Efeu - Die Kulturrundschau

Etwas für den guten Geschmack

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21.10.2020. ZeitOnline und Dlf berichten von bizarren Ereignissen auf der Museumsinsel - einem Anschlag, der offenbar dem Thron des Satans gegolten hat. Die FAZ beobachtet mit Victoria Butler die extraterrestrische und vegetative Verwandlung des Menschen auf Alpha Centauri. Die Filmkritiker feiern Pablo Larrains Drama "Ema" als Kino des Augenblicks und reine Kinetik. Die Causa Monika Maron sorgt weiterhin für heftige Diskussionen. Und die SZ entschuldigt sich in aller Form bei Igor Levit.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 21.10.2020 finden Sie hier

Kunst

Von einem bizarren Anschlag auf die Museumsinsel berichten Stefan Koldehoff und Tobias Timm auf ZeitOnline - und am Nachmittag im Dlf: Mindestens siebzig Objekte im Pergamonmuseum, im Neuen Museum und in der Alten Nationalgalerie wurden dabei beschädigt. Der mögliche Zusammenhang: "Der Verschwörungsideologe Attila Hildmann hatte im August und September auf seinem öffentlichen Telegram-Kanal verbreitet, dass sich in dem zu diesem Zeitpunkt noch coronabedingt geschlossenen Pergamonmuseum der 'Thron des Satans' befinde und es das Zentrum der 'globalen Satanisten-Szene und Corona-Verbrecher' sei". Und ebenfalls seltsam: "Mehr als zwei Wochen lang wurden darüber weder die Öffentlichkeit noch andere möglicherweise gefährdete Museen informiert."

Manaf Halbouni als heldenhafter General Hadad, 2018. Bild: Kunsthalle St. Annen
Die Arbeiten des syrischen Künstlers Manaf Halbouni sind vielleicht nicht unbedingt für die internationalen Biennalen dieser Welt geschaffen, meint Till Briegleb in der SZ, aber sie sorgen für Aufregung, Wut und Mitgefühl, wie man jetzt in einer Ausstellung in der Kunsthalle St. Annen in Lübeck sehen könne: "Im Zentrum steht dabei eine "Was-wäre-wenn"-Inszenierung, mit der Halbouni die Erfolgsgeschichte des Kolonialismus und der Globalisierung umkehrt. Beherrscht wird das heutige Europa in 'What if' von muslimischen Imperien. Mit neuen Landkarten eines arabisch-osmanisch 'befreiten' Okzidents und Fotografien, die große Moscheen in Dresdens neu gebauter Altstadt zeigen, wird die Angst vor einer Islamisierung stichelnd gereizt. Halbouni, der 1984 in Damaskus geboren wurde und dorthin nicht zurück kann, weil er den Militärdienst verweigert, verwandelt sich dazu in einen fiktiven General der islamischen Okkupationsarmee, die Europa beherrscht."

Den Spirit der Mandinge spürt Jonathan Fischer im Künstler-Kollektiv Sanou'Arts, das der malische Bildhauer Ibrahim Bemba Kébé in Bamako gegründet hat: "In keiner anderen afrikanischen Hauptstadt organisieren sich Künstler verschiedener Metiers wie hier in unabhängigen Kollektiven. Neben Pionieren wie der Gruppe Atelier Badialan gehört Sanou'Arts zu den jüngsten und experimentierfreudigsten: 'Jeder zieht hier den anderen mit', sagt die Fotografin Mariam Niaré."
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Literatur

Jan Wiele und Jürgen Kaube sehen in der Trennung des S. Fischer Verlags von der Schriftstellerin Monika Maron (unsere Resümees hier und dort) "das Prinzip der Kontaktschuld" am Walten. Der Verlag begründet die Trennung damit, dass Maron bei einem Verlag einen Essayband veröffentlicht hat, der von den Neurechten aus Schnellroda vertrieben wird. "Was ist aus der Haltung geworden, nicht nur Werke zu veröffentlichen, sondern das Werk eines Autors, lebenslang. Aus jenem Unseldschen 'Eheversprechen', zu seinen Autoren zu stehen, komme, was wolle? ... Bei S. Fischer meint man offenkundig, Maron habe gewissermaßen auf dem Vertriebswege alles verspielt. Man hätte bei weiterer Zusammenarbeit mit ihr 'indirekt einen publizistischen Kontext unterstützt', der nicht zu S. Fischer passe. Diese Entscheidung ist unsouverän, maßlos und vielleicht auch unehrlich: Soll man es doch offen sagen, was einen stört, und nicht aus einer Irritation einen Fehltritt sondergleichen machen."

Es sei besser zu streiten als zu schweigen, merkt auch Cornelia Geißler in der Berliner Zeitung an: "Die Affäre ist so gesehen nicht allein die Angelegenheit von Monika Maron und ihrem Verlag. Für die argumentative Auseinandersetzung in einer immer antagonistischer und dabei sprachloser werdenden Gesellschaft braucht es eine Stimme wie die der Monika Maron." Dass der Fischer Verlag sich an ihrer Veröffentlichung in der Edition Buchhaus Loschwitz stört, ist für Maron selbst zwar "akzeptabel", sagt sie im Dlf Kultur. Die Konsequenz daraus finde sie allerdings "'unangemessen'. ... Ihre Haltung sei 'demokratisch, liberal und freiheitlich', betont Maron. Sie sehe sich in keiner Weise dem rechten Spektrum zugehörig. 'Außer man hält inzwischen alles für rechts, was nicht links ist.'" Im Dlf-Interview mit Miriam Zeh will die Literaturwissenschaftlerin hier keinen Fall von Cancel Culture sehen: "Vielmehr entscheide der S. Fischer Verlag, mit wem er zusammenarbeiten wolle und mit wem nicht. Das sei eine 'ganz freie Entscheidung eines Verlags und nur darum geht es momentan', so Geier."

Dass Maron beteuert, vom Vertrieb dieses Verlags nichts gewusst zu haben, hält Christiane Peitz im Tagesspiegel indessen für "unglaubwürdig", wie sie auch die Statements des Verlags, dass es bei dieser Entscheidung allein um die geschäftliche Verbindung ins neurechte Milieu ginge, für eine Ausflucht hält. Ihr Fazit zur Causa: "Maron schimpft schon lange auf falsche Toleranz gegenüber Islam und Islamismus, auf Kopftücher als Zeichen der Unterdrückung, auf gendergerechte Sprache, übertriebene politische Korrektheit. Das ist ihr gutes Recht, es sind oft bedenkenswerte Interventionen. Nicht-Einverstandensein gehört zu den hohen Tugenden in der Kunst. Ebenso ist es Marons gutes Recht, ihren Romanhelden ähnliche Haltungen angedeihen zu lassen. Aber es verstört zunehmend, dass die Freiheit der Kunst, die Freiheit der Meinung auch bei anderen Autoren mit DDR-Biografie neuerdings so oft die Freiheit zu neu-rechtem, ausgrenzendem Gedankengut bedeutet."

Besprochen werden unter anderem Don DeLillos "Die Stille" (SZ) und Daniel Mellems "Die Erfindung des Countdowns" (FAZ, SZ).
Archiv: Literatur

Musik

Wolfgang Krach und Judith Wittwer aus der Chefredaktion der SZ entschuldigen sich förmlich bei Igor Levit für eine in ihrem Blatt veröffentlichte Polemik gegen Igor Levit (mehr dazu hier und dort), die insbesondere auf Social Media für enorme Entrüstung und Antisemitismusvorwürfe gesorgt hat. "Viele Redakteurinnen und Redakteure empfinden etliche Stellen des Textes ebenfalls als antisemitisch - insbesondere jene, die sich über den jüdischen Künstler Levit lustig macht, weil er nach dem Angriff auf einen jüdischen Studenten vor einer Synagoge in Hamburg auf Twitter an mehreren Tagen schrieb, wie müde er sei. Harte Kritik gibt es in der Redaktion am Begriff 'Opferanspruchsideologie', der nach dem Wortlaut des Textes zwar auf soziale Medien allgemein bezogen sei, aber so verstanden werden könne, dass er Levit gilt."

Weitere Artikel: Louisa Zimmer berichtet im Tagesspiegel von ihrer Begegnung mit dem Berliner Musiker Adam Byczkowski, der unter dem Namen Better Person 80s-Pop macht. Manfred Klimek erinnert in der Welt an das Fehlfarben-Album "Monarchie und Alltag", das man auch 40 Jahre nach seinem Erscheinen sehr gut hören kann:



Besprochen werden eine CD-Box mit Aufnahmen der Berliner Philharmoniker unter Kirill Petrenko (Tagesspiegel), das neue Album von Bruce Springsteen (Standard), Matt Berningers Solodebüt "Serpentine Prison" (ZeitOnline), Alexander von Schllippenbachs "Slow Pieces For Aki" (FR) und neue Popveröffentlichungen, darunter Major Lazers neues Album "Music is the Weapon" (SZ).
Archiv: Musik

Architektur

Sympathisch findet Gerhard Matzig in der SZ, dass Ursula von der Leyen sich für ihren Green Deal auf das Bauhaus beruft, um in Europa eine neue Ära des ökologischen Bauens anzustoßen. Aber die Idee beruht auch auf einem Missvertständnis: "Das Bauhaus-Design - die Möbelproduktion am Bauhaus war nie erfolgreich, genauso wie die Fertigbau-Versuche von Gropius - ist heute etwas für total sympathische Leute mit einem seltenen Sinn für Bauhausschönes, die dafür viel Geld ausgeben. Das ist nicht falsch, aber kaum eine Regieanweisung für eine andere Art, die Umwelt zu gestalten. Es sei denn, man möchte sagen: Öko ist etwas, was sehr hübsch mit dem Sessel Wassily harmoniert. Etwas für den guten Geschmack. Das Gegenteil muss die Ökologie endlich werden: massenwirksam, alltäglich, selbstverständlich, logisch. Etwas, was das Bauhaus nie war."
Archiv: Architektur

Film

Körper, Bekenntnis, Rausch und Popkultur: Pablo Larraíns "Ema"

Eine Tänzerin, ein Trauma, eine Beziehung im Krisenmodus, eine Emanzipation: Pablo Larraíns Drama "Ema" ist "ein Kino, in dem, wie bei Ingmar Bergman, jeder Moment in einer Beziehung nur für sich steht, weil man nie wissen kann, was auf ihn folgen wird", schreibt Philipp Stadelmaier in der SZ. "Ein Kino des Augenblicks und seiner äußersten Fragilität. Jede Reaktion, die die Wogen glättet, ist schon zu viel, immer schon Überreaktion. Ist einmal kurz ein Gleichgewicht hergestellt, schlägt die Wage sofort wieder aus." Tazler Till Kadritzke sieht in diesem "Plädoyer für Popkultur und Kontrollverlust" weniger einen Erzählfilm, sondern vielmehr ein "Konzeptalbum" vorliegen, "dessen filmische Tracks verknüpft werden von den gedehnten, angespannten Synthie-Sounds von Elektro-Avantgardist Nicolas Jaar. Und getragen von der faszinierenden Hauptdarstellerin Mariana di Girolamo." Sie tanze "sich durch den Film, durch Probebühnen, Fußballplätze und das Hafenpanorama. Noch in Emas dunkelsten, tanzlosen Stunden behauptet sie ihre körperliche Souveränität."

Larraíns Filme "wollen Geist in Kinetik übersetzen, Bekenntnisse in Körpersprache", schwärmt Dietmar Dath in der FAZ. In "Ema" reißt der Filmemacher den Typus "verkopfter Künstler" zu Daths Freude mächtig den Kopf ab: "Gastón hält einen Vortrag gegen die Musikrichtung Reggaeton, der Ema verfallen ist (sie verfällt allem, was ihr gefällt, und alle verfallen dafür ihr): Der stumpfe Pop-Hedonismus sei eine Droge, die herrschende Ordnung stecke dahinter, Straßenrandale tauge nur zur Betäubung - das ist alles nicht falsch und wird furios adornesk serviert, Larraín jedoch lässt Ema und ihre Freundinnen darauf in einer majestätischen Tanzmontage antworten, die leiblich-unerbittlichen Rausch über jede kulturkritische Spekulation stellt und nebenbei klärt, was für ein unfokussierter Matsch alle Tanzfilme aus Hollywood seit Jahren sind."

Die Filmwissenschaftlerin Gertrud Koch resümiert in der taz nochmal den Fall des Berlinalegründers Alfred Bauer, dessen Tätigkeit als Nazi-Funktionär erst kürzlich wirklich ans Tageslicht der Öffentlichkeit gebracht wurde und zieht eine düstere Bilanz:  "Das Skandalöse ist nicht, dass hier aufgedeckt wird, dass Bauer Nazi war, sondern dass sich keiner dafür interessiert hat, solange er noch aktiv war in den bundesdeutschen Filminstitutionen." Eine Symptomatik, die ungebrochen aktuell ist: "Auch heute wird mit Vorliebe beschwiegen, dass es 'braune Anteile' gibt, um die Institution, die Stadt, das Dorf, die Firma vor 'Rufschädigungen' zu schützen. ... Nazis wie Neonazis wurden und werden deswegen immer nur als Einzelereignis, das sich unglücklicherweise ereignet hat, gesehen, das strukturelle Moment in ihrer Generierung wird ausgesetzt."

Außerdem: Tobias Sedlmaier spricht für die NZZ mit Moritz Bleibtreu über dessen Regiedebüt "Cortex". Dominik Kamalzadeh stimmt im Standard auf die Viennale ein.

Besprochen werden Ben Wheatleys Netflix-Neuverfilmung von Daphne du Mauriers Romans "Rebecca", der auch schon Hitchcock als Vorlage diente (taz, FAZ), Thomas Medicus' Doppelbiografie über Heinrich und Götz George (FR) und Maya Sarfatys Dokumentarfilm "Liebe war es nie" über eine Liebesbeziehung einer Jüdin in Auschwitz zu einem SS-Mann (Standard).
Archiv: Film

Design

Gabriele Detterer schreibt in der NZZ einen Nachruf auf den Möbeldesigner Enzo Mari (mehr dazu hier) und seine Witwe, die Kunsthistorikerin Lea Vergine, die einen Tag nach ihrem Mann ebenfalls Covid-19 erlegen ist.
Archiv: Design
Stichwörter: Covid-19, Möbeldesign

Bühne

Jeremy Nedds Produktion "Star Magnolia" nach Octavia Butler. Foto: Philip Frowein, Cristiano Remo

Der Literaturwissenschaftler Philipp Theisohn nutzt in der FAZ die Produktion "Star Magnolia" des Zürcher Theater Neumarkt, um die Science-Fiction-Autorin Octavia E. Butler als ambitionierteste Vertreterin des Afrofuturismus vorzustellen, die in ihren Romanen die extraterrestrische und vegetative Verwandlung des Menschen imaginiert. Es beginnt im Jahr 2090 auf Alpha Centauri: "Wo der Terrazentrismus endet, beginnt die Verwandlung ins Gewächs. Sie beginnt in der Sprache. Die Zeit, so halluziniert ein Crewmitglied, erscheine ihm 'green and floaty'; und ebenso grün und wabernd ergießt sich alsbald der Schaum aus einem Bunsenbrenner, in dem Phosphor, Wasserstoff, Kalium und Hefe aufeinandertreffen, über die Setzlinge. Grün und wabernd wird sich gegen Ende des Stücks auch ein überdimensioniertes Laken über zwei Kosmonautinnen legen und mit ihnen verschwinden, um sie schließlich verwandelt wieder auszuspucken." In einer der letzten Ausgaben der Spex schrieb Julian Dörr im Mai ausführlich über Butler.

Weiteres: Michael Stallknecht testet für die NZZ Virtual Reality in der Oper am Theater Chur, wo Björn Lengers und Marcel Karnapke als Duo CyberRäuber den "Freischütz" gaben. Immerhin: "Die Simulation wirkt zweifellos lebensechter als die zweidimensionalen Streams, die während des Lockdowns eher die Erkenntnis unterstrichen, dass sich das Live-Erlebnis eben doch niemals ersetzen lässt." Wiebke Hüster gratuliert in der FAZ der Primaballerina und Ballettmeisterin Natalja Makarowa zum Achtzigsten (Hier tanzt sie die Giselle mit Michail Baryschnikow). Besprochen wird das Stück "Subway to Heaven" im Berliner Theater Thikwa (taz).
Archiv: Bühne