Efeu - Die Kulturrundschau
Distanz ermöglicht Deutlichkeit
Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
13.07.2020. Melancholisch, poetisch, versöhnlich - so erleben die Theaterkritiker den Abschied Matthias Lilienthals von München, der dafür ins Olympiastadion lud. In der NZZ wirft Ines Geipel dem Verlag "Das kulturelle Gedächntnis" noch einmal vor, Susanne Kerckhoff, deren "Berliner Briefe" gerade Furore machen, als unpolitisches, gar unbeschriebenes Blatt zu präsentieren. Die FAZ könnte mit dem Fotografen Christian Borchert an der Welt verzweifeln. In der SZ erläutert die Dresdner Kuratorin Kathleen Reinhardt ihre geplante Aktion "1 Million Rosen für Angela Davis".
9punkt - Die Debattenrundschau
vom
13.07.2020
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Bühne

FAZ-Kritikerin Teresa Grenzmann gerät bei der Schau im Olympiastadion schwer ins Grübeln: "Was wird hier eröffnet, was verabschiedet? Weckt das leere Stadion nicht auch die Assoziation an das schwindende Publikum in der ersten Zeit der Intendanz Lilienthals 2015/2016? Kann der freie Flug am Drahtseil, mit dem sich Julia Riedler zu Beginn heroisch vom Zeltdach stürzt, nicht auch metaphorisch gelesen werden? Und erinnert das regelmäßige Hegen des Rasens mit der Handgießkanne nicht an den zähen Anerkennungskampf des Intendanten um die Gunst der Stadt?" Weitere Kritiken in der nachtkritik, der taz, der Berliner Zeitung und im Tagesspiegel.
Weiteres: In der SZ berichtet Gerhard Matzig von einem Drama ganz eigener Art: Zwei Desinfektionsfirmen, die mit unterschiedlichen Konzepten um Aufträge im Kulturbereich kämpfen. Besprochen wird außerdem Christof Küsters Inszenierung von Philipp Löhles "Die Mitwisser" an der Württembergischen Landesbühne Esslingen (nachtkritik). Außerdem streamt die nachtkritik heute bis 18 Uhr noch Alexander Eisenachs Adaption von Virginie Despentes' Roman "Vernon Subutex" am Schauspielhaus Graz
Literatur


Besprochen werden Aris Fioretos' "Nelly B.s Herz" (online nachgereicht von der FAZ), Nana Kwame Adjei-Brenyahs Erzählband "Friday Black" (Freitag), Nina Bußmanns "Dickicht" (FR), Juri Buidas "Nulluhrzug" (Berliner Zeitung), Thomas Kapielskis "Kotmörtel. Roman eines Schwadronörs" (Tagesspiegel), Meena Kandasamys "Schläge" (Presse), Agatha Christies "Alibi - Ein Fall für Poirot" (Berliner Zeitung) und Khaled Khalifas "Keine Messer in den Küchen dieser Stadt" (SZ).
In der online nachgereichten Frankfurter Anthologie schreibt Kristina Maidt-Zinke über Friedrich Rückerts "Der Reigen dreht ohn' Unterlaß":
"Der Reigen dreht ohn' Unterlaß,
Du mußt daran;
Es ist für keinen kein Erlaß
..."
Musik
Besprochen werden neue Alben von Haiyti (Berliner Zeitung, FAZ), The Streets (Standard) und Rufus Wainwright (FAZ).
Kunst

Diese Ausstellung "müsste einem Kanonenschlag gleichen", ruft Freddy Langer (FAZ), der im Sprengel Museum in Hannover gebannt vor den Fotos des 2000 verstorbenen Christian Borchert steht, "aber sie verbreitet kaum mehr als ein Summen. ... Ein seltsames Moment von Schwermut liegt über fast allen. Und ausschließlich sind es Motive, die sich nicht aufdrängen, kaum einbrennen in die Erinnerung und die einen dennoch nicht in Ruhe lassen. Viele fotografiert aus einer doppelten Distanz: räumlich und emotional. Gegen Robert Capas Aperçu, dass man für ein gutes Bild nur nah genug ans Motiv herangehen müsse, hätte Christian Borchert wohl heftigst protestiert. 'Distanz ermöglicht Deutlichkeit', hat er bei Gelegenheit notiert."
Weiteres: In der taz-Reihe "Polizei in der Kunst" schreibt Sebastian Strenger über Dorothy Iannones "Story of Bern".
Film

In den Kanon allgemeiner Begeisterung über Burhan Qurbanis in die Gegenwart verlegten "Berlin Alexanderplatz" mit einem von Welket Bungué gespielten schwarzen Flüchtling als Franz Biberkopf will NZZ-Kritikerin Stephanie Kulbach nicht miteinstimmen: Furios fange der Film an, auf dem Boulevard der gescheiterten Ambitionen komme er aber zum Erliegen und noch nicht einmal als lose Döblin-Adaption gehe er durch, da Qurbani Döblins "Multiperspektivität nicht zusammenbringt: Ein Thema, der alles verschlingende Großstadtmoloch, läuft etwas verloren her neben dem anderen, der existenziellen Situation der Hauptfigur. Wo wir bei Döblin im atemlosen Rhythmus zwischen weichen, zärtlichen Tönen und rauen und cholerischen hin- und hergeworfen werden, winkt einem das Schicksal von Francis hier allenfalls von fern zu. Empathie weckt hier nichts. Weder berührt einen Francis' labile Beziehung zur selbstbewussten Sexarbeiterin Mieze (Jella Haase) noch die zerstörerische Abhängigkeit vom diabolischen Reinhold; alles wird schemenhaft wie durch eine Milchglasscheibe präsentiert." Zu sehen in dem Film ist auch Albrecht Schuch als Reinhold, mit dem sich Christina Bylow in der Berliner Zeitung unterhält. Im Dlf Kultur spricht der Regisseur über seinen Film. Und hier noch unsere Kritik zur Berlinale-Aufführung.
Weitere Artikel: Rilana Kubassa unterhält sich für den Tagesspiegel mit der Regisseurin Carolina Hellsgård über deren Film "Sunburned". Claus Löser empfiehlt in der Berliner Zeitung die Reihe "Black Light" im Berliner Kino Arsenal. In der Welt empfiehlt Tilman Krause dem Berliner Publikum die Adolf-Wohlbrück-Retrospektive im Berliner Zeughauskino. Peter Körte berichtet in der FAS von seinen ersten Kinobesuchen nach dem Corona-Lockdown. Dietmar Dath gratuliert in der FAZ Patrick Stewart zum 80. Geburtstag.
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