Efeu - Die Kulturrundschau
Etwas derart Eckiges
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Musik
Neben dem Geldsegen dürften wohl auch rein praktische Erwägungen Dylan zu diesem Deal bewogen haben, meint Gerrit Bartels im Tagesspiegel: Um die Rechteverwaltung hat sich der Musiker zumindest in den USA bislang selbst gekümmert. "Der Aufwand dafür dürfte gewaltig gewesen sein." Zudem erreicht Dylan langsam ein Alter, in dem "man die eigenen Angelegenheiten geordnet haben sollte: im Hinblick auf ein bedeutendes Werk, das nun in seiner Gesamtheit von einem Verlag verwaltet wird. Und nicht zuletzt hinsichtlich eines komplizierten Erbes, um das es jetzt bei Dylans Nachkommen womöglich zu weniger Streitigkeiten kommt."
Die großen Konzerne kaufen derzeit eh im großen Stil große Rechtepakete ein, weiß Daniel Gerhardt auf ZeitOnline. Die Milliarden sitzen locker. "Das liegt einerseits daran, dass sich das Tonträgergeschäft gerade endgültig zum Streaminggeschäft wandelt: eine Entwicklung, die durch die Corona-Pandemie nochmals verstärkt und beschleunigt wurde. Während mit dem Verkauf von Classic-Rock-Platten vielleicht noch auf Vinyl in Ausnahmefällen größere Umsätze zu machen sind, kommen die Boomer langsam auf Spotify oder Apple Music an. Dort streamen sie nicht Billie Eilish oder Capital Bra, sondern ihre Boomermusik - und verhelfen den Verlagsrechten von Dylan und Co. zu neuer Attraktivität."
Weitere Artikel: In der NZZ gratuliert Marco Frei dem Ensemble Modern zum 40-jährigen Bestehen, das heute Abend online sein 40-jähriges Bestehen feiert.
Besprochen werden eine Hommage-Compilation zu Ehren von Ton Steine Scherben und Rio Reiser (taz), Mariah Careys Autobiografie (NZZ) und neue Popveröffentlichungen, darunter James Blakes neue EP "Covers", auf der sich der Künstler laut SZ-Popkolumnist endgültig als "Elton John für die Generation Klimawandel" entpuppt.
Architektur

Das 1932 von Pier Luigi Nervi gebaute Stadio Artemio Franchi ist eine Ikone des italienischen Rationalismus, doch der neue Klubbesitzer Rocco Commisso will das Stadion abreißen, wie Oliber Meiler in der SZ berichtet, und eine neue Arena mit VIP-Lounges errichten. Italien steht Kopf, aber der Investor gefällt sich in seiner Rolle : "Commisso ist Italoamerikaner aus New York, Medienunternehmer und Multimilliardär. Er hat den Verein vor zwei Jahren gekauft und gefällt sich seitdem in seinem alles andere als dezenten Auftreten, das mitunter Prollige ist sein Stil. Commisso passt damit gut in die Galerie selbstgefälliger italienischer Klubpräsidenten. Als man ihm vorwarf, er verkenne die kulturhistorische Bedeutung des Stadions, sagte er: 'Man nennt mich jetzt auch Attila, den Zerstörer. Dabei will ich ja nicht das Kolosseum oder den Palazzo Vecchio abreißen.'"

Design
Im ZeitMagazin verabschiedet sich Sara Tomšić vom gedruckten Ikea-Katalog, den er früher träumend durchblättert hatte: Aber "wie träumt die heutige Jugend jetzt vom Erwachsensein, ohne dich? Auf Instagram macht das ja nur halb so viel Spaß, weil die tolle Couch meistens zu einem Hochglanz-Leben passt, das man selbst gar nicht führt. Die moosgrüne Küche, das zwei Meter hohe Boxspringbett und der Mahagonischrank in meinem Insta-Feed gehören schon jemandem. Bei dir, im Ikea-Katalog, war das anders. Du warst eine weiße Leinwand, ich konnte mich mit genug Fantasie selbst reinsetzen, alles gehörte mir oder niemandem." Kein Wunder, dass die Welt Tränen um diesen Katalog weint, schreibt Gerhard Matzig in der SZ: Immerhin ist der jährliche Ikea-Wälzer "nun mal kein Katalog, sondern ein Werk, das uns die Welt erklärt und darin Halt gibt. Ausgerechnet in einer pandemischen Neobiedermeier-Ära, in der das virensichere Wohnen zur letzten Bastion gerät, das Aus zu verkünden: der reinste Frevel."
In der Jungle World bespricht Larissa Kunert Diana Weis' kulturwissenschaftliche Studie "Modebilder. Digitale Bildkulturen" über die Rolle von Instagram und Influencern in der Modewelt.
Bühne
Katrin Gänsler stellt in der taz das CITO vor, das Carrefour International de Théâtre Ouagaoudou, das einzige feste Theater in Westafrika. Sein aktuelles Stück "La Patrie ou la Mort" über den Terrorismus im Norden von Burkina Faso musste es jetzt etwas früher als geplant vom Spielplan nehmen, weil das Geld ausgegangen ist: Geschrieben hat es "der Dramatiker und Schauspieler Mahamadou Tindano als Auftragsarbeit für das CITO... Er erinnert sich gut daran, dass das Theater, Kunst generell, lange als Metier ohne Zukunft und Perspektiven galt. 'Eine Einstellung, mit dem auch der Fußball zu kämpfen hatte. Heute zahlen Eltern sogar für den Besuch einer Fußballschule.' So gut angesehen oder gar lukrativ sei das Geschäft für Schauspieler*innen keinesfalls. Dennoch würde ein Umdenken einsetzen. 'Eltern akzeptieren die Berufswünsche ihrer Kinder, verlangen aber, dass diese trotzdem die Schule beenden.'"
Weiteres: In der FAZ staunt Klaus Georg Koch, wie schnell sich Italiens Opernhäuser unter dem Druck der Corona-Pandemie technisch erneuern. Besprochen wird Andreas Homokis Inszenierung von Giuseppe Verdis Oper "Simon Boccanegra" in Zürich und auf arte (die sich SZ-Kritiker Reinhard Brembeck aber auch gut im "bürgerliche Opernmuseum der Belanglosigkeit" vorstellen könnte).
Kunst
Besprochen wird Abe Frajndlichs Band "Bukowski" mit Fotografien des Schriftstellers (FR).
Literatur
Besprochen wird unter anderem Barbey d'Aurevillys "Ein verheirateter Priester" (SZ).
Film
Für die NZZ unterhält sich David Signer mit Völker Schlöndorff, der sich in Afrika quasi nocheinmal neu erfunden hat und derzeit einen Dokumentarfilm über die austrocknende Sahelzone dreht. Dem soll eine "grüne Mauer" abhelfen: "Damit ist das große Projekt gemeint, mit dem Pflanzen von Bäumen den Vormarsch der Wüste im Sahel aufzuhalten. Mitte November machte Schlöndorff in Dakar Station; bei einem Treffen in der Friedrich-Naumann-Stiftung erzählt er voller Begeisterung von seinem neuen Werk, das nächstes Jahr fertig werden soll. In Niger, Mali, Ghana und Burkina Faso hat er bereits gedreht, aber auch in Indien und Australien. 'Es ist ein Langzeitprojekt', sagt er, 'da man den Bäumen ja schließlich nicht beim Wachsen zuschauen kann.'"
Besprochen wird Alan Balls "Uncle Frank" mit Paul Bettany (SZ).