Efeu - Die Kulturrundschau
Dadaisten auf Speed
Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
27.11.2014. Die NZZ feiert Mussorgskys "Chowanschtschina" und Mikhail Kazakovs bronzene Kehle in Stuttgart. Die NZZ sah den erfolgreichsten Film in der südkoreanischen Geschichte: über die Seeschlacht gegen Japan 1597. Die taz snobbt die Besucher von "Monsieur Claude". Der Tagesspiegel wippt zum Rap von Haftbefehl - trotz Nutten-und-Bitches-Scheiß. In der SZ fordert Jessica Chastain: mehr Rollen für Frauen neben Frauen. In der Zeit deckt Patrick Modiano ein Geheimnis auf.
9punkt - Die Debattenrundschau
vom
27.11.2014
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Bühne

Modest Mussorgskis "Chowanschtschina" in Stuttgart. Auf dem Bild: Mikhail Kazakov (Dosifej), Staatsopernchor Stuttgart. Foto: A.T. Schaefer
Nach den Inszenierungen in Antwerpen und Wien wurde Mussorgskys Opernfragment "Chowanschtschina" jetzt in Stuttgart neu aufgeführt. "Unerhört genaue" Personenzeichnung bescheinigt Peter Hagmann in der NZZ der Regisseurin Andrea Moses. Und die Sänger erst! Allen voran Mikhail Kazakov als Anführer der Altgläubigen, "ein unglaublicher schöner Mensch, und auch er trägt eine unglaublich gut geschnittene Soutane - aber was dieser Sänger zu hören gibt, wenn er seinem Bass Lauf lässt, raubt einem förmlich den Atem. Eine bronzene Kraft entfaltet sich da, sie geht einem durch Mark und Bein. Ganz hinten in der Kehle sitzen die langgezogenen Vokale, die dem weit geöffneten Mund entströmen, und alle haben sie ihre prallen Farben. Und wenn der Priester dann mit Zeige- und Mittelfinger das orthodoxe Kreuzzeichen schlägt oder ein Machtwort unterstreicht, fällt jeder Widerspruch sogleich in sich zusammen. Das ist personifizierte Machtausübung in Reinkultur."
Weitere Artikel: Mit dem Festival "Voicing Resistance" widmet sich das Berliner Maxim Gorki Theater einen Monat lang den sozialen Bewegungen weltweit, berichtet Juliane Löffler im Freitag, die sich einige Aufführungen angesehen hat: "Es tut gut zu sehen, dass das Theater bei all der Auseinandersetzung mit sich selbst das noch kann: Betroffene in den Zuschauerraum holen." Nachrufe auf die Burg-Schauspielerin Annemarie Düringer finden sich in Standard und Presse.
Film

15 Millionen Zuschauer in 21 Tagen! Damit wurde "Myongrang" von Han-min Kim, ein Film über die Seeschlacht 1597 zwischen der koreanischen Flotte des Admirals Lee Sun Sin und den angreifenden Japanern, zum erfolgreichsten Film in Südkorea, so Hoo Nam Seelmann, die in der NZZ den geschichtlichen Hintergrund erzählt. Die Invasion der Japaner erklärt auch das noch heute angespannte Verhältnis zwischen den beiden Ländern: "Der Imjin-Krieg hat jahrhundertelang das negative koreanische Bild von Japan geprägt. Da vor dem Krieg kaum Kontakte zwischen den beiden Ländern bestanden, wussten die Koreaner nichts von der japanischen Kultur. Plötzlich fielen martialisch gekleidete Samurais ins Land ein, die nichts taten als morden, vergewaltigen, plündern und brandschatzen. Ohne vorherige positive Erfahrungen mit Japan hatten die Koreaner nichts, womit sie die grausamen Kriegserlebnisse hätten relativieren können. Als die Japaner nach sieben Jahren endlich abzogen, hinterließen sie ein völlig verwüstetes Land."
Für die SZ spricht Anne Philippi mit der Schauspielerin Jessica Chastain über deren neuen Film "Das Verschwinden der Eleanor Ricgby". Über ihre Rollenwahl ist Chastain zwar glücklich, doch sieht sie durchaus Handlungsbedarf: "Ich suche immer öfter nach Filmen, in denen es auch um das Verhältnis zwischen verschiedenen Frauenfiguren geht. Ich schaue mir gerne Filme an, in denen die Frau weder die Freundin im Sinne eines Sidekicks noch das Opfer spielen muss. ... Frauen neu und anders zu zeigen sollte unsere Mission sein."
Weitere Artikel: Mit den 3,5 Millionen Zuschauern, die aus Philippe de Chauverons Komödie "Monsieur Claude und seine Töchter" 2014 den erfolgreichsten deutschen Film machten, möchte Matthias Dell (taz) auf keinen Fall in einem Kino sitzen: Alles Rassisten, schnaubt er. Ebenfalls in der taz empfiehlt Thomas Groh das Screening von John Waters" Trashklassiker "Hairspray" im Berliner Kino Central. Für den Freitag berichtet Silvia Hallensleben von der Duisburger Filmwoche. Und Matthias Dell fasst die Auseinandersetzungen um die Kürzungen des Deutschen Filmförderfonds zusammen.
Besprochen werden Terry Gilliams Science-Fiction-Film "The Zero Theorem" (Berliner Zeitung, Tagesspiegel, taz), die DVD von Karel Zemans tschechischem Fantasyklassiker "Chronik eines Hofnarren" aus den 60ern (taz), ein Band mit Reden des Drehbuchautors Wolfgang Kohlhaase (Freitag), Nuri Bilge Ceylans "Winter Sleep" (NZZ), Corneliu Porumboius Fußball-Experimentalfilm "The Second Game" (Zeit), Nadav Schirmans "Green Prince" (taz, FAZ) und Hans Peter Molands Gangsterkomödie "Einer nach dem Anderen" (SZ).
Architektur

Heinz und Bodo Rasch (überlassen von und zugeschrieben Bodo Rasch): Projekt für hängende Wohneinheiten: Aufrisszeichnung und im Schnitt, 1927. Collection Centre Canadien d"Architecture / Canadian Centre for Architecture, Montréal
Till Briegleb staunt in der SZ über das Architekturbüro der Brüder Heinz und Bodo Rasch, die in den Zwanzigern in den wenigen Jahren ihrer gemeinsamen Arbeit mit Witz und Lust am Spiel vieles von dem vorwegnahmen, was sich in der Architektur erst lange Zeit später durchsetzen würde. Im Marta Herford werden sie derzeit gewürdigt. Angesicht dieser "schwäbischen Zwei-Mann-Avantgarde des High-Tech-Optimismus" fragt sich der Kritiker, ob "die Architekturgeschichte umgeschrieben werden" muss: "Ihre Häuser waren Kegel, Iglus, Cockpits und aufblasbare Schweine. Sie waren rund aus technischer Notwendigkeit, wenn es darum ging, ganze Hochhäuser an einem zentralen Pylon aufzuhängen oder ein externes korbartiges Flechtskelett für die Tragstruktur von Flüchtlingsunterkünften zu entwerfen. Dann waren sie wieder eckig, wenn sie Modelle für eine Art Lego-Architektur erfanden, mit denen sich architektonische Zellen zu großen Stadtstrukturen stapeln ließen."
Literatur
In der Zeit spricht Patrick Modiano im Interview mit Iris Radisch über seine Romane und darüber, weshalb die Okkupation, die der 1945 geborene Autor selbst nicht erlebt hat, darin eine so wichtige Rolle spielt: "Normalerweise ist es so: Auch wenn man eine unglückliche Kindheit hat, kommt sie einem als Kind ganz normal vor. Erst nachträglich erschien mir meine Kindheit rätselhaft. Mit der Okkupation war es genauso. Ich verstand nicht, was meine Eltern in dieser Zeit gemacht haben. Später fand ich Hefte, Zettel, kleinste Spuren ihres Lebens und versuchte, das Rätsel zu lösen. Man kann sagen, ich fing an zu schreiben, um ein Geheimnis aufzudecken."
Besprochen werden Jochen Schmidts und David Wagners "Drüben und Drüben" (Zeit), Tim Dinters Comic-Adaption von Sven Regeners Roman "Herr Lehmann" (Tagesspiegel), Kitty Kahanes Comic "Treibsand" (FR), Pierre Lemaitres "Wir sehen uns dort oben" (FR), Don Winslows "Missing New York" (Freitag), Stefan Austs und Thomas Ammanns "Digitale Diktatur" (Freitag), Liao Yiwus Interviewband mit chinesischen Christen "Gott ist rot" (NZZ), Marica Bodrozics "Mein weißer Frieden" (FAZ), Susanne Schädlichs "Herr Hübner und die sibirische Nachtigall" (SZ) und eine Ausstellung über Lion Feuchtwangers Bayern im Literaturhaus in München (FAZ).
Besprochen werden Jochen Schmidts und David Wagners "Drüben und Drüben" (Zeit), Tim Dinters Comic-Adaption von Sven Regeners Roman "Herr Lehmann" (Tagesspiegel), Kitty Kahanes Comic "Treibsand" (FR), Pierre Lemaitres "Wir sehen uns dort oben" (FR), Don Winslows "Missing New York" (Freitag), Stefan Austs und Thomas Ammanns "Digitale Diktatur" (Freitag), Liao Yiwus Interviewband mit chinesischen Christen "Gott ist rot" (NZZ), Marica Bodrozics "Mein weißer Frieden" (FAZ), Susanne Schädlichs "Herr Hübner und die sibirische Nachtigall" (SZ) und eine Ausstellung über Lion Feuchtwangers Bayern im Literaturhaus in München (FAZ).
Kunst
In der Berliner Zeitung erinnert Ingeborg Ruthe an das provokative Ost-Berliner Künstlertrio Neon Real, deren Arbeiten demnächst in Berlin ausgestellt werden. In der FAZ mokieren sich Niklas Maak und Julia Voss nach Kräften über die Kunstmarktgrößen Georg Baselitz ("Denn wir machen Geld aus nichts") und Norman Rosenthal, die heute in München vor Publikum plaudern werden.
Besprochen werden die Ausstellung über László Moholy-Nagy im Bauhaus Archiv in Berlin (taz), die Ausstellung "Ludwig Goes Pop" im Kölner Museum Ludwig (Presse), die Imi-Knoebel-Ausstellung im Kunstmuseum Wolfsburg (Tagesspiegel), die Oskar-Schlemmer-Ausstellung in der Staatsgalerie Stuttgart (Tagesspiegel) und die Ausstellung "West:Berlin" im Ephraimpalais in Berlin (FAZ). (Abbildung: László Moholy-Nagy, Stefan Sebök (Zeichnung), Die Mechanik des Lichtrequisits, 1930)

Musik
Das neue Live-Album von These New Puritans bietet die "Emotionen des 60er-Pop als Kammerspiel", berichtet Oliver Tepel im Freitag. "Man hört [das Album] wirklich wie ein verbotenes oder zumindest unbekanntes Abenteuer. Statt des heute popüblich geschickten Spiels mit Referenzen schweben die Bestandteile wie Staub durch den Nachthimmel. Die Band wandelt clevere Gesten in Handwerk, die alte künstlerische Vision, die Frage, wie weit man gehen kann, ist wieder da."
Nahezu restlos begeistert ist Fabian Wolff (Tagesspiegel) vom neuen Gangsta-Album "Russisches Roulett" von Haftbefehl, den er damit endgültig im Rang des besten Deutschrappers angekommen sieht. Auch die vorgelegte Platte ist im deutschen Rap "eins der besten fünf aller Zeiten. Jetzt muss er nur noch mit dem Nutten-und-Bitches-Scheiß aufhören." Das Lob von Daniel Haas in der Zeit fällt gar so hymnisch aus, dass nicht ganz klar ist, ob es vielleicht doch ironisch gemeint ist: "Short Storys von der Wucht eines Clemens Meyer und der Verspieltheit eines Dadaisten auf Speed. Szenarien, wie ausgedacht von Gottfried Benn, dem man einen Drumcomputer ins Weinhaus Wolf gestellt hat."
The Quietus bringt einen Auszug aus Rüdiger Eschs Buch "Electri_City" über den Düsseldorfer Krautrock der 70er. Außerdem kürt Electronic Beats die besten Musikvideos des Monats. Die Nummer 1: Princess Nokia!
In einer Musik-Beilage der Zeit gibt es unter anderem ein ausführliches Interview mit Angus Young, ein Porträt des griechischen Dirigenten Teodor Currentzis und eine Besprechung des 16 CDs umfassenden Gesamtwerks von Chuck Berry, das Bear Family Records jetzt als Box herausgegeben hat.
Besprochen werden ein Konzert des Pianisten Piotr Anderszewski (Tagesspiegel), ein Konzert von Marteria in Wien (Presse) das Berliner Konzert von Marianne Faithfull (Tagesspiegel, Berliner Zeitung), ein Konzert von Hozier (Tagesspiegel), das neue Album von Sound of Yell (ZeitOnline) und das neue Album von Bryan Ferry ("Das Nichts in der Musik klingt selten so gut wie bei" ihm, meint Eckhart Nickel in der SZ).
Nahezu restlos begeistert ist Fabian Wolff (Tagesspiegel) vom neuen Gangsta-Album "Russisches Roulett" von Haftbefehl, den er damit endgültig im Rang des besten Deutschrappers angekommen sieht. Auch die vorgelegte Platte ist im deutschen Rap "eins der besten fünf aller Zeiten. Jetzt muss er nur noch mit dem Nutten-und-Bitches-Scheiß aufhören." Das Lob von Daniel Haas in der Zeit fällt gar so hymnisch aus, dass nicht ganz klar ist, ob es vielleicht doch ironisch gemeint ist: "Short Storys von der Wucht eines Clemens Meyer und der Verspieltheit eines Dadaisten auf Speed. Szenarien, wie ausgedacht von Gottfried Benn, dem man einen Drumcomputer ins Weinhaus Wolf gestellt hat."
The Quietus bringt einen Auszug aus Rüdiger Eschs Buch "Electri_City" über den Düsseldorfer Krautrock der 70er. Außerdem kürt Electronic Beats die besten Musikvideos des Monats. Die Nummer 1: Princess Nokia!
In einer Musik-Beilage der Zeit gibt es unter anderem ein ausführliches Interview mit Angus Young, ein Porträt des griechischen Dirigenten Teodor Currentzis und eine Besprechung des 16 CDs umfassenden Gesamtwerks von Chuck Berry, das Bear Family Records jetzt als Box herausgegeben hat.
Besprochen werden ein Konzert des Pianisten Piotr Anderszewski (Tagesspiegel), ein Konzert von Marteria in Wien (Presse) das Berliner Konzert von Marianne Faithfull (Tagesspiegel, Berliner Zeitung), ein Konzert von Hozier (Tagesspiegel), das neue Album von Sound of Yell (ZeitOnline) und das neue Album von Bryan Ferry ("Das Nichts in der Musik klingt selten so gut wie bei" ihm, meint Eckhart Nickel in der SZ).
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