Efeu - Die Kulturrundschau
Je femininer eure Waden, desto schöner
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Bühne

In der Berliner Schaubühne hat Thomas Ostermeier nach Didier Eribon jetzt auch Edouard Louis' Roman "Im Herzen der Gewalt" inszeniert, der schockierend radikal von seiner Vergewaltigung erzählt. Peter Laudenbach ist in der SZ überwältigt von der nüchternen Inszenierung, die ihm Momente großer Intimität und blanken Schreckens brachte: "Aber auch diese Drastik kippt nicht in eine reißerische Effektorientierung, keine Gewaltorgie in der Tarantino-CoolnessPose, sondern ein traurig grundierter Wut- und Hilflosigkeitsausbruch. Wenn es im Theater so etwas wie Wahrhaftigkeit und echte Auseinandersetzung mit den Härten sozialer Differenz gibt, dann kann man sie in der Inszenierung von Thomas Ostermeier erleben."
Im Tagesspiegel betont Rüdiger Schaper: "Thomas Ostermeiers Inszenierung ist klar und intensiv, treffender als seine Lesart der 'Rückkehr nach Reims'. Sie erinnert an seine frühen Arbeiten damals in der DT-Baracke, an 'Shoppen & Ficken' oder 'Messer in Hennen'. Deshalb stellt sich die Frage gar nicht, was Louis und sein Buch 'Im Herzen der Gewalt' auf der Bühne zu suchen haben. Es gehört da hin mit seinem brutalen Melodram, das in Paris abläuft, am Weihnachtsabend." In der Berliner Zeitung fürchtet Janis El-Bira allerdings, dass die Inszenierung dem Text die politische Brisanz ausgetrieben hat. Und auch in der Nachtkritik ist Georg Kasch skeptisch. Ihm ist die Inszenierung "zu schön, um wahr zu sein".
Weiteres: Sehr gegensätzlich wird Peter Ruzickas in Hamburg uraufgeführte Walter-Benjamin-Oper aufgenommen. SZ-Kritiker Michael Stallknecht sieht hier aus Pathoskanonen gefeuert und die "b-o-o-o-o-lschewistische Re-e-e-e-e-volution" in üppige Koloratur verwandelt. In der FAZ findet Jügen Kesting dagegen das Stück Benjamins magischer Gangart entsprechend und attestiert gerade den SängerInnen "vokale Virtuosität im Dienst der Groteske. Helmut Ploebst porträtiert im Standard die dänische Performancekünstlerin Mette Ingvartsen.
Besprochen werden Dušan David Pařízeks Bühnenfassung von Christoph Heins Roman "Trutz" in Hannover (Nachtkritik), Florian Fiedlers Inszenierung "Nur die Harten (kommen in den Garten)" in Oberhausen (Nachtkritik) und Aufführungen der Wiener Festwochen (Standard).
Kunst
Weiteres: In der SZ meldet Susanne Hermanski, dass Okwui Enwezor das Haus der Kunst verlässt. Er gibt aus gesundheitlichen Gründen sein Amt als Direktor auf, aber wie Hermanski zu berichten weiß, war Enwezor künstlerisch durchaus erfolgreich, aber nicht unbedingt ökonomisch und personell.
Literatur

Große Begeisterung nach dem Comicsalon in Erlangen. Eine der vielen Ausstellungen war dem Genre der Comicreportage gewidmet, das auch in Vorträgen genauer in den Blick genommen wurde, berichtet Christoph Haas in der SZ: "Augusto Paim (Weimar) verwies auf einen wesentlichen Vorteil, die Stift und Zeichenblock besitzen: Da sie viel weniger aggressiv wirken als Fotoapparat und Filmkamera, können sie im Umgang mit den Befragten wie ein 'Türöffner' fungieren. Außerdem ist ihr Einsatz auch dort möglich, wo das Arbeiten mit technischen Geräten nicht möglich oder nicht erwünscht ist." In der taz staunt Ralph Trommer über die "Formenvielfalt" der Reportagen und den Einfallsreichtum ihrer Autoren. FAZ-Kritiker Andreas Platthaus fand die Reportage-Ausstellung indessen ein wenig "einfallslos". Dafür bereitete ihm die Ausstellung über die französische, in Deutschland eher noch zu entdeckende Zeichnerin Dorothée de Manfreid gewidmete Ausstellung viel Vergnügen.
Besprochen werden unter anderem William Finnegans "Barbarentage" (Tagesspiegel, SZ), Alexander Schimmelbuschs "Hochdeutschland" (Freitag) und Verena Luekens "Anderswo" (SZ).
Design
Marina Razumovskaya porträtiert für die taz die in Berlin arbeitende New Yorker Mode-Journalistin Melissa Drier: "Mode ist für Drier nicht nur eine Sache von Jurys und Messen. Mode ist Ausdruck, wird getragen, ausgetragen. Ihre wichtigsten Beobachtungen macht Drier auf der Straße, im Bus, auf Events. 'Das tut mir weh, wenn ich Leute sehe, die nur tolle Namen tragen, aber keine Ahnung haben, was für sie gut ist: falscher Rock, falsche Schuhe.'
Film
Weiteres: Dominik Grafs beim Bildrausch Festival in Basel gehaltene Laudatio auf Paul Schrader lässt sich hier als PDF runterladen. Besprochen wird die Serie "Dietland" (ZeitOnline).
Musik
Die Autobahn als Klangspender? Für ihre Installation "A100 - der Klang der Berliner Stadtautobahn" haben sich Sam Auinger und Georg Spehr jedenfalls mit dem Mikrofon auf Soundjagd begeben. Das Ergebnis präsentieren sie jetzt im Berliner CLB: Die eingefangenen Sounds "haben sie weiterbearbeitet und teilweise mit Bass und Drums begleitet", erklärt Tilman Baumgärtel in der taz. "Meist ist das eher piano. Der große Lärm der Moderne, der die Futuristen am Krach von Automotoren fasziniert hat und der die Einstürzenden Neubauten zu einem legendären Gig unter einer Berliner Autobahnbrücke inspiriert hat, kommt hier nicht zur Wiederaufführung."
Weiteres: In der SZ-Retrokolumne erinnert Thomas Bärnthaler an Liz Phairs Debütalbum "Exile In Guyville" aus dem Jahr 1993. Besprochen werden die CD-Retrospektive "Battleground Korea" mit historischer Musik über, für und gegen den Koreakrieg (NZZ), das neue Album "Ye" von Kanye West (Standard, Berliner Zeitung, Pitchfork, mehr dazu hier), Jenny Hvals neue EP "The Long Sleep" (Pitchfork), die Ausstellung "Arnold Schönberg und Jung-Wien" im Schönberg-Center in Wien (NZZ) und das Soloalbum "Wolke 7" des Rappers Gzuz (SZ).
Das Logbuch Suhrkamp präsentiert die 56. Folge von Thomas Meineckes "Clip//Schule ohne Worte":