Efeu - Die Kulturrundschau

Rocky wäre der ideale Präsident

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23.01.2019. Der Tagesspiegel blickt auf die betrübliche Lage der Berliner Museen. Die taz lässt sich vom Haus der Kunst versichern, dass es auch Starkregen noch aushält. Die SZ  lässt sich vom nigerianischen Superstar Mr Eazi erklären, wie das moderne Musikgeschäft läuft. Der Standard und andere Zeitungen feiern Yorgos Lanthimos' ultradekadenten Historienfilm "The Favourite". Die zehn Oscar-Nomierungen dürften also gerechtfertigt sein. Aber was ist mit Alfonso Cuaróns Netflix-Produktion "Roma"?, fragt die Welt.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 23.01.2019 finden Sie hier

Film

Die diesjährigen Oscar-Nominierungen zeigen ein Hollywood im Wandel, schreibt Andreas Busche im Tagesspiegel. Mit je zehn Nominierungen für Yorgos Lanthimos' Kostümfilm "The Favourite" und Alfonso Cuaróns von Netflix vertriebenem Arthouse-Film "Roma" setze sich der Trend zu mehr Diversität fort. Nur Frauen sind in den wichtigsten Kategorien nicht auszumachen, merkt Busche kritisch an. "Solch ein Oscar-Rennen hat es noch nie gegeben", tönt es seitens Hanns-Georg Rodek aus der Welt entgegen: Dass Netflix "Roma" mit einem Alibi-Kinostart nominierungstauglich promotet hat, ist die Grundlage für eine der spannendsten Kinodebatten unserer Zeit, meint Rodek: "Man könnte nun vermuten, dass die Mitglieder der Akademie versuchen, taktisch abzustimmen. Vielen gefällt die Netflix-Strategie nicht, sich mit dem Kinokurzeinsatz den Weg zu den Oscars zu erschleichen. Andererseits ist 'Roma' in der Tat einer der drei, vier besten Filme des Kinojahres 2018." Aktualisiert: Prompt meldet die FAZ, dass Netflix in die Filmvereinigung Motion Picture Association of America (MPAA) aufgenommen wurde: "Ein beispielloser Vorgang".

Die Einsamkeit der Macht: Emma Stone in "The Favourite"

Die zehn Nominierungen für Lanthimos' ätzendes, am Hof von Queen Anne angesiedeltes Intrigen-Historienspektakel "The Favourite" sind aber auch mehr als gerechtfertigt, freuen sich die Kritiker. Der griechische Regisseur bricht die staubige Anmutung des Genres gut auf, schreibt Dominik Kamalzadeh im Standard: Er "nähert sich dem Genre mit unbändiger Lust an der Überschreitung. Die Kamera des Iren Robbie Ryan verzerrt die monarchischen Räumlichkeiten mit Weitwinkelobjektiven oder wischt die Wände entlang, als stünden sie auf einem fremden Planeten. Beim höfischen Tanz wird Sarah wie bei einer Hip-Hop-Einlage um den Nacken gewirbelt. Am Hof von Queen Anne, der letzten Stuart (1665-1714), geht es bei Lanthimos zu wie in einer Sex-Comedy von Ernst Lubitsch." Christiane Peitz pflichtet dem im Tagesspiegel unumwunden bei: Lanthimos "tobt sich aus, satirisch, ultradekadent, süßlich parfümiert, bitterböse in Screwball-Manier. Und doch rührt 'The Favourite' einen an. Denn Lanthimos hat auch einen Film über die Einsamkeit der Macht gedreht." Freude an diesem "Zickenkrieg" auch bei SZ-Kritiker Fritz Göttler: Der Film "ist opulent und derb und fies und ungemein erfolgreich." Dass nach Josie Rourkes "Maria Stuart", der vor einer Woche anlief, nunmehr gleich noch ein Film über Monarchistinnen, die sich in die Haare kriegen, anläuft, ist NZZ-Kritikerin Christina Tilmann aufgefallen. Für Pitchfork bespricht Matthew Strauss den Soundtrack des Films.

Der ideale Präsident: Rocky/Sylvester Stallone in "Creed 2"

Für die NZZ blickt Wolfgang M. Schmitt auf Sylvester Stallones nunmehr 43 Jahre, sechs eigene und zwei Spin-Off-Filme umfassende "Rocky"-Saga zurück, die für ihn eine Hommage an die weiße Arbeiterklasse darstellt. Jedoch: "Rocky ist kein Trump, er ist vielmehr eine Ikone der Selbstermächtigung - für alle, besonders aber für jene, die viel verloren haben durch den Wandel der Zeit. Fast möchte man sagen: Rocky wäre der ideale Präsident."

Besprochen werden der neue Disney-Film "Chaos im Netz" (Standard, taz) und die neue Staffel der Serie "American Horror Story" (FR).
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Kunst

Nicola Kuhn fasst im Tagesspiegel die Kritik zusammen, der sich Berlins Staatliche Museen ausgesetzt sehen: "Zu wenig Besucher, zu wenig interessante Ausstellungen, zu viele Baustellen... Aussicht auf Änderung besteht bei der Stiftung Preußischer Kulturbesitz eher nicht, betrachtet man allein die Lage am Kulturforum. Bis heute hat niemand dafür eine Lösung gefunden, die unselige Piazzetta aufzupeppen und den Besuchern einen lustvollen Zutritt zu der hier kasernierten Gemäldegalerie, dem Kunstgewerbemuseum, dem Kupferstichkabinett und der Kunstbibliothek zu verschaffen. Seit 2015 wird die Neue Nationalgalerie saniert, ein bräunlicher Bretterzaun mit halb abgerissenen Plakaten umschließt sie, das Gelände zur Philharmonie dominieren Bagger und rotweiße Barken. Statt die Sammlung woanders in der Stadt zu zeigen oder werbewirksam auf Reisen zu schicken wie das Museum of Modern Art vor 14 Jahren spektakulär in Berlin, werden im Hamburger Bahnhof nur homöopathische Dosen gereicht."

Patrick Guyton rekapituliert in der taz die Krisen, durch die das Münchner Haus der Kunst gerade torkelt. Neuester Tiefpunkt: Der Expertenrat, dessen Ansätze Guyton ausgesprochen unoriginell findet: "Die künstlerische Ausrichtung soll beibehalten werden, in schönen Worten wird das Haus beschrieben als 'eine avancierte Institution moderner und zeitgenössischer Kunst mit einem globalen Fokus und einer spartenübergreifenden Offenheit'. Über die Probleme und Verwerfungen der letzten Jahre schweigt sich das Gremium aus. Das Haus muss dringend generalsaniert werden, ließe man es nicht kontrolliert verfallen. Bernhard Spies, kaufmännischer Direktor des HdK, sagt trocken: 'Bei Starkregen schaffen wir es noch, das Haus dicht zu bekommen.'"

Schaudernd geht Tagesspiegel-Kritikerin Christiane Peitz auch durch das ethnologische Musée du Quai Branly in Paris, dessen Schätze im Mittelpunkt der Raubkunst-Debatte stehen: "Schön sieht es hier aus - und schrecklich zugleich. Weil die Aura auch die Aura des Schweigens ist, der Verdrängung. Kein Hinweis findet sich zum Beispiel bei den berühmten Benin-Bronzen. Sie stehen einfach da in ihrer Vitrine, ohne Kommentar. Gehören sie zu denen, die zurückgegeben werden?"

Weiteres: In Hyperallergic resümiert Jasmin Weber die jüngsten Meldungen zur Familie Sackler, die ihr Geld aus dem Opioid-Geschäft in die Museen steckte: Während die Ermittlungen zunehmend die Familie belasten, hält das New Yorker Metropolitan Museum an seinen großzügigen Spendern fest. Im Monopol plaudert Alexander Kluge über Touristen, Tod und Schnee in Venedig. Auf Slate.fr lässt Lea Polverini ihrem Groll gegen Salvador Dali freien Lauf, der sich zum Surrealisten stilisierte, wo er doch ein reaktionär war!

Besprochen werden eine Schau zu Johann Joachim Winckelmann in den Vatikanische Museen (SZ), eine Ausstellung des einstigen Jungen Wilden Gunter Damisch in der Galerie Elisabeth und Klaus Thoman in Innsbruck (Standard) und eine Schau der britischen Videokünstlerin Beatrice Gibson im Camden Arts Centre in London (Guardian).
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Architektur

In der SZ raucht Gerhard Matzig vor Zorn über die mindestens 500 Millionen teure Generalsanierung des Münchner Gasteigs . Das Verfahren sei komplett gescheitert, schimpft er, die Ausschreibung eine Farce, der Plan Murks: "Alles auf Anfang: Das wäre ein Ende mit Schrecken und eine Peinlichkeit ersten Ranges. Aber immer noch besser als ein Schrecken ohne Ende. Schon jetzt ist klar, dass das Bauvorhaben teurer wird als geplant - und niemand sollte so naiv sein, zu glauben, dass die Termine eingehalten werden können."
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Stichwörter: München, Gasteig

Literatur

Im Tagesspiegel läutet Andreas Austilat das Fontane-Jahr ein. Online nachgereicht, ergänzt Denis Scheck seinen Welt-Literaturkanon um Homers "Odyssee".

Besprochen werden der zweite Band von Volker Ullrichs Hitler-Biografie (taz), Antoinette Rychners "Der Preis" (NZZ), Édouard Louis' "Wer hat meinen Vater umgebracht" (Tagesspiegel, SZ), Kenzaburo Oes "Der nasse Tod" (NZZ), Anna Katharina Fröhlichs "Rückkehr nach Samthar" (Zeit), H.M. van den Brinks "Ein Leben nach Maß" (Tagesspiegel), Dörte Hansens "Mittagsstunde" (Tagesspiegel), Christian Lehnerts Lyrikband "Cherubinischer Staub" (SZ) und Catherine E. Morgans "Der Sport der Könige" (FAZ).

Mehr auf unserem literarischen Meta-Blog Lit21 und ab 14 Uhr in unserer aktuellen Bücherschau.
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Bühne

Besprochen werden Susanne Kennedys "Coming Society" an der Volksbühne Berlin (Dlf, SZ), das Lessing-Festival "Hear Wor(l)d" im Hamburger Thalia Theater (Hamburger Abendblatt, SZ), Frank Castorfs "Galilei"-Inszenierung am Berliner Ensemble (die Irene Bazinger in der FAZ als "so herz- wie lust- wie hirnlose Nummernrevue" geißelt) sowie Demis Volpis "Medea"-Inszenierung nach Cherubini, Xenakis und Müller am Saarländischen Staatstheater (Saarbrücker Zeitung, FAZ).
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Musik

Wer etwas wissen will darüber, wie man als auf sich alleine gestellter afrikanischer Popstar wirtschaftet und Marketing betreibt, der muss das Interview lesen, das Georg Milz für die SZ mit dem nigerianischen Rapper Mr Eazi geführt hat. In seiner Heimat und in weiteren afrikanischen Staaten und damit auch in der afrikanischen Diaspora ist er bereits ein Superstar und entsprechend hartgesotten, wenn es um Verhandlungen in Europa und USA geht, wo man ihn als Newcomer einschätzt. Alben hat er noch keine vorgelegt, dafür haut er am laufenden Meter Mixtapes raus: Damit "kann ich viel schneller auf mein Publikum reagieren. 37 Prozent der Streams zu meinem Song 'Keys To The City' werden zum Beispiel aus Kenia abgerufen. Das Land ist sehr technikaffin, es ist zu einem der wichtigsten Multiplikatoren für populäre afrikanische Musik in der Diaspora geworden. Mehr als die Hälfte meiner Youtube-Klicks kommen inzwischen aus Ostafrika. Also war ich gleich nach der Veröffentlichung dort unterwegs."



Weitere Artikel: In der NZZ stellt Adrian Schräder DJ Wajeed vor. Bernie Brooks plaudert für The Quietus mit dem Schweizer Disco-Pop-Kraut-Rock-Duo Klaus Johann Grobe, das den Schock erst noch verwinden muss, dass ihm auf der Tour gerade das gesamte Equipment gestohlen wurde. Der "eloquenten Mischung aus Elektronik, Krautrock und Pop", die Die Türen auf ihrem neuen Album "Exoterik" präsentieren, kann Standard-Kritiker Karl Fluch viel abgewinnen. Ein Video:



Besprochen werden das Berliner Abschiedskonzert von Ennio Morricone (taz, Welt, Dlf Kultur), James Blakes "Assume Form" (Pitchfork) und neue Popveröffentlichungen, darunter das neue Album von Dendemann, für SZ-Kritiker Jens-Christian Rabe vielleicht kein Paradebeispiel für rundum heutigen Rap, aber "der größte lebende Wortspieler deutscher Sprache" ist Dendemann für ihn noch immer.
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