Efeu - Die Kulturrundschau

Die Entwicklung zu Unisex

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25.09.2015. Die SZ besucht eine Ausstellung über Erich Kästners Zeit im "Dritten Reich". Roberto Saviano antwortet in der Repubblica auf Plagiatsvorwürfe. Die taz untersucht die Krise des Stadttheaters in Rostock. In der NZZ bescheinigt Hannelore Schlaffer der modernen weiblichen Kleidung einen Hang zur Päderastie. Zeit online bewundert eine Musikdoku über Arcade Fire.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 25.09.2015 finden Sie hier

Literatur

Insbesondere was Erich Kästners Zeit im "Dritten Reich" angeht, erweist sich die dem Schriftsteller gewidmete Ausstellung im Literaturhaus München als sehr interessant, schreibt Hilmar Klute in der SZ: Präsentiert werden neue Dokumente aus dem Nachlass, "die eine bemerkenswerte Seite des Doppelgängers Erich Kästner beleuchten. Während er im Dritten Reich die Unterhaltungsindustrie bediente, schrieb Kästner Skizzen für die Schublade. Es sind erschrockene Selbstbefragungen eines Mannes, der spürt, dass er dabei ist, seine Integrität als moralisch gefasster Zeitzeuge an die Machthaber zu verlieren. ... Und jenen großen Zeitroman, den zu schreiben er versprochen hatte und der seinen Aufenthalt im Nazi-Reich legitimieren sollte? Kästner schrieb ihn nicht."

Michael Myonihan macht Roberto Saviano in einem ausufernden Artikel in The Daily Beast schwere Plagiatsvorwürfe, die Savianos Roman über die Kokain-Mafia "ZeroZeroZero" betreffen. Es fehlen Moynihan bei Saviano vor allem Belege für Behauptungen und Zitate. Auch die Echtheit mancher Figuren zweifelt er an. Saviano antwortet heute in der Repubblica: "Wenn man nicht sagen kann, dass das, was ich sage, falsch ist, dann sagt man, ich hab es woanders hergeholt. Aber das ist doch genau meine Arbeit, erzählen, was vorgefallen ist, auf meine Art, in meiner Interpretation."

Außerdem: Die Zeit hat Ijoma Mangolds Gespräch mit Javier Marías aus der Ausgabe vom 10. September online nachgereicht. Die FAZ bringt einen Vorabdruck aus Tilmann Lahmes im Oktober erscheinenden Buchs "Die Manns - Geschichte einer Familie". Julika Bickel (taz), Wieland Freund (Welt), Cornelia Geißler (Berliner Zeitung) und Fridtjof Küchemann (FAZ) schreiben zum Tod der Kinderbuchautorin Ellis Kaut, die neben dem Pumuckl auch Schlupp vom grünen Stern erfunden hat. Wir erinnern uns:



Besprochen werden Dana Grigorceas "Das primäre Gefühl der Schuldlosigkeit" (ZeitOnline), Karl Ove Knausgårds "Träumen" (FR) und Reinhard Schlüters "Der Haifisch" (FAZ).
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Design

"Die weibliche Kleidung hat eine Tendenz zur Päderastie", notiert Hannelore Schlaffer in der NZZ. Und sie ist, wie das modische weibliche Tattoo, fast immer von Männern abgeguckt. "Was anderes wären Hose, Hosenanzug, Turnschuh, ja selbst der flache Bauch als ein Zitat. Die Revolution leitete Coco Chanel nach 1910 ein. Sie ist (nach ein paar am Hof beschäftigten Schneiderinnen) die erste Frau, die Mode kreiert. Mit Hemdbluse, Hose, Bubikragen und Bubikopf machte sie die Frau zur Knäbin. Seitdem war die Entwicklung zu Unisex, zur Nivellierung der geschlechtlichen Markierung unaufhaltsam."
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Bühne

Gestern berichtete Frauke Adrians in der nachtkritik ausführlich über die Thüringer Theaterstruktur-Debatte. Heute zeigt Rostock "die Krise des Stadttheaters modellhaft", schreibt Sabine Seifert in ihrer Reportage für die taz. Gespart werden soll, aber keiner weiß wo oder will dafür verantwortlich sein. Noch schlimmer aber: Es gibt keine inhaltliche Diskussion, sagt Eva-Maria Kröger von der Linken. "Wie muss Stadttheater heute aussehen? Sind Sparten überhaupt noch zeitgemäß? Welche Bedürfnisse sollte Theater erfüllen? "Diese Debatte wird nicht geführt", sagt die 33-Jährige. "Aus den Inhalten müsste man Strukturen generieren und aus den Strukturen den Finanzbedarf. Und nicht umgekehrt.""

In der Frankfurter Inszenierung von Helmut Lachenmanns Oper "Das Mädchen mit dem Schwefelhözchen" bricht Regisseur Benedikt von Peter die im Stück verhandelte Auseinandersetzung mit den linksradikalen Aktivisten nach 1968 auf ein Meerschweinchen auf der Bühne herunter, bemerkt ein erboster Michael Struck-Schloen in der SZ: "Jawohl. Auf einer blauen Turnmatte in der Saalmitte, umringt von Zuschauern und Musikern, hoppelt es mit großen Knopfaugen herum. ... Was (...) hätte nicht alles verhindert werden können, wenn man Andersens Mädchen und Ensslins Gudrun etwas öfter in den Arm genommen hätte? "Wäre das kleine Mädchen unter anderen Bedingungen aufgewachsen," vermutet der Regisseur im Programmheft, "hätte es vielleicht ein solches Meerschweinchen besessen." Wäre Benedikt von Peter (Jahrgang 1977) im Deutschen Herbst aufgewachsen, hätte er vielleicht mehr vom Inhalt verstanden."

Weitere Artikel: An der New Yorker Metropolitan Opera wird Verdis "Otello" erstmals mit einem ungeschminkten weißen Sänger aufgeführt, berichtet Tomasz Kurianowicz im Tagesspiegel.

Besprochen werden Heinrich Marschners Oper "Hans Heiling" im Theater an der Wien (NZZ), Simone Blattners Inszenierung von "Candide oder der Optimismus" am Zürcher Theater Neumarkt (NZZ), Hans Gefors" Oper "Berüchtigt" nach Alfred Hitchcock in Göteborg (Welt), die Berlioz-Oper "Les Troyens" unter Kent Nagano in Hamburg (NZZ), Martin McDonaghs neues, in London aufgeführtes Stück "Hangmen" (SZ) und die Göteborger Uraufführung von Hans Gefors Opernadaption von Alfred Hitchcocks Klassiker "Notorious" ("rundum gelungen", freut sich Andreas Bäcker in der FAZ).
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Architektur

Aes. besucht für die NZZ das von den Berliner Architekten Louisa Hutton und Matthias Sauerbruch gebauter Hager Forum im elsässischen Obernai. Die FAZ hat Patrick Bahners" Besprechung der Schneider-Esleben-Ausstellung in München online gestellt.

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Kunst

Besprochen werden die "Botticelli Renaissance" in der Gemäldegalerie Berlin (Tagesspiegel, mehr dazu in unserer gestrigen Kulturrundschau) und die Ausstellung "Aenigma - 100 Jahre anthroposophische Kunst" im Kunstmuseum Stiftung Moritzburg (FAZ).
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Stichwörter: Gemäldegalerie Berlin

Film

Beim Filmfestival in San Sebastián sah taz-Kritiker Thomas Abeltshauser in den spanischen Produktionen "das Bild eines zutiefst zerrissenen Landes". In der NZZ berichtet Geri Krebs aus San Sebastian. Schauspieler Jürgen Vogel spricht im Interview mit der Welt über das Älterwerden, Emanzipation und den ZDF-Mehrteiler "Blochin", in dem er gerade die Hauptrolle spielt. In der NZZ unterhält sich Flavia Giorgetta mit Regisseur Mike Leigh über dessen Arbeit.

Besprochen werden Anton Corbijns "Life" (FR), die Komödie "Man lernt nie aus" mit Anne Hathaway und Robert de Niro (FR), Jean-François Richets "Der Vater meiner besten Freundin" (Tagesspiegel), Sharon Maymons und Tal Granits Sterbehilfe-Tragikomödie "Am Ende ein Fest" (Tagesspiegel, FAZ), Sanna Lenkens" Kinderfilm "Stella" (Tagesspiegel), Anna Sofie Hartmanns "Limbo" (Tagesspiegel) und Arnold Schwarzeneggers Zombiemelodram "Maggie" (FAZ).
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Musik

René Martens (ZeitOnline) staunt nicht schlecht über die Musikdoku "The Reflektor Tapes" über Arcade Fire, die sich mit den üblichen Mechanismen und Strategien des eher etwas uninteressanten Genres nicht zufrieden gibt, sondern ihren Gegenstand konkret gestaltet: Das bei Studiosessions und der anschließenden Tournee gedrehte Material diene Regisseur Khalil Joseph als "eine Art Verfügungsmasse für ein Kaleidoskop der Impressionen. ... The Reflektor Tapes ähnelt der radikalen Neumischung eines Songs: Khalil Joseph setzt nicht nur Bilder neu zusammen, er verfremdet und dekonstruiert auch die Musik der Band. In einer besonders remixartigen Sequenz ist zu sehen, wie Sänger Win Butler das Mikro in Richtung Menge hält - die typische Bühnengeste, wenn das Publikum singt oder dazu aufgefordert wird. Im Film hört man an dieser Stelle aber nur Régine Chassagnes helle Stimme, offenbar eine Gesangsspur von den Studioaufnahmen."

Weitere Artikel: Anlässlich des ersten Albums von BTNG alias George Boateng porträtiert Michael Pilz in der Welt die drei Brüder Boateng. Nadine Lange spricht im Tagesspiegel mit Peaches über deren neues Album "Rub". Auf Das Filter streiten sich Thaddeus Herrmann und Ji-Hun Kim über das neue Album von New Order. Für die SZ hört Andrian Kreye neue Coveralben: Ryan Adams" gleichnamige und komplette Neueinspielung von Taylor Swifts Album "1989" funktioniere erstaunlich gut, während die Songbook-Alben von Lisa Bassenge und Roger Cicero "gründlich missraten" seien. John Freeman (The Quietus) spricht mit der britischen Postpunk-Band Autobahn.

Besprochen werden die klanglichen und musikalischen Qualitäten der Kettensägen der Firma Stihl, die man hier auf Soundcloud hören kann (taz), Barbara Morgensterns neues Album "Doppelstern" (taz, Spex), das neue Album von Julia Holter (taz), neue Alben von Max und Jan Weissenfeldt (taz), ein Konzert der auf Khmer singenden Indieband Dengue Fever (taz), das neue Chvrches-Album ("wieder hervorragend geworden", schreibt Britta Helm auf ZeitOnline), das neue Album "III" von Bixiga 70 (The Quietus) und neue Psych- und Noise-Rock-Veröffentlichungen (The Quietus).

Außerdem sehr großartig: Dietrich Kuhlbrodt liest "Der Dinge Stand" aus dem neuen Fehlfarben-Album "Über... Mensch", das heute erscheint.

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