Efeu - Die Kulturrundschau
Herbst der Improvisation
Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
20.08.2020. 20.08.2020. In der FAZ staunt der algerische Schriftsteller Kamel Daoud immer noch, wie ähnlich Picassos Blick auf Frauen dem Blick des Islams ist. Die SZ besucht eine große Nam-June-Paik-Retrospektive. Außerdem stellt sie neue Pay-Per-View-Modelle für Klassikkonzerte vor. Zeit online ist enttäuscht von "Biohackers" und auch fast allen anderen deutschen Serien bei Netflix.
9punkt - Die Debattenrundschau
vom
20.08.2020
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Kunst


Weiteres: In der FAZ notiert Stefan Trinks ein neues Interesse an der Kunstgattung "Kirchenfenster": Da kann man so schön monumental arbeiten, und wird unsterblich. Besprochen werden die Ausstellung "Un_controlled territories" des Belgrader Künstlers Siniša Ilic im Kunstraum Innsbruck (Standard), die Gruppenausstellung die drei DAAD-Stipendiat*innen Burak Delier, Ieva Epnere und Runo Lagomarsino in der Galerie Wedding, die ihre Räume derzeit mit dem Sozialamt teilt (taz) und die Ausstellung "Gegenwarten" in Chemnitz (taz).
Bühne
In Berlin nehmen die Kleinkunstbühnen peu a peu den Spielbetrieb wieder auf, berichtet Gunda Bartels im Tagesspiegel. Besprochen wird Bettina Böhlers Film "Schlingensief - In das Schweigen hineinschreien" (nachtkritik).
Film

Völlig in seinem Element ist Science-Fiction-Experte Dietmar Dath in Alex Garlands Serie "Devs". Darin geht es um allerlei Kompliziertes aus der Welt der Wissenschaft (Quantenphysik, Weltformel, zeitliche Asynchronitäten, freier Wille, etc.), was sich aber mit einer Kunsthaltung gut genießen lässt, schreibt Dath in seiner von der FAZ online nachgereichten Huldigung: "Bei Alex Garland will jeder Moment auf einen Gedanken hinaus. 'Devs' erniedrigt in diesem Zeichen seine Stoffe aus Wissen und Technik, anders als der landläufige Science-Fiction-Dilettantismus, nie zur Dekoration, sondern will rastlos wissen, wie Dinge und Leute funktionieren. Das Publikum sollte diese Neugier teilen, muss aber, um 'Devs' genießen zu können, nicht wissen, was Kapazitätsdimensionen (Menger-Schwamm!), Kolmogorow-Komplexitätsmaße (Rechnen!) und Zustandsvektoren (Quantenwahnsinn!) sind oder wer Bohm und de Broglie waren - das kann man alles hinterher googeln oder nicht, wichtiger ist Kunstsinn." Auch Presse-Kritiker Andrey Arnold sieht in der Serie "mehr philosophische Meditation als Mysterythriller", ohne dass sie dabei didaktisch werde: "Die Serienschöpfer setzen auf Atmosphäre, versuchen verkopfte Konzepte über die Ästhetik zu vermitteln."
Carolin Ströbele hat auf ZeitOnline derzeit weniger Erfreulicheres aus der Serienwelt zu berichten: Mit "Biohackers" setzt Netflix seine mittlerweile ansehnliche Reihe ziemlich unterwältigender deutscher Produktionen fort. Einst als Alternative zu überformatierten Produktionen der Öffentlich-Rechtlichen angetreten, setze wohl auch der Streaminggigant nun "auf eingefahrene Sehstrukturen. ... Nach fast sechs Jahren Netflix in Deutschland muss man die Behauptung neu bewerten, wonach es früher nur an den bösen Türöffnerinnen bzw. Türschließern in den innovationsfeindlichen öffentlich-rechtlichen Senderredaktionen gelegen habe, dass all die fantastischen Genrestücke und großen horizontalen Erzählungen es nie ins Fernsehen geschafft haben. Es gibt womöglich einfach nur eine überschaubare Zahl wirklich guter Drehbücher."
Weitere Artikel: Michael Meyns spricht in der taz mit Visar Morina über seinen neuen, im Tagesspiegel besprochenen Film "Exil". Besprochen werden Michael Almereydas Biopic "Tesla" (taz, FR, Berliner Zeitung, unsere Kritik hier), Michael Angelo Covinos Tragikomödie "The Climb" (SZ) und die auf AppleTV gezeigte Dokumentation "Boys State" über junge Texaner, die Politik simulieren (Berliner Zeitung).
Architektur
Schnell noch (bis zum 20. August) in die Berliner Galerie Aedes, empfiehlt Nikolaus Bernau in der Berliner Zeitung. Bis dahin läuft noch die Ausstellung zum Werk des norwegischen Architekturbüros Snøhetta: "Dies ist nämlich eine tolle Ausstellung, von den riesigen Projektionen mit Projekten aus aller Welt bis zur Auswahl der auf gigantisch von der Decke hängenden Plänen in kleinsten Details vorgestellten Arbeiten."
Literatur
In einem Essay für 54books.de befasst sich Sandra Beck mit der Funktion der Frauenleiche für den Kriminalroman. In der taz spricht der Autor Linus Giese über seine Erfahrungen als Trans-Mann, über die er gerade auch ein Buch veröffentlicht hat. Die Schriftstellerin Annett Gröschner erzählt auf ZeitOnline von ihrer Elbwanderung. In seiner Standard-Reihe über Walter Benjamin kommt Ronald Pohl auf Benjamins Aufsatz "Die Aufgabe des Übersetzers" zu sprechen.
Besprochen werden unter anderem Anne Webers "Annette, ein Heldinnenepos" (ZeitOnline), Dorothee Elmigers "Aus der Zuckerfabrik" (Berliner Zeitung), Steph Chas Kriminalroman "Brandsätze" (FR), Thilo Krauses "Elbwärts" (SZ) und David Grossmans "Was Nina wusste" (Tagesspiegel, FAZ).
Besprochen werden unter anderem Anne Webers "Annette, ein Heldinnenepos" (ZeitOnline), Dorothee Elmigers "Aus der Zuckerfabrik" (Berliner Zeitung), Steph Chas Kriminalroman "Brandsätze" (FR), Thilo Krauses "Elbwärts" (SZ) und David Grossmans "Was Nina wusste" (Tagesspiegel, FAZ).
Musik
Zwei neue Studien der Charité geben Anlass zur Hoffnung, dass klassische Konzerte im Hinblick auf Corona gelockerter stattfinden könnten, berichtet Jan Brachmann in der FAZ: Der Abstand zwischen den Musikern könnte sich demnach nochmal deutlich verringern, auch der Saal könnte wieder annähernd gefüllt werden - sofern das Publikum sich an eine strenge Maskenpflicht hält, wenig redet und die Luft fortlaufend ausgetauscht wird. Doch "nun herrscht in der Öffentlichkeit große Verwirrung um diese beiden Positionspapiere, weil sich der Vorstand der Charité von ihnen sofort distanziert hat. Ein bisschen voreilig war diese Distanzierung schon. Denn dass der Vorstoß nicht abgestimmt war, kann man den Medizinern nicht vorwerfen. Sie handeln als Institutsleiter eigenverantwortlich, und auch im Mai hatte es deshalb keinerlei Kritik an ihnen gegeben." Doch "der Vorwurf, hier würden unabgestimmte Handlungsrichtlinien in die Welt gesetzt, sticht nicht. 'Niemand ist so blauäugig zu glauben, dass aus unseren Stellungnahmen gleich Handlungsempfehlungen werden'", sagt der Studienleiter (und Dirigent) Stefan Willich. Wie dem auch sei: Angesichts dieser neuen Lage sieht Welt-Kritiker Manuel Brug schon mal einen "Herbst der Improvisation" kommen.
Die Klassikbranche entwickelt derzeit Pay-Per-View-Modelle für Konzerte, bei denen man also gezielt und gegen kleinen Preis einzelne Konzerte abrufen kann, erklärt Michael Stallknecht in der SZ. Dabei soll vor allem Verknappung die Attraktivität steigern: "Wo das Hier, also der von Musikern und Publikum geteilte Raum, wegfällt, setzen die Macher in den neuen Formaten vor allem darauf, das Jetzt des erlebten Augenblicks zu erhalten. Bei Idagio bleiben die Konzerte deshalb nur 24 Stunden online, bei Dreamstage wird man den Auftritt tatsächlich nur in Echtzeit verfolgen können."
Weitere Artikel: Jüngste MeToo-Skandale ramponieren das Image von der Indie-Rock-Szene als ein Hort sanftmütiger, potenziell feministischer Männer, schreibt Daniel Gerhardt auf ZeitOnline. Jan Brachmann erinnert in der FAZ an den vor 100 Jahren gestorbenen russischen Komponisten Wladimir Rebikow, der felsenfest davon überzeugt war, von Debussy bestohlen worden zu sein.
Besprochen werden der Auftritt des Tenors Mauro Peter in Luzern (NZZ), Liam Firmagers Dokumentarfilm über Suzi Quatro (Berliner Zeitung) und das neue Album der Bright Eyes (Berliner Zeitung).
Die Klassikbranche entwickelt derzeit Pay-Per-View-Modelle für Konzerte, bei denen man also gezielt und gegen kleinen Preis einzelne Konzerte abrufen kann, erklärt Michael Stallknecht in der SZ. Dabei soll vor allem Verknappung die Attraktivität steigern: "Wo das Hier, also der von Musikern und Publikum geteilte Raum, wegfällt, setzen die Macher in den neuen Formaten vor allem darauf, das Jetzt des erlebten Augenblicks zu erhalten. Bei Idagio bleiben die Konzerte deshalb nur 24 Stunden online, bei Dreamstage wird man den Auftritt tatsächlich nur in Echtzeit verfolgen können."
Weitere Artikel: Jüngste MeToo-Skandale ramponieren das Image von der Indie-Rock-Szene als ein Hort sanftmütiger, potenziell feministischer Männer, schreibt Daniel Gerhardt auf ZeitOnline. Jan Brachmann erinnert in der FAZ an den vor 100 Jahren gestorbenen russischen Komponisten Wladimir Rebikow, der felsenfest davon überzeugt war, von Debussy bestohlen worden zu sein.
Besprochen werden der Auftritt des Tenors Mauro Peter in Luzern (NZZ), Liam Firmagers Dokumentarfilm über Suzi Quatro (Berliner Zeitung) und das neue Album der Bright Eyes (Berliner Zeitung).
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