Efeu - Die Kulturrundschau
Hase, da glitzert ja gar nichts!
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Kunst

Die Malerin Lee Krasner wurde durchaus auch schon zu Lebzeiten gewürdigt, betont Jason Farago in der New York Times, sie bekam Ausstellungen und Retrospektiven. Aber so umfassend wie jetzt in der Barbican Art Gallery in London und ab Oktober in der Frankfurter Schirn Kunsthalle wurde ihr Werk noch nie gezeigt: "Tough, gewissenhaft und todernst, wenn es um die Kunstgeschichte, war Krasner wahrscheinlich die intelligenteste all der MalerInnen, die in den vierziger Jahren die Welt davon überzeugten, dass New York Paris als Epizentrum der modernen Kunst abgelöst hat. Diese Intelligenz zeigte sich in einer Kunst, die wie eine Flipperkugel durch Stile und Medien jagte, von festgefügten Collagen bis zu großen Abstraktionen von Matisse'schem Reichtum. Ihre Intelligenz reichte aber nicht, um ihr den Ruhm amerikanischer Malerei zu sichern, und es konnte sogar hinderlich sein für eine Frau in der machistischsten Ära der amerikanischen Kunst. Krasner erhielt, bis sie sechzig wurde, wenig Aufmerksamkeit von Museen, und sie konnte selten aus dem Schatten Jackson Pollocks heraustreten, mit dem sie von 1945 bis zu seinem frühen Tod 1956 verheiratet war."

Mitunter musste SZ-Kritiker Alexander Menden die Augen schließen, um Bridget Rileys Bilder in der Scottish National Gallery in Edinburgh ertragen zu können, doch dann konnte er auch wieder gar nicht aufhören, ihre höchst präzisen Bilder zu erforschen. Kaum eine Kunst vermag es so sehr, dem Betrachter seine körperliche Interaktion mit dem Werk bewusst zu machen, wie die Bridget Rileys. Ihre Bilder sind keine Tapeten, kein Hintergrundrauschen. Sie verlangen Aufmerksamkeit. Ihr neurologischer Effekt macht sie im bestmöglichen Sinne ungemütlich, weil sie ihr Nachbild eben nicht nur allein auf der Netzhaut, sondern im gesamten Realitätsempfinden hinterlassen. Dabei muss man nichts tun, nichts nachvollziehen, nichts "verstehen". Man muss nur die Augen öffnen, solange es geht.
Besprochen werden Kandidatenschau zum Preis der Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof (FR), eine Ausstellung zur Wagenfeld-Leuchte, dem "It-Piece moderner Raumkultur", im Bremer Wilhelm Wagenfeld Haus (taz), eine Schau mit den mittelalterlichen Schätzen aus der Leonhardskirche im Frankfurter Dommuseum (FAZ).
Bühne
Weiteres: Valeria Heintges berichtet in der Nachtkritik vom Zürcher Theater Spektakel, bei dem Intendant Matthias von Hartz "genreübergreifend und großzügig" Welten aufeinander krachen lässt. Im Tagesspiegel berichtet Sandran Luzina vom Streit um die Entlassung der Wuppertaler Tanztheater-Intendantin Adolphe Binder, der jetzt gerichtlich in die zweite Runde geht. Tagesspiegel-Kritikerin Elisabeth Nering blickt von Berlin aus neidisch zum Movimentos-Tanzfestival nach Wolfsburg.
Besprochen werden Heiner Müllers kurzes "Herzstück" im Maxim-Gorki-Theater (taz, Berliner Zeitung), Theresia Walsers Boulevardkomödie "Die Empörten" bei den Salzburger Festspielen (FR, Standard, Nachtkritik), Kornél Mundruczós Molnár-Inszenierung "Liliom" (FAZ) und Barrie Koskys Inszenierung von Offenbachs "Orfeus in der Unterwelt" in Salzburg (NMZ).
Architektur
Literatur
Im Tagesspiegel erinnert Gerrit Bartels daran, dass es Siegfried Lenz' Roman "Deutschstunde" war und "nicht zuletzt sein überwältigender Erfolg gerade international sowie der Ruf des lauteren, moralisch untadeligen Schriftstellers", die "den Antisemiten und Nazi Emil Nolde lange Zeit geradezu sakrosankt machten" - umso verwunderlicher findet es Bartels, dass auch bei der jüngsten Neuausgabe darüber kein Wort seitens des Verlags verloren wurde. "Der neue Film kommt nun Anfang Oktober in die Kinos. Man kann davon ausgehen, dass der von Tobias Moretti gespielte Maler abermals eine von antisemitischem Gedankengut und vom Nazismus freie, sich dem Polizisten Jepsen hartnäckig widersetzende Figur ist."
Weitere Artikel: Auch der Lyriker Jan Wagner ist vor Magnus Klaue und dessen "Lahme Literaten"-Kolumne in der Jungle World nicht sicher. Mit Hemingway und Nabokov im Gepäck zieht es Tagesspiegel-Autor Marius Buhl in den Wald. Für die FAZ plaudert Axel Weidemann ausführlich mit dem Science-Fiction- und Fantasy-Autor George R.R. Martin, der die literarische Vorlage zur Serie "Game of Thrones" geschaffen hat.
Besprochen werden unter anderem David Wagners "Der vergessliche Riese" (taz, Dlf Kultur hat mit dem Autor gesprochen), Andreas Maiers "Die Familie" (online nachgereicht von der FAZ), Michael Martens' Biografie über den Literaturnobelpreisträger Ivo Andric (FR), Max Annas' Krimi "Morduntersuchungskommission" (Standard), zwei postume Veröffentlichungen der schwedischen Autoren Tomas Tranströmer und Lars Gustafsson (NZZ), eine Ausgabe von Gerhard Fritschs Tagebüchern (SZ) und Ulrike Draesners "Kanalschwimmer" (FAZ).
Film
Musik
Weiteres: In der Welt berichtet Manuel Brug von seinem Festivalmarathon der letzten Wochen, von dem er detailliert auch in seinem Blog berichtete. Für die SZ porträtiert Peter Münch den bosnischen Sänger Božo Vrećo, der als bärtiger Mann in Frauenkleidern traditionelle Lieder zwischen Tenor und Sopran singt. Ein Video:
Besprochen werden das neue, von St. Vincent produzierte Album von Sleater-Kinney (Pitchfork), Igor Levits Konzert beim Rheingau Festival (FR) und neue Klassikveröffentlichungen, darunter eine CD des SWR Vokal Ensembles mit moderner Chormusik aus Japan (SZ).