Efeu - Die Kulturrundschau

Berlinale mit brauner Vergangenheit

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31.01.2020. Der Tagesspiegel knappst an der Vorstellung, dass ausgerechnet Deutsche Kinemathek und Berlinale, dieser "Inbegriff der Weltoffenheit", die Nazivergangenheit Alfred Bauers schön geredet haben. FAZ und FR gratulieren der Fotografin Evelyn Richter zum Neunzigsten. Die FR trauert um den Dichter Christoph Meckel.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 31.01.2020 finden Sie hier

Film

Nach den in der Zeit dokumentierten Aufdeckungen durch den Privat-Filmhistoriker Ulrich Hähnel, dass der erste Berlinale-Leiter Alfred Bauer im Filmbetrieb des Nationalsozialismus eben doch keine so randständige Figur war, wie Bauer und das Festival dies kolportierten (unser Resümee), steht die Deutsche Kinemathek mit einem gewaltigen Imageschaden da. Dies zumal, da für eine Biografie über Bauer, die Ende Februar erscheinen sollte, zwar dieselben Dokumente eingesehen, aber nicht die entsprechenden Schlüsse gezogen wurden. "Die Kinemathek hat die Chance verpasst, die Tragweite ihrer Recherchen selbst einzuordnen", kommentiert Andreas Busche im Tagesspiegel. "Besser hätte es ausgesehen, hätte die Kinemathek gemeinsam mit der Berlinale ihre Ergebnisse rechtzeitig öffentlich gemacht und eine Aufarbeitung des Berlinale-Gründungsmythos proaktiv eingeleitet." In der SZ zitiert Tobias Kniebe Rainer Rother von Deutschen Kinemathek, dass der Autor Rolf Aurich Bauer zwar "im wesentlichen" so geschildert habe, wie dies nun bekannt geworden sei, ihm dabei allerdings "Ungeschicklichkeiten" unterlaufen seien.

Für das sich im Lauf der Jahrzehnte verfestigte Image Bauers sind Forschung und Publikationen der Deutschen Kinemathek maßgeblich, halten Christiane Peitz und Jonas Bickelmann im Tagesspiegel fest. Auch frühere Publikationen des Hauses halten sich in Sachen Bauer bedeckt. Man habe wohl nicht genau hinschauen wollen: "Ausgerechnet die Filmfestspiele, dieser Inbegriff von Weltoffenheit, Freiheitsgeist und Toleranz, dieser Brückenschlag zwischen Ost und West zu Zeiten des Kalten Krieges, für den auch Bauer sich stark machte - ausgerechnet die Berlinale mit brauner Vergangenheit? Kultur, das sind die Guten, so möchten wir es gern." Während die Industrie wenigstens in den letzten Jahren vergleichsweise engagiert darin ist, ihre Geschichte zu durchleuchten, mache die Kultur diesbezüglich wenig Anstalten, so Peitz und Bickelmann.

"Der eigentliche Skandal dieses Skandals besteht in seiner Verspätung, ja Verschleppung", kritisiert Claus Löser in der Berliner Zeitung Deutsche Kinemathek und Berlinale. "Denn die nationalsozialistische Vergangenheit Alfred Bauers war keineswegs unbekannt. Der promovierte Jurist hatte bei der Ufa gearbeitet und war als Gutachter bei der Reichsfilmkammer angestellt - das hatte Bauer selbst eingeräumt. Die Details seiner Verbindung zum nationalsozialistischen Apparat kommen in ihrem ganzen Ausmaß nun ans Tageslicht. Nicht dank einer Geschichtskommission der Festspiele, auch nicht durch Filmkritiker, Filmhistoriker oder Filmwissenschaftler, sondern durch einen Privatgelehrten. Der 1988 von Ost- nach West-Berlin übergesiedelte Betriebswirt Ulrich Hähnel lieferte der Wochenzeitung Die Zeit seine mustergültig aufbereiteten Recherchen frei Haus."

Einen blinden Fleck konstatiert auch Bert Rebhandl in der FAZ: Die Archive lagen wohl in Laufnähe, allein hineingegangen sei niemand. Auch ein Zuständigkeits- und Kapazitätenproblem: "Der Fall Bauer fiel wohl der Sache nach in ein Fach Filmgeschichte, das de facto kaum jemand betreibt, oder wenn, dann in einem Naheverhältnis zu den Institutionen, über die eigentlich zu forschen wäre. Alfred Bauer war übrigens selbst mit zwei stark aus Sammlerperspektive geschriebenen Standardwerken (Deutscher Spielfilm-Almanach 1929-1950 und 1946-1955) ein Beispiel für die Probleme des Fachs. Der Mythos von der Berlinale als dem Festival der freien Welt ist nun stark beschädigt."

Viel gelernt scheint die Deutsche Kinemathek aus dem Skandal noch nicht zu haben. Einen Blick in die von ihr beauftragte und jetzt zurückgezogene Bauer-Biografie will Rainer Rother, Künstlerischer Direktor der Kinemathek, nicht gestatten, berichtet Tobias Kniebe in der SZ, "der Schutz des eigenen Autors habe Vorrang. Womit die von der Zeit gestellte Frage, ob hier Alfred Bauer vor dem Blick der Gegenwart geschützt werden sollte oder die Gegenwart der Berlinale vor Alfred Bauer, weiterhin im Raum steht."

Weiteres: August Diehl gibt in der SZ Auskunft über seine Zusammenarbeit mit Terrence Malick, in dessen neuen Film "Ein verborgenes Leben" er den Nazi-Gegner Franz Jägerstätter spielt (unsere Kritik). Christiane Peitz (Tagesspiegel) und Martin Schwickert (ZeitOnline) sprechen mit Ken Loach über dessen (in der Zeit besprochenen) Film "Sorry We Missed You" über einen Paketboten in Selbstausbeutung.

Besprochen werden Greta Gerwigs "Little Women" (Tagesspiegel, mehr dazu bereits hier und dort), Rosa von Praunheims Thriller "Darkroom - Tödliche Tropfen" (Welt), der von Daniel Kehlmann geschriebene Arte-Fernsehkrimi "Das letzte Problem" (taz), die neue Staffel von "Bad Banks" (Presse) und "Platzspritzbaby", ein Film über die Zürcher Drogenszene (NZZ).
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Kunst

Die ehemalige DDR-Fotografin Evelyn Richter wird heute Neunzig. Aus diesem Anlass hat ihr das Albertinum in Dresden eine Ausstellung ausgerichtet. Leicht hatte sie es nicht, erzählt Ingeborg Ruthe in der Berliner Zeitung, denn bis in die Siebziger hinein wurde von Fotografen in der DDR verlangt, dass sie "zeigen, was sein sollte, nicht was wirklich war", so Ruthe. Exmatrikuliert, weil sie sich daran nicht halten wollte, arbeitete Richter lange als Theaterfotografin, bis sie als "Instanz der dokumentarischen Fotografie" anerkannt wurde: "Ihre Fotos zeigen eine Sicht, die merkwürdig verstört. Es ist darin etwas schwer Verdauliches, irgendwie anarchisch Melancholisches. Es ist die Art, wie die Kamera die Linien der Gesichter, die Mimik, die Gestik nachzeichnet: schmerzhaft zärtlich, gnadenlos. Sie sagte mir in einem Gespräch: 'Ich will im Porträt zeigen, wie der Mensch zu sich findet. Ich suche den Augenblick der Konzentration, nicht das Extreme. Der Modebegriff Momentfotografie ist für mich ein einziges Missverständnis.'" In der FAZ gratuliert Freddy Langer.

Besprochen wird eine Solidaritätsausstellung für politische Gefangene in Russland in der Living Gallery in Berlin-Mitte Station (taz).
Archiv: Kunst

Bühne

Die nachtkritik unterhält sich mit Standard-Redakteur Stefan Weiss über Urteil im Burgtheater-Prozess, in dem es um Bilanzfälschung, Untreue und Veruntreuung am Burgtheater ging. Verurteilt wurde kein einziger Intendant, nur die ehemalige Buchhalterin der Burg, Silvia Stantejsky.  Ein Bauernopfer war sie aber nicht, meint Weiss: "Sie war von männlichen Alphatieren umgeben, aber Bauernopfer wäre zu hoch gegriffen. Ein beträchtlicher Anteil an Schuld trifft schon Stantejsky. Sie hätte die Reißleine ziehen müssen. Aber sie wollte offenbar alles tun für dieses Haus, in dem sie ja ihr gesamtes Berufsleben verbracht hat und das sie bis heute liebt. Dass die Justiz darüber hinausgehend keine persönlichen Schuldhaftigkeiten feststellen konnte, muss man zur Kenntnis nehmen. Auch wenn es das gesunde Unrechtsbewusstsein empfindlich stört."

Weitere Artikel: Dass der Intendantin am Wuppertaler Tanztheater, Adolphe Binder, unrechtmäßig von der Stadt Wuppertal gekündigt wurde, ist bereits geklärt, jetzt hat man sich auf eine Abfindung geeinigt, meldet Sandra Luzina im Tagesspiegel. Florian Amort besucht für die FAZ Rolando Villazon, Intendant der Salzburger Mozartwochen, in dessen Büro.
Archiv: Bühne
Stichwörter: Burgtheater, Wuppertal

Literatur

In der FR trauert Arno Widmann um den Lyriker und Grafiker Christoph Meckel: Er "war der Künstler als Handwerker. Keine Sekunde penibel, war er immer genau. So kann nach 'kein Ende' kein Punkt stehen. Das wäre ja dann doch ein Ende. Eine Minute, hieß es eingangs, daure die Lesung seines Gedichtes. Das gehörte auch zu Meckel: die Kürze." Weiter Nachrufe schreiben Wolfgang Matz (FAZ) und Helmut Böttiger (SZ).

Weiteres: Für die Zeit porträtiert Florian Gasser den Schriftsteller Marc Elsberg. Melancholisch und mit den DDR-Romanen Lutz Seilers im Gepäck streift Tagesspiegel-Kritiker Gerrit Bartels durch den Prenzlauer Berg, der nach den ersten verrußten Wendejahren in einen "Zustand der Zeitlosigkeit" übergegangen sei. Besprochen werden Jonathan Franzens Essay "Wann hören wir auf, uns etwas vorzumachen?" (NZZ) und Davide Longos Kriminalroman "Die jungen Bestien" (SZ).
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Musik

Für den Standard porträtiert Ronald Pohl den Komponisten Clemens Gadenstätter, durch dessen Arbeiten "man stolpern sollte wie durch Skulpturenparks." Juliane Streich plaudert für die taz mit der Chemnitzer Band Blond, die heute ihr Debütalbum veröffentlicht. In einer Sondersendung vom Dlf Kultur berichtet Hartwig Vens vom Stand der Dinge beim Berliner Festival CTM.

Besprochen werden der Dokumentarfilm "Mystify" über den INXS-Sänger Michael Hutchence (Tagesspiegel) das neue Album von The Big Moon (taz) und das Debüt-Soloalbum von K.I.Z.-Rapper Tarek Ebéné, der zur Freude von SZ-Kritiker Quentin Lichtblau textlich zwar "die Ironie-Wand abgerissen hat", musikalisch aber doch wieder nur "streckenweise leider etwas abgenutztes 808-Autotune-Allerlei" auffährt.
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Stichwörter: Chemnitz