Efeu - Die Kulturrundschau
Die falschen Septimen der Drehorgel
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01.08.2022. In Salzburg feiert die litauische Sopranistin Asmik Grigorian in gleich drei Puccini-Hauptrollen Triumphe. Die Kritiker sind hin und weg, nur manchmal fehlen ihr die timbralen Rundungen, bemerkt die FAZ. Critic.de sah italienisches Genrekino auf den schönsten Kopien beim Frankfurter Filmfestival Terza Visione. Die SZ hört Jazz aus fernen Zeitgalaxien des Duos DOMi & JD Beck. Der Standard kippt ein Gläschen Blut und verzehrt Paprikahendl mit Marillenknödeln vor Innereien beim Orgien Mysterien Spiel von Hermann Nitsch. Die FR feiert das It-Girl der Siebziger und Achtziger in Berlin, Tabea Blumenschein.
9punkt - Die Debattenrundschau
vom
01.08.2022
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Bühne

Auch FAZ-Kritiker Jürgen Kesting ist begeistert, mahnt aber zur Vorsicht: Grigorian ist "eine wunderbare, intensive Darstellerin: eine anmutig-graziös Donna fragile als Lauretta, eine fiebrig nach Liebe sich sehnende und dabei von Schuldgefühlen gequälte Giorgetta und eine sich in Verzweiflung verirrende, voller Trotz aufbegehrende Angelica. Sie ist auch eine wunderbare Sängerin. Aber dem schlank sehnigen Klang ihres Soprans fehlen die timbralen Rundungen von Verismo-Sängerinnen wie Claudia Muzio oder Renata Scotto. In Angelicas Sehnsuchtslamento 'Senza mamma' und noch mehr in den Verzweiflungsausbrüchen ihres finalen 'Ah, son dannata!' ging der 'cri de cœur' über in das stimmliche Opfer eines Schreiakzents. Ein Triumph, ja! Aber ein gefährlicher, weil gefährdender Triumph."
In der SZ Reinhard J. Brembeck nicht zufrieden mit Orchester und Inszenierung, die ihm beide zu harmlos sind. Immerhin: Christof Loy, der "so gar nichts übrig hat für großen Bühnenklimbim", behelligt seine Sänger auch nicht, sondern vertraut auf ihre Spielfreude: "Im 'Trittico' lässt er in drei unpersönlichen, klassizistisch hellen Räumen mit nur wenigen Requisiten spielen. Gelegentlich hat Loy wundervolle Einfälle. Wenn Schwester Angelica den Koffer mit den Besitztümern ihres früh gestorbenen Kindes öffnet, findet sie auch ein schlichtes schwarzes Kleid. Da geht eine Veränderung durch die bis dahin still duldende und sanft singende Nonne. Asmik Grigorian zieht die Schwesternkluft aus, das kleine Schwarze an und beginnt zu rauchen. Plötzlich ist sie wieder die Frau von Welt, die sie einst war, Grigorians Stimme macht ihn nachvollziehbar, den Wandel von der Demütigen zur Femme fatale." Weitere Besprechungen im Standard und in der FR.
Besprochen wird außerdem Wagners "Rheingold" in der Regie von Valentin Schwarz in Bayreuth (Christiane Peitz im Tsp. und Manuel Brug in der Welt fühlen sich beide an eine Netflixserie erinnert).
Film

Tilmann Schumacher resümiert auf critic.de das Frankfurter Filmfestival Terza Visione, das sich auf das italienische Genrekino spezialisiert und als echtes Trüffelschweinchen unter den noch von historischen 35mm-Kopien projizierenden Veranstaltungen ihrer Art etabliert hat - angesichts immer weiter verfallenden Kopien und zusehends knausernden Filmarchiven eine Herausforderung. Doch "die Dichte an schönen Kopien war so hoch wie nie zuvor, die Dankbarkeit des Publikums groß. Wie ein Livekonzert einer bestimmten Band ein Event ist, auf das man teils Jahre wartet und bei dem man die eine sich bietende Gelegenheit nutzen muss, so ist es auch mit raren Kopien bei einem Filmfestival dieser Art. Die Aufführung ist ein einmaliger Vorgang, der sich einem einbrennt und sich auf keine andere Weise so reproduzieren lässt." Als besondere Entdeckung des Festivals feiert er im übrigen Ugo Gregorettis Science-Fiction-Satire "Omicron": Es "begeisterten nicht nur die sprachlichen Gags, die vor allem in der zweiten Hälfte wie Zahnrädchen ineinandergreifen, sondern auch, wie visuell der Film angelegt ist."
Außerdem: Auf ZeitOnline reicht Georg Seeßlen Geburtstagsgrüße für Arnold Schwarzenegger nach. Patrick Holzapfel schreibt im Filmdienst einen Nachruf auf den Regisseur BobRafelson. Außerdem melden die Agenturen, dass die Schauspielerin Nichelle Nichols gestorben ist, die man als Lieutenant Uhura aus "Raumschiff Enterprise" kannte.
Besprochen werden Barry Levinsons Holocaust-Drama "The Survivor" (Tsp), die Amazon-Serie "Paper Girls" (FAZ), die Apple-Serie "In With the Devil" (Freitag) und die Netflix-Serie "Uncoupled" (taz).
Kunst


Weitere Artikel: Im Tagesspiegel denkt Rüdiger Schaper angesichts von Damien Hirsts Verbrennungsaktion über Geld und Markt nach. Hubert Spiegel freut sich in der FAZ über die Eröffnung des renovierten Musée de Cluny in Paris. Die Weigerung des neuen Interims-Geschäftsführers der Documenta, Alexander Farenholtz, die 1500 ausgestellten Werke auf Antisemitismus zu prüfen, "stößt in der Kulturszene und in der Politik auf Unverständnis", meldet der Tagesspiegel.
Besprochen werden zwei Ausstellungen der Hamburger Künstlerin Annika Kahrs am Baakenhafen und in der Kunsthalle Hamburg (taz) und die Liebermann-Schau "Künste in Sicht" in der Liebermann-Villa am Wannsee (FAZ).
Literatur
Die Welt spricht mit Isabel Allende, die morgen 80 Jahre alt wird. Die Agenturen melden, dass der aus Syrien stammende Schriftsteller Jad Turjman beim Bergsteigen in den Alpen verunglückt ist. Andreas Platthaus schreibt in der FAZ einen Nachruf auf die Schriftstellerin und frühere FAZ-Redakteurin Maria Frisé. Im Standard unterhält sich Bert Rebhandl mit Katja Petrowskaja, dazu mehr in 9punkt.
Besprochen werden unter anderem Marie Luise Knotts "370 Riverside Drive, 730 Riverside Drive" (online nachgereicht von der FAZ), die Ausstellung "Marcel Proust - Du côté de la mère" im Musée d'art et d'histoire du Judaïsme in Paris (FAZ), Iwan Bunins Erzählungsband "Nachts auf dem Meer" (online nachgereicht von der FAZ), Patrick Modianos "Unterwegs nach Chevreuse" (Standard), Zoe Jennys "Der verschwundene Mond" (Standard), die Gesamtausgabe von Gilbert Sheltons Avantgardecomic-Klassiker "Freak Brothers" (Welt) und neue Krimis, darunter Gytha Lodges "Was ich euch verschweige" (FAZ).
In der online nachgereichten Frankfurter Anthologie schreibt Birger Petersen über Manfred Enzenspergers "weiße flotte":
"geröll. rheinwein
die traubenlampe die kreidekarte
..."
Besprochen werden unter anderem Marie Luise Knotts "370 Riverside Drive, 730 Riverside Drive" (online nachgereicht von der FAZ), die Ausstellung "Marcel Proust - Du côté de la mère" im Musée d'art et d'histoire du Judaïsme in Paris (FAZ), Iwan Bunins Erzählungsband "Nachts auf dem Meer" (online nachgereicht von der FAZ), Patrick Modianos "Unterwegs nach Chevreuse" (Standard), Zoe Jennys "Der verschwundene Mond" (Standard), die Gesamtausgabe von Gilbert Sheltons Avantgardecomic-Klassiker "Freak Brothers" (Welt) und neue Krimis, darunter Gytha Lodges "Was ich euch verschweige" (FAZ).
In der online nachgereichten Frankfurter Anthologie schreibt Birger Petersen über Manfred Enzenspergers "weiße flotte":
"geröll. rheinwein
die traubenlampe die kreidekarte
..."
Musik
Rein äußerlich sieht das Duo DOMi & JD Beck eher nach grungigen Manga-Teenies aus, aber ihre Mischung aus Jazz und Pop ist zum Niederknien, schreibt Andrian Kreye in der SZ: Die beiden knapp 20-Jährigen spielen "einen Jazz aus fernen Zeitgalaxien, während sie sich ganz bewusst so geben, als seien sie exakt auf der Messerschneide der Gegenwart zu Hause. ... Das Affentempo und die komplexen Verschachtelungen, die die beiden vorlegen, verhalten sich zum traditionellen Swing des Modern Jazz ungefähr wie eines dieser Beschleunigungsmonster des Drag Racing zum Cruiser-Cabrio." Zu bezeugen "sind Kaskaden aus in sich verzinkten Linien und Motiven, die sich zu einem Gesamtstrom vereinen. DOMi beherrscht die Parallelität aus massiven Basslinien und Akkordflächen, über denen sie Synthesizerläufe spielt, die sich in Höchstgeschwindigkeit um die Songstrukturen legen."
Außerdem: Jan Bielicki schreibt in der SZ einen Nachruf auf den Sänger Archie Roach. Besprochen werden die ARD-Dokureihe "Techno House Deutschland" (ZeitOnline) und ein Ostpunk-Abend in Berlin (taz).
Außerdem: Jan Bielicki schreibt in der SZ einen Nachruf auf den Sänger Archie Roach. Besprochen werden die ARD-Dokureihe "Techno House Deutschland" (ZeitOnline) und ein Ostpunk-Abend in Berlin (taz).
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