Efeu - Die Kulturrundschau

Tiefer Blick fürs Nebensächliche

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24.02.2015. Dezeen freut sich auf das neue Glasmuseum in Meisenthal. Alain Claude Sulzer empfiehlt in der NZZ Martin Suters neuen Roman über die Verstrickungen eines Journalisten in die Machenschaften Schweizer Banken. Die Berliner Zeitung bewundert den untrüglichen Blick der Fotografin Vivian Maier. Der Freitag schreibt einen Nachruf auf die Videothek. Und: alle schreiben über die Oscars.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 24.02.2015 finden Sie hier

Architektur



Die Saarländer können sich freuen! An der deutsch-französischen Grenze, in Meisenthal, wird das Glasmuseum, eine ehemalige Glashütte aus dem 18. Jahrhundert vergrößert und um Theater- und Ausstellungsräume ergänzt, berichtet Dezeen. Gewonnen haben die Ausschreibung die Architektenbüros SO-IL und FREAKS freearchitects: "Die Glashütte, die Gebrauchsglas und mundgeblasene Weihnachtsbaumkugeln produzierte, schloss ihre Türen 1969. Sie eröffnete neu als Meisenthal Glassmuseum 1978, während ein ehemaliger Workshop auf dem Gelände 1992 in ein Internationales Glasszentrum (CIAV) umgebaut wurde - als Ausstellungsraum für zeitgenössisches und traditionelles Glasdesign. Der Landrat der Communauté de Communes du Pays de Bitche beauftragte die Architekten nun, die beiden existierenden Flächen um ein neues Theater und eine Galerie zu ergänzen und so den ganzen Komplex in ein 5000 Quadratmeter großes Kulturzentrum für die Region zu verwandeln."

Außerdem: In Berlin gibt es Streit um die dringend renovierungsbedürftige Sankt Hedwigs Kathedrale, deren Innnenraum nach dem Krieg von dem Architekten Hans Schwippert neu gestaltet worden war, berichtet Jürgen Tietz in der NZZ.
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Literatur

Alain Claude Sulzer, Neffe eines braven Bankbeamten, hat für die NZZ mit großem Vergnügen Martin Suters "Montecristo" gelesen, ein Roman über die Verstrickungen eines Journalisten in die Machenschaften Schweizer Banken: "Martin Suters Roman ist zum einen der - spannende und vergnügliche - Text zur Melodie "Too big to fail", zum anderen das Porträt eines Individuums, das sich Schritt für Schritt von seiner intakten moralischen Integrität verabschiedet, aus verständlicher Furcht, andernfalls als Außenseiter dazustehen."

Weitere Artikel: Die Berliner Zeitung bringt einen Auszug aus Alexander Osangs Roman "Comeback". In der NZZ überlegt Klaus Bartels, wovon wir sprechen, wenn wir von einer "Person" sprechen.

Besprochen werden u.a. Götz Alys "Volk ohne Mitte" (Tagesspiegel, unsere Leseprobe), Milan Kunderas "Fest der Bedeutungslosigkeit" (FR, mehr), Lisa Kränzlers "Lichtfang" (Berliner Zeitung), Julian Barnes" "Lebensstufen" (Berliner Zeitung), ein Sammelband mit Texten von Helen Hessel (Tagesspiegel), Reinhard Kleists Comic "Der Traum von Olympia" (taz) und Anne Webers "Ahnen" (Tagesspiegel, SZ).

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Bühne

Besprochen werden Dietrich Hilsdorfs Inszenierung von Christoph Willibald Glucks "Alceste" am Nationaltheater Mannheim (FR), Tom Stoppards "The Hard Problem" in London (NZZ), William Forsythes Choreografie "Rearray" mit Sylvie Guillem in St. Pölten (Standard) und Jacques Offenbachs Operette "Pariser Leben" an der Wiener Volksoper (Standard).
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Film

Mit Statements zur Einwanderungspolitik, Frauenrechten und einem Oscar für Laura Poitras" Snowden-Doku "Citizenfour" (unsere Kritik) handelte es sich bei dieser Oscarverleihung um einen politischen Jahrgang "auf der Höhe der Zeit und der Debatten", schreibt Christiane Peitz im Tagesspiegel. In der Berliner Zeitung berichtet Anke Westphal, in der taz Barbara Schweizerhof und in der FAZ Andreas Platthaus, der den Oscar für den besten Dokumentarfilm lieber bei Wim Wenders statt bei Poitras gesehen hätte. Susan Vahabzahdeh (SZ) hatte unterdessen schon bei der Eröffnungsnummer der Gala "den Eindruck, Hollywood klammere sich an die eigene Vergangenheit, weil es den Glauben an die eigene Zukunft verloren hat." Einen Oscar hat er für seine Leistung in "Birdman" zwar nicht erhalten, dennoch ist Michael Keaton "die eigentliche Pointe" des gestern mehrfach ausgezeichneten Films, meint Esther Buss in der Spex. In der Welt rümpft Hannes Stein dagegen die Nase über die Oscars für "Birdman": "In Hollywood wurde ein Film ausgezeichnet, in dem es ausführlich (beinahe zwei Stunden lang) um Probleme und Leiden eines - Hollywoodschauspielers geht. Wen interessieren daneben noch die Probleme der wirklichen Welt?"

Blanke Wehmut packt Sarah Khan (Freitag) beim Rückblick auf die goldene Zeit der Videotheken, die zusehens von Internetdiensten aus dem Geschäft gedrängt werden: "Gegen eine Ausleihgebühr holte man sich das Gefühl des Ausschweifenden, Übertriebenen, Verbotenen ab. Videotheken waren Räume voller Versprechen, anders organisiert als Rummelplätze, Autokinos oder Erotikläden, aber verwandt damit." Nachdem das Negativeland kürzlich schließen musste, bleiben dem Berliner Publikum mit dem Videodrom, der Filmgalerie und der Filmkunstbar immerhin noch ein paar cinephile Videotheken erhalten.

Weitere Artikel: In Iran stößt der Goldene Bär für Jafar Panahis "Taxi" (unsere Kritik) auf wenig Freude in den offiziellen Behörden, berichtet Bahman Nirumand in der taz. Marco Koch bietet im Filmforum Bremen wieder Hinweise darauf, was sich in der deutschen Filmblogosphäre tut.
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Kunst


Untitled, 1954. Foto: Vivian Maier/Maloof Collection, Howard Greenberg Gallery, New York

Ganz große Freude bei Ingeborg Ruthe (Berliner Zeitung) darüber, dass mit der Ausstellung von Vivian Maiers Fotografien im Berliner Willy-Brandt-Haus eine erst posthum entdeckte Meisterin ihres Fachs dem Vergessen entrissen wird: "Hier hatte jemand fotografiert mit dem untrüglichen Gespür für den entscheidenden Moment. Hier vereinten sich Zufälligkeiten des Straßen-Alltags zu perfekten Kompositionen. Und hier betätigte ein eher introvertiertes weibliches Naturell den Auslöser mit einem tiefen Blick fürs Nebensächliche."

Besprochen werden eine Ausstellung mit Zeichnungen aus der Sammlung Maximilian Speck von Sternburg im Museum der bildenden Künste in Leipzig (FAZ), eine Ausstellung über die Künstlerfreundschaft zwischen August Macke und Franz Marc im Lenbachhaus in München (FAZ), und eine Ausstellung von Buchkunstwerken der Berliner Katzengraben-Presse im Gutenberg-Museum in Mainz (FAZ).
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Musik

Mit The Pop Group und Gang of Four bringen gleich zwei wiederbelebte Pioniere des politischen Post-Punk der späten 70er und frühen 80er Jahre neue Alben auf den Markt. In der Spex legt Klaus Walter beide Platten aneinander - und kann sich mit The Pop Group immerhin ganz gut arrangieren. Nur bei Gang of Four packt ihn - wie zuvor schon den Kritiker der Jungle World - das blanke Grausen: "Ist das eine dieser 2000er-Bands, die im Fahrwasser von LCD Soundsystem und The Rapture Disco-Punk in die amerikanische Provinz bringen wollten? Eine Chili-Peppers-Cover-Band? Wer singt da? Nicht Jon King, der das Gegenstück zu Gitarrist Andy Gill gegeben hatte, stattdessen ein gewisser Gaoler und Alison Mosshart von The Kills, was nicht mal auf dem Papier eine gute Idee ist, sondern nur von Verzweiflung zeugt: irgendwie den Zug ins now erwischen." Und dann, stöhnt der Kritiker, ist auch noch Herbert Grönemeyer mit von der Partie.

Weiteres: In der FR berichtet Judith von Sternburg vom Dirigentenwettbewerb Sir Georg Solti, bei dem es in diesem Jahr zwei zweite (Tung-Chieh Chuang und Elias Grandy) und einen dritten Platz (Toby Thatcher) gab. Welt-Autor Henryk M. Broder hatte viel Spaß beim Jewrovision Song Contest. Auf The Quietus erinnert Dean Brown an den vor 20 Jahren veröffentlichten Wüstenrock-Klassiker "And the Cirus Leaves Town" von Kyuss. Eric Pfeil schreibt Poptagebuch beim Rolling Stone. Andrian Kreye schreibt in der SZ zum Tod des Jazztrompeters Clark Terry. Und die Spex bringt das neue Video der Kölner Schmuse-Popper Von Spar:



Besprochen werden ein Auftritt von Kinky Friedman (FR), neue Alben von Sleater-Kinney (FR), Purity Ring (Spex), Ibeyi (Pitchfork), Ghostpoet (Spex), Sizarr (Spex), Clarence Clarity (Spex) sowie das neue Mixtape von Drake (Berliner Zeitung).
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