Efeu - Die Kulturrundschau
Faible fürs Okkulte
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23.04.2022. Die Kunstkritiker streifen verwirrt über die Biennale in Venedig: Ist diese große Surrealismusschau Realitätsverweigerung, alternative Wissensweisen oder ein Sieg der Poesie über den Rationalismus? In der SZ berichtet Bernard Henri-Lévy von seiner Reise quer durchs ukrainische Kriegsgebiet. Nie war das Kino humorloser als heute, klagt Artechock. Warum Lehm auch in Deutschland ein hervorragender Baustoff wäre, erklärt im Interview mit der FAZ die Architektin Anna Heringer.
9punkt - Die Debattenrundschau
vom
23.04.2022
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Kunst


In der SZ blickt Peter Richter milde lächelnd auf das weiblich "Unterleibliche" der Biennale: "Ausgerechnet den Surrealismus nun jubelnd als Bewegung für feministisches Empowerment hingestellt zu bekommen, mag verblüffen, eigentlich sogar ein bisschen beängstigen, ist aber äußerst zeitgenössisch. Denn Leute mit Faible fürs Okkulte wissen es längst, und wer Esoterischen mit Skepsis oder gar Aversionen gegenübersteht, muss seit einigen Jahren umso mehr zur Kenntnis nehmen: Die Rückkehr magischen Denkens wird unter dem Rubrum 'alternative Wissensweisen' als emanzipatives Projekt verstanden und mit großem institutionellem Erfolg vorangetrieben." Ins Stocken geraten kann die Begeisterung für Esoterik im Raum der Ukraine, "wo einem der 'Westen' zur Abwechslung nicht als etwas begegnet, das rationalitätskritisch angeklagt wird, sondern für dessen Zugehörigkeit gerade Menschen in den Tod gehen, die lieber nicht einer Herrschaft des Mystizismus anheim fallen wollen." Weitere Artikel zur Biennale im Standard und im Tagesspiegel.
Besprochen werden außerdem eine Ausstellung mit Grafiken von Hans Uhlmann im Kunsthaus Dahlem in Berlin (Tsp), die Ausstellung "Moved by Schlemmer: 100 Jahre Triadisches Ballett" in der Staatsgalerie Stuttgart (FAZ) und die Ausstellung "Alfred Kubin. Bekenntnisse einer gequälten Seele" im Wiener Museum Leopold (FAZ).
Architektur


Film
Rüdiger Suchsland von Artechock hat derzeit wenig zu lachen: "Die Filme, vor allem die Kinofilme, nehmen sich alle viel zu ernst", stöhnt er nach Robert Eggers' Wikinger-Bombast-Sause "The Northman" (unsere Kritik), in dem auf Lachen die Hinrichtung mit der Breitaxt als Strafe steht. Ein Zeitgeistphänomen: "Nie gab es eine Epoche der Kinogeschichte, die humorloser war als die jetzige. Es geht immer weniger um Spielereien, um persönliche Leidenschaften und Spleens der Macher, und immer mehr um Kontrolle. Statt mit dem Publikum in Dialog zu treten, soll es möglichst gesteuert werden. Übrigens völlig egal ob es sich um Autorenkino oder Blockbuster handelt." Hoffnungen setzt Suchsland dagegen auf ein Comeback des Erotikthrillers, dessen Geschichte dieser hervorragende Podcast derzeit erzählt.
Weitere Artikel: Zum Kinostart von Robert Eggers' Wikingerfilm "The Northman" (hier unsere Kritik) denkt Marcus Stiglegger im Filmdienst über die Wirkmächtigkeit nordischer Mythen im Kino nach. Jonas Nestroy resümiert für critic.de das Festival Visions du Reel in Nyon. David Steinitz (SZ) und Jan Wiele (FAZ) gratulieren Barbra Streisand zum 80. Geburtstag. Im Filmdienst gratuliert Patrick Holzapfel Elaine May zum 90. Geburtstag, die zu den wenigen Filmemacherinnen aus New Hollywood zählt.
Besprochen werden Serpil Turhans Porträtfilm "Koy" über drei in Berlin lebende kurdische Frauen unterschiedlicher Generationen (online nachgereicht von der FAZ, unsere Kritik hier), die neue Serie "Gilded Age" des "Downtown Abbey"-Erfinders Julian Fellowes (FAZ, Welt, ZeitOnline), Catherine Corsinis "In den besten Händen" (Artechock, Filmdienst), Sylvie Ohayons "Haute Couture" (Artechock, ZeitOnline), Robert Eggers' "The Northman" (Standard, Artechock, Filmdienst, unsere Kritik hier), Aaron und Adam Nees Actionkomödie "The Lost City" (Artechock), Will Sharpes "Die wundersame Welt des Louis Wain" (Artechock), der Dokumentarfilm "Fuoco sacro" über die Sopranistinnen Asmik Grigorian, Barbara Hannigan und Ermonela Jaho (Tsp, mehr dazu bereits hier), Jennifer Peedoms "River" (Artechock, Filmdienst) und Peter Brunners Bergdrama "Luzifer" mit Franz Rogowski (Standard).
Weitere Artikel: Zum Kinostart von Robert Eggers' Wikingerfilm "The Northman" (hier unsere Kritik) denkt Marcus Stiglegger im Filmdienst über die Wirkmächtigkeit nordischer Mythen im Kino nach. Jonas Nestroy resümiert für critic.de das Festival Visions du Reel in Nyon. David Steinitz (SZ) und Jan Wiele (FAZ) gratulieren Barbra Streisand zum 80. Geburtstag. Im Filmdienst gratuliert Patrick Holzapfel Elaine May zum 90. Geburtstag, die zu den wenigen Filmemacherinnen aus New Hollywood zählt.
Besprochen werden Serpil Turhans Porträtfilm "Koy" über drei in Berlin lebende kurdische Frauen unterschiedlicher Generationen (online nachgereicht von der FAZ, unsere Kritik hier), die neue Serie "Gilded Age" des "Downtown Abbey"-Erfinders Julian Fellowes (FAZ, Welt, ZeitOnline), Catherine Corsinis "In den besten Händen" (Artechock, Filmdienst), Sylvie Ohayons "Haute Couture" (Artechock, ZeitOnline), Robert Eggers' "The Northman" (Standard, Artechock, Filmdienst, unsere Kritik hier), Aaron und Adam Nees Actionkomödie "The Lost City" (Artechock), Will Sharpes "Die wundersame Welt des Louis Wain" (Artechock), der Dokumentarfilm "Fuoco sacro" über die Sopranistinnen Asmik Grigorian, Barbara Hannigan und Ermonela Jaho (Tsp, mehr dazu bereits hier), Jennifer Peedoms "River" (Artechock, Filmdienst) und Peter Brunners Bergdrama "Luzifer" mit Franz Rogowski (Standard).
Literatur
Bernard Henri-Lévy erzählt in der SZ von seiner Reise quer durchs ukrainische Kriegsgebiet, von seinen Beobachtungen in Kiew und Butscha und von einer Nacht in den Katakomben unter einem Kloster, in denen Geflohene Schutz und Unterkunft suchen. Viele junge Leute sind da, und auch ganz kleine Kinder: "Wenn ein Alarm ertönt, erzählen ihnen die Dorfbewohner, die abwechselnd auf sie aufpassen, dass es das Feuerwehrauto ist. Wenn eine Explosion zu hören ist, ist es der Donner. Und wenn die älteren Kinder ihnen auf einem Handy Bilder von Raketen gezeigt haben, erklären sie ihnen, dass es ein Feuerwerk war. Ich weiß nicht, ob Selenskij recht hat, wenn er die von Putin beschlossene Zerstörung der Ukraine als Völkermord bezeichnet. Aber wir haben einen Abend verbracht, das steht fest, mit Kindern, die dem kleinen Giosuè aus Roberto Benignis 'Das Leben ist schön' ähneln, dem sein Papa weismachen wollte, dass das Leben im Konzentrationslager nur eine große Inszenierung war. Wer sollte 'entnazifiziert' werden? Wirklich die ukrainischen Nationalisten? Oder die Peiniger dieser Kinder, deren Leben zerbrochen ist?"
Die taz bringt fünf Gedichte des belarussischen Lyrikers Dmitri Strozew, die dieser über den Ukrainekrieg verfasst hat. Außerdem hat sie mit ihm gesprochen. Für ihn ist der Krieg im Nachbarland "eine weitere tiefe Zäsur nach der gescheiterten Revolution 2020. 'Ich denke, die Unterdrückung der Protestbewegung in Belarus war Teil der Vorbereitung des geplanten Überfalls auf die Ukraine', sagt er. Die Zivilgesellschaft in Belarus musste zerschlagen werden, um Belarus als Aufmarschgebiet für den Überfall auf die Ukraine einrichten zu können.' Der Großteil der Belarussen empfinde die gegenwärtige Situation in ihrem Land wie eine Okkupation durch Russland."
Im "Literarischen Leben" der FAZ legt uns Christiane Pöhlmann den russischen Schriftsteller Iwan Schmeljow ans Herz, der schon vor 100 Jahren in "Die Sonne der Toten" das russische Wüten auf der Krim beschrieben hat und damit Thomas Mann beeindruckte. "Rechtlosigkeit, Folter, Erschießungen, Hunger und Elend - der Ich-Erzähler nimmt sein einstiges Paradies, die Krim, nun als apokalyptisch anmutende Umgebung wahr. ... Noch heute, da weitere Darstellungen jener Zeit hinzugekommen sind, bleibt es ein Solitär. Thomas Mann hat Schmeljow nach der Lektüre dieses Buchs voller Schmerz 1931 für den Nobelpreis vorgeschlagen. Der Ton verströmt eine ungeheure Einsamkeit und Verlassenheit, seine beinahe lyrische Grundierung verleiht dem Text unverändert Sogkraft." Eben ist auch Iwan Schmeljows "Der Mensch aus dem Restaurant" wieder aufgelegt worden - eine Rezension findet sich im Standard.
Weiteres: Die NZZ liefert die 46. Folge von Sergei Gerasimows Kriegstagebuch aus Charkiw. In der morgen erscheinenden WamS wirft Richard Kämmerlings einen Blick darauf, wie Judith Hermann, Helene Bukowski, Roman Ehrlich und Christoph Ransmayr die sich abzeichnende Klimakatastrophe in den Blick nehmen. Außerdem porträtiert Marc Reichwein in der Welt den Schriftsteller Claudio Magris.
Besprochen werden unter anderem Wole Soyinkas "Die glücklichsten Menschen der Welt" (SZ), Abdulrazak Gurnahs "Ferne Gestade" (NZZ), diverse erstmals auf Deutsch veröffentlichte Manga-Klassiker, darunter Osamu Tezukas "MW" (taz), Kristine Bilkaus "Nebenan" (ZeitOnline), Jelena Schwarz' Gedichtband "Buch auf der Fensterbank" (FR) und Walerjan Pidmohynyis "Die Stadt" (FAZ).
Die taz bringt fünf Gedichte des belarussischen Lyrikers Dmitri Strozew, die dieser über den Ukrainekrieg verfasst hat. Außerdem hat sie mit ihm gesprochen. Für ihn ist der Krieg im Nachbarland "eine weitere tiefe Zäsur nach der gescheiterten Revolution 2020. 'Ich denke, die Unterdrückung der Protestbewegung in Belarus war Teil der Vorbereitung des geplanten Überfalls auf die Ukraine', sagt er. Die Zivilgesellschaft in Belarus musste zerschlagen werden, um Belarus als Aufmarschgebiet für den Überfall auf die Ukraine einrichten zu können.' Der Großteil der Belarussen empfinde die gegenwärtige Situation in ihrem Land wie eine Okkupation durch Russland."
Im "Literarischen Leben" der FAZ legt uns Christiane Pöhlmann den russischen Schriftsteller Iwan Schmeljow ans Herz, der schon vor 100 Jahren in "Die Sonne der Toten" das russische Wüten auf der Krim beschrieben hat und damit Thomas Mann beeindruckte. "Rechtlosigkeit, Folter, Erschießungen, Hunger und Elend - der Ich-Erzähler nimmt sein einstiges Paradies, die Krim, nun als apokalyptisch anmutende Umgebung wahr. ... Noch heute, da weitere Darstellungen jener Zeit hinzugekommen sind, bleibt es ein Solitär. Thomas Mann hat Schmeljow nach der Lektüre dieses Buchs voller Schmerz 1931 für den Nobelpreis vorgeschlagen. Der Ton verströmt eine ungeheure Einsamkeit und Verlassenheit, seine beinahe lyrische Grundierung verleiht dem Text unverändert Sogkraft." Eben ist auch Iwan Schmeljows "Der Mensch aus dem Restaurant" wieder aufgelegt worden - eine Rezension findet sich im Standard.
Weiteres: Die NZZ liefert die 46. Folge von Sergei Gerasimows Kriegstagebuch aus Charkiw. In der morgen erscheinenden WamS wirft Richard Kämmerlings einen Blick darauf, wie Judith Hermann, Helene Bukowski, Roman Ehrlich und Christoph Ransmayr die sich abzeichnende Klimakatastrophe in den Blick nehmen. Außerdem porträtiert Marc Reichwein in der Welt den Schriftsteller Claudio Magris.
Besprochen werden unter anderem Wole Soyinkas "Die glücklichsten Menschen der Welt" (SZ), Abdulrazak Gurnahs "Ferne Gestade" (NZZ), diverse erstmals auf Deutsch veröffentlichte Manga-Klassiker, darunter Osamu Tezukas "MW" (taz), Kristine Bilkaus "Nebenan" (ZeitOnline), Jelena Schwarz' Gedichtband "Buch auf der Fensterbank" (FR) und Walerjan Pidmohynyis "Die Stadt" (FAZ).
Bühne
Im Tagesspiegel berichtet Rüdiger Schaper über die große, von der Primaballerina Iana Salenko organisierte Benefiz-Gala für die Ukraine in Berlin.
Besprochen werden "Gudruns Lied" am Staatstheater Mainz (FR), Oliver Haffners "Ein Geschenk der Götter" am Theater Pforzheim (nachtkritik), "Leaving Carthago" von Pina Bergemann und Anna Gschnitzer am Theaterhaus Jena (nachtkritik), Anatol Preisslers Inszenierung von Tschechows "Onkel Wanja" am Ernst Deutsch Theater in Hamburg (nachtkritik), eine Aufführung des Musicals "Harmony" - eine Geschichte der Comedian Harmonists - von Barry Manilow und Bruce Sussman im New Yorker Museum of Jewish Heritage (SZ) sowie ein "Tempest Project", frei nach Shakespeare, inszeniert von Peter Brook und Marie-Hélène Estienne am Théâtre des Bouffes du Nord in Paris (FAZ).
Besprochen werden "Gudruns Lied" am Staatstheater Mainz (FR), Oliver Haffners "Ein Geschenk der Götter" am Theater Pforzheim (nachtkritik), "Leaving Carthago" von Pina Bergemann und Anna Gschnitzer am Theaterhaus Jena (nachtkritik), Anatol Preisslers Inszenierung von Tschechows "Onkel Wanja" am Ernst Deutsch Theater in Hamburg (nachtkritik), eine Aufführung des Musicals "Harmony" - eine Geschichte der Comedian Harmonists - von Barry Manilow und Bruce Sussman im New Yorker Museum of Jewish Heritage (SZ) sowie ein "Tempest Project", frei nach Shakespeare, inszeniert von Peter Brook und Marie-Hélène Estienne am Théâtre des Bouffes du Nord in Paris (FAZ).
Musik
Besprochen werden das Debütalbum von Wet Leg (Freitag, mehr dazu hier), ein Tschaikowsky-Konzert der Berliner Philharmoniker unter Kirill Petrenko (Tsp), ein Auftritt von Francesco Tristano in Wien (Standard) und das Soloalbum "Midnight Rocker" des Massive-Attack-Sängers Horace Andy ("ein grandioses Spätwerk", schwärmt Karl Fluch im Standard).
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