Efeu - Die Kulturrundschau

Gute Regenmäntel bekommt man auch in Wien

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03.01.2015. Die FAZ lässt sich von Michel Houellebecqs neuem Roman eigentlich ganz gern dorthin führen, wo es richtig hässlich wird. In der Welt erklärt Ian McEwan, warum das Übersinnliche totaler Mist und ästhetisch vollkommen uninteressant ist. Außerdem verneigt sich die Welt vor dem exzentrischen Pianisten Piotr Anderszewski. In der NZZ besingt Sandor Marai den Schweizer Anspruch auf Freiheit. Die SZ dreht ein paar Runden auf dem wieder florierenden Vinyl-Markt.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 03.01.2015 finden Sie hier

Kunst


Untitled, aus der Serie Not how people move but what moves them, 2013, Fotografien und Foto-Collagen, © 2014 Eva Kotátková.

Mit ihrer Hinwendung vom Inhalt zum Objekt steht die tschechische Künstlerin Eva Kotátková durchaus im Trend der Gegenwartskunst, meint Noemi Smolik (FAZ) nach dem Besuch von Kotátkovás Ausstellung in der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden: Der Künstlerin geht es dabei um "Körperteile, die zu Objekten werden, und umgekehrt um Objekte, die zu Körpern werden ... Der menschliche Körper als Teil eines Geflechtes von unendlich vielen Objekten und die Frage, wie nah oder wie entfremdet diese Objekte dem menschlichen Körper sind."

Birgit Koss (taz) porträtiert den aus Georgien stammenden, seit den frühen 90ern in Berlin arbeitenden Künstler Zaza Tuschmalischvili. Besprochen wird eine Ausstellung über Fritz Klein, den "deutschen Lawrence von Arabien", in Wesel (Tagesspiegel).
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Literatur

Schwer schockiert berichtet Sandra Kegel von ihrer Lektüre von Michel Houellebecqs neuem Roman "Soumission", der davon handelt, wie in Frankreich ein islamischer Gottesstaat ausgerufen wird: Mögen sich bloß die Pegida-Demonstranten nicht für dieses Buch interessieren, hofft sie. Schlecht findet sie ihn dennoch nicht: "Im Gegenteil: Man kann ihn kaum aus der Hand legen. ... Houellebecq geht dorthin, wo es hässlich wird, und kein politisch korrekter Wille kann ihn aufhalten. Die Bestürzung muss jeder für sich aushalten. Houellebecq bietet keine Alternative, keinen Halt und auch keine Bewertung der Ereignisse, allenfalls grinsende Ironie über seine bösen Einfälle; zuverlässig verpasst er jeder Situation ihre schlimmstmögliche Wendung."

Der britische Schriftsteller Ian McEwan spricht im Interview mit Thomas David in der Welt über seinen Roman "Kindeswohl", Rationalität und seine Aversion gegen das Übersinnliche: "Das reizt mich überhaupt nicht und ist in meinen Augen totaler Mist. Es erinnert mich an die "Offenbarung des Johannes" am Ende des Neuen Testaments, einem der dümmsten Texte, die je geschrieben wurden - ein unsinniges Gemurmel, finsterster Blödsinn, mit dem die Leute herumspielen. Die Welt, die wir gemeinsam bewohnen und die es zu verstehen gilt, erscheint mir weitaus interessanter und sehr viel schwieriger zu erfassen. Es ist leicht zu sagen, das verdanken wir Gott oder dem Teufel. Aber der Teufel ist zu allem fähig, und in ästhetischer Hinsicht ist diese Vorstellung Kitsch und für mich vollkommen uninteressant."

Die NZZ hat einen Essay des ungarischen Schriftstellers Sandor Marai von 1950 ausgegraben, in dem der Emigrant Torheit und Weisheit der Schweiz besingt: "Gute Regenmäntel bekommt man auch in Wien, und der Käse ist in Dänemark auch heute erstrangig. Die Schweiz offeriert all das und dazu noch etwas: Sie will ihren Einwohnern und den Fremden, die sie besuchen, nicht nur einfach Frieden bieten, sondern auch einen selbstbewussten moralischen Anspruch. Ein Postulat, das jedes Feilschen ausschließt. Was ist dieser Anspruch? Der Anspruch auf Freiheit."

Im Literaturbetrieb stehen die an Residenzpflichten gebundenen Stipendien für Schriftsteller zusehends in der Kritik, berichtet Dana Buchzik in der SZ: Nicht nur reiße man damit Autoren aus ihrem sozialen Umfeld, sondern schirme sie mit Villenaufenthalten auch von der gesellschaftlichen Wirklichkeit ab. Und ganz generell bilde die Literaturförderung ein sich selbst bestärkendes System, wie Buchzik den Literaturwissenschaftler Stephan Porombka zitiert: ""Für das, was an den Grenzen spielt, was andere Materialien oder virtuelle Verknüpfungen miteinbezieht - alles, was nicht ausschließlich in Buchform stattfindet, gibt es kein Sensorium.""

Weiteres: In der FAZ wirft Niklas Bender einen Italien, wo allmählich die Erinnerungsarbeit zum Gedenken an den 2012 verstorbenen Schriftsteller Antonio Tabucci einsetzt. Roman Bucheli besucht in der NZZ außerdem das Kleist-Museum in Frankfurt an der Oder. Björn Hayer resümiert ebenda erste Auseinandersetzungsversuche der deutschen Literatur mit der Digitalisierung. Im Standard sucht Stefan Gmüner in den Romanen der Schweizer Schriftsteller Andreas Neeser und Lorenz Langenegger nach dem Schock als Chance.

Besprochen werden die Szilard Borbelys Kindeheitserinnerungen "Die Mittellosen" (NZZ), die Neuübersetzung von Balzacs "Verlorene Illusionen" (NZZ), Joyce Carol Oates" "Die Verfluchten" (FR), Mia Coutos "Das Geständnis der Löwin" (Tagesspiegel), Lili Grüns Lyrikband "Mädchenhimmel!" (taz), Cecilia Ekbäcks Krimi "Schwarzer Winter" (taz), Richard J. Evans" "Veränderte Vergangenheiten" (Welt), Mirjam Zadoffs "Der rote Hiob" (Welt), Gertrud Kolmars "Briefe" (FAZ) und das von Joachim Sartorius herausgegebene "Handbuch der politischen Poesie im 20. Jahrhundert" (SZ, mehr).
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Musik

Völlig in den Bann geschlagen ist Manuel Brug in der Welt von seiner Begegnung mit dem polnisch-französischen Pianisten Piotr Anderszewski: "Anderszewski - ein wenig kompromissbereites, grenzgängerisch eigensinniges Talent. Das war einmal. Inzwischen ist der liebenswürdige, aber in seinem Herzen und Denken exzentrische Pianist ein gereifter, in sich reifender, aber nach wie vor auf seinem Willen, und nur diesem, bestehender Künstler. Karriere interessiert ihn in Maßen, trotzdem macht er die seine im hellsten Licht, für die Menge, vor allem aber für die Kenner."

Mit Vinyl lässt sich wieder gutes Geld machen, beobachtet Alexander Hosch (SZ). Aktualitäten werden wieder deutlich häufiger auf dem eigentlich obsoleten Träger gekauft, doch insbesondere im Geschäft mit historischen Editionen und Exklusiv-Auflagen wird ordentlich Umsatz gemacht: "Provenienz, Exklusivität, Abweichung - die Kriterien ähneln denen des Kunstmarkts. Dennoch erscheint das Gesamtpanorama bei Vinyl komplex bis unvergleichbar. Die Frage, ob man von der Musik berührt wird, spielt für die einen die Hauptrolle. Für andere zählt nur, ob ein Original von 1965 garantiert mono ist und vom richtigen Label stammt."

Fatma Aydemir (taz) plaudert mit der Rapperin Schwesta Eva, die sich aus dem Rotlichtmilieu in die Hiphop-Charts hochgerappt hat.

Besprochen werden Neujahrskonzerte des RIAS-Kammerchors (Tagesspiegel, FAZ), an der Komischen Oper (Tagesspiegel) und an der Volksbühne (taz).
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Bühne

Saskia Hödl (taz) stellt die Arbeit des Berliner Präventionstheaters Eukitea vor, das gemeinsam mit Jugendlichen unter anderem auch Themen wie Mobbing im Internet aufgreift. In der Berliner Zeitung wirft Michaela Schlangenwerth einen Vorab-Blick auf das Programm der Berliner Tanztage in den Sophiensälen.

Besprochen wird Günther Rühles groß angelegte Abhandlung "Theater in Deutschland 1945-1966" (FAZ, mehr).
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Stichwörter: 1966, Mobbing, Rühle, Günther

Architektur

In der FAZ gratuliert Niklas Maak Meinhard von Gerkan zum 80. Geburtstag, in der Welt übernimmt dies Dankwart Guratzsch.
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Film

Einer Initiative ist es gelungen, das letzte, vom wirtschaftlichen Ruin bedrohte Programmkino auf Mallorca als genossenschaftlich geführtes, ehrenamtlich bestrittenes Bürgerkino CineCiutat zu retten, freut sich Paul Ingendaay in der FAZ.

Besprochen wird Roy Anderssons "Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach" (SZ).

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Stichwörter: Andersson, Roy, Mallorca