Efeu - Die Kulturrundschau

Anspruchsvoll zeitgemäß

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04.03.2019. Die NZZ lernt mit den Salvatores Vitales Fotografien, dass die Errungenschaften der Schweizer Sicherheitsindustrie vor allem eines schaffen: Sie machen Angst. Die taz lernt, wie man den Klang einer Stradivari digitalisiert. In der SZ bekundet Sandra Richter, dass sich das Marbarcher Literaturarchiv künftig auch mit der Narratologie von Computerspielen beschäftigen wird. Der Tagesspiegel erkennt im Orchester das paradoxe Gefüge aus Hierarchie und Gemeinschaftssinn. SpOn und Tagesspiegel feiern die Musikerin Solange und die Lässigkeit ihres Autorensouls.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 04.03.2019 finden Sie hier

Kunst

Salvatore Vitale: Kantonspolizei Zürich, 2016. Aus der Serie "How to Secure a Country" © Salvatore Vitale/Fotostiftung Schweiz

Vielleicht noch nicht ganz ausgereift, aber ziemlich spannend findet NZZ-Kritikerin Daniele Muscionico die Ausstellung "How to Secure a Country" in der Fotostiftung Schweiz in Winterthur, für die der Fotograf und Publizist Salvatore Vitale die Schweizer Sicherheitsindustrie erkundete. "In der Schweizer Sicherheitsindustrie werden, Vitale hat recherchiert, Millionengeschäfte getätigt; die weltweit wichtigsten Supercomputer gegen Cyberkriminalität sollen demnach auf Schweizer Boden stehen; das Schweizer Sturmgewehr kann auch ein Design-Tool sein; der Truppenübungsplatz in der Region Solothurn, so Vitale, wird also auch von Forschenden der ETH genutzt: So plastisch die Einzeleindrücke und Informationen der Ausstellung sind, ein Übersichtsbild will sich nicht erschliessen. Die Ausstellung ist in der Fülle der Informationen und in der Disparatheit der Medien und Module ein Denkraum mit verstörendem Resultat."

Auch in der taz feiert Christiane Meixner die große Schau zu Mantegna und Bellini in der Berliner Gemäldegalerie, die nicht nur Blockbuster-Format habe, sondern auch viel kunsthistorisches Wissen vermittele: "Beides, Mantegnas kunstfertige Profanisierung wie auch Bellinis Beharren auf dem Überirdischen, hat seine Qualität und Berechtigung. Dieser konstruktive Dialog prägt die gesamte, in 17 Kapitel unterteilte und farbig inszenierte Ausstellung. Man sieht, wie beide voneinander lernen und was den Unterschied macht."

Weiteres: taz-Kritikerin Brigitte Werneburg staunt, wie unspektakulär diesmal die Verkündung der Shortlist für den Preis der Nationalgalerie gehalten wurde: "Bye-bye, Brimborium!"

Besprochen werden außerdem die große Retrospektive zur Künstlergruppe "Junges Rheinland" im Düsseldorfer Kunstpalast (in der SZ-Autor Alexander Menden lernt, dass Jugend und das Rheinland vor allem eine Frage der Haltung sind), eine Schau mit Fotografien des Malers Ernst Ludwig Kirchner im Salzburger Museum der Moderne (Standard) und eine Ausstellung zur weiblichen Brust in der Karl Oskar Gallery in Berlin (Tsp).
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Bühne

"Girls of the Golden West" am Opernhaus Amsterdam © Cory Weaver, San Francisco Opera 


Ziemlich konventionell, geradezu altbacken findet Helmut Mauró in der SZ Peter Sellars' Inszenierung von John Adams' neuer Goldgräber-Oper "Girls of the Golden West" am Opernhaus Amsterdam. Aber zum Glück ist er trotzdem auf seine Kosten gekommen: Schließlich "wirkt die Musik von John Adams aktuell, diesseitig, unmittelbar, affektgeladen und auch hintergründig, plakativ, selten allzu platt. Adams folgt nicht der europäischen Nachkriegstradition, Hörgewohnheiten durch physischen Schmerz zu vernichten oder sich erst gar nicht entwickeln zu lassen. Stattdessen hört man hier eine im Kern konventionell verständliche Musiksprache, inklusive Dreiklangsharmonik, die dennoch anspruchsvoll zeitgemäß klingt."

In der Berliner Zeitung unterhält sich Doris Meierhenrich mit Schriftsteller Thomas Melle über seine Performance "Uncanny Valley".

Besprochen werden Philipp Arnolds Uraufführung von Ferdinand Schmalz' Stück "Der Tempelherr" im Deutschen Theater Berlin (Nachtkritik), Moritz Schöneckers Adaption von Kafkas "Prozess" am Theater Heidelberg (Nachtkritik), Volker Löschs AfD-Stück "Das Blaue Wunder" am Staatsschauspiel Dresden (mdr, FAZ), August Bournonvilles Ballett "La Sylphide" in der Deutschen Oper (Tsp) und Jette Steckels Inszenierung von Richard Yates' Roman "Zeiten des Aufruhrs" am Deutschen Theater (Tsp).

Archiv: Bühne

Literatur

Im Interview mit der SZ erklärt Sandra Richter ihre Pläne, als neue Leiterin des Marbacher Literaturarchivs dort künftig auch Computerspiele zu sammeln. Sie sieht darin vor allem auch ein Signal an Gamedesigner, die sich "in ihrem Studium bereits mit Narratologie beschäftigen müssen. Sie müssen wissen: Wie lenke ich die Perspektive, wie baue ich Figuren auf? Meistens sind die ziemlich schlicht. Deshalb müssen wir, die Öffentlichkeit, sagen: Wir wollen aus diesen Spielen etwas lernen und uns beim Spielen reflektieren, so wie Schiller sich das vorgestellt hat. Wir wollen Spiele 'lesen' können. Wenn wir das tun, dann kann die Spieleszene davon nur profitieren."

Weitere Artikel: In der FAS bringt Julia Encke den "einfachen Satz" gegen gespreizte Bildungsrhetorik und Berserker-Sound in Stellung und damit auch gegen die Lepiziger Buchpreisnominierten Kenah Cusanit und Feridun Zaimoglu. In einer Erzählung auf ZeitOnline erinnert sich die Schriftstellerin Tanja Raich, deren Debütroman heute erscheint, an ihren vergangenen Dezember verstorbenen Großvater. Besprochen werden unter anderem Hanya Yanagiharas "Das Volk der Bäume" (Berliner Zeitung), Tanja Maljartschuks "Blauwal der Erinnerung" (Zeit), Annie Ernauxs "Erinnerung eines Mädchens" (Standard), Kristen Roupenians Erzählband "Cat Person" (Freitag), Clemens Setz' "Der Trost runder Dinge" (taz), Michael Rutschkys "Gegen Ende" (Berliner Zeitung), Yishai Sarids "Monster" (SZ) und neue Krimis, darunter Attica Lockes "Bluebird, Bluebird" (FAZ), der auch die von FAS und Dlf Kultur herausgegebene Krimibestenliste im März 2019 anführt.

In der online nachgereichten Frankfurter Anthologie schreibt Jan Volker Röhnert über Maja Vidmars "Das Gebet der Nacht":

"Von oben betrachtet:
Was gibt es Schöneres,
..."
Archiv: Literatur

Film

Dominik Kamalzadeh (Standard) und Verena Lueken (FAZ) unterhalten sich mit Barry Jenkins über dessen James-Baldwin-Verfilmung "Beale Street". Jacques Audiard hat Angst vor Pferden ("Ich mag sie nicht"), gesteht der Regisseur im Welt-Gespräch über seinen neuen Film, den Western "The Sisters Brothers" mit John C. Reilly und Joaquin Phoenix. Die amerikanische Schauspielerin Sophie Auster träumt im ZeitMagazin. Für den Tagesspiegel spricht Gunda Bartels mit Doris Dörrie über ihren neuen Film "Kirschblüten & Dämonen".

Besprochen werden Marc Dugains Historienfilm "Ein königlicher Tausch" (FAZ), Jia Zhang-kes "Asche ist reines Weiß" (Freitag, mehr dazu hier), die Amazon-Serie "The Widow" (Tagesspiegel) und der auf Heimmedien veröffentlichte Thriller "Die Geiselnahme"  mit Julianne Moore (SZ).

Im Kinosaal des Österreichischen Filmmuseums sprechen Kritiker Christoph Huber und Regisseur Dominik Graf über Nicolas Roeg:

Archiv: Film

Musik

In einem sehr schönen Essay beschreibt Christiane Peitz im Tagesspiegel die anstrengende Artbeit der Orchestermusiker, um dennoch das paradoxe Hierarchie-Gefüge zwischen Dirigent und Orchester als alternativlos zu beschreiben: "Gute Musik kommt ohne Gehorsam nicht zustande. Hören und Gehorchen haben die gleiche Wortwurzel. Aber genauso wenig geht es ohne Gemeinschaftssinn und ohne selbstgewisse, selbstsichere Individuen, für die sich das Wegtauchen in der Menge verbietet." Daneben stellt sich Jürgen Flimm, langjähriger Intendant der Berliner Staatsoper, fest an die Seite von Daniel Barenboim: "Ich gäbe was darum, wenn ich noch einmal Jahre mit Daniel hätte."

Künstlerische Autonomie und viel black consciousness hört ein erfreuter Tagesspiegel-Kritiker Andreas Busche aus Solanges neuem Album "When I Get Home" heraus: "Selbst der für viele überraschende Veröffentlichungstermin ist nicht einer Laune geschuldet, sondern strategisch klug gewählt. Solange hat ihr Album ... genau zwischen dem Ende des 'Black History Month' und dem Beginn des amerikanischen 'Women's History Month' platziert." Auch SpOn-Kritiker Andreas Borcholte staunt über die "demonstrative Lässigkeit" des neuen Albums, das "beiläufig und experimentell, geradezu unfertig" wirke. "Repetitive, sehr reduzierte Texte und ein offener, gleitender Jazz-Vibe bestimmen die 19 Tracks."



Leif Gütschow hat für die taz Thomas Koritke ausführlich dazu befragt, wie man unter anderem die Klänge einer Stradivari digitalisiert, wofür der Tonmeister ein ganzes italienisches Dorf zur Stille verdonnert hat. In den Händen hielt er das begehrte Instrument dennoch nicht: "Die wurden vom Kurator der Sammlung in die Halle gebracht, der von einem bewaffneten Wachmann begleitet wurde. Dieser Wachmann war bei den Aufnahmen unser einziger Gast. Mit den Einzelklängen am Computer wird es aber bald die Möglichkeit geben, mit diesen Instrumenten selbst zu komponieren und aufzunehmen. Wir haben insgesamt sechs Terabyte an Daten aufgenommen, pro Instrument werden wir für die Software etwa 100.000 Töne und Tonübergänge digital verfügbar machen."



Besprochen werden das neue Album von Die Heiterkeit (Jungle World, dazu oben ein Video), das Album "Garden of Earthly Delights" von Susanna & The Brotherhood of Our Lady (taz), Robert Forsters neues Album (Standard, mehr dazu hier), ein Auftritt von Pantha du Prince (Tagesspiegel), Claire Huangcis Klavierkonzert in Zürich (NZZ) und Madrugadas Comeback-Konzert in Zürich (NZZ).
 
In der Frankfurter Pop-Anthologie schreibt Niels Penke über Deep Blue Somethings "Breakfast at Tiffany's":

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