Efeu - Die Kulturrundschau

Cool on the Kuhberg

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22.10.2018. Die taz erobert mit der Fotografin Helen Levitt, der die Albertina eine große Retrospektive widmet, die Straßen New Yorks. Die NZZ erinnert an die coole Hochschule für Gestaltung in Ulm, die vor fünfzig Jahren schließen musste. Im Tagesspiegel spricht der syrische Schriftsteller Nather Henafe Alali über die bedrückend verbreitete Gattung der Gefängnisliteratur. Die FAZ hätte gern einen öffentlichen Zugang zur Himmels-Loggia von Seoul.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 22.10.2018 finden Sie hier

Kunst

Helen Levitt: New York, 1940. Albertina Wien (Film Documents LLC / Courtesy Galerie Thomas Zander, Köln)


Ralf Leonard freut sich in der taz sehr, dass die Wiener Albertina der der Pionierin der Street Photography, der New Yorker Fotografin Helen Levitt eine Retrospektive widmet: "Die Weltwirtschaftskrise ist der historische Hintergrund, die Straßen der Armenviertel von Manhattan der Schauplatz für die frühen Fotografien von Helen Levitt, mit denen sie in Spanish Harlem und der Upper East Side das Leben auf den Straßen dokumentiert. 'Ein Foto von Levitt erzählt weniger, als dass es hervorbringt', schreibt Duncan Forbes, Spezialist für die Fotografie der Zwischenkriegszeit, im Katalog zur Mitte Oktober eröffneten Ausstellung in der Wiener Albertina. Forbes sieht Levitt als 'dissidente Bildermacherin', die zwar distanziert, aber offen für die kulturellen Entwicklungen in ihrer Umgebung gewesen sei. Der Einfluss der kommunistischen Kultur sei unverkennbar, werde aber oft heruntergespielt, weil sie nie Parteimitglied war."

Weiteres: Anne Katrin Fessler betrachtet für den Standard schon mal in Tiflis die Bilder des georgischen Nationalkünstlers Niko Pirosmani, dem die Wiener Albertina ab 26. Oktober eine Ausstellung widmet. Besprochen wird eine Schau zur Gotik im Paderborner Diözesanmuseum (SZ).
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Design

Hochschule für Gestaltung (HfG) Ulm, 1955. Architekt: Max Bill. Foto: Hans G. Conrad, René Spitz. CC / Wikipedia

1968 musste die 1953 von Max Bill gegründete Hochschule für Gestaltung in Ulm schließen: Zu Grabe getragen wurde ein Projekt, das - als legitimes Erbe des Bauhaus - emanzipatorische Vision und die Synthese von Kunst und Handwerk vereinte, wie Bettina Maria Brosowsky in der NZZ erinnert. "Es ging um nicht weniger als allgemeingültige Wahrheiten und darum, die Geschichte der Moderne zu einem für die Menschheit erfolgreichen Ende zu führen. 'Cool on the Kuhberg' betitelte 1959 der britische Designtheoretiker Reyner Banham einen Bericht nach einem mehrtägigen Aufenthalt in Ulm, er bemerkte aber auch die Humorlosigkeit der dort Tätigen, die mit seiner trivialen Pop-Art so wenig anzufangen wussten."
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Musik

Für den Standard erkundigt sich Stefan Ender nach Teodor Currentzis' Standing im Klassikbetrieb: "Nicht alle Klangkörper kommen mit Currentzis feuriger Art und seiner Forderung nach absoluter Hingabe zurecht. Bei der Mozartwoche 2013 soll die Zusammenarbeit mit den Wiener Philharmonikern (...) eine wenig harmonische gewesen sein. Es gebe aktuell 'keine Konzertpläne mit Herrn Currentzis', melden die Philharmoniker auf Nachfrage."

Weitere Artikel: Dan Brooks legt für Pitchfork das 1980 veröffentlichte Talking-Heads-Album "Remain in Light" wieder auf. Das Verlagsblog Hundertvierzehn des S. Fischer Verlags bringt eine Playlist mit (dem Buch "Musik" entnommenen) Jazztipps von Roger Willemsen. Im Tagesspiegel deutet Gerrit Bartels den Ausschluss von Feine Sahne Fischfilet von den Bauhaus-Feierlichkeiten noch einmal als Beleg für einen Rechtsruck im Land.

Besprochen werden das neue Album von Kurt Vile (Jungle World) und dessen Berliner Auftritt (taz, Tagesspiegel), eine neue Bach-Aufnahme von Kim Kashkashian (Pitchfork), Jacek Slaskis Interviewband "Gespräche mit Genialen Dilletanten" (taz), die David-Bowie-Box "Loving the Alien" (Pitchfork), das neue Album von Barbara Morgenstern (Spex), das neue Album der Kunst-Punkband Fucked Up (Jungle World), PeterLichts neues Album "Wenn wir alle anders sind" (zum Bedauern von tazler Jens Uthoff "keine Offenbarung"), das Wiener Konzert des Israel Philharmonic Orchestras unter Zubin Mehta (Standard) und ein Konzert des HR-Sinfonieorchesters unter Andrés Orozco-Estrada (FR).
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Film

Besprochen werden Frederick Wisemans Dokumentarfilm "Ex Libris" über die New York Public Library (Jungle World, mehr dazu hier), Milko Lazarovs "Nanouk" (Tagesspiegel, SZ), Lukas Dhonts "Girl" (Freitag, mehr dazu hier), Matteo Garrones "Dogman" (Freitag), neue Heimmedien-Veröffentlichungen, darunter eine BluRay von Brian de Palmas "Dressed to Kill" von 1980 (SZ), und eine Berliner Foto-Ausstellung zur Geschichte der Berlinale (Tagesspiegel).
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Literatur

Im Tagesspiegel spricht der aus Syrien nach Deutschland geflohene Schriftsteller Nather Henafe Alali unter anderem über die Opposition gegen das Assad-Regime und seinen Roman "Raum ohne Fenster". Das Debüt spiegelt auch eigene Erfahrungen in syrischen Gefängnissen: "Im Gefängnis zeigt sich einem das eigene Land von einer Seite, die nichts mit dem zu tun hat, was man bisher für seine Heimat hielt. Das Land, das man geliebt hat, offenbart sich plötzlich als Illusion - und man weiß nicht, wie man länger darin leben soll. ... In der syrischen Literatur ist Gefängnisliteratur zuletzt immer wichtiger geworden. Ein trauriges Zeugnis unserer nationalen Geschichte."

Weitere Artikel: Hinter dem Pseudonym "Arthur Isarin", unter dem Anfang des Jahres der Roman "Blasse Helden" veröffentlicht wurde, steckt Norris Benedikt von Schirach. Warum sich der Bruder aus der berühmt-berüchtigten Schirach-Familie - sein älterer Bruder ist Ferdinand von Schirach, sein Großvater war der HJ-Führer Baldur von Schirach - jetzt zu erkennen gibt, erklärt er Julia Encke in der FAS. Im Freitag erinnert Doris Brandt an die Hamburger Szenekneipe Palette, über die Hubert Fichte einst seinen gleichnamigen Roman geschrieben hat. Sabine Rohlf plaudert für die Berliner Zeitung mit der Bestseller-Autorin Maja Lunde. Für die FAZ sprechen Paul Ingendaay und Andreas Kilb mit Michael Ondaatje über dessen Roman "Kriegslicht".Und Schriftstellerin Nora Gomringer gibt ihrem jüngeren Ich in der FAZ Lesetipps.

Besprochen werden Frank Schulz' "Anmut und Feigheit" (taz), Wu Mings "Manituana" (Freitag), Hans Magnus Enzensbergers "Eine Handvoll Anekdoten" (online nachgereicht von der FAZ), Marjana Gaponenkos "Der Dorfgescheite" (Tagesspiegel), Friedrich Anis "Der Narr und seine Maschine" (FR), neue Bücher von Leila Slimani (Jungle World) und Kinder- und Jugendbücher, darunter Kristina Aamands "Wahre Worte meine Waffen wären" (FAZ).

In der online nachgereichten Frankfurter Anthologie schreibt Anna Maja Misiak über Debora Vogels "Liebesgedicht":

"Du bist leise und langsam
wie ein sehr langes Floß
..."
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Bühne

Besprochen werden Martin Kušejs Münchner Abschiedsinszenierung mit Michael Frayns Bühnenrenner "Der nackte Wahnsinn" (toll findet Standard-Kritiker Ronald Pohl den Abend und freut sich, dass der neue Burgtheaterchef auch Komödie kann, für SZ-Kritikerin Christine Dössel ist es reiner Achtzigerjahre-Klamauk), Karin Beiers "König-Lear"-Inszenierung mit Edgar Selge am Hamburger Schauspiel ("kraftvoll, durchdacht, theatralisch überschwänglich" findet die FAZ, Welt), Iwan Wyrypajews "Iran-Konferenz" am Thalia-Theater in Hamburg (Nachtkritik), Christine Eders "Verteidigung der Demokratie" am Volkstheater Wien (Standard), Bastian Krafts Inszenierung von Tennessee Williams' Südstaaten-Klassiker "Endstation Sehnsucht" im Zürcher Schauspielhaus (NZZ, Nachtkritik), Cihan Inans Bühnenfassung von Martin Suters Politsatire "Beresina oder die letzten Tage der Schweiz" (NZZ) und Sebastian Hartmanns Collage aus Hamsun und Ibsen "Hunger. Peer Gynt" am Deutschen Theater Berlin (SZ).
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Architektur

Firmenzentrale von Amorepacific in Seoul. Foto: David Chipperfield Architects.


Dass ausgerechnet David Chipperfields Büro aus dem hochhausfeindlichen Berlin so ein Wurf gelingt! Ulf Meyer traut in der FAZ seinen Augen kaum angesichst der neuen Zentrale des koreanischen Kosmetikkonzerns "Amore Pacific" in Seoul. Lyrisch und diszipliniert sei der von Christoph Felger verantwortete Bau: "Nachts wandelt sich die Firmenzentrale des größten koreanischen Kosmetikunternehmens in eine zart schimmernde Laterne. Erst die Fassade schafft die visuelle Kohärenz des Hof-Hochhauses. Die Dachgärten bieten Erholungsräume für die Mitarbeiter, geben dem Gebäude Maßstäblichkeit und bieten weite Ausblicke über die Stadt und ihre ungewöhnlich bergige Topographie. Um aus den Himmels-Loggien einen Stadtraum zu machen wie das Foyer in Schinkels Altem Museum etwa fehlt dem koreanischen Hochhaus jedoch etwas ganz Entscheidendes: der öffentliche Zugang. der zweiundzwanzigstöckige Kubus spielt stattdessen auf die Hofhaus-Typologie traditioneller koreanischer Hanok-Häuser an."

Archiv: Architektur