Efeu - Die Kulturrundschau

Make art great again

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
06.01.2018. Die taz lässt sich den hinreißenden Siebzigersound Manfred Krugs durchs Ohr perlen. In der FAZ feiert Felicitas Hoppe das Glück, übersetzt zu werden. Der Freitag besucht das Kölner Label Bildstörung, das außergewöhnliche, sperrige alte Filme dem Vergessen entreißt. FR und Tagesspiegel würdigen einen Meister der Nachkriegsmoderne: Willi Baumeister. Die WOZ fragt sich beim Streit um die Volksbühne: Was ist hier links, was neoliberal?
9punkt - Die Debattenrundschau vom 06.01.2018 finden Sie hier

Musik

Ein großes Fest ist für taz-Autor Gunnar Leue die Wiederveröffentlichung der ersten vier, in der DDR der Siebziger gemeinsam mit dem Günther Fischer Quartett entstandenen Alben Manfred Krugs: Bessere Musik sei damals im deutschsprachigen Raum mit Blick aufs Normalpublikum nämlich kaum entstanden. Hier "perlt hinreißender Siebzigersound. Großes Gefühl, soulful, aber kitschfrei und so weit weg vom DDR-Popmusikklischee wie damals Ostberlin von Motown Detroit. Dass so fesche Leichtigkeit, Alltagspoesie und musikalische Raffinesse tatsächlich aus den Amiga-Studios kam, verwundert heute fast noch mehr als damals. Diese einzigartige Mischung aus Jazz und Schlager (...) hat nichts von ihrem Esprit verloren - und hält nebenbei die Erklärung parat, warum der aktuelle deutsche Stampfschlager so ist, wie er ist, sprich: plump." Mit diesem Song sehnen wir uns schon mal nach dem Frühling:



Die Nord-Ausgabe der taz befasst sich in einem Schwerpunkt mit Musik und Migration: Petra Schellen stellt die Arbeit des Syrian Expat Philharmonic Orchestras und des Hamburger syrisch-deutschen Projektchors vor. Benno Schirrmeister erzählt, wie der Steinway-Flügel aus dem Harz nach New York kam. Außerdem porträtiert Schirrmeister den Geiger und Dirigenten Theodor Thomas, der im 19. Jahrhundert aus Ostfriesland nach New York aufbrach, und erklärt, wie der Hannoveraner Instrumentenmacher Hermann Weißenborn das Glissando der Hawaii-Gitarre prägte.

Weitere Artikel: Petra Schellen (taz) und Carola Große-Wilde (Welt) blicken zurück auf ein Jahr Elbphilharmonie. Deutschlandfunk Kultur setzt seine Reihe mit historischen Features über die Musik von New Orleans mit der vierten Folge fort. Christian Schröder (Tagesspiegel), Andreas Rossman (FAZ) und Michael Freund (Standard) gratulieren Adriano Celentano zum 80. Geburtstag. Eine frühe erste Hauptrolle hatte er 1963 als Rock'n'Roller in Lucio Fulcis Komödie "Uno strano tipo":



Besprochen werden das Debüt der deutschen Rapperin Haiyti (Zeit), Matthew Ryans neues Album "Hustle Up Starlings" (FR), ein Cello-Konzert der Berliner Philharmoniker (Tagesspiegel) und ein Mahler-Konzert der Jungen Sinfonie Berlin (Tagesspiegel).
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Literatur

In der FAZ preist Felicitas Hoppe in einem ganzseitigen Essay die übersetzerische Arbeit, besingt gar das Glück, übersetzt zu werden. Beispiel: Ihr erster - und zwar ins Niederländische - übersetzter Roman "Picknick der Friseure", der zu einem "Kappers in het gras" wurde. Da fragte sich die Schriftstellerin, warum "erst die Übersetzerin auf die rettende Idee gekommen war, das Buch schlicht und einfach 'Friseure im Gras' zu nennen. Nicht ich, sondern sie hatte das Szenario meiner versammelten Texte auf den passenden Punkt gebracht, sie hatte sich (und damit mich) von der Sklaverei des Originals befreit. Was für eine Erlösung, wenn endlich der Übersetzer die Bühne betritt, um im Haushalt meines verworrenen Schreibens für eine neue, einfache Ordnung zu sorgen und den Finger in eine Wunde zu legen, die sich ohne ihn niemals schließen würde."

Weitere Artikel: Denis Scheck ergänzt seinen Welt-Literaturkanon um Charles M. Schultz' Cartoon "Peanuts". Im literarischen Wochenend-Essay der FAZ geht Literaturwissenschaftler Rüdiger Görner Henry Fieldings 1749 veröffentlichtem Roman "Tom Jones" auf den Grund. Katharina Borchardt befasst sich im Feature auf Deutschlandfunk Kultur mit J.J. Voskuils jetzt auch auf Deutsch komplett vorliegendem Romanzyklus "Das Büro".

Besprochen werden Irene Diwiaks Debütroman "Liebwies" (taz), neue Bücher über Ingeborg Bachmann und aus deren Werkausgabe (Welt, NZZ), Cixin Lius neue Science-Fiction-Novelle "Der Spiegel" (taz), Carlos Spottornos und Guillermo Abrils Reportage-Comic "Der Riss" (Jungle World), Arno Geigers "Unter der Drachenwand" (NZZ), die gesammelten Briefe des Schriftstellers Reiner Kunze an seine Freundin Brigitte Reimann (FR) und Jón Kalman Stefánssons "Etwas von der Größe des Universums" (FAZ).
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Film


Szene aus Robert Sigls "Laurin" aus dem Jahr 1989 (Bild: Bildstörung)

Wenn es um außergewöhnliche, sperrige Filme aus der Filmgeschichte geht, liegt der deutsche Filmmarkt weitgehend brach - noch bracher läge er, gäbe es Idealisten wie das Kölner Label Bildstörung nicht, die sich den verborgenen Perlen mit besonderer Zuwendung widmen. Für den Freitag hat Sven von Reden die beiden Macher Alexander Beneke und Carsten Baiersdörfer besucht, die gerade Robert Sigls deutscher Horrorfilm "Laurin" von 1989 wieder zugänglich gemacht haben: Eine eher einfache Veröffentlichung, "weil keine Recherche nötig war. Beneke: 'Wir hatten über einen Redakteur Kontakt zu Robert. Für uns war es auch einfach, weil die Rechte bei ihm selber lagen.' Veröffentlichungen scheitern nämlich nicht nur daran, dass Rechteinhaber zu viel Geld verlangen, sondern auch daran, dass sie gar nicht erst ausfindig gemacht werden können. 'Es kann auch sein, dass die Rechteinhaber gar nicht wissen, dass sie sie besitzen', erklärt Baiersdörfer. Genauso wichtig wie die Rechtefrage ist, ob noch eine halbwegs gut erhaltene Kopie des Films aufzufinden ist. Bei 'Laurin' war das Negativ von Robert Sigl selbst bei Arri in München eingelagert worden."

Auf Filmstarts.de erklärt Björn Becher eine neue Strategie von Netflix, die die Online-Videothek jetzt im Februar mit Alex Garlands ursprünglich fürs Kino gedachtem Science-Fiction-Film "Auslöschung" austestet: Kleine, eher anspruchsvolle Filme mit überschaubarem Kino-Potenzial bei den Verleihern aufkaufen und im Großteil der Welt dann einfach ohne Kinoauswertung direkt online stellen - das Kino wird damit ausgedörrt, fürchtet Becher.

Weitere Artikel: Bert Rebhandl empfiehlt im Standard eine Ingmar-Bergman-Retrospektive im Österreichischen Filmmuseum. Gerhard Dorfi schreibt im Standard über eine Karl-Valentin-Schau in Linz. Auf Tell gesteht Sieglinde Geisel ihre Begeisterung für "Star Wars".

Besprochen werden Jean-Claude Carrières Buch "Buñuels Erwachen" (Welt), Woody Allens neuer Film "Wonder Wheel" (taz) und das Musical "The Greatest Showman" mit Hugh Jackman (Freitag).
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Design





Für die NZZ besucht Marion Löhndorf die Ferrari-Ausstellung im Londoner Designmuseum, die für ihren Geschmack leider etwas zu PR-mäßig ausgefallen ist. Die saftigen Anekdoten und Legenden aus der an solchen reichen Firmengeschichte bleiben demnach unerwähnt, Löhndorf gestattet aber immerhin einen sanften Ausblick: Etwa, was das Emblem des springenden Pferdes angeht, "das dem Wappen eines Flieger-Asses des Ersten Weltkriegs entlehnt war. Angeblich hatte der Pilot, Francesco Baracca, es auf sein Flugzeug malen lassen. Nach Baraccas Absturz 1918 bot Enzo Ferrari der Familie an, es im Andenken an den Sohn zu übernehmen - so wenigstens eine Version der Geschichte. Laut einer anderen übernahm Ferrari das weiße Pferd des erfolgreichsten italienischen Jagdfliegers des Ersten Weltkriegs einfach so, ohne Rückfrage. Ein seltsames, düsteres Zusammenspiel von Tod und Tempo aber ist es in jedem Fall: das Rennauto-Markenzeichen aus dem Erbe des abgestürzten Piloten." Dazu passend bietet die NZZ eine schöne Bilderstrecke.
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Bühne

"Es ist so vieles verkehrt an dieser Debatte", seufzt in der WOZ Tobi Müller über den anhaltenden Streit um Chris Dercons Intendanz an der Volksbühne, in der Castorf die Rolle des "Linken" und Dercon die Rolle des "Neoliberalen" zugeschoben wurde: "Von den TheaterfreundInnen hat sich kaum jemand die Mühe gemacht, Dercons bisherige Arbeit zur Kenntnis zu nehmen, etwa seine Rolle darin, den Tropicalismo Brasiliens in der Kunstwelt als Bestandteil der zweiten Moderne zu werten und dies im Kanon auch durchzusetzen. Oder, pikanterweise: seine Zusammenarbeit mit Christoph Schlingensief in München, einem der Säulenheiligen der alten Volksbühne." Dercons Ansätze findet Müller so wenig neoliberal wie er Castorf unbedingt links findet: "In 25 Jahren schaffte es die Volksbühne nicht, eine Frau am Regiepult nachhaltig durchzusetzen, während die Schauspielerinnen bei Castorf in Unterwäsche und auf hohen Hacken über die Bühne staksten, was man für Feminismus zu halten schien. Warum hat man Castorf dieses Altherrenhafte in Berlin durchgehen lassen, wo Studierende doch schneller protestieren als irgendwo sonst?"

Weiteres: Gunda Bartels gratuliert im Tagesspiegel dem Berliner BKA-Theater zum Dreißigsten. Besprochen wird Andreas von Studnitz' Inszenierung eines Theatertextes von Wolfram Lotz, "Die lächerliche Finsternis", am Theater Ulm (nachtkritik).
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Kunst


Willi Baumeister, Apoll (Detail), Blatt aus "Die Schaffenden", 4. Mappe, 1922 © Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett

Eine Ausstellung der Papierarbeiten Willi Baumeisters im Berliner Kupferstichkabinett würdigt einen großen Künstler der Nachkriegsmoderne, der die Multiperspektive feierte, so Ingeborg Ruthe in der FR: "Raum, Körper, Ding wurden nunmehr in einzelne geometrische Flächen und Formen aufgelöst. So entstehende Kreise, Quadrate, Kegel, Kugeln und Kuben wurden neu komponiert. Analyse und Synthese wechseln sich ab in den kühnen Bildfindungen jener Zeit ... Zugleich lassen solche Formungen an vorzeitliche Zeichen denken. Baumeister nämlich fühlte sich tatsächlich auch den figurativen 'Urbildern' verpflichtet, wie er sie in der von ihm mit großer Obsession erkundeten prähistorischen Höhlenmalerei vorfand."

Im Tagesspiegel erinnert Nicola Kuhn - mit Verweis auf die Ausstellung "Parapolitik: Kulturelle Freiheit und Kalter Krieg" im Haus der Kulturen - daran, in welchem politischen Klima die Abstraktion der Nachkriegszeit gedieh. Baumeisters "Credo lautete: Die Kunst bildet nicht die Natur nach, sondern schafft wie die Natur selbst. Romantiker, der er war, glaubte er bis zuletzt daran: 'Zu allen Zeiten ging die Kunst voran und gab den Kanon der gereinigten Sicht für die Augen der Menschheit.' Dass sein Schaffen - obwohl einer der Aufrechten - Gegenstand von Manipulationen sein könnte, weil die CIA die Abstraktion als kulturellen Segen des Kapitalismus und Signet der Freiheit heimlich förderte, hat Baumeister zum Glück nicht mehr erfahren. Der Logik seines Werks können diese Verstrickungen ohnehin nichts anhaben."

Donald Trump will bekanntlich eine Mauer zwischen den USA und Mexiko errichten, erste Prototypen für den Bau gibt es bereits. Sie möchte der Künstler Christoph Büchel als ein Kunstwerk der Gattung Land- und Conceptual Art verstehen, berichtet Michael Diers in der NZZ: "Er baute eine wunderschöne Homepage und startete eine Petition der Organisation MAGA, Akronym für 'Make America great again' oder aber, im vorliegenden Zusammenhang als Slogan noch wichtiger, 'Make art great again'. Der Präsident wird darin angehalten, mittels des allein ihm zustehenden Rechtes, das bis ins Jahr 1906 zurückreicht und als 'Antiquities Act' bekannt ist, die Prototypen zum nationalen Denkmal zu erklären. Damit würde zugleich anerkannt, dass es sich bei Trumps Mauermusterabschnitten um ein Land-Art- und zugleich Readymade-Kunstwerk par excellence handelt."

Weitere Artikel: Das Ethnologische Museum in Berlin und das Museum für Asiatische Kunst haben ihre Sammlungen eingepackt und sind nach Mitte gezogen. Was wird jetzt aus den verlassenen Museumsbauten in Dahlem? Dazu hat die taz einen kleinen Schwerpunkt zusammengestellt. Susanne Messmer fürchtet, dass Berlin bald nur noch Mitte ist. Rolf Lautenschläger ermuntert Berlin-Besucher weiterhin nach Dahlem zu fahren, wo sich gerade eine internationale Ausstellungslandschaft neu justiere. Und Burkhart Sellin von der Bürgerinitiative Dahlemer Appell schlägt im Interview vor, die verlassenen Gebäude für europabezogene Ausstellungen zu nutzen. Außerdem: In der Presse stellt Eva Komarek ein Buch der Kunstmarktexpertin Georgina Adam vor, "Dark Side of the Boom", das anhand konkreter Fälle die unethischen und illegalen Geschäfte des Kunstmarktes beleuchtet.

Besprochen werden eine Ausstellung des Berliner Expressionisten Fritz Ascher  in der Berliner Villa Oppenheim und im Potsdam Museum (taz) und die Ausstellung "A Tale of Two Worlds. Experimentelle Kunst Lateinamerikas der 1940er bis 80er Jahre im Dialog mit der Sammlung des MMK" im MMK 1 in Frankfurt (FAZ).
Archiv: Kunst