen als Liebesglückhymnen gibt, geschenkt. Schlimm ist, dass man regelmäßig von Zauderern zugetextet wird, denen man ständig zurufen möchte, dass sie doch endlich das Weite suchen sollten." Ein Minne aus dem tiefen Grund dies' Tränentals: Michael Schulte, der Deutschland beim Eurovision Song Contest vertritt - Thorsten Keller hat ihn für die Berliner Zeitung kurz und bündig porträtiert.

Nur Spott hat Christoph Benkeser von Skug für den sich abzeichnenden Hype rund um DJ Kozes neues Album "Knock Knock" übrig: "Was sich als Album über 16 wild durcheinandergewürfelte Stücke definiert, klingt in etwa so, als hätten die beiden Herren von Daft Punk ihre verspiegelten Vollvisierhelme seit zwanzig Jahren verkehrt herum getragen. Zum Trend ließe sich selbst so etwas nicht instagrammen."

Weitere Artikel: Marianne Zelger-Vogt porträtiert in der NZZ den aufsteigenden Dirigenten Lorenzo Viotti. Andreas Hartmann besucht für den Tagesspiegel den zwischen Jazz und Neoklassik operierenden Musiker Oliver Doerell. Jan Feddersen leistet in der taz Orientierungshilfe fürs Finale des Eurovision Song Contest. Dass sich um diesen Wettbewerb viele Mythen ranken, hat Marco Schreuder vom Standard von Historiker Dean Vuletic erfahren. Jesper Klein besucht für die FAZ die für den Kammermusik-Nachwuchs konzipierte Veranstaltung "Chamber Music Connects the World" in Kronberg. Im Tagesspiegel gratuliert Ulrich Amling dem Komponisten Burt Bacharach zum 90. Geburtstag. The Quietus bringt einen Auszug aus der Autobiografie von Tangerine-Dream-Musiker Edgar Froese.

Besprochen werden neue Alben von Eleanor Friedberger (taz), der Arctic Monkeys (FAZ) und von The Sea and Cake (Pitchfork), sowie Konzerte von Nicole Cabell (FR), Ludovico Einaudi (FR), Morcheeba (Tagesspiegel), Four Tet (Tagesspiegel) und der Berliner Philharmoniker mit Yefim Bronfman unter Tugan Sokhiev (Tagesspiegel).
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Kunst

Unter dem Titel "Facing India" zeigt das Kunstmuseum Wolfsburg derzeit Arbeiten von sechs Künstlerinnen aus Indien. Im Tagesspiegel staunt Jonas Lange, wie sich die Künstlerinnen mit Geschichte und Gegenwart ihres Landes auseinandersetzen, in dem nicht zuletzt durch das Erstarken der konservativen indischen Volkspartei (BJP) Frauen und Minderheiten unterdrückt und angegangen werden: Bharti Kher zeigt in ihrer Arbeit "Six Women" etwa "Frauenskulpturen aus weißem Gips, die nebeneinander aufgereiht auf Holzhockern sitzen. Ihre Hände liegen oberhalb der Knie, die Augen sind geschlossen, der Kopf ist leicht gesenkt. Der Gesichtsausdruck lässt erahnen, was die Frauen bewegte. Scheinen manche gespannt in sich selbst zu ruhen, wirken andere von Kummer zerfurcht, von der Außenwelt abgeschottet, in Abwehr gegen alles, was sie zu erdulden haben. Die Frauen sind Sexarbeiterinnen aus Kolkata."

Unter den fünfzig gefragtesten Künstlern ist laut Kunstindex im Manager Magazin keine einzige Frau, schreibt Annegret Erhard in der NZZ. Frauen schätzen ihre Erfolgschancen tendenziell geringer ein und stehen irgendwann vor der Entscheidung Kinder statt Kunst, meint sie: "Hinzu kommt, dass Künstlerinnen ihre persönlichen Auftritte meist anders, nämlich unspektakulär organisieren. Oder kann man sich vorstellen, dass beispielsweise Isa Genzken auf einer Messe vor einem ihrer Kunstwerke herumkaspert wie Jeff Koons, der sich nicht entblödet, auf den Messen Instagram- und Selfie-Auftritte der besonders spassigen Art zu inszenieren? Man würde es ihr nicht durchgehen lassen. Außerdem stehen Frauen in der freilich unausgesprochenen Pflicht, ständig Neues zu produzieren, neue Ansätze, eine sichtbare Entwicklung, so was. Sonst sind sie schnell als One-Trick-Pony durch."

Weiteres: Im Monopol-Interview mit Saskia Trebing sprechen Bernhard Maaz, Leiter der Pinakotheken, und Martin Spantig, Geschäftsführer von Bayern Tourismus, über Museen an ländlichen Standorten und deren Zukunft in Zeiten der Digitalisierung. Maaz glaubt, das Digitale werde immer nur eine Hinführung zum Original sein: "Auf asiatischen Speisekarten sind die Gerichte abgebildet, aber die Bilder machen nicht satt. Sie zeigen nur, wo wir hinwollen. Digitale Bilder verdrängen nicht die Objekte, da bin ich unerschrocken."

Besprochen wird die Ausstellung "Wanderlust" in der Alten Nationalgalerie (SZ) und die Neo-Rauch-Schau im Museum Fundatie im niederländischen Zwolle (FAZ).
Archiv: Kunst

Architektur

Die Debatte um die "Frankfurter Altstadt" (Unser Resümee), in deren Zuge der Architekturhistoriker Stephan Trüby in der FAS die Rekonstruktionsarchitektur als "Schlüsselmedium der geschichtsrevisionistischen Rechten" bezeichnete, geht am eigentlichen Problem vorbei, schreibt Niklas Maak in der FAZ: Weder Arbeiter noch Handwerker noch die bürgerlichen Milieus werden sich je eine Wohnung in dem Abbild einer volkstümlichen Stadt leisten können: "Deutschland 2018 - das ist auch der Kontrast zwischen tröstlichen Bildern und trostlosen Realitäten, zwischen der perfekten Illusion einer Altstadt für alle und tristen Wohnregalen über dem Supermarktparkplatz. Ja: Man kann in der neuen Altstadt das alte Raumgefühl wieder erleben, die Enge der Gassen. Aber dieses Idyll ist ein mit dem Luxusbesen gereinigtes, sozial desinfiziertes Bild, das auf eine turbulente, dreckige Vergangenheit verweist und sie gleichzeitig ausblendet."

Für die NZZ ist Andrea Köhler derweil zum Realitätsabgleich durch Italien gereist, um festzustellen, dass heute Obdachlose, Müll und Kriminalität die Städte prägen: "Nicht überall nämlich wird das Amalgam aus Alt und Neu so pragmatisch in den Alltag integriert wie in Genua, wo der Versuch unternommen wird, den Erhalt der Bausubstanz mit dem Expansionsfuror des globalen Markts zu versöhnen. Zwar sind Denkmalschützer nicht eben begeistert, wenn in renovierten Stadtpalais Billigklamotten verscherbelt werden und der Küchendampf der Restaurants zu freskoverzierten Decken aufsteigt. Doch immerhin sieht es so aus, als werde in der ligurischen Hafenstadt, wo Schönheit und Schäbigkeit dicht beieinander wohnen, mit dem Erbe im Alltag gelebt."

Weiteres: Alexander Menden freut sich in der SZ über die aufwendige Sanierung des von Decimus Burton entworfenen Londoner Temperate House, dem größten Gewächshaus der viktorianischen Ära: "Nun, da alle 15000 Glasscheiben ersetzt, alle korrodierten oder verrotteten Elemente ausgetauscht, und alles in 'Austernweiß' getüncht worden ist, leuchtet das Temperate House wie eine gläserne Festhalle der Botanik." Im Literatur und Kunst Dossier der NZZ erklären ArchitektInnen, welche Schweizer Architektur sie abreißen und welche unter Denkmalschutz stellen würden.
Archiv: Architektur

Design

Im Freitag beschäftigt sich Lennart Laberenz mit Arno Fischers Modefotografien für die Zeitschrift Sibylle , die derzeit in Berlin ausgestellt werden. Rundum zufrieden ist er mit der Auswahl allerdings nicht: "Fischers Sibylle-Bilder kann man als Beispiel für begrenzte Autonomie herbeizitieren: Fischer gehörte formal zur offiziellen Bildwelt, aber er jubelte ihr gerne auch ein wenig Kritik am Stand der Dinge unter. Setzte Modelle vor schmutzige Wände, in leere Hinterhöfe, gleichmütige Gesichter in leere Landschaften. ... Und damit sind wir bei einem klitzekleinen Problem der Berinson-Ausstellung: Die Auswahl ist begrenzt auf die etwas harmloseren Fischer-Arrangements, die er selbst nie in Ausstellungen zeigte. Hier muss man Kritik, Fischers Umgang mit DDR-Realität, den Kontrast zum politischen Anspruch an Bildgestaltung mit der großen Lupe suchen."
Archiv: Design