Efeu - Die Kulturrundschau
Trivial und feminin
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Kunst

In einem Offenen Brief wehren sich Lea Rosh, Wibke Bruhns, Michael Cullen und andere gegen den Plan des russischen Künstlers Ilya Khrzhanovsky, die Mauer als Kunstprojekt wieder aufzubauen, berichtet der Tagesspiegel und zitiert: "Menschen einer Stadt, die in wenigen Jahrzehnten zwei Diktaturen durchlitten haben, brauchen gar keine Belehrung darüber, was eine Diktatur bedeutet. Wir hatten sie ja schon. Die Herren, die sich dieses unselige Projekt ausgedacht haben, sollten sich bei Herrn Putin für den zu Hausarrest gezwungenen Serebennikow und den hungernden Sensow einsetzen und den inhaftierten Nawalny unterstützen. Dann können sie wahrscheinlich die Knasterfahrung am eigenem Leib erleben."
Außerdem: In Tokio lernt SZ-Kritiker Andrian Kreye, dass der in Europa so geschätzte und einflussreiche Künstler Katsushika Hokusai in Japan fast nur von Comicfans geschätzt wird. Besprochen werden die Ausstellung "What´s love got to do with it" der amerikanischen Künstlerin Lutz Bacher im wiedereröffneten Düsseldorfer K21 (FAZ, SZ) und Gregor Mayers Schiele-Biografie "Ich ewiges Kind" (NZZ).
Literatur
Weiteres: Auf ZeitOnline erzählt die kurdisch-syrische Autorin Widad Nabi in einem so kurzen wie schockierenden Text, wie sie mit Ingeborg Bachmann nach einem Selbstmordversuch ins Leben zurückfand. In der Welt findet es der israelische Autor Assaf Gavron ganz richtig, dass es jetzt auch in Deutschland Computerspiele geben darf, in denen Hakenkreuze gezeigt werden. NZZ-Kritiker Christian Gasser betont, dass anspruchsvolle Graphic Novels vielleicht die mediale Aufmerksamkeit dominieren, die Comic-Branche jedoch von Serien-Klassikern wie Tintin, Asterix und Spirou lebt. NZZ-Kritikerin Stefana Sabin führt in das Werk des jiddsichen Schriftstellers Moische Kulbak ein, an den mehrere Neuausgaben erinnern. Gregor Dotzauer liest in seiner Tagesspiegel-Kolumne die Zeitschrift "Die Dritte Natur".
Besprochen werden Frederika Amalia Finkelsteins Roman "Überleben" (SZ), Henning Mankells Roman "Der Sprengmeister" (SZ), Gregor Mayers Schiele-Buch "Ich ewiges Kind" (NZZ), Juli Zehs Roman "Neujahr" (FR), Norbert Sachsers "Der Mensch im Tier" (FAZ) und Perry Andersons "Hegemonie" (FAZ).
Bühne

Im Tagesspiegel ist Sandra Luzina nur halb zufrieden: "Celis Choreografie ist ein Leichtgewicht, zu unspektakulär für einen Neubeginn", meint sie. "Doch Öhman hat noch ein Ass im Ärmel. 'Half Life' von Sharon Eyal und ihrem Partner Gai Behar ist eine Extravaganza, wie gemacht für Berlin. Die dekadenten Kreaturen auf der Bühne bewegen sich monoton im Puls des Techno. Der druckvolle Sound stammt von dem Techno-DJ Ori Lichtik. Eyal, die zunächst Tänzerin und später Hauschoreografin bei der Batsheva Dance Company war, hat einen unverwechselbaren, betont manierierten Tanzstil entwickelt. Ihre Stücke kreisen um das Verhältnis von Kollektiv und Individuum."
Besprochen werden außerdem zwei Aufführungen bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen: Jette Steckels Inszenierung von Ewald Palmetshofers Neu-Dramatisierung des Gerhart-Hauptmann-Stücks "Vor Sonnenaufgang" (nachtkritik) und Dušan David Pařízeks Adaption von Christoph Heins Roman "Trutz" (nachtkritik), Rene Polleschs "Cry Baby" am Deutschen Theater Berlin (nachtkritik, FAZ), die Eröffnung der Theatersaison im Schauspiel Frankfurt mit Eugene O'Neills "Der haarige Affe" und Ewald Palmetshofers "Räuber. Schuldenreich" (FR), die Eröffnung der Saison am Berliner Gorki-Theater mit zwei Stücken im Radius der Metoo-Debatte: Yael Ronens Mitmachstück "Yes but no" und Suna Gürlers "You are not the hero of this story" (nachtkritik, SZ), Daniel Kehlmanns Flüchtlingsdrama "Die Reise der Verlorenen" am Wiener Theater in der Josefstadt (SZ), Joachim A. Langs Film "Mackie Messer" über Brechts Dreigroschenfilm (der nachtkritikerin Gabi Hift überhaupt nicht gefallen hat) und Péter Eötvös' Bühnenwerk "Try sestry" an der Oper Frankfurt ("Insgesamt ist es Dorothea Kirschbaum vorzüglich gelungen, die epochen- wie milieuspezifische unendliche Langeweile geradezu zum belebenden Moment zu machen, nicht zuletzt in turbulenten Simultan-Szenen ... Während Eötvös' Partitur sarkastisch karikierende Passagen und auratisch empfindsame Elemente im russischen Akkordeon-Timbre, schier magischen Klangverbindungen und geradezu Madrigal-Reminiszenzen in der Balance hielt", lobt FAZ-Kritiker Gerhard R. Koch).
Film
Besprochen werden Wolfgang Fischers Film "Styx" über eine Ärztin, die bei einem Atlantiktörn auf ein Flüchtlingsboot trifft (Critic) und die auf Funk laufende queere Serie "Straight Family" (FAZ).
Musik
Dev Hynes alias Blood Orange spricht mit Durga Chew-Bose von Dazed über sein neues Album - und über "kulturelle Aneignung", nur andersrum: "Ich komme zuerst von klassischer Musik. Ich spielte Cello, Piano und Orchestersachen. Meine ersten Einflüsse waren weiß, Leute, die mich gehasst hätten, wenn ich in der selben Zeit gelebt hätte wie sie. Aber ich musste. Ich nahm von ihnen, was ich konnte. Ich stahl von ihnen. So sehe ich die Dinge: Ich stehle, was ich brauche und mache es passend für meine eigene Welt." Die Fotos in dem Interview sind übrigens von Wolfgang Tillmans.
Und hier das wirklich hübsche Video zu "Charcoal Baby":
Nach dem Selbstmord des Musikers Mac Miller fürchtet Brice Miclet auf Slate.fr, dass Depressionen und Drogen eine ganze Generationen von Rap-Musiker dahinraffen könnte, deren Musik introvertierter, düsterer und selbstbezogener denn je sei: "Das zeigt sich nicht nur im Stil. Es gibt einen Haufen Gründe, die einen erfolgreichen Künstler in ein schwarzes Loch stürzen, und die Droge Lean ist einer davon. Noch vor zehn Jahren war diese Melange aus Hustensirup und Soda auf den Rap im Süden oder in Chicago beschränkt, heute ist sie überall. Mac Miller war süchtig danach."
Weitere Artikel: Christian Wildhagen huldigt in der NZZ dem immer stärker ins Patriarchenhafte wachsenden Bernard Haitink, der in diesem Jahr das Festival von Lucerne überstrahlt mit einer wegweisend lichten Aufführung von Mahlers Neunter. Stefan Ender porträtiert im Standard den Dirigenten Stefan Gottfried, der seit 2016 das Concentus Musicus leitet. Für Welt-Kritiker Elmar Krekeler ist das Album "Re:member", das der Neoklassiker Ólafur Arnald mit Hilfe seines Softwareprogramms Stratus komponiert hat, höchstens eine "sanfte Revolution": "Man hört in die Mechanik des Klaviers, hört Wasser rauschen. Arnalds balsamiert weiter die Welt." Im Standard-Interview mit Michael Wurmitzer spricht die Veranstelterin Marlene Engel über die Clubkultur, die in Wien kaum noch Raum findet. Julian Weber berichtet in der taz vom Meakusma-Festival im belgischen Eupen, das dem selten Gehörten Raum gibt. Gerrit Bartels tummelt sich für den Tagesspiegel auf dem Berliner Lollapalooza-Festival.
Besprochen werden der DJ-Mix "Running Back", der an den Hamburger Club Front erinnert (SZ) und Paul McCartneys Album "Egypt Station" (Standard).